Frühgottesdienst am Sonntag Judica, 13. März 2005

 

Lieder:

 

Gott ist gegenwärtig...165, 1-3

Sende dein Licht...172

O Mensch, bewein dein Sünde groß...76

Du großer Schmerzensmann...87, 1.3.5

Ehre sei dir, Christe...75, 1

 

Psalm 43  Nr. 723 S 1155

 

Lesung: Hebr. 5, 7-9

 

Predigt über 1. Mose 22, 1 – 14:

 

Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich!

Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.

Da stand Abraham am Morgen früh auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.

Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.

Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander.

Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?

Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander.

Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz

und reckte seine Hand aus und faßte das Messer, daß er seinen Sohn schlachtete.

Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich.

Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; den nun weiß ich, daß du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.

Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.

Und Abraham nannte die Stätte „Der Herr sieht“. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der Herr sieht.

2

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Was für ein Spiel treibt Gott hier mit Abraham. In welche Finsternis stürzt er ihn hinein. „Abraham“! – „Hier bin ich!“ - „Nimm deinen  einzigen Sohn, den du liebhast und opfere ihn!“

 

Viele Jahre vorher hatte Gott dem Abraham versprochen: Du sollst Kinder haben – ein großes Volk soll aus dir werden! Wie lange hatten dann Sara und Abraham vergeblich warten müssen. Und dann, als alles aussichtslos schien, da hatte Sara, hochbetagt, doch noch einen Sohn geboren. Und jetzt, wo Isaak, der einzige, der geliebte Sohn, aufwächst, jetzt will Gott ihn den Beiden wieder nehmen, ja noch  viel entsetzlicher: Gott fordert, daß Abraham seinen eigenen Sohn töten soll!

 

Muß man nicht sagen: Das ist abgründig grauenhaft. Und von einem Gott, der so etwas verlangt, wollen wir nichts wissen! Solch eine Geschichte sollte nicht in der Bibel stehen. Heißt es nicht im Neuen Testament: Gott ist  Liebe (1. Joh.4, 16)!?

 

Hier aber ist von Gottes Liebe nichts zu sehen. Sondern das absolute Gegenteil. Was Gott hier verlangt, ist teuflisch.

 

Wir zwar hören im ersten Vers dieses Textes, daß Gott den Abraham „versucht“, ihn  also bloß – aber was heißt hier: bloß! - prüfen, auf die Probe stellen will, daß er also nicht wirklich will, daß Abraham seinen  Sohn umbringt.  Aber was wir wissen – Abraham weiß es eben nicht, er wird wirklich in schwärzeste Finsternis hinein geschickt. Noch einmal also: Was treibt Gott hier für ein bösartiges Spiel mit Abraham! - Aber nun auch: Was für ein unfaßlicher Gehorsam des Abraham!

 

Und Abraham stand am Morgen früh auf. Kein Wort von den Gedanken und Gefühlen, die während der Nacht seine Seele wie ein sturmgepeitschtes Meer aufgewühlt haben müssen. Er sattelt den Esel. Er spaltet Holz für das Brandopfer und dann geht er mit seinem Sohn und zwei Knechten, drei Tage lang.

 

Dann sieht er von weitem die Anhöhe, die Opferstätte. Er sagt zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier. Wir wollen dort oben anbeten. Anbeten!  Er lädt dem Sohn das Holz auf. Er nimmt ein Messer, nimmt Feuer in einem Topf, „und gingen die beiden miteinander“: Vater und Sohn ganz allein. Dann die – arglose oder Unvorstellbares ahnende? - Frage des Sohnes: Wo ist das Schaf zum Brandopfer? Und  Abraham: Gott wird sich ein Opferlamm ersehen. Gott wird sich ein Opferlamm ersehen! „Und gingen die beiden miteinander“.

 

Noch einmal: Was ist das für ein Gott, der solch ein Opfer verlangt und der dem Abraham  Entsetzliches zumutet ! Und ja nicht nur dem Abraham, auch dem Isaak, dem Opfer selbst, und  auch der Mutter Sara. Im Talmud, in dem die rabbinischen Auslegungen der biblischen Texte stehen, heißt es zu diesem Text: Als Abraham zurückkehrte und alles erzählte, da habe  Sara sieben spitze Schreie ausgestoßen und sei gestorben. Auch wenn es dann doch nicht eingetreten war, ihr Herz konnte das nicht aushalten, was Gott da verlangt hatte.

 

 

3

 

 

Aber nun denke ich: Wir haben alle unsere Gottesbilder in uns, feste Vorstellungen, tief eingewurzelt: Gott ist doch der gute, helfende, liebevolle Gott. Aber solche Gottesbilder werden in der Bibel immer wieder zerbrochen. Da ringen Menschen nächtelang mit Gott, schreien zu ihm, sagen zu ihm: Wie ein  Löwe bist du über mich gekommen, zerbrichst mir alle meine Knochen (Jes. 38) oder verfluchen wie Jeremia den Tag ihrer Geburt, weil sie die Lasten, die Gott ihnen aufbürdet, nicht mehr ertragen können (Jeremia 20), oder schreien, winseln geradezu wie Hiob: Laß ab von mir! Laß mich doch in Ruhe! (Hiob 14,6; Psalm 39,14).  

 

Und: Es gibt einige gewaltige Auslegungen zu diesem Text: Von Luther, von Kierkegaard, Bilder von Rembrandt – da spürt man gerade in diesen Texten und Bildern eine ganz starke persönliche Betroffenheit. Sie haben  gerade in dieser Erzählung auch eigene Gotteserfahrungen wiedergefunden. Obwohl gerade sie zugeben, etwa Luther in seiner Auslegung: Ich hätte das bei weitem nicht gekonnt, ich wäre unten geblieben, hätte nicht auf diesen Berg steigen können. Aber: Sie wissen etwas davon, daß Gott auch in Finsternis stürzen kann und daß es, wie der Hebräerbrief sagt, „schrecklich“ sein kann, „in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr.10,31) .

 

Und: Das gibt es doch auch heute, und auch in unserer Gemeinde: Furchtbare Geschehnisse im Leben und Zusammenbrüche von Menschen. Vielleicht kennt der eine oder die Andere von uns hier das sogar: Daß man nur noch Finsternis sieht.

Das gab und gibt es in unserer Gemeinde: Unfalltod oder Krebstod eines Kindes oder zweimal hintereinander der Tod eines Kindes unmittelbar nach der Geburt. Menschen,die sich das Leben nehmen und ihre Angehörigen werden nie damit fertig. Oder, da freuen sich Eltern auf ein Kind – und dann ist es schwerstbehindert. Und wenn man all diese Geschehnisse mit Gott in Verbindung bringt, sie – wie man es mit einer frommen Formulierung sagt – „aus Gottes Hand annimmt“ - muß Gott einem da nicht dunkel, ja furchtbar und grausam erscheinen?  Gott kann Menschen schwerste Lasten aufbürden. Und Gott  schafft auch Schwerstbehinderte. „Wer hat den Stummen oder Tauben oder Blinden gemacht? Habe ich‘s nicht getan, der Herr?“ So steht es wörtlich 2. Mose 4. Sicher hören wir im Alten Testament und besonders dann auch in den Evangelien  immer wieder,  wie Gott, wie Jesus Blinde und Lahme und Taube heilt und heilen will – aber es gibt eben auch die Erfahrungen von Unheilbarkeit, Schwerstbehinderung, Mord, Kindstod. Und gewiß sagen uns die Religionswissenschaftler, daß diese Geschichte auch ein wichtiges Datum in der Religionsgeschichte Israels markieren will: Die Ablösung eines Menschenopfers durch ein Tieropfer. Daß der Gott Israels also nicht Menschenopfer will  - wie das in den kanaanäischen  Kulten gang und gäbe war.

 

Aber: Die eigentliche Aussage dieser Geschichte ist doch: Gott ist es, der Menschen auch in  Aussichtslosigkeit und Finsternis treiben kann, der Entsetzliches zumutet - und der dann trotz allem unseren Glaubensgehorsam, unser Gottvertrauen will. Und darum ist es gut, daß auch solch eine Geschichte in der Bibel steht, wo uns gezeigt wird, wie unter dem Gegenteil verborgen Gott handeln kann, wie er äußerlich kaum unterscheidbar vom Teufel handeln kann.

 

4

 

 

Und nun lernen wir ja gerade von Jesus her, daß wir dieser alttestamentlichen

Geschichte nichts von ihrer Härte wegnehmen und  sagen sollen: Nein, dieser

alttestamentliche Gott ist tot, es lebe der neutestamentliche Gott der

Liebe. Gerade Jesus mußte ja hinein in den Garten Gethsemane – und das heißt: In

die Hölle (so Calvin), mußte seine Jünger zurücklassen, war mit dem Vater ganz

allein, dem Vater, dessen Wille ihm unbegreiflich und ganz dunkel wurde. Er mußte

das Kreuzholz tragen und  brach darunter zusammen. Er mußte hinauf auf den Berg

Golgatha und starb schreiend: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

 

Ihn, seinen einzigen geliebten Sohn hat Gott nicht verschont! Und das Neue

Testament schweigt von dem, was da im Herzen Gottes vorgegangen sein muß.

 

Aber dann gab Gott dem Gehorsam Jesu einen Lohn ohnegleichen: Er erweckte

ihn aus dem Tode und gab ihm Anteil an seinem, Gottes eigenem, Leben. Und

darum, darum können nun auch wir – vielleicht – in Dunkel und Anfechtung und

angesichts schrecklicher Erlebnisse und furchtbarer Leiden trotz allem – in Vertrauen

bleiben, können vielleicht in dem Vertrauen bleiben, daß es – wie Luther in seiner

Auslegung dieser Geschichte schreibt: „keine Not gibt, die nicht die Verheißung hat,

zum Segen zu werden“.

           

Denn, das müssen wir nun doch ganz klar sagen: So sehr und so schrecklich Gott Menschen auch in Versuchung führen kann (und darum ist die Bitte: „Und führe uns nicht in Versuchung...“ auch für mich persönlich eine ungeheuer wichtige Bitte) -:  Das letzte Wort Gottes heißt: Segen, heißt Leben, heißt Erbarmen, heißt Fürsorge, heißt Liebe.  Und darum  ist es angemessen und richtig , wenn ich nun gleichsam mit einer Gegengeschichte zu dieser Geschichte von „Isaaks Bindung“ schließe. Ich fand sie in den Erinnerungen des Missionstheologen Theo Sundermeier, der lange Zeit in  Südafrika Missionar war. Er schreibt: 

 

„Eine Frau im Zululand/Südafrika war unfruchtbar. Unfruchtbarkeit ist dort wie im Alten Testament eine Schande und traditionell ein Zeichen des Zerwürfnisses mit den Ahnen, Wirkung eines Schadzaubers oder Folge von sündhaften Verfehlungen.

 

Als Christin wußte die Frau, daß sie nicht zum Wahrsager gehen und den Ahnen ein Opfer bringen konnte. Sie wandte sich an meinen Freund, den örtlichen Missionar. Sie bat ihn, mit ihr auf einen nahegelegenen hohen Berg zum Gebet zu gehen.

 

Am folgenden Morgen erschien sie ganz in Weiß gekleidet, selbst das Gesangbuch hatte sie in weißes Papier gehüllt. Zusammen mit dem Missionar, der die Situation in ihrer ganzen Tiefe erkannt hatte und darum den weißen Talar seiner Kirche angelegt hatte, ging sie schweigend auf den Berg...

 

Dort oben angekommen, kniete die Frau an einem zentralen Punkt des Tafelsbergs nieder und verharrte eine lange Zeit in tiefem Schweigen. Dann begann sie zu weinen, ein stilles, den Schmerz lösendes Weinen. Das Weinen ging über in ein langes, intensives Gebet, in dem die Frau ihr Herz ausschüttete und ihr ganzes Leben vor Gott ausbreitete, ihr Leben voller Bitterkeit uhnd Unglück, ein in den Augen der Gesellschaft sinnloses, weil kinderloses Leben. Sie sprach von  der

 

 

5

 

 

Verachtung, der sie ausgesetzt war, und wie sie verlacht wurde, weil sie kinderlos geblieben war. Als sie geendet hatte, bat sie den Missionar zu beten. Sie selbst sang einige Verse eines bekannten Kirchenliedes. Nach dem gemeinsam gesprochenen Vaterunser und dem Segensspruch stand die Frau auf. Ruhig und gefaßt ging sie den Berg hinunter nach Hause...

 

Nach gut einem Jahr bekam die Frau ein Kind“. (Ökumenische Rundschau, Oktober 2004, Nr. 53/4, S. 487f.

 

 

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen