Gottesdienst im Weiglehaus 22. Sonntag nach Trinitatis, 19. Oktober 2008


Wochenspruch: Bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte. Psalm 130, 4


Lieder:

Du hast vereint in allen Zonen...

Herr Jesu, Gnadensonne...1-4

Ist Gott für mich, so trete...1-4


Lesung: Matthäus 18, 21 - 35


Predigt über 1. Johannes 2, 12-17:


Zusage für die Welt - Absage an die Welt


Der heutige Predigttext steht im 1. Johannesbrief. Johannes, der Verfasser, ist hochbetagt; an die hundert Jahre, nehmen manche Ausleger an. Eins kann man allen Worten in seinem Brief sehr klar entnehmen: Er ist von einer ganz innigen, in tiefem Sinne kindlichen Liebe erfüllt: Liebe zu Gott - und zu den Gemeindegliedern, an die er schreibt. Und er nennt sie in seinem Brief auch immer wieder liebevoll und geradezu zärtlich „Kindlein“ oder „meine lieben Kinder“ .


So beginnt auch der heutige Predigttext, Kapitel 2 ,die Verse 12 – 17:


Liebe Kindlein, ich schreibe euch, dass euch die Sünden vergeben sind um seines Namens willen.

Ich schreibe euch Vätern; denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. Ich schreibe euch jungen Männern, denn ihr habt den Bösen überwunden.

Ich habe euch Kindern geschrieben; denn ihr kennt den Vater. Ich habe euch Vätern geschrieben, denn ihr kennt den, der von Anfang an ist. Ich habe euch jungen Männern geschrieben; denn ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen überwunden.

Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.

Denn alles, was in der Welt ist, des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt.

Denn die Welt vergeht mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.



  1. Liebe zu Gott


- oder aber Liebe zur Welt: Das ist die Alternative, das Entweder-Oder, das Johannes uns hier vor Augen stellt. Macht er die Welt madig? Will er, dass wir uns aus allem Weltlichen heraushalten? Ist die Welt denn nicht schön?


Ich erinnere mich an einen Chanson, den Gilbert Bécaud in den siebziger Jahren sang. Da sang er auf der einen Seite: „Die Welt ist so schön...Lieben und Lachen, die Sonne sehn, das ist schön, das ist schön, so schön..!“ Und auf der anderen Seite sang er:: „Nein, die Welt ist nicht schön...!“und er nannte all das Schreckliche...


Nicht wahr, Beides stimmt. Da ist die Schöpfung Gottes: Herrlich und geheimnisvoll, bunt und vielfältig, erhaben und voller Wunder...Und da ist die von Gott abgefallene Welt. Und

dieses Zweite meint Johannes hier. Ich las mal bei einem Theologen: Das Wort „Welt“ bedeutet bei Johannes alles, was um sich selbst kreist, nur um sich selber...Eine „weltliche Haltung“: Das ist also eine Haltung der praktischen Gottlosigkeit, eine Lebenshaltung, die immer nur auf sich selber bezogen ist - und dann eben der Begehrlichkeit , dem immer mehr haben wollen verfällt. Jetzt ist vielleicht deutlicher, was Johannes meint: Wenn wir Christen oder wir als Kirche uns zu sehr auf das „Weltliche“ in diesem Sinne einlassen, dann sind wir in Gefahr, zu „verweltichen“, nämlich faule Kompromisse zu machen, uns anzupassen, unser Glaube wird fade und oberflächlich, wir sind wir nicht mehr Salz und Licht für die Welt.


Nur ein paar Beispiele: Wenn unsere Kirche sich zu sehr auf Sponsoren aus der Wirtschaft einlässt, gerät sie allzuleicht in Abhängigkeit, kann ihren kritischen Auftrag nicht mehr erfüllen. (Wozu das führt, wenn man sich finanziell von der Wirtschaft abhängig macht, sehen wir gerade an deren arroganten Erpessungsversuchen im Blick auf die Philharmonie (wobei „Philharmonie“ ja eigentlich „Liebe zur Harmonie“ bedeutet). Oder: Wenn wir unsere Gottesdienste zu sehr an modische trends anpassen, geraten wir in die Nähe der Anbiederei und Anpassung des Glaubens. (Nicht hier im WH: Hier ist der Gottesdienst, finde ich, gerade richtig. Vor allem gibt’s gute Predigten). Oder auch: Wer in seinem Glaubensleben die Zügel schleifen lässt, die Gebote nicht mehr so ernst nimmt oder auch regelmässige Gebetszeiten vernachlässigt, der gerät leicht in einen Sog der Anpassung, so dass er in seinem Christsein nicht mehr erkennbar ist.


Und darum hat es in der Christenheit auch immer wieder mit Recht einen völligen Rückzug von allem Weltlichen in diesem Sinne gegeben. Es gab die Eremiten, die „weltabgeschieden“ lebten, in völliger Einsamkeit, fern von allem Trubel, in der Stille der Wüste; es gab und gibt all die Mönchsorden, die ich in vielem bewundernswert und vorbildlich finde: Wie gut ist es zu wissen, dass unablässig rund um den Erdball in zahllosen Klöstern für diese Welt und für uns Menschen gebetet wird! Und auf evangelischer Seite gibt und gab es Kommunitäten, Bruderschaften, oder Diakonissenhäuser, in denen es – wie ein heute vergessener Ausdruck lautet – überaus „sittenrein“, „sittenstreng“ zuging. Und ein Gerhard Tersteegen dichtet: Mache mich einfältig, innig, abgeschieden, sanft und still in deinem Frieden“(EG 165,7).


Aber: Tersteegen – Herbert Schmitz hat uns davon vor einiger Zeit im Kulturkreis erzählt - Tersteegen war eben auch tüchtig in seinem Beruf als Bandwirker, und auch als Heilkundiger, als Arzt.


Und so denke ich: Es geht dem Johannes nicht so sehr um ein sich Zurückziehen aus der Welt, sondern um etwas, was zum Beispiel auch ein Franz von Assisi vorbildlich vorgelebt hat: Mitten in dieser heutigen Welt geprägt von der Liebe Gottes, erfüllt vom Geiste Jesu leben. In dieser dunklen Welt ein Licht sein. In der Freude über die frohe Botschaft leben – und damit in der Freude über Gott. Denn, wie Franz von Assisi – typisch für seine Glaubensfreude - es einmal schön ausgedrückt hat: Gott ist die Freude. Darum hat er die Sonne vor sein Haus gestellt.


Und nun fasst Johannes das, was wir Gott verdanken und was Freude und Liebe zu ihm in uns auslöst, in einem einzigen Wort zusammen. Er sagt: Wir können Gott lieben



2. aufgrund der Sündenvergebung


Sündenvergebung.


Es soll ja manche geben - auch manche, die sich Christen nennen - die sagen: Das sei ein unverständliches oder unzeitgemässes Wort geworden. .


Dagegen kann ich nur voller Freude sagen: Es ist das zentrale Wort des christlichen

Glaubens. Das schönste Wort des Evangeliums überhaupt.


Aber: Was sagt es, was bedeutet es? Eben, als wir die Lesung hörten, musste ich denken: Schöner und deutlicher kann man es garnicht sagen, als Jesus es hier tut. Und doch: Jeder von uns sollte einmal versuchen, mit eigenen Worten auszusprechen, was mit diesem Wort gemeint ist. Das, was man glaubt, mit eigenen Worten auszudrücken, das ist nicht einfach – aber es hilft viel, uns selbst und Anderen. Unser Glaube soll ja nicht sprachlos sein.


Dieses Wort hat natürlich eine unabdingbare Voraussetzung: Nämlich, dass ich mein Leben unter den Augen Gottes lebe, in der Verbundenheit mit Gott, in der Verantwortung vor Ihm, im Hören auf sein Wort....


Und dann – das weiss vermutlich jeder von Euch – dann wird uns täglich und im Lauf unseres Lebens immer deutlicher klar: Ich werde Gott und seinem Willen nicht gerecht, ich mag mich noch so sehr bemühen. Sondern es ist mit uns so, wie es Luther als letztes schriftliches Wort von ihm auf einen Zettel schrieb, den man nach seinem Tod auf seinem Nachttisch fand: Wir sind Bettler, das ist wahr.


Bettler. Aber – können wir jetzt sofort hinzufügen: Wie reich beschenkt, wie hoch erhoben zugleich! So hoch erhoben und hoch geehrt, dass wir Bettler von Gott zugleich zu Königskindern gemacht worden sind: Söhne und Töchter Gottes sind wir ja, unendlich geliebt und beschenkt – nämlich eben mit der Vergebung der Sünde beschenkt!


Was wir verdient hätten, hat Jesus getragen – und was ich nicht verdient habe, bekomme ich um seinetwillen von Gott geschenkt: Geduld (wie schön ist von ihr in den heutigen Losungten die Rede!), Treue, Gnade, Gebetserhörung, Errettung - und zwar jetzt schon täglich - und einmal, wenn ich in der Ewigkeit mit meinem ganzen Leben vor Ihm stehe - - und all dies will Gott nicht nur mir, sondern jedem Menschen schenken! Jedem will Gott sagen: Du kannst mir nie gerecht werden! Und du brauchst es auch nicht mehr! Du bist mir nun recht, wie du bist, ich nehme dich in die Arme wie ein Vater den heimkehrenden Sohn. Ich will mit dir feiern, mich mit dir gemeinsam freuen.


Das ist Vergebung der Sünden. Festlich-fröhlich kann es nun zugehen in der Gemeinschaft derer, die samt und sonders Sünder sind, aber nun eben geliebte, von Gott geliebte Sünder - und die hoffentlich jetzt auch einander von Herzen diese Liebe Gottes gönnen und sich - auch hier im WH - ihr entsprechend verhalten, einander vergeben – was nicht heisst, alles bemänteln und vertuschen, sondern ganz im Gegenteil: Sünde beim Namen nennen; Sünde zugeben und bekennen. Denn nur, was man zugibt und ausspricht, kann vergeben werden.


Und damit sind wir beim 3. Punkt: Dies alles - die Liebe zu Gott, aufgrund seiner Sündenvergebung - das muss



3. konkret verkündigt und gelebt


werden.Wie schön ist das hier zu sehen, wie der alte Presbyter Johannes ganz liebevoll und seelsorgerlich seine Gemeindeglieder konkret und persönlich anspricht.


Nicht wahr, meistens, vor allem in den Paulusbriefen, wird im Neuen Testament die

Gemeinde als Ganze angeredet – und das ist auch sehr wichtig. Wir sind nicht einfach Einzelne – wir sind als Christen Gemeindeglieder, gehören zusammen in der Gemeinde, brauchen einander - in der praktischen Hilfe, der Fürbitte, der Seelsorge füreinander. Ein Christ kann nicht für sich allein Christ sein, sondern nur als Gemeindeglied!


So wichtig ist also die Zusammengehörigkeit in der Gemeinde – und hier nun aber redet Johannes doch Einzelne, bzw. Einzelgruppen, ganz persönlich an – und er betont noch einmal ganz dringlich, was er ihnen schon früher immer wieder schon mündlich oder schriftlich ans Herz gelegt hat.


Zuerst wendet er sich den Kindern zu! Damit meint er nicht oder nicht nur die, die jung an Jahren, also im Kindesalter sind, sondern vor allem die, die „Kinder im Glauben“ sind, die also erst seit kurzem zum Glauben gekommen sind. Ihnen sagt er: Ihr kennt den Vater!


Überlegt Euch: Wie fing bei Euch der Glaube an? Gerade so, wie es Johannes hier sagt: Damit, dass eine Beziehung des Vertrauens und der Anhänglichkeit an Gott den Vater beginnt, so dass wir also voller Vertrauen und Liebe zu ihm kommen können als zu einem Gott, bei dem wir Geborgenheit und Schutz finden und dem wir sehr viel zutrauen können.


Das heisst nicht - gerade nicht! -, dass zu solch einer Haltung des Vertrauens nicht auch tiefe Erfahrungen der Anfechtung gehören, ein Leiden an der Abgründigkeit Gottes, denn Gott bleibt ja tief tief verborgen, ja er handelt oft unter dem Anschein des Gegenteils. Mir werden die Psalmen immer lieber - wie gut, dass wir die Psalmen haben, in denen so häufig die Klage, ja das Verzweifeln an Gott ausgesprochen wird. Aber immer geschieht in ihnen eine Bewegung von der Klage zum Lob und neuem Vertrauen.


Solches Vertrauen in die Väterlichkeit Gottes soll den Kindern in Wort und Tat mitgeteilt werden – und darum redet Johannes als Zweites die Väter und Mütter an. Ihnen sagt er: Ihr kennt den, der von Anfang ist.


Ich habe meine Konfirmanden öfters mal scherzhaft gefragt Wo kommt Gott her? Was war vor Gott? Wer hat Gott gemacht? Tja – klar, da kann man nur schweigen.


Gott ist der, der vor allem war und nach allem sein wird, der die Zeit geschaffen hat und das Weltall erhält, das ewige Wort, das in der Zeitenfülle Fleisch geworden ist. Er war, bevor wir waren, hat uns ins Leben gerufen - und er wird sein, wenn wir das Leben aus der Hand und zurück in seine Hände geben, hoffentlich mit reicher Frucht, die es gebracht hat.


Und drittens redet Johannes die jungen Menschen an, die in der Vollkraft des Lebens stehen. Wie liebevoll und klug tut er das. Er stärkt ihr Selbstbewusstsein. Er lobt sie, indem er bei ihnen betont: Ihr seid stark, ihr habt den Bösen überwunden .


Ich staune oft - und ich finde, das ist bei jungen Menschen sehr zu loben, wenn sie ihre Überzeugungen nicht der schäbigen Welt der Kompromisse geopfert haben und im Strom mitschwimmen, sondern eindeutig zu Überzeugungen stehen - auch wenn sie dadurch zu Aussenseitern werden. Wenn sie die Versuchungen bestehen und besiegen, wenn sie mit einem Wort den guten Kampf des Glaubens kämpfen. Denn der Glaube ist ein Kampf, und je ernster einer glaubt, desto mehr lernt er die Listen des Bösen kennen. Aber der

Glaube ist vor allem auch ein Sieg – ein Sieg Christi in uns.


Im Grunde – das habt Ihr gemerkt - meint Johannes bei jeder Gruppe, die er im Einzelnen

anredet, zugleich alle Gemeindeglieder mit. Ja, eigentlich tut er hier nichts anderes als uns einzuschärfen: Lasst täglich den Herrn Christus an euch arbeiten, öffnet euch ihm, öffnet euch den Worten der Bibel, übt das regelmässige Gebet. Vor allem: Bedenkt immer aufs

neue, was ihr Jesus verdankt: Frieden mit Gott durch Sündenvergebung.


In der Dankbarkeit für seine Vergebung, in der Freude und dem Mut des Glaubens können wir in dieser derzeitigen Welt leben – deren Hauptkennzeichen, das benennt Johannes ganz realistisch und aktuell, gerade in diesen Wochen - deren Hauptkennzeichen die immer schamlosere Gier nach immer mehr ist, die Unersättlichkeit.


Die Welt, sagt er, vergeht mit ihren Spaßangeboten und mit ihrer Habgier. Und Menschen, die aufs Haben und immer mehr haben wollen aus sind, gehen (was Gott verhüten möge!) zuletzt leer aus, vergehen wie Spreu, die der Wind verweht. Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit, der wird leben, auch wenn er stirbt.


Denn so, auf diese Weise hat Gott ja diese verloren gegangene Welt geliebt, dass er ihr seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit alle, die ihr Vertrauen auf ihn setzen, nicht verlorengehen, sondern in ihm und durch ihn das ewige Leben haben. Ewiges Leben!

Halleluja! Amen.