Gottesdienst am 8. Sonntag nach Trinitatis, 6. August 2006

 

Lieder:

Wach auf, mein Herz und singe... 446

O Gott, du frommer Gott...495, 1- 6

Lass mich, o Herr, in allen Dingen...414

Warum sollt ich mich denn grämen...370, 11+12

 

Psalm 57 (Nr. 728)

 

Lesung: Matthäus 5, 13 - 16

Gnadenspruch: 1. Kor. 3, 16 und 17

 

 

Der Predigt lege ich die beiden letzten Verse des für diesen Sonntag vorgegebenen Predigttextes zugrunde. Im 1. Korintherbrief, Kapitel 6, in den Versen 19 und 20 schreibt der Apostel Paulus:

 

Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen  Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist  Gott mit eurem Leibe. 

 

 

Unser Leib: Ein Tempel des Heiligen Geistes!    

 

Und: Nicht uns selbst gehören wir!  

 

Verhalten wir uns  entsprechend? Handeln wir nicht eher nach dem Motto: "Mein Bauch gehört mir". Oder: "Ich weiß selbst, was gut ist für mich" . Oder: "Ich kann mit meinem Körper machen, was ich will" - bis hin zu allen möglichen kosmetischen Operationen, bis hin zu Piercing, Tätowieren, Klitorisverstümmelung und was nicht alles.

 

Paulus sagt dagegen, wie es die ganze Bibel tut: Du gehörst nicht dir selbst! 

 

Wem gehören wir dann?

 

                                                                       I

 

Wir sind - um  es mit einem Zitat zu sagen - "dem größten König eigen".

 

Die literarisch Gebildeten unter uns oder besser: Alle, die einen guten Deutschunterricht hatten, werden sich erinnern: Das Zitat ist aus einer  Ballade von Conrad Ferdinand Meyer:

 

"Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm. Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Roß, springt ab und pocht ans Tor und  lärmt..."

 

So  beginnt die  Ballade. Ein reitender Bote des französischen Königs sucht in Finsternis und Unwetter in einem Schloß, das vor ihm  auftaucht, eine Unterkunft und  erhält sie. Im  Saal sieht er das Porträt eines Hugenotten im Harnisch und daneben das Porträt von dessen Ehefrau. Da steigt in ihm furchtbare Erinnerung auf. Einige Jahre zuvor. Man hatte auf Geheiß des französischen Königs Jagd gemacht auf führende Hugenotten. Und  er -  er

war in diesem Schloß gewesen, er hatte aus der Schloßherrin die Auskunft  herauspressen wollen, wo ihr Mann sich verborgen hielte. Schließlich hatte er die nackten Füße der Frau ins lodernde Kaminfeuer gezwungen. Und sie...hatte geschwiegen.

2

 

Das alles tritt ihm, nachdem der Schloßherr ihn durch Diener in eine Schlafkammer hat führen lassen, wieder vor Augen. Er findet keine Ruhe, wirft sich hin und her, horcht auf jedes Geräusch. Wird der Hausherr kommen und Rache üben?  

 

Als es Morgen wird, tritt der Schloßherr durch eine  Tapetentür in die Kammer. Das gestern noch dunkelbraune Haar ist über Nacht ergraut. Er verabschiedet ihn. Der Reiter sagt zum Abschied: Ihr seid ein  kluger Mann und voll Besonnenheit und wißt, daß ich dem größten König eigen bin. Lebt wohl! Auf Nimmerwiedersehn! Der andre spricht: Du sagst's! Dem großen König eigen! Heute ward sein Dienst mir schwer...Gemordet hast du teuflisch mir mein  Weib! Und  lebst!...Mein  ist die Rache, redet Gott. 

 

Es scheint übermenschlich, wozu dieser hugenottische Christ sich durchgerungen hat. Aber er bewahrheitet in einer äußersten Situation den Satz : Wir gehören nicht uns selbst! Wir sind "dem großen König eigen"! Unser Leben gehört dem Herrn Christus. Er hat das Sagen, er bestimmt, wie wir uns zu verhalten haben.

 

"Was würde Jesus dazu sagen?" Das war die Leitfrage im Leben Martin Niemöllers, das soll auch die Leitfrage unseres Lebens sein: Was würde Jesus dazu sagen? 

 

                                                                       II

 

Aber nun  die Frage: Warum eigentlich gehören wir denn  Ihm? Und Paulus antwortet: Ihr seid teuer erkauft!

 

 

Er, Christus, hat uns  er-kauft. Hat uns freigekauft. Auch dazu eine Geschichte, eine alte römische Legende. Sie erzählt, ein Herr sei auf einen großen Sklavenmarkt  gekommen, wo die Sklavinnen und  Sklaven, in  Ketten gebunden, da hockten und  dumpf vor sich hin brüteten. Und dann habe er über den weiten  Markt gerufen: Ihr seid frei! Ich habe euch alle freigekauft! Ungläubiges Aufschauen...Aber dann, als ihnen die Ketten abgenommen wurden, erkannten sie, daß es Wahrheit war, was er gerufen hatte. Und dann, so erzählt die Legende, seien sie samt und sonders zu diesem Herrn hingelaufen: Wo sollen wir hingehen?! Laß uns bei dir bleiben, wir wollen dir als freie Menschen  dienen!

 

Ihr seid teuer erkauft! Du und du und du - teuer erkauft! Was hat der Herr, der uns  freigekauft hat, für uns bezahlt? Wieviel waren wir ihm wert? Und nun  zitiere ich dazu Luthers Erklärung zum 2. Artikel des Glaubensbekenntnisses:

 

Ich glaube, daß Jesus Christus,

wahrhaftiger Gott, vom  Vater in  Ewigkeit geboren

und  auch wahrhaftiger Mensch, von  der Jungfrau Maria geboren,

sei mein  Herr,

der mich verlorenen und  verdammten Menschen erlöset hat,

erworben, gewonnen von  allen Sünden,

vom  Tode und  von der Gewalt des Teufels;

nicht mit Gold oder Silber,

sondern mit seinem heiligen teuren Blut

und  mit seinem unschuldigen Leiden und  Sterben,

auf dass ich  sein eigen  sei

 

 

 

3

 

und  in seinem Reiche unter ihm lebe  und ihm diene

in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und  Seligkeit,

gleichwie er ist auferstanden vom Tode,

lebet und  regieret in Ewigkeit.

 

Das ist gewißlich wahr. 

 

Ihr seid teuer erkauft! Der Kaufpreis war sein  Leben. Er hat sich selbst für uns gegeben. Wir waren ihm sein  Leben wert. 

 

                                                                       III

 

Und das bedeutet nun: Wir sind kostbar. Wertvoll. Wichtig. Das ganze Evangelium mündet in den Satz: Es ist Einer da, dem bist du so wichtig, daß er sein eigenes Leben der Verlorenheit, Verlassenheit und Verdammnis preisgegeben hat, um deines zu retten!

 

Vielleicht gibt es  einzelne unter uns, die sind  so glücklich, sagen zu können: Ich habe einen Menschen, dem bin  ich wichtig, so wichtig, daß er sofort zum Beispiel eine Niere für mich geben, vielleicht sogar sein Leben für mich einsetzen würde. Aber viele solcher glücklichen Menschen sind sicher nicht da. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Menschen, und die Zahl scheint immer  größer zu werden, die sagen müssen: Ich habe eigentlich keinen  Menschen, dem ich wirklich wichtig bin.

 

Und - auch von uns selbst denken wir ja manchmal garnicht hoch. "Ich? Ich bin doch nicht so wichtig...". Und es scheint ja auch so zu sein; vollends, wenn man in  die endlich-unendlichen Räume des Sternenhimmels hinaufschaut: Wie ein  Sandkörnchen, wie ein  Staubkörnchen, wie eine Eintagsfliege kommt man sich vor, unendlich winzig im schweigenden nachtschwarzemn All...

 

Aber das Evangelium sagt uns dagegen: Es ist nicht wahr, dass du unwichtig bist; es ist nicht wahr, daß dich nur eine unermessliche und gleichgültige Ewigkeit umgibt. Aus der Ewigkeit richtet sich eine ganz persönliche Liebe mit ganz persönlichem Interesse gerade auf dich, wendet sich dir zu, ist an deinem Ergehen höchst interessiert. Die Ewigkeit: Das ist in  Wahrheit Einer, dem du so wichtig bist, daß er sein Leben für dich hingibt. "Es hat sich selbst der wahre Gott für mich verlorenen Menschen gegeben in  den Tod", wie es im Gesangbuch heisst.  So wichtig bist du Ihm!                                                             

 

Und daraus folgt dann doch : Nun nimm dein Leben auch selbst wichtig! Verplempere es nicht, wirf es unter keinen Umständen weg, lass es nicht verkümmern, sondern gestalte es deiner Wichtigkeit entsprechend! Auch und gerade, wenn Du schwach und  krank bist!

 

Ich erinnere an die eben gehörte Fabel: Da laufen sie zu diesem Herrn hin und sagen: Wir wollen dir in Freiheit dienen!

 

Nicht wahr, wenn wir merken, wir sind einem Menschen wichtig, wenn wir das spüren: Wie von selbst steigt dann Dankbarkeit in uns auf; und wir sagen ihm dann auch unsere Dankbarkeit, unsere Liebe.

 

So auch bei uns Christen. Dankbarkeit ist die Quelle alles durch Liebe befreiten Lebens; wir preisen Gott durch unseren ausgesprochenen Dank.

 

 

                                                                      

4

 

                                                                       IV

 

Und nun sagt Paulus hier nicht: Preist nun also den, der euch erlöst hat, durch eure Worte und Lieder, durch eure theologischen  Gedanken oder eure herrlichen Bauwerke, sondern er sagt: Darum preist Gott, verherrlicht Gott mit  eurem Leibe!

 

Er wertet den Leib hier enorm auf. Für die Korinther damals, die das lasen, war das höchst erstaunlich; denn sie lebten  in der späten griechischen Welt, in  der man vom Leib  wegdrängte zum Geist. Die Religion samt Philosophie, so sagte man, das ist die große Hilfe

heraus aus diesem schmutzigen, tierischen, vergänglichen Gefängnis des Leibes. Die Religion hat mit dem  Geist zu tun und nicht mit dem Leib. Sie führt über das niedere Leibliche hinaus; sie führt zur Vergeistigung des Menschen. So dachte man und  lebte man. Und  hat dadurch  der Christenheit eine schlechte Erbschaft mitgegeben, die sich in  den verschiedensten Weisen  bis heute durchhält: Als Trennung zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, dem Geist und dem Leib, dem Inneren und dem Äußeren, dem Glauben und dem Leben, dem Sonntag  und  dem Werktag. Da wird der Glaube dann  reduziert auf fromme Gedanken und  Gefühle tief drinnen in uns. Und das Evangelium wird reduziert auf Trost in  Leid und  Tod  und religiösen Zuckerguß bei Trauungen und Konfirmationen, Taufen und Festtagen.

 

Aber, wie der schwäbische Pietist Friedrich Christoph Oetinger formulierte: Alle Wege Gottes enden in der Leiblichkeit. Gott selbst, das ewige Wort, wird schließlich Fleisch (Joh.1,14).

 

Das Evangelium  sagt mit Karl Marx: Es kommt nicht darauf an, die Welt verschieden zu interpretieren, sondern sie zu verändern. Das Evangelium  will Leute haben, die die Welt verändern. Darum  geht Paulus gegen diese Zweiteilung an und  nennt uns den Leib, das leibliche Leben als das große Betätigungsfeld des Dankes.

 

(a) Das fängt beim  eigenen Leibe an, den Paulus  darum "einen Tempel des Heiligen  Geistes" nennt. Unser Leib: Eine Wohnung Gottes! So sollen wir ihn ansehen, und zwar sowohl, wenn er gesund, wie wenn er krank ist; sowohl, wenn er jung und straff ist, wie wenn er alt und  schlaff wird.  Wir sollen das Welken als von Gott so eingerichtet bejahen (und es gibt sie ja: Die sog. Altersschönheit!). Wir sollen unseren  Leib aber natürlich um der Ehre Gottes willen auch pflegen und gut auf ihn achten. 

 

Ein  Beipiel dazu:  Ich  traf  vor einigen Wochen bei einer Bläserschulung, die ich mit Bläsern unseres Posaunenchors in Brno durchführte, Bischof Dr. Petr Sandera, den ich seit 15 Jahren kenne und mit dem ich innig befreundet bin; er ist Anfang 40 und sein Bauch hatte sich in  den letzten Jahren erheblich gerundet. Und  jetzt sah ich: Er war deutlich schlanker geworden. Warum bist du so abgerundet? fragte ich. Aus gesundheitlichen Gründen? Oder hat Deine Frau was gesagt?  Da nannte er mir als Antwort unseren heutigen Bibeltext und sagte: Unser Leib ist doch nach Paulus ein Tempel des Heiligen Geistes. Darum wollte ich den Heiligen Geist ein wenig besser ehren.

 

Nicht wahr: Dieses Denken ist der krasseste Gegensatz zu Körperkult und Fitnesswahn,  wo es nur um das eigene Ich geht, bzw. um sklavische Hörigkeit gegenüber skrupellosen Geschäftemachern, nicht aber um die Ehre Gottes.

 

(b) Preist Gott mit eurem Leib! Auch durch die Art, wie wir mit dem Leib Anderer umgehen. Darum ist jede Art, den Körper eines Anderen zur eigenen Befriedigung zu benutzen,

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Gotteslästerung. Jeder menschliche Leib ist ein Tempel des Heiligen Geistes.

 

(c) Und drittens: Leib im  weitesten Sinne ist unser gesamtes soziales Verhalten. Paulus spricht von der gesamten Kirche als Leib Christi; man kann sagen: Auch die Völker der Erde sind ein Leib. Überall da, wo Menschen Gott eigentlich nicht danken könnten, weil sie in leiblichem Hunger und Unterdrückung dahinvegetieren -  alle 5 Sekunden stirbt ein Kind unter zehn Jahren an Hunger! - , überall da, wo Menschen  in wertlose Gegenstände verwandelt werden, wo sie nur Herdenvieh sind, Arbeitskraft, Militärkraft, Konsumenten - überall da betreiben wir nicht die Ehre,  sondern die Schändung Gottes, sofern wir das dulden und nicht ändern. Das Meer des Elends können wir nicht ausschöpfen, aber jeder von uns kann da viel Schönes, nur scheinbar Unscheinbares tun an jedem Tag. Gott, denke ich,  freut sich mehr als wir ahnen an den scheinbar ganz geringen Dingen. Er kann sie sehr wichtig werden  lassen. 

 

Und nur selten mutet er einem auch mal sehr Schweres zu:  Etwa, dass wir dem, der uns schlimmes Unrecht antat, Gutes tun, und das Urteil Gott überlassen. Wie bei dem  Schloßherrn, dessen Haar über Nacht grau wurde und der  sagte: "Ich bin dem großen König eigen!... Heut ward sein  Dienst mir schwer...Mein ist die Rache, redet Gott".

 

Amen.