Predigt über 1. Mose 13 (Buß-und Bettag, 22. November 2000)
(Pfarrer
Martin Quaas)
Und Abram zog herauf aus Ägypten mit seiner Frau und mit allem, was er hatte, und Lot auch mit ihm, ins Südland.
Abram aber war sehr reich an Vieh, Silber und Gold.
Und er zog immer weiter vom Südland bis nach Bethel, an die
Stätte, wo zuerst sein Zelt war, zwischen Bethel und Ai,
eben an den Ort, wo er früher den Altar errichtet hatte.
Dort rief er den Namen des Herrn an.
Lot aber, der mit Abram zog, hatte auch Schafe und Rinder
und Zelte.
Und das Land konnte es nicht ertragen, daß sie beieinander
wohnten; denn ihre Habe war groß, und sie konnten nicht beieinander wohnen.
Und es war immer Zank zwischen den Hirten von Abrams Vieh
und den Hirten von Lots Vieh. Es wohnten auch zu der Zeit die Kanaaniter und
Perisiter im Lande.
Da sprach Abram zu Lot: Laß doch nicht Zank sein zwischen
mir und dir und zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder.
Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von
mir! Willst du zur Linken, so will ich
zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.
Da hob Lot seine Augen auf und besah die ganze Gegend am
Jordan. Denn ehe der Herr Sodom und Gomorra vernichtete, war sie wasserreich,
bis man nach Zoar kommt, wie der Garten des Herrn, gleichwie Ägyptenland.
Da erwählte Lot die ganze Gegend am Jordan und zog nach
Osten. Also trennte sich ein Bruder von dem andern,
so daß Abram wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten
am unteren Jordan. Und Lot zog mit seinen Zelten bis nach Sodom.
Aber die Leute zu Sodom waren böse und sündigten sehr wider
den Herrn.
Als nun Lot sich von Abram getrennt hatte, sprach der Herr
zu Abram: Hebe deine Augen auf und sieh von der Stätte aus, wo du wohnst, nach
Norden, nach Süden, nach Osten und nach Westen.
Denn all das Land, das du siehst, will ich dir und deinen
Nachkommen geben für alle Zeit
und will deine Nachkommen machen wie den Staub auf Erden.
Kann ein Mensch den Staub auf Erden zählen, der wird auch deine Nachkommen
zählen.
Darum mach dich auf und durchzieh das Land in die Länge und
Breite, denn dir will ich’s geben.
Und Abram zog weiter mit seinem Zelt und kam und wohnte im
Hain Mamre, der bei Hebron ist, und baute dort dem Herrn einen Altar.
Liebe
Gemeinde,
nicht wahr:
sehr spannungsreich, lebensvoll, irdisch geht es zu in dieser Geschichte: Da
streiten sich die Hirten wütend um die Weideplätze. Da sehen wir Abraham und Lot vor uns in diesem kurzen und doch so denkwürdigen
Gespräch, das den Streit schlichtet. Und wir überblicken die Schönheit eines
weiten fruchtbaren Landes.
2
Könnte man
riechen, was hier erzählt wird: es röche nach würzigem Boden und dem Dung
riesiger Schafs- und Ziegenherden; nach reifen Früchten und - nach einem
Rauchopfer auf
einem Altar. Denn am Ende dieser Geschichte steht ein Altar, den Abraham Gott
zu Ehren baut. Und dieser Altar bringt zum Ausdruck, daß dieser ganze
spannungsreiche Weg, den Abraham und Lot hier miteinander gehen – daß dieser
Weg ein Weg unter der Führung Gottes war. Abraham vertraute fest darauf, daß
Gott und seine Verheißungen erfüllen und für ihn sorgen würde. Darum und nur
darum geschieht in dieser Geschichte Frieden, und zwar Frieden in Form schiedlich-friedlicher Trennung.
I
Abraham war
Nomade, „sehr reich an Vieh, Silber und Gold“,wie der Erzähler genüßlich
betont. Er ist unterwegs, dem von Gott
verheißenen Land entgegen. Er wandert, von Ägypten zurückkommend, durchs
Südland, den heutigen Negev, und kommt schließlich nach Beth–El, etwas nördlich
von Jerusalem, heute palästinensisches Gebiet. - Und mit ihm zieht Lot, sein
Neffe, und auch der hat „Schafe, Rinder
und Zelte“. Lot wandert nur mit, er wandert ohne Gottes Verheißung im
Herzen. Er ist in eigener, autonomer
Entscheidung unterwegs mit seinem Onkel. Abraham folgt in seinem Handeln dem
Ruf Gottes. Lot ist ein Mensch, der sich selber die Gesetze seines Handelns
vorschreibt.
So bestimmt
von Anfang an eine innere Spannung
das Verhältnis der Beiden.
Und nun kommt
dazu eine äußere Spannung. Beide haben viel Vieh und Zelte, beide brauchen Raum
für Tiere und Menschen. „Und das Land konnte es nicht ertragen, daß sie
beieinander wohnten...“, schreibt der Erzähler. Das Land: Wie ein Lasttier ist es, überlastet, überfordert, in
Gefahr zusammenzubrechen unter der Überforderung...So wie ganze Ökosysteme
zusammenbrechen können, wenn sie überlastet werden. Manchmal schlagen
überforderte Tiere noch einmal wild aus, bevor sie zusammenbrechen. Wie wohl
könnte man die gegenwärtig sich rapide häufenden Naturkatastrophen deuten, die verheerenden
Brände, die Erdrutsche, die schrecklichen Überschwemmungen...?
Und nun kommt es in unserer Geschichte zu den
ersten über die Grenzzäune herüber- und hinübergeworfenen Schimpfworten und
Flüchen zwischen den Hirten der beiden. Der Konflikt eskaliert: Man reißt
einzelne Grenzzäune herunter, treibt seine Herde auf die Weiden des andern, es
kommt zu Überfällen, Prügeleien...
Nicht wahr, so
etwas kennen wir doch: Wenn Menschen zu
nahe beieinander sind, miteinander auf engem Rauch eingepfercht oder im
Stau steckend, da werden sie leicht aggressiv, fangen an zu schimpfen, müssen
Druck ablassen...Enge, Angst um seine Habe, Angst zu kurz zu kommen, Angst, auf
der Verliererseite zu stehen, macht agressiv.
„Das Boot ist
voll“, sagen die sog. „Glatzen“, rechtsradikal Verhetzte, wie auch sehr
betuchte Leute hierzulande. „Das Boot
ist voll“, hier ist kein Platz mehr für
Ausländer - weg mit ihnen, sonst kommen
wir zu kurz.
3
Und wenn wir
auf unseren Globus sehen, dieses „Weltdorf“: Je enger sich Industrienationen
mit ihrem Lebensstil, ihrem Konsum und Tourismus einerseits, und die
wirtschaftlich armen Länder der südlichen und östlichen Erdteile andererseits
auf den Leib rücken, desto mehr wird es auch zu Reibereien kommen –
Reibereien,die sich in schrecklichen Kriegen entladen können, weil sich die
Armen schlichtweg
etwas von
unserem Überfluß holen wollen.
II
Und nun verhindert Abraham die drohende
Katastrophe! Mitten in die zum Zerreißen gespannte Lage hinein fällt von seiner
Seite das erlösende Wort: „Laß doch nicht
Zank sein zwischen dir und mir und unseren Hirten; denn wir sind doch Brüder!“
Wir sind doch
Brüder! Gemeint ist: Wir sind doch Verwandte! Wir gehören doch innerlich
zusammen! Dieser Satz ist im Grunde ein nüchterner Appell an die menschliche
Vernunft.
Wir sind doch
Brüder! Das heißt, auf heute übertragen: Wir sitzen alle in einem Boot! Die ganze Menschheit - mitsamt ihren Mitgeschöpfen - in einem
Boot. Darum: Gewaltanwendung jeder Art
schadet allen! Gewaltanwendung auch gegenüber Tieren oder Pflanzen – das
schlägt auf den Menschen zurück. Gruppen oder Bevölkerungsschichten oder
weltanschauliche Systeme durch militärische oder polizeiliche Macht „unten“
halten zu wollen, das rächt sich an den Unterdrückern selbst. Dem Ehepartner oder dem heranwachsenden Kind
durch Repressalien, Verbote oder auch einfach durch verbale Lautstärke den
eigenen Willen, die eigene Meinung aufzwingen zu wollen – das nützt nichts, im
Gegenteil.
Wir sind doch
Brüder – das heißt positiv: Wir wollen einander genügend Freiheit und Raum zum
Leben geben.
Konkret
bedeutet das in unserer Geschichte: Wir wollen uns trennen.
Das ist also
auch eine Möglichkeit der Bruderschaft, der Geschwisterlichkeit: Friedlich eine
Zeit lang auseinandergehen. Man braucht
sich dabei ja nicht ganz aus den Augen zu verlieren. Als Lot später von fremden
Königen überwältigt wird – das nächste Kapitel erzählt davon – da ist Abraham
gleich zur Stelle, um ihm zu helfen. Und diese Hilfe ist eine Frucht der zuvor
vollzogenen Trennung.
Brüderlichkeit,
Geschwisterlichkeit in friedlicher Trennung -
was könnte das in heutigen Problemen bedeuten? Es könnte bei manchen
ethnischen Konflikten
bedeuten –
Stichworte Jugoslawien, Nordirland, Tschetschenien oder das Land der Basken –
daß einzelne Regionen mehr relative Selbständigkeit und
Eigenverantwortlichkeit
erhalten, mehr Freiheit, das eigene kulturelle, politische, wirtschaftliche
Leben selbst zu gestalten.
4
Es bedeutet im
Land Israel/Palästina Selbstbestimmung der Palästinenser,die ja vielfach schrecklich geknechtet und
gedemütigt werden, wie wir, die Familie Quaas, oft aus erster Quelle dort hören
- eine Selbstbestimmung, die
einhergehen muß mit wirtschaftlicher Hilfe und Gerechtigkeit.
Es könnte im
Weltmaßstab bedeuten: Die Länder der nördlichen Erdhalbkugel gewähren den
wirtschaftlich armen, von ihnen jahrhundertelang ausgebeuteten Ländern des
Südens Entschuldung, man macht sich
gemeinsam auf die Suche nach gerechteren weltwirtschaftlichen Strukturen – und
zugleich ziehen sich die kapitalistischen Länder in mancher Hinsicht zurück,
ziehen vor allem auch ihre unmoralischen und verderblichen Einflüsse –
Stichworte: Fernsehen, totaler Konsum, Pornographie und Sextourismus – zurück, lassen den südlichen Ländern ihre
kulturelle Eigenständigkeit und eigene
Wege politischen und wirtschaftlichen Handelns.
In den
Beziehungen zwischen katholischer und evangelischer Kirche hier bei uns könnte
es bedeuten: Jede Kirche besinnt sich auf ihr Eigenes, auf das jeweilige
evangelische und katholische „Profil“ – immer im Bewußtsein: „Wir sind doch
Brüder und Schwestern“( was natürlich auch bedeutet, daß man die jeweilige
Schwesterkirche hochachtungsvoll behandelt).
Und was das
engste Zusammenleben, das in Ehe und Familie, betrifft: Auch hier kann eine
zeitweilige Trennung – ohne den Andern aus dem Herzen zu verlieren - Wunder bewirken.
III
Und nun hören
wir, daß Abraham seinen Appell an die Vernunft sogar mit einem großzügigen
Angebot verbindet: Lot soll wählen können, wohin er ziehen will. Abraham will
sich mit dem ausgeschlagenen Teil begnügen. Abraham gibt ein vorbildliches
Beispiel für Selbstbeschränkung und Nachgebenkönnen. Woher hat er diese
Freiheit, diese Großzügigkeit, diese Souveränität?
Der Grund für
seine Fähigkeit zur Selbstbeschränkung: Das
ist sein Gottvertrauen. Abraham vertraut darauf: Gott wird seine
Verheißungen erfüllen. Abraham weiß: Er wird nicht zu kurz kommen, Gott wird
großzügig für ihn sorgen.
Abraham
vertraut seine Zukunft ganz Gott an – daher seine innere Freiheit. Lot dagegen
läßt sich von dem verführen, was vor Augen liegt. Er sieht „wasserreiches“ Land: Land „wie den Garten
Eden“, „Land wie in Ägypten“ ,
wie der Erzähler rühmt. Aber schon folgt wie fernes Donnergrollen auf die
genußreiche Beschreibung des vor ihm liegenden Landes die Bemerkung: Es war
wasserreich, “bevor der Herr Sodom und Gomorra vernichtete...“. Und dann
noch einmal: „Aber die Leute von Sodom
waren böse und sündigten sehr wider den Herrn“.
5
Sie waren böse
und sündigten gegen Gott. Sie verhielten sich gottlos: Ich stehe nicht an, diese Bemerkung über die Menschen
von Sodom und Gomorra direkt auf uns,die westlichen Länder, zu beziehen. Denn
der eigenmächtige, selbstbestimmte, kraß egoistische und habgierige Weg von Völkern und Einzelnen, der kann
allzuleicht schlimm enden, kann in die Katastrophe münden. Mit einem Satz
unseres verstorbenen Präses Peter Beier gesagt: „Ein Volk, das keine Ehrfurcht
mehr vor Gott dem Herrn hat, hat auch keine Zukunft mehr“.
Abraham dagegen bekommt von Gott die Fülle geschenkt. Er soll sich sattsehen können: „Hebe doch deine Augen auf und sieh...: nordwärts,südwärts,ostwärts, westwärts“ – das alles will ich dir und deinen Nachkommen geben für alle Zeit“. Man meint fast Gottes eigene Freude zu spüren an all dem, was er Abraham da sehen läßt. Und mehr noch: Der Staub zu seinen Füßen wird zum anschaulichen Bild für die Zukunft seiner Sippe: Deine Nachkommen will ich mehren wie den Staub der Erde.
IV
Ein
verhaltener Jubel durchzieht den Schluß unserer Erzählung. Reich beschenkt
steht Abraham da: Das versprochene Land liegt vor ihm, und er soll sich darüber
freuen: „Durchwandere das Land...“. Nicht Belohnung für erlittenen Verzicht ist
das - es ist die Fülle des göttlichen
Reichtums, die auf Abraham herabströmt, die Fülle des göttlichen Reichtums, der
für all seine Kinder, gleich welchen Alters, welcher Nation oder Konfession
genug hat, übergenug Gaben, irdische wie geistliche.
Dieses
Gottvertrauen des Abraham - das soll auch uns Christen kennzeichnen. Dieses
Vertrauen in Gottes Führung und Fürsorge, wie Jesus es uns – etwa in der
Bergpredigt – so werbend vor Augen malt. Wenn wir dieses Vertrauen in Gottes
Führung und Fürsorge vorleben, dann sind wir Salz und Licht in unserer aufs
Haben und Festhalten fixierten Gesellschaft, dann erfahren und empfangen wir
eine Lebensfülle und Lebensfreude, die ansteckend wirkt. Wie froh können wir
sein, daß wir auf die Bibel hören dürfen, daß wir uns von Gott beschenkt wissen
dürfen, wie stolz können wir sein auf unseren christlichen Glauben: Er ist nun
wirklich das Beste und Befreiendste für unser Leben und das Lebensnotwendigste,
was unsere Gesellschaft braucht. Er
bewirkt, daß wir dankbare Menschen werden, Menschen, die Gott von Herzen für
seine Treue und großzügige Fürsorge danken.
Und darum
steht am Ende unserer Geschichte auch ein Altar, den Abraham dankbar zur Ehre
Gottes in Mamre bei Hebron baut.
Kann nicht
jeder von uns, wenn er offene Augen hat, dankbar zurückblicken auf einen Weg
göttlicher Führung und Fürsorge mit ihm? Dann aber ist es auch für uns
angemessen, Gott gleichsam einen Altar zu bauen und ihm ein Dankopfer zu
bringen in Gedanken, Worten und Taten
- an irgendeiner Straßenecke, an
einem Bürotisch oder in einem Wohnzimmer – oder auch jetzt hier. Amen.