Abschiedsgottesdienst Pfarrer Martin Quaas
Pfingstsonntag, 4. Juni 2006
Lieder:
Mein erst Gefühl sei Preis und Dank...451, 1-5. 9 und 10
Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen...272
Schmückt das Fest mit Maien...135, 1-4
Jauchz, Erd, und Himmel, juble hell...127
Dir, dir, o Höchster, will ich singen...328, 1.2.5.6
Nun danket alle Gott...321
Psalm 145 i.A.
Schriftlesung: 1. Mose 32, 2 - 13. 23 - 32.; 33, 1 - 11
Liebe Gemeinde, es hat sich so ergeben, daß der für heute vorgeschlagene Predigttext am Ende meines offiziellen Pfarrerdaseins der gleiche ist wie ganz zu Anfang, bei meiner Ordination am 26. Mai 1969. In 1. Korinther 2 Vers 12 schreibt Paulus:
Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen
können, was uns von Gott geschenkt ist!
Wie fast immer in der Bibel: Ein Vers, der es in sich hat! Er drückt das Zentrale des christlichen Glaubens aus, und er beschreibt das Wesen und den Auftrag unserer Kirche, auch unserer Gemeinde hier. Beim Nachdenken über ihn fiel mir ein: Er könnte gut in unseren kirchlichen Sitzungsräumen hängen oder auch in unseren Wohnungen, so daß wir das immer wieder - zu unserer Freude und als Mahnung zugleich - lesen und hören: Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott!
Den Geist der Welt, den hat Martin Luther einmal eindrücklich beschrieben. Jeder weiß ja, daß ich gern Luther zitiere, also tu' ich's auch heute noch einmal, und zwar aus seiner Auslegung des Lobgesangs der Maria - jenes atemberaubenden Textes, in dem Maria singt: Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen, die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer... (Lk 1,52f.). Luther schreibt zu diesem Vers:
"Wo Menschenkraft ausgeht, da geht
Gottes Kraft ein, wenn der Glaube da ist und
darauf wartet...Sieh, so ward Christus kraftlos am Kreuz und eben dort übte er die größte Macht, überwand
Sünde, Tod, Welt, Hölle, Teufel und alles Übel. So sind alle Märtyrer stark
gewesen und haben gewonnen. So gewinnen
auch noch alle Leidenden und
Unterdrückten.
Dagegen den andern Teil läßt Gott groß und
mächtig sich erheben. Er zieht seine Kraft heraus und läßt sie nur aus eigener
Kraft sich aufblasen. Wo Menschenkraft eingeht, da geht Gottes Kraft aus. Wenn
nun die Blase voll ist und alle meinen, sie liegen oben, haben gewonnen,
und sie nun auch selbst sicher sind und haben's zum Ziel gebracht, so sticht Gott
ein Loch in die Blase. So ist's ganz
aus. Die Narren wissen nicht, daß sie, eben indem sie aufgehen und stark werden, von Gott verlassen sind und Gottes Arm nicht bei ihnen ist. Darum währt ihr Ding seine Zeit. Danach
verschwindet es wie eine Wasserblase. Wird, als wäre es nie gewesen".
So ist das - in der Politik, der Wirtschaft, auch in der Kirche. Die Aufgeblasenheit bringt nichts. Aber immer wenn ich traurig oder wütend wurde darüber, wie menschelnd es auch in der Kirche zugeht, hörte ich, und zwar zunehmend häufiger, wie Gott dann zu mir sagte:
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He, Martin - bist du denn besser? Und ich mußte ihm antworten: Nein, bin ich nicht.
Konnte aber manchmal nicht umhin, im Stillen zu denken: Aber ein bißchen besser doch.
Soviel zum Geist der Welt, dem Geist der Aufgeblasenheit. Über den will ich garnicht lange reden. Denn:
Wir aber, sagt Paulus, wir hier haben einen anderen Geist empfangen und empfangen ihn immer aufs neue, befreiend und wohltuend: Ganz überraschend oder auch, wenn wir sehr um ihn bitten - den Geist aus Gott! Der macht unsere Gemeinden lebendig, der macht uns munter und fröhlich; der hilft uns dazu, uns selbst leicht zu nehmen. Weil Gott uns mit ihm - also mit sich selbst, mit seiner eigenen Lebenskraft - beschenkt, darum sind wir Christen einzigartig wichtig in der Welt, und darum ist das Pfingstfest das not-wendigste und befreiendste aller christlichen Feste.
Und was tut dieser Geist aus Gott? Er läßt uns wissen, was uns von Gott geschenkt ist.
Was Gott uns schenkt, das will ich anhand von
vier Stichworten sagen: Gottes Wort - Vertrauen in seine Führung - Segen - Gnade.
Und all das - daß Gott redet, daß er Vertrauen in seine Führung weckt, daß er uns segnet, daß sein Wesen Gnade ist - all das kann man besonders klar an einer Gestalt wie dem Jakob sehen - wobei Jakob übrigens ja von Gott auch den Namen "Israel" erhält (wir haben's eben in der Lesung gehört; 1.Mose 32, 29). Und das heißt: In der Gestalt Jakobs ist zugleich das Volk Israel verkörpert, Gottes bleibend erwähltes Volk.
I
1. also: Gott redet.
Ich fand es schön und es hat mich beeindruckt und gefreut,
daß eine unserer diesjährigen
Konfirmandinnen sich Psalm 50 Vers 1 als Konfirmationsspruch aussuchte: Aus
Zion bricht an der schöne Glanz Gottes. Unser Gott kommt und schweiget nicht.
Das bleibt zum Staunen, daß Gott, der Schöpfer des All, kein stummes seelenloses Schicksal ist, sondern zu uns Menschen spricht. Der Mystiker Johannes vom Kreuz hat gesagt: Sucht der Mensch Gott - um wieviel mehr sucht Gott den Menschen. Gott sucht die Lebensgemeinschaft mit uns, will im Gespräch mit uns sein. Gott ist wie der Vater in Jesu Gleichnis, der sich sehnt nach seinem Sohn und nie aufhört, an ihn zu denken, und der ihn, als der zurück nach Hause kommt, mit Freudentränen in den Augen in die Arme nimmt.
Gott redet auch zu Jakob, diesem Schlitzohr, er sagt dem Jakob seinen Segen, seine Treue, seine Führung zu. Und Jakob seinerseits behaftet Gott bei seinen Zusagen und Versprechungen. Wir haben's in der Lesung gehört: Zweimal erinnert er Gott daran: "Du hast gesagt: Ich will dir wohltun...!" Du hast es mir zugesagt!
Gott redet durch die Worte der Bibel, und darum bleibt die Bibelarbeit in der Gemeinde so entscheidend wichtig. Darum war mir der Bibelgesprächskreis besonders lieb und wichtig, er war eine Kraftquelle für mich. Und hier in dieser Kirche, hier ist Gottes Wort immer wieder gelesen und gepredigt und gehört worden - von so vielen Pfarrerinnen und Pfarrern, aber auch Gemeindegliedern, und Vikarinnen und Vikaren, und hier wird es auch weiter kräftig und zu Herzen gehend gepredigt werden, und ich sehe viele Menschen vor Augen, die hier saßen, die zuhörten, mitsangen, mitbeteten: Viele Gemeindeglieder, die inzwischen
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verstorben sind (und zu den für mich selbst eindrucksvollen Zahlen gehört, daß ich etwa 2000 Menschen im Lauf meines Pfarrerdaseins kirchlich beerdigt habe), und für manche von ihnen hielten wir ja hier in der Kirche die Trauerfeier, ich denke an Frau von Eicken und Dr. Winheller und Herrn Annen, Herrn Böhm, Frau Maull, Prof. Graefe, Herrn Hammerschmidt und Milly Schröder und Frau Kaufmann und Dr. Lange und so viele, die hier, meistens auf ihren gewohnten Plätzen, Gottes Wort hörten.
Wie viele Ehepaare habe ich hier getraut, und wie viele Kinder hier in der Kirche und der Kapelle getauft, auch Jugendliche und einige Erwachsene. Und hier sind ja auch alle unsere Kinder konfirmiert und drei von ihnen getauft worden, und den ältesten habe ich mit Julia, seiner Frau, letzten August hier getraut. Wie wichtig sind Kirchen, und wie schön ist unsere Kirche samt Orgel zu auch meiner großen Freude renoviert worden.
II
Zweitens: In den Worten der Bibel sagt Gott immer wieder zu uns: Hab Vertrauen, vertraue meiner Führung! Meiner Frau, der ich unendlich viel verdanke auch an Anregungen und Hilfen für die Gemeindearbeit, verdanke ich auch manche Formulierungen, die sich mir eingeprägt haben; so sagte sie vor einiger Zeit: Ich deute inzwischen so gut wie alles als Gottes Führung. So geht es mir auch. Sich in allem der Führung Gottes anvertrauen. Dann kann man ins Staunen geraten über die Freundlichkeit und Großzügigkeit Gottes, und man man kann darüber die Liebe zu Gott lernen. Auch die Jakobsgeschichte ist ja eine Führungsgeschichte. Wobei ich sofort dazusagen muß: Mir und unserer Familie hat Gott es bisher sehr leicht gemacht. Andere haben's da viel schwerer.
Sich der Führung Gottes anvertrauen heißt ja nun gerade nicht, dass wir nicht aktiv sein sollen. Ich habe gelernt: Es kommt immer auf die richtige Mischung zwischen Aktivität und Passivität an, zwischen eigenem Planen und gespannter und geduldiger Erwartung, was Gott vorhat. Und dann, ganz unerwartet oder nach langer Zeit, zeigt es sich, wohin Gott die Dinge lenken wollte. So wie bei Jakob und seinem Bruder Esau schließlich alles zu einem wunderbaren Ziel kommt: Beide weinen und Jakob sagt zu seinem Bruder: Ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht, denn du hast mich freundlich angesehen! Wie eindrucksvoll und vorbildlich verhält sich Esau! Er verzeiht.
III
Aber - drittens - der S e g e n Gottes bleibt über diesem charakterlich eher fragwürdigen Jakob!
Segen! Ich habe die segnende Hand Gottes über unserer Familie und dieser Gemeinde in besonders starkem Maße gespürt. Und ich hoffe und wünsche, der Segen Gottes wird weiter auf dieser Gemeinde bleiben. Er wird aber nur bleiben, wenn wir dem Geld nicht den höchsten Stellenwert im Gemeindeleben einräumen. Sondern der Satz des Theologen Manfred Josuttis, den ich kürzlich hörte, ist wahr: Wo der Geist fließt, fließt auch das Geld! Ich habe oft erfahren: Wo Menschen in Gottvertrauen ihren Dienst tun, sorgt Gott schon dafür, dass das dafür notwendige Geld auch da ist. Wo aber das Geld den höchsten Stellenwert bekommt, verkümmert und verschwindet auch der Geist und entzieht Gott seinen Segen.
Gott beschenkt uns mit Segen. Aber wer
sich gesegnet weiß, der wird gerade dann besonders fleißig und tüchtig sein können. So wie Jakob. Der war tüchtig,
das kann man nachlesen. Er sagt kurz vor
dem eben gehörten Text zu seinem Onkel
Laban: Ich habe bei
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dir gearbeitet, daß ich des Tages umkam vor
Hitze und des Nachts vor Frost und kein
Schlaf kam in meine Augen...(1. Mose 31,40).
Ganz so schlimm ist es Gott sei Dank in unserer Gemeinde nicht - aber auch wir haben besonders tüchtige hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und ich bin sehr sehr dankbar für so viele Hilfe, Unterstützung, Herzlichkeit von ihnen und oft auch ihren Familienangehörigen. Ich bin sehr dankbar für unsere gute lebendige Gemeinschaft.
Aber ich bleibe dankbar auch für so viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bereichen von Diakonie und Besuchsdienst, Kirchenmusik, Kinder- und Jugendarbeit,
Bau- und Finanzfragen.
Und besonders dankbar bin ich für die Kinder - nicht nur für unsere eigenen Kinder, sondern für Kinder überhaupt, wenn ich mit ihnen zusammen war in der Stiftsschule, im Kindergarten, auf Kinderfreizeiten. Um noch einmal Luther zu zitieren: "Wenn du einem Kind begegnest, begegnest du Gott auf frischer Tat". Kinder sind wunderbar. Man kann
viel von ihnen über das Leben lernen. Man darf sie nicht verletzen. Sie sind so wehrlos.
Aber jetzt will ich sofort auch diesen biblischen Satz zitieren: "Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren". Wie schön war es immer im Seniorenkreis. Wieviel verdanke ich alten Menschen und welch ein Privileg ist es, zuhören zu dürfen, wenn sie von ihrem Leben erzählen.
Und im ganzen muss ich sagen: Wie dankbar bin ich mitsamt unserer ganzen Familie für diese Gemeinde überhaupt, für so viel Herzlichkeit, Fürbitte, ja Liebe, von der wir uns getragen wußten. Dass man so viel Gutes empfangen und erfahren darf, das gibt es nur in der Gemeinde; auch darin ist der Beruf des Pfarrers einzigartig schön.
IV
Viertens: Seit langem geht mir dieser Satz des Jakob, den wir in der Lesung hörten, immer wieder einmal durch den Kopf: Herr, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knechte getan hast" (Kap. 32,11). Ich kann das dem Jakob genauso nachsprechen. Es ist ein Satz der Dankbarkeit gegen Gott - aus der Erkenntnis der eigenen Schwächen und Fehler heraus. Ein Pfarrer, an den mit Recht viele und sehr hohe Erwartungen gerichtet werden, wird auch in besonderem Maße schuldig - durch sein Reden und Verhalten, aber auch durch das, was er versäumt hat. Darum sind wir Pfarrer in besonderem Maße auf Vergebung angewiesen. Und darum bitte ich alle, an mir wie Esau gegenüber Jakob zu handeln, und auch ich will meinerseits wie Esau handeln an allen, die an mir schuldig wurden.
Jeder Mensch ist letztlich auf Gottes Gnade angewiesen. Aber jedem Menschen , der um sie bittet, schenkt Gott sie auch - in Zeit und Ewigkeit. Sein letztes Wort ist Gnade. Denn Gott ist Liebe, nichts als lauter Liebe. Aber diese Liebe Gottes finden wir einzig und allein in Jesus, letztlich und in unergründlicher Tiefe in seinem Tod am Kreuz.
Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als
alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn.
Amen.