Predigt über 1. Mose 12, 1 – 4,  5. Sonntag nach Trinitatis, 23. Juli 2000, Beginn der Jugend - Segelfreizeit (Pfarrer Martin Quaas)

 

Lieder:

Lobet den Herren, alle die ihn ehren...447, 1-3.6-8

Wer nur den lieben Gott läßt walten...369

Such, wer da will, ein ander Ziel...346, 1 – 4

Vertraut den neuen Wegen...395

 

Psalm: nach Psalm 25 (Nr.777)

Schriftlesung: Lukas 9, 57 - 62

Wechselseitiger Segenszuspruch am Ende des Gottesdienstes: Psalm 121 (Nr.753)

 

 

Liebe Gemeinde,

 

der für heute vorgeschlagene Predigttext erzählt vom Anfang der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel: sie fängt an in Haran,einem Ort in der heutigen Südtürkei. Und sie fängt an mit einem einzelnen Menschen, einem alten Mann. 

 

In 1. Mose 12 Vers 1 – 4a heißt es:

 

Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.

 

Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.

 

Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.

 

Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte...Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.

 

75 Jahre also. Ich finde, das ist echt Gott. Gott handelt in der Bibel immer auf die merkwürdigste Weise, er tut die überraschendsten Dinge -  Dinge, die wir wir garnicht für möglich halten.

 

Wo wir denken: der gehört jetzt allmählich zum alten Eisen, oder: die hat ihr Leben eigentlich im Wesentlichen hinter sich – da fängt Gott erst richtig an.

 

75 Jahre alt ist Abraham, als Gott seine Pläne mit ihm beginnt. Also, wenn einer unter uns 75 oder älter ist, er denke bitte nie: Ich bin nutzlos. Sondern er denke: Gott kann mich zu Wichtigem gebrauchen. 

 

Was Abraham vorher alles erlebt oder getan hat, davon wissen wir nichts. Wir hören nur einige Verse vor unserem Text, daß er zwei Brüder hatte,von denen einer früh starb,daß er kinderlos verheiratet war und daß sein Vater Terach aus der Stadt Ur – im heutigen Kuwait – nach Haran in der südlichen Türkei ausgewandert war.

 

2

 

Aber dann, mit 75, beginnt Gott, seine Pläne mit ihm ins Werk umzusetzen. Und was sind seine Pläne? Abraham soll zum Segen werden für alle Geschlechter auf der Erde.

 

I

 

Auch das ist ja wohl „echt Gott“, nämlich absolut überraschend und unfaßlich: Er sagt zu dem alten, kinderlosen Abraham: Durch dich sollen Segen empfangen alle Geschlechter auf Erden. Nicht wahr: Größer, umfassender, weitreichender geht es nicht. Diese Zusage Gottes übergreift alle Grenzen von Ländern und Kontinenten und alle Zeiträume. Der alte Mann Abraham: Ein Segen für alle Völker auf der ganzen Erde!

 

Und damit wir aus dem Staunen nicht heraus kommen – ich denke mir: Gott sieht ja schon die Erfüllung vor Augen, als er dies – eintausendfünfhundert Jahre vor Christi Geburt -  zu Abraham sagt. Gott weiß in diesem Moment schon all die Wege,die zu diesem Ziel führen werden. Er kennt schon die Vollendung des Anfangs, den er hier mit Abraham macht. Er hat schon vor Augen die entscheidende Weichenstellung in der Geschichte des Segens für Abraham, durch die der Segen vom Volk Israel auf die Völkerwelt ausgeweitet wird: Ein Kind in einer Futterkrippe, ein Mann, der am Kreuz seine Gottverlassenheit herausschreit.

 

Du und ich,wir stehen mitten drin in dieser Segensgeschichte. Vieles hat sich schon erfüllt, aber vollendet ist noch längst nicht, was mit Abraham begann.

 

Für unendlich viele Menschen ist Abraham schon zum Segen geworden, für unendlich viele Juden, Christen, Moslems. Denn, überlegen wir: Ohne Abraham hätten wir keine hebräische Bibel, kein Neues Testament, keinen Koran, ohne ihn gäb’s keine  Kirche, säßen wir jetzt nicht hier.

 

Und, wir müssen hinzufügen: Auch das Andere ist geschehen, was Gott hier ankündigt. Er sagt ja: Ich will segnen,die dich segnen und verfluchen,die dich verfluchen. Das gabs ja auch, bei Christen und bei Moslems, und am schlimmsten in unserem Volk und Land: daß Menschen dem Abraham in seinen Nachkommen, den Juden, zum Fluch wurden, ihnen Böses, Schreckliches, Entsetzliches antaten -  und diese Menschen verfielen ihrerseits dem Fluch Gottes. Und auch der wirkt durch Generationen fort: Wenn wir zur Segelfreizeit nach Holland fahren, dann fahren wir als Angehörige des Volkes, das 1940 Holland überfiel und die Juden – Anne Frank und viele Tausende Anderer -  aus Holland in die KZ‘s deportierte.

 

Noch ist Abraham vielen Völkern nicht zum Segen geworden. Noch wünschen sich die Völker ja nicht in Abrahams Namen von Herzen Segen und sagen zueinander: Friede sei mit euch. Noch bekämpft man sich, unterdrückt die Schwächeren, beutet die Erde habgierig aus – noch muß Gott unablässig weiter tätig sein in seinem stillen stetigen segnenden Wirken. Und auch als der, der rettend an uns handelt, indem er zu uns Menschen redet.

 

 

 

3

 

II

 

Und der Herr sprach zu Abram“... Ist nicht auch das zum Staunen? Gott, der Schöpfer des All, der, ohne den nichts wäre -  der redet. Er ist kein stummes Schicksal. Er möchte, daß Er und Du Gesprächspartner sind. Er sagt uns, wo’s lang geht. Er sagt uns klar, was gut ist für uns und was nicht gut ist für uns. Er

redet zu uns, damit wir Verführungen durchschauen und in heilsamen Grenzen leben. Er gibt uns seine Gebote,die wir nicht ungestraft übertreten.

 

Aber hören wir auch auf ihn? Er redet zu uns durch die Worte der Bibel. Er kann zu uns auch durch Geschehnisse, Erlebnisse reden. Als ich 1967 in New York studierte, sagte mir ein holländischer Studienfreund, Ton Veerkamp, der jetzt Dozent in Berlin ist, als ich einmal unverschämtes Glück hatte: Du, hör mal,wir sollen nicht einfach sagen: Glück gehabt oder auch: Pech gehabt, sondern sollen auch mal riskieren zu sagen: das war Er! Das war – Gott!

 

Gott redet. Aber was mutet er mit dem, was er hier sagt, dem Abraham zu: „Geh heraus aus deinem Vaterland,aus deiner Freundschaft, aus deinem Vaterhaus...“.

 

Verlaß deine Heimat, deine gewohnte, dir vertraute Umgebung. Verlaß deine Sippe,die dir Schutz und Geborgenheit gibt. Brich alle bisherigen Beziehungen ab. Nur noch eine Beziehung soll gelten und dauern: Die zu dem Gott,der dich aus Gebundenheiten herausruft.

 

Auch Jesus hat seine Jünger so aus allen vorherigen Bindungen herausgerufen. Und wir haben eben in der Lesung gehört, wie radikal seine Worte sind.

 

Ein Franz von Assisi hat diesen Ruf Gottes heraus aus allen Bindungen gehört: hat seine reiche Familie und allen Besitz verlassen und den Bettlerorden der

Franziskaner und Franziskanerinnen gegründet. Einen Orden,der vielen zum Segen geworden ist, auch der Familie Quaas, denn ein Franziskaner, Pater Erich Jansen,  jahrzehntelang in Taiwan tätig, zuletzt Guardian des Essener Franziskanerklosters, vor einigen Jahren verstorben, war und ist für unsere Familie ein Segen.

 

Aus welchen Gebundenheiten und Bindungen mag Gott uns heute herausrufen? Einer könnte es vielleicht so hören: Geh heraus aus der Dauerberieselung durch Fernsehprogramme, die das Leben  (man muß es so drastisch sagen), versauen und verrohen. Oder: Geh heraus aus einer Lebenshaltung, in der Gott Mammon zunehmend alle Lebensbereiche beherrscht und „gleichschaltet“, nämlich flächendeckend zeitlich, räumlich, seelisch alles beherrschen will. Ein Beispiel dazu: Gestern steht in der NRZ zu lesen, in der CDU – Ratsfraktion unserer Stadt wird geplant, den Essener Weihnachtsmarkt zeitlich noch weiter vorzuverlegen und auszudehnen, er soll jetzt schon am Montag vor Buß- und Bettag beginnen.

 

Ein  CDU – Ratsherr hat die Stirn, dem den Kommentar anzufügen: Weil der Buß- und Bettag ohnehin kein kirchlicher Feiertag mehr sei, „seien ja auch die kirchlichen Interessen gewahrt“.

 

 

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Unsere Dritte Welt Läden hatten bereits im November vergangenen Jahres den Oberbürgermeister in einem Schreiben gebeten, sich für einen späteren Beginn, nämlich den Tag nach dem Toten- und Ewigkeitssonntag, einzusetzen. Er hielt es trotz freundlicher schriftlicher Erinnerung im März nicht einmal für nötig, überhaupt zu reagieren! Wie ist das denn mit der vielzitierten „Bürgernähe“?! Oder sollte ihm der Brief vorenthalten geblieben sein?

 

 

Ein Anderer könnte dieses „Geh heraus...“ so hören: Geh heraus aus deiner Gebundenheit an eine Lüge – gesteh die Wahrheit. Geh heraus aus einem betrügerischen Verhalten – finde zurück zur Ehrlichkeit. Geh heraus aus einer Schuld – bitte um Verzeihung.

 

 

 

III

 

Denn: Gott ruft nicht nur heraus aus Gebundenheit, er sagt auch,wohin wir gehen sollen: „...in ein Land,das ich dir zeigen werde“. Ein Land also. Aber: was ist das für ein Land? Abraham wußte nicht die Spur, wo es sein würde, wie es aussehen würde. Und wir kennen dieses Land auch nicht, das Gott uns zeigen will. Allerdings: Konturen dieses Landes können wir nennen: Es wird ein Land sein, in dem Gerechtigkeit wohnt und Friede blüht, wo die krassen Gegensätze zwischen Superreichen und Verhungernden eingeebnet sind, wo Gott tröstend die Tränen aus den Augen Leidtragender abwischt, wo Menschen nicht mehr von Leid, Geschrei und Schmerzen gequält werden. Dieses Land ist in keiner „Weltanschauung“ oder Lehre festzulegen, wir können diesem Land nur Schritt für Schritt in lebendiger, tätiger Hoffnung entgegengehen. Und dies ist übrigens der einzige Fortschritt,der diesen Namen wirklich verdient. Der einzig wirkliche Fortschritt der Menschheit ist der Fortschritt an Gerechtigkeit,Liebe,Frieden. Zu diesem Fortschritt, dem Fortschritt des Reiches Gottes, können wir beitragen, auch auf unserer Freizeit.

 

IV

 

Und wir sind ja nicht allein. „Ich will dich zum großen Volk machen“,sagt Gott dem kinderlosen Abraham zu. Und aus ihm sind in der Tat viele Millionen geworden. Wunderbar,zu welchem Volk wir gehören: dem Volk Gottes. Es sind Menschen,nicht besser und  schlechter als andere Menschen auch. Aber sie wissen von Gottes Barmherzigkeit, die sich ihnen wie jedem anderen Menschen  zuwendet. Außer Abraham gehört ein David dazu und eine Deborah oder Mirjam, ein Paulus und eine Maria Magdalena, die Dichter unserer Gesangbuchlieder, die Juden heute und orthodoxe Christen, auch die viel gescholtenen Papst  Johannes Paul und Bischof Dyba und eine Gertrude Stein und wahrscheinlich der skipper und der maat unseres Segelschiffes und die meisten Holländer, denen wir begenen werden...

 

...lauter Menschen,denen Gott zugesagt hat wie dem Abraham: „Ich will dir einen großen Namen machen“ . Menschen also, die es nicht mehr nötig haben sollten,sich selbst herauszustreichen. Keine „Turmbau-zu-Babel-Menschen“ mehr. Die sagen

 

5

 

 

nämlich – die Geschichte vom Turmbau zu Babel steht unmittelbar vor unserem Text: „Wir wollen uns einen großen Namen machen“. Sie wollen hoch hinaus, immer weiter, immer höher, wollen immer mehr Wachstum, bis alles zusammenstürzt und zusammenbricht.

 

Aber die,die zu Gottes Volk gehören, hören von ihm: Ich will dir einen großen Namen machen. Du bist bei mir hoch angesehen, du bist mir wichtig, ich sorge schon für dich, verlaß dich drauf. Du kommst bei mir nicht zu kurz. Im Gegenteil, ich bin „ein ewigreicher Gott“, der nicht kärglich gibt, sondern großzügig und reichlich. Von Abraham wird später erzählt, wie reich sein Leben wurde. Es gab  Versagen, Schuld, Feigheit, Lüge in seinem Leben,und auch unfaßlichen Mut und Gottvertrauen. Auf jeden Fall: Sein Leben im Vertrauen auf die Führung Gottes und im  Hören auf Gottes Wort war ein überaus reiches Leben.

 

V

 

 

Da zog Abraham aus...“ Abraham gehorcht. Er hört nicht nur. Er gehorcht. Er tut Gottes Wort. Das ist das Entscheidende. Wir erkennen die Wahrheit der biblischen Worte, der Worte Jesu erst, wenn wir sie tun.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




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