Predigt über 1. Johannes 2, 12.14 - 17 im Frühgottesdienst am 21. Sonntag nach Trinitatis, 27. Okober 2002

 

Lieder:

 

Gott ist gegenwärtig...165, 1.6-8

 Herr Jesu Gnadensonne...404, 1-4

Lasset uns mit Jesus ziehen...384

Segne und behüte...575

 

Psalm 42 

 

Lesung: Matthäus 18, 21 - 35

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext steht im 1. Johannesbrief, Kapitel 2, die Verse 12 und 14 -17. Ich lese den Text nach einer Übersetzung von Kurt Marti.

 

Der hochbetagte Presbyter Johannes schreibt an seine Gemeindeglieder, die er in seinem Brief liebevoll und zärtlich „Kindlein“ oder auch „Kinder im Glauben“ nennt:

 

Geliebte Kindlein, ich schreibe euch,

daß euch die Sünden vergeben sind

um seines Namens willen.

 

Ich habe euch Kindern geschrieben,

denn ihr kennt den Vater.

 

Ich habe euch Vätern und Müttern geschrieben,

denn ihr kennt den, der von Anfang an ist.

 

Ich habe euch jungen Menschen geschrieben,

denn ihr seid stark,

und das Wort Gottes bleibt in euch,

und ihr habt den Bösen überwunden.

 

Habt nicht die Welt lieb noch das, was in ihr üblich ist.

Wer die Welt liebt,

in dem ist die Liebe Gottes nicht.

 

Denn alles, was in der Welt jetzt üblich ist,

die Gier nach immer mehr,

die lüsternen Augen,

das Prahlen mit Geld und Macht –

das kommt nicht vom Vater,

sondern aus der Verkehrtheit der jetzigen Welt.

 

2

 

Jedoch: Die Welt vergeht

mit all ihrer Lust.

Wer aber den Willen Gottes tut,

der bleibt in Ewigkeit.

 

 

Liebe zu Gott oder aber Liebe zur Welt: Das ist die Alternative, das Entweder-Oder, das der uralte Johannes uns hier vor Augen stellt. Macht er die Welt madig? Will er, daß wir uns aus allem Weltlichen heraushalten?

 

Nicht wahr: Das gab es ja auch immer wieder in der Geschichte der Christenheit: Es gab die Eremiten, die weltabgeschieden lebten, in tiefer Einsamkeit, fern von allem Trubel, es gab und gibt die Mönchsorden oder auch auf evangelischer Seite manche Diakonissenhäuser, in denen es – wie ein  heute vergessener Ausdruck lautet –  „sittenrein“,  „sittenstreng“ zuging.

 

Ich glaube, dies meint der Presbyter Johannes nicht, sondern es geht ihm um etwas, das zum Beispiel ein Franz von Assisi vorbildlich vorgelebt hat:  Mitten in dieser Welt mit all ihrer Gier, ihrer Habsucht, ihrem Egoismus anders sein als es üblich ist. Mitten in dieser heutigen Welt geprägt von Gottes Liebe, erfüllt vom Geiste Jesu leben. In dieser dunklen Welt ein Licht sein. In der Freude über Gott zu leben, denn – wie Franz von Assisi es einmal so schön ausgedrückt hat: Gott ist die Freude. Darum  hat er die Sonne vor sein Haus gestellt.  

 

 

II

 

Und nun  faßt Johannes das, was wir  Gott verdanken, in einem einzigen Wort zusammen, dem Wort „Sündenvergebung“.

 

Sündenvergebung! Manche sagen -  auch manche, die sich Christen nennen - : Dies ist ein leeres Wort geworden, unverständlich, unzeitgemäß.

 

Ich sage: Es ist das Zentralwort des Glaubens. Das schönste Wort des Evangeliums überhaupt.

 

Was bedeutet es? Wir sollten einmal  versuchen, mit eigenen Worten auszusprechen, was mit diesem Wort gemeint ist. Das, was man glaubt, mit eigenen Worten auszudrücken zu versuchen, das hilft viel – uns selbst und anderen. Unser Glaube soll ja nicht sprachlos sein.

 

Das Wort Sündenvergebung hat natürlich eine unabdingbare Voraussetzung: Daß wir unser Leben überhaupt in Verbundenheit mit Gott leben, in Verantwortung vor Ihm, im Hören auf Sein Wort, im Fragen nach Seinem Willen...

 

Es kommt also darauf an, daß ich mir täglich bewußt mache: Gott ist der Schöpfer, der Schöpfer auch meines Lebens.Und: Gott ist einer, der nicht stumm ist wie ein seelenloses Schicksal, sondern der mit mir und jederm Menschen in ein Gespräch

 

3

 

kommen und in einem Gespräch bleiben will – der also mich gerade so wie ich bin  geschaffen hat, weil etwas ganz Bestimmtes, ganz Persönliches, Einmaliges und für Gottes Pläne ganz Wichtiges zwischen ihm und mir geschehen soll.

 

Jeder, der sein Leben in der Verantwortung vor Gott und im Hören auf ihn lebt, der kann nicht anders als erkennen, daß er schuldig wird: Er bleibt Gott und Menschen Liebe schuldig und er wird durch sein Verhalten an Gott und Menschen schuldig. Ja, er erkennt, daß er – so wie er ist - verloren ist, ausweglos dran. Er erkennt, wie Paulus einmal schreibt (Römer 7, 19): „Das Gute, das ich tun will, tue ich nicht, das Böse, das er nicht tun will, das tue ich“.  Und über dieser unausweichlichen Erkenntnis wird ihm das Evangelium immer wichtiger und herrlicher: Das Evangelium, das uns sagt: Das, was du eigentlich verdient hättest, das hat Jesus an deiner Stelle und für dich ertragen und getragen und um seinetwillen schenkt Gott dir das, was du nicht verdient hast: Ewige Gnade, Treue, Geduld, Liebe, Errettung...Und einmal, wenn wir mit dem Ertrag unseres Lebens vor Gott treten werden - und wenn dann alles aus unserem Leben, jeder Gedanke und jede Empfindung, jedes Wort und jede Tat wieder ans Licht kommen wird ! -  auch dann, gerade dann wird er mir als der gnädige,verzeihende, barmherzige Gott begegnen! Und darum brauche ich nicht mehr in Furcht vor Gott zu leben, sondern stattdessen in dankbarer Ehrfurcht vor ihm

 

III

 

Dies alles ist mit dem einen Wort „Sündenvergebung“ gemeint: Vergebung der Sünden aufgrund des Opfertodes Jesu am Kreuz. Vergebung, die Gott jedem Menschen ganz persönlich anbietet, und die von jedem Menschen ganz persönlich angenommen werden will.

 

Und nun ist es schön, wie der alte Presbyter Johannes nun seine Gemeindeglieder auch ganz konkret und persönlich anspricht.

 

Meist, vor allem in den Paulusbriefen, wird im Neuen Testament die Gemeinde als Ganze angeredet – und  das ist auch sehr wichtig. Wir sind nicht einfach Einzelne, wir sind Gemeindeglieder, wir gehören zusammen in der Gemeinde – ohne Mitleben in der Gemeinde, ohne unsere Verbundenheit miteinander gibt es kein wirkliches Christsein – darum ist das Beieinandersein im Gottesdienst, aber auch in manchen Gruppen und Zusammenkünften  so wichtig! Und darum freue ich mich oft auf den Frühgottesdienst – nämlich auf die Menschen, mit denen gemeinsam ich dort Gottesdienst feiern werde! Und wie wichtig ist unsere Fürbitte füreinander! Wir sind Gemeindeglieder!

 

Hier aber, in diesem Text, redet Johannes Einzelne, bzw. Einzelgruppen, ganz persönlich an.

 

Zuerst die Kinder! Er meint damit die, die erst seit ganz kurzem glauben. Er sagt ihnen: Ihr kennt den Vater! Damit also soll und darf der Glaube beginnen, daß wir Gott unseren Vater nennen dürfen. Klar, daß damit nicht gemeint ist, Gott sei  männlich, sondern gemeint ist: Gott ist einer, dem wir  vertrauen können, bei dem wir Geborgenheit und Schutz finden, dem wir viel zutrauen können.

 

 

4

 

Von solcher Väterlichkeit Gottes, wie Jesus sie uns in Gleichnissen und in seinem ganzen Verhalten gezeigt hat, sollen Kinder hören, sie soll ihnen in Wort und Tat mitgeteilt werden, und darum redet Johannes als Zweites die Väter und Mütter an: „Ihr kennt den, der von Anfang ist“.  Damit sagt er den Vätern und Müttern: Seht, Gott ist von Anfang an da, er hat einen Anfang gesetzt, hat die Zeit geschaffen, hat das Weltall ins Dasein gerufen. Er ist „vor“ allem und wird immer sein, auch „nach“ allem: Er bleibt der „Ich bin“, der, der uns in ewiger Treue zugewandt bleibt. Das zu hören ist für Menschen wichtig, die schon einen längeren Glaubensweg gehen, und deren Glaube zwischendurch immer wieder einmal unsicher und  schwankend werden kann über all dem, was sie an Schlimmem erleben und vielleicht aushalten müssen.

 

Und drittens redet Johannes die jungen Menschen an, die in der Vollkraft, der Blüte des Lebens stehen. Er stärkt ihr Selbstbewußtsein. Er lobt sie, er sagt ihnen zu: Ihr seid stark, ihr habt den Bösen überwunden. Er lobt die jungen Menschen, die ihre Überzeugungen nicht der schäbigen Welt der Kompromisse geopfert haben.

 

Liebe Gemeinde!

 

Mit diesem Vertrauen in die Väterlichkeit des ewigen Gottes, in der Dankbarkeit für seine Vergebung, in der Freude und der Kraft des Glaubens können wir in dieser Welt leben, deren Hauptkennzeichen – das benennt Johannes ganz realistisch und aktuell besonders für unsere Zeit  - deren Hauptkennzeichen die Gier nach immer mehr ist, die Habgier, das immer mehr haben wollen...

 

Die Welt, sagt er, die Welt  vergeht mit ihrem Reiz, ihrer Lust,  ihrer Gier. Und Menschen,die auf‘s Haben und immer mehr haben wollen aus sind, die vergehen auch, deren Leben verdirbt, geht unter. Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit, der wird leben, auch wenn er stirbt.

 

Denn so, auf diese Weise, hat Gott ja die Welt geliebt,daß er ihr seinen einzigen Sohn dahingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern in ihm und durch ihn das ewige Leben haben (Joh. 3, 16).

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.