Frühgottesdienst am 13. Sonntag nach Trinitatis, 5. September 2004

 

Lieder:

 

Sollt ich meinem Gott nicht singen...325, 1-4

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ...343

So jemand spricht:Ich liebe Gott...412, 1-4

Liebe, die du mich zum Bilde...401, 2 und  3

 

Psalm: 119 i.a. (Nr. 752 S. 1181/82

 

Lesung: 1. Mose 4, 1 - 16

 

Predigt über 1. Johannes 4, 7 – 12:

 

Ihr Lieben, laßt uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.

Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.

Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.

Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.

Ihr Lieben, hat Gott uns so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.

Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Gott ist die Liebe.

 

Eine derart bündige Feststellung, scheinbar beiläufig getroffen, als sei das ganz selbstverständlich, als sei da weiter gar nichs Fragwürdiges dran – und dann in sechs Versen nicht weniger als dreizehnmal das Wort „Liebe, lieben“, also ein wahrer Sturzbach dieses so strapazierten Wortes.

 

Das sollen wir Menschen hören und glauben und bekennen: Gott ist Liebe, ist nichts als lauter Liebe...Das sollen wir glauben und bekennen, und zwar nicht nur, wenn‘s uns gut geht,  wenn wir Glück haben, erfolgreich sind, sonnenbeschienene Wegstrecken durchwandern, sondern auch und gerade, wenn‘s durch finstere Täler geht. Wir sollen es glauben und bekennen auch  angesichts von Krankheiten und Unglücksfälllen, sollen es bekennen trotz all der Entsetzlichkeiten, die es in der Weltgeschichte gibt (und immer gab – nur, daß wir durch das Fernsehen viel mehr davon hören als alle Generationen vorher) und trotz des Furchtbaren, das Menschen -  wie jetzt wieder in Beslan!  einander antun -  und das Gott zuläßt...

 

Klar ist, aus dem Weltgeschehen ist das nicht abzulesen, daß Gottes Wesen Liebe ist. Und der Dichter Camus etwa war nur konsequent, wenn er sagte: Ich werde solange nicht an einen Gott der Liebe glauben, solange in seiner Schöpfung Kinder gemartert werden.

 

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An unserem Lebensverlauf ist das auch nicht abzulesen. Da gilt eher: Die frommen Menschen werden mehr geplagt als die, die skrupellos sich selbst durchsetzen und sich keinen Deut um Gott scheren..

 

Und wenn wir auf die Natur sehen, auch da widerspricht so vieles diesem Satz. In einem Roman des Schriftstellers Arno Schmidt erzählt in einer Gesprächsrunde einer alle möglichen grausamen Einzelheiten aus dem Leben der Tierwelt, worauf ihm ein anderer ins Wort fällt: Aber es gibt doch so viel Schönes: Der gestirnte Himmel über uns! Darauf der Erste: Der gestirnte Himmel? Dort in  der Unendlichkeit speien Feuerdrachen kosmische Katastrophen. Der andere beharrt: Aber das Grün der weiten Wiese, Nebel entsteigen dem Bach, das Silberhorn des Mondes...Darauf wieder der erste: Auf der Wiese? Da stehen Millionen winziggrüner Ringer im Clinch um Sein oder Nichtsein.

 

Also, dass Gott Liebe ist, das kann man an seiner Schöpfung nicht erkennen.

 

Und schließlich auch: Andere Menschen sagen von uns Christen: Gott ist Liebe?! Das müßte man dann wenigstens an denen erkennen können, die das glauben...Aber..und dann kommen die bekannten Einwände, die ja richtig sind. Wie liebevoll sind wir denn schon zu den menschen,die es uns schwer machen, die wir nicht mögen...Man muß leider sagen: Das Christentum gehört zu den grausamsten Religionen der Erde, Christen haben mehr Menschenleben auf dem Gewissen als Angehörige jeder anderen Religion.

 

 

 

Gott ist Liebe? Ist dieser Satz dennoch und  trotz allem wahr?

 

Nähern wir uns der Abntwort anhand einer Geschichte von Tolstoi: Das Gottschauen.

 

Tolstoi erzählt: In einem fernen  Land lebte einst ein König, den am Ende seines Lebens Schwermut befallen hatte. „Seht“,sagte er, „ich habe alles, was ein Sterblicher erleben und mit den Sinnen erfassen kann, erfahren, vernommen und geschaut. Nur etwas habe ich nicht schauen können in meinen ganzen Lebensjahren. Gott habe ich nicht gesehen. Ihn wünschte ich noch wahrzunehmen!“.

 

Und der König befiehlt allen Machthabern, Weisen und Priestern, ihm Gott nahezubringen. Schwerste Strafen werden ihnen angedroht, wenn sie das nicht vermögen. Er setzt ihnen eine Frist von drei Tagen.

 

Und als der König sie dann nach  drei Tagen zusammenruft, schweigen alle betreten und zitternd vor Angst.

 

Aber da kommt ein Hirt vom Felde, der von dem Befehl des Königs gehört hatte und  sagt: Gestatte, mein König dass ich deinen Wunsch erfülle!.

 

Der Hirte führt den König auf einen freien Platz und  weist auf die Sonne: Schau hinein, sagt er. Der König versucht es, und der Glanz blendet seine Augen, so dass

 

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er den Kopf senken und die Augen  schließen muß. Willst du, dass ich blind werde? herrscht er den Hirten an.

 

Aber mein König, dies ist doch nur ein kleines Stäubchen in der Schöpfung, ein winziger Abglanz der Größe Gottes, ein Fünkchen seines strahlenden Feuers. Wenn du nicht mal in die Sonne blicken kannst - wie willst  du mit deinen schwachen tränenden Augen Gott schauen? Suche ihn  also mit anderen Augen.

 

Die Antwort ist dem König einsichtig und  er sagt zu dem Hirten: Ich erkenne deinen Geist und  sehe die Größe deiner Seele. Beantworte mir dann diese Frage: Was war vor Gott?

 

Nach einigem Nachsinnen meint der Hirt: Sei nicht zornig, mein König, wenn ich dich bitte zu zählen. Und  der König beginnt: Eins, zwei, drei...Nein,unterbricht der Hirt, nicht so, beginne mit dem, was vor eins kommt. - Aber wie kann ich das? Kommt die Antwort. Vor eins gibt es doch nichts!

 

Richtig, sagt der Hirt, auch vor Gott gibt es nichts.

 

Auch diese Antwort gefällt dem König  und er sagt: Ich werde dich reich beschenken, aber vorher beantworte mir noch eine Frage: Was macht Gott? Der Hirt bemerkt, daß das Herz des Königs weich geworden ist. Gut, sagt er, auch diese Frage kann  ich beantworten, nur um eins bitte ich dich dazu: Laß uns für ein Weilchen die Kleider tauschen.

 

Und der König legt die Zeichen der Königswürde ab, bekleidet damit den Hirten und sich selbst zieht er den unscheinbaren Hirtenrock an.

 

Der Hirt setzt sich auf den Thron, ergreift das Zepter und weist damit auf den vor ihm  stehenden König  im Hirtengewand: Siehst du, das macht Gott. Die einen erhebt er auf den Thron und  die anderen heisst er heruntersteigen...

 

Da steht der König ganz versonnen da: Dieser letzte Satz des Hirten brennt in seiner Seele. Und plötzlich erkennt er sich und  unter sichtbaren Zeichen der

Freude sagt er: Jetzt schaue ich Gott!

 

Er hat erkannt: Er verdankt es der Gnade Gottes, wenn er König ist, er verdankt es

dem, der  - wie es in einem Lied (EG 298, 6) heisst - „bald erhöhn, bald stürzen kann“, er verdankt es dem, der die Hohen erniedrigen kann und  die Niedrigen erhöht.

 

Und jetzt möchte ich einen Schritt über Tolstois Erzählung hinausgehn und sagen:

 

Eben dies hat Gott ja nicht nur für eine Weile und nicht nur zum Schein, sondern wirklich und  wahrhaftig getan: Gott, der König aller Könige, hat den Thron seiner Majestät verlassen, hat das Dasein eines Hirten unter uns  Menschen gewählt und hat uns, die schlichten  Hirten, die einfachen Menschen, zu Königen erhöht.

 

 

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Das ist der christliche Glaube: Gott hat sich erniedrigt, um uns zu erhöhen, Gott ist einer von uns geworden und hat uns Anteil an seiner Göttlichkeit, an seiner himmlischen Herrlichkeit, an seinem ewigen Leben  gegeben.  So wie wir es zu Weihnachten singen: Er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm und in  dem Himmel mache reich und seinen lieben Engeln gleich. Das hat er alles uns getan sein  groß Lieb zu zeigen an, des freu sich alle Christenheit und  dank ihm des in Ewigkeit (EG 23).

 

Da also finden wir sie: Die Liebe Gottes: In der Krippe. Am Kreuz. Nur  hier, nirgendwo sonst, hier aber in unendlicher Tiefe, Fülle und  Herrlichkeit. Wenn  wir auf das Kind in der Krippe sehen, auf den Mann am Kreuz, können wir sagen: Gott ist Liebe. Ist nichts als lauter Lieben.

 

Unser Bibeltext sagt es so:  Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen  eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.

Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.

 

Gott kommt zu uns herunter, gibt sich uns Menschen  in die Hände, liebt – so wie Jesus Menschen geliebt hat, bleibt in der Liebe bis hin zum Kreuz, vergilt nicht Gleiches mit Gleichem, beantwortet Grausamkeit, Folter, Verrat, Verleugnung, Gleichgültigkeit, Hohn und  Spott mit Liebe. Hier unter dem Kreuz erkennen wir „mit Schrecken und Entzücken“ (EG 91, 4): Gott ist Liebe und sonst nichts, eine Liebe, die uns erlöst, wenn wir uns ihr öffnen, eine Liebe, die uns hier im irdischen Leben gilt, trotz und in allem Dunklen und Bösen, eine Liebe, die uns zugewandt bleibt, wenn wir mit dem gesamten Ertrag unseres Lebens einmal vor Ihm stehen  werden.

 

Jesus ist die Quelle unsere Liebe,  sie will uns erfüllen, unser Leben prägen und regieren.

 

Ihr Lieben“, so sagt Johannes uns,  „hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns  untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und  Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

 

 

 

Fürbitten:

 

Gott, du Ewiger, unfaßlich in deiner Weisheit, unergründlich in deinem Erbarmen,

 

wir kommen zu dir als deine Kinder und danken dir: Du hast uns bis heute mit so viel Gutem beschenkt, Tag für Tag und Nacht für Nacht, du hast unser Leben und das unserer Lieben bewahrt, wir haben zu essen und zu trinken, haben Wohnung und Kleidung – und all das im Überfluß! – wir können uns an der Natur und ihren Früchten freuen. Wir danken dir.

 

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Wir kommen zu dir auch mit unseren Fragen, unserem Entsetzen, unserer Trauer: So viel Elend, Hunger, Gewalt, Grausamkeit, Hochmut, Lügen...

 

Wir bitten dich für die Mütter in Beslan, deren Kinder umgebracht wurden, und für die Mütter im Sudan, die ihre Kinder durch Unterernährung verlieren – sie müssen den   Tod ihres Kindes aushalten – aber wie sollen sie das können!?

Wir bitten dich für die,  denen du in Politik, Wirtschaft und Finanzwesen besondere Macht und Verantwortung anvertraut hast. Du kannst „erhöhen und stürzen“ und „Hochmut kommt vor dem Fall“, so nimm ihnen allen törichten Hochmut, schenke ihnen Demut und Beharrlichkeit und die Freiheit, nicht sich selbst, sondern ihren Völkern dienen zu wollen und geduldig und tapfer das zu fördern, was die Gewalt vermindert und Gerechtigkeit und Frieden wachsen lässt. Gib ihnen etwas von deiner Kraft und deinem Geist und lass sie nicht verzagen. 

 

Allein  deine Feindesliebe, die du jedem Menschen durch Jesus anbietest, vermag uns zu erlösen. Darum segne alle Verkündigung in Wort und Tat, laß dein Evangelium wie einen Sauerteig in allen Bereichen  der Völker, allen Bereichen des Lebens wirken.

 

Gib uns in den kommenden Tagen die Kraft, unseren Glauben in der Liebe wirksam werden zu lassen: der Liebe zu unseren Familienangehörigen, zu den Menschen,  denen wir in der Gemeinde begegnen, zu den Menschen, die wir nicht mögen, zu unseren Mitgeschöpfen und zu uns selbst, weil wir alle dir wertvoll und wichtig sind und du uns mehr liebst, als wir ahnen. Amen.