Gottesdienst am Sonntag Invocavit, 13. Februar 2005

 

Lieder:

 

Ein feste Burg....362

(vor und nach der Predigt):

O Lebensbrünnlein tief und groß...399

(Vor dem Segen):

Ach bleib mit deiner Gnade...347

 

Psalm: 46 (Nr. 724)

 

Lesung: 1. Mose 3, 1 - 8

 

Predigttext: 1. Mose 3, 9 - 24

 

Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?

Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn  ich bin nackt, darum versteckte ich mich.

Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?

Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.

Da sprach Gott der Herr zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß.

Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und  allen Tieren auf dem Felde: Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang.

Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.

Und zum Weibe sprach er: Ich will dir  viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein.

Und zum Manne sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen -, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang.

Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen.

Im  Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden. 

Und Adam nannte sein Weib Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben.

Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an.

Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!

Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, daß er die Erde bebaute, von der er genommen war.

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Und er trieb den Menschen  hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Wie naiv und einfältig wird hier erzählt und wie ist jedes Wort voll von Tiefsinn und Weisheit!

 

Von einer sprechenden Schlange hören wir und von einem Gespräch, in dem Gott zwei Menschen  bei ihrer Verantwortung behaftet, von Mühsal, Schmerzen und Scham, die zum  menschlichen Leben gehören, aber auch davon, wie Gott fürsorglich Felle gerbt und zusammennäht  und mit ihnen das jämmerlich frierende Menschenpaar umkleidet.

 

                                                                        I

 

Sie hatten sich verkrochen und er hatte sie gesucht, er hatte – am Abend, als es kühl geworden war - nach ihnen gerufen: Adam, Eva -  wo seid ihr? Und die beiden, die notdürftig ihre Scham mit ein paar Feigenblättern verhüllt hatten – sie hatten Gott gehört, aber statt  freudig auf ihren Schöpfer und vertrauten Gesprächspartner  zuzugehen, verstecken sie sich vor ihm. 

 

Warum? Was haben sie zu verbergen? Wir wissen schon: Der Wahrheit dieser  unendlichen Geschichte kommen wir nur nahe, wenn  wir uns in  Frage gestellt sehen - wir, die Adams und Evas heute.

 

Versuche ich, mich vor Gott zu verstecken? Versuchst du, dich vor Gott zu verstecken? Hast du vielleicht etwas vor ihm und vor deinen Mitmenschen zu verbergen? Nun, wenn ich mich betrachte, ich finde da schon einiges bei mir, was mir  an mir nicht gefällt, was ich verdränge, vor Menschen verberge, wovon ich frei sein möchte, erlöst davon...Aber das geht leider nicht.

 

Oder doch?

 

Wir können uns  ja garnicht vor Gott verstecken, können vor ihm nichts verbergen, er weiß und sieht ja alles...und – und hier wird die Erzählung zunehmend bedrängend -  er stellt uns zur Rede.

 

Wir mögen Gott im Alltagstrubel vergessen, mögen ihn für eine menschliche Erfindung halten, mögen sagen: Es gibt nur ein blindes Schicksal, oder: Alles ist Zufall...Wir mögen faktisch ohne Gott leben – und bleiben ihm doch verantwortlich.

 

Und im Grunde weiß das auch jeder Mensch. Und ich glaube, jeder Mensch hat auch diese unbestimmte Furcht vor Gott, von der Adam hier spricht (und die das Gegenteil von echter Ehrfurcht vor Gott ist). Adam fürchtet sich vor Gott und  er schämt sich vor ihm, denn er weiß: Er ist der Versuchung und Verführung verfallen: Er mißtraut Gott

 

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will ihn im Grunde weghaben, will selbst die Rolle Gottes spielen, hält es für einengend und engstirnig, immer auf Gottes Gebote hören zu sollen, will stattdessen

viel lieber selbstherrlich bestimmen, was gut oder schlecht für ihn ist ... er ist der

Verführung verfallen, und sei‘s in Gestalt des Mitläufertums: „Ich hab ja nur mitgemacht, die Frau hat angefangen...“.

 

Adam weiß das alles von sich und versucht es doch irgendwie zu vertuschen. Ach, wie gut können wir den Adam verstehen, und wenn wir in die Politik oder die Wissenschaft sehen oder die Zeitung aufschlagen, täglich finden wir Beispiele für das Streben des Menschen selbst sein zu wollen wie Gott.

 

                                                                        II

 

Aber¨Gott läßt uns nicht allein in unserem Versteck, sondern ruft uns zur Verantwortung  – und  Adam versucht es mit Ausflüchten und Abschieben der Verantwortung, ja letzten Endes versuchen Mann wie Frau etwas geradezu Aberwitziges, aber zugleich auch sehr Verständliches: Sie schieben nicht nur dem jeweils Andern die Schuld zu, sondern unternehmen allen Ernstes den Versuch, die Rollen umzutauschen und den Richter zum Angeklagten zu machen: „Die Frau, die du mir gegeben hast, hat mich verführt“. Die Schlange, die du geschaffen hast, hat mich betrogen“. Letzten Endes ist Gott der Schuldige.

 

Haben sie nicht recht? Hat Gott nicht auch das Böse, die Möglichkeit zur Verführung geschaffen? Und: Läßt er nicht auch Entsetzliches zu?  Wir denken an das Inferno von Dresden heute vor 60 Jahren, das Flammenmeer, die sinnlose Zerstörung herrlicher Kulkturgüter, 35.000 Menschen schrecklich umgekommen.

 

Warum? Immer wieder hören wir die Warum - Fragen, immer häufiger werden sie gestellt, und ich fürchte, nicht immer aus echtem Entsetzen, Mitleiden und Anteilnahme heraus, sondern auch schon mal – wie bei den Beiden  hier – geradezu mit einer Spur Herausforderung und Selbstgerechtigkeit.

 

Warum – das Leid? Woher die Verführung, dieser Drang zur Selbstherrlichkeit, zur Habgier, zur unheilvollen Grenzüberschreitung, zur Selbstzerstörung in uns? Wozu ist sie da, und wo kommt sie her - die Macht des getarnten und lockenden Bösen, der wir verfallen...? Darauf finden wir Menschen keine Antwort. Die Schlange wird nicht gefragt. Der Ursprung des Bösen, des Verführerischen wird nicht erklärt. Es ist einfach da, dieses süße Gift, das uns Leben verspricht und uns in Wirklichkeit ums Leben betrügt (nur erkennen wir das meist erst zu spät), dieses sich schlängelnde Wesen, das uns zu Mißtrauen gegen Gott verführt und dazu verlockt, ihn abschaffen zu wollen und uns selbst an Gottes Stelle zu setzen, also selbst und in eigener Regie Leben herzustellen, zu gestalten, zu beenden.

 

Aber, sagt die Erzählung, auch angesichts der unerklärlichen Rätsel bleiben wir Gott verantwortlich. Wir können nicht einfach alles aufs Milieu oder die Andern oder auf Gott abschieben. Für die Wirklichkeit des Bösen sind wir nicht verantwortlich zu machen – dennoch fragt Gott jeden von uns  nach seinem Tun, nach seiner persönlichen Verantwortung. 

 

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                                                                        III

 

Der diese Erzählung aufgeschrieben hat – er versteht es durchaus auch als  Folge unseres Mißtrauens und unserer Grenzüberschreitungen, wenn er nun  beschreibt, wie unsere Welt und unser Leben von Leid und  Mühsal, Kampf und Feindschaft geprägt ist – wobei er das zu seiner Zeit jeweils Typische für die Geschlechter betont.  Bei der Frau sind das Schwangerschaft und Geburt und sexuelle

Erniedrigung durch den Mann.  Bei ihm, dem Viehhirten und Ackermann, wird die Arbeit voller Mühsal und  Widrigkeiten sein (Ausnahme vielleicht jener Ackermann, der für seine Schwerstarbeit bei der Deutschen Bank jährlich 11 Mio. Euro bekommt).

 

Und auch wenn wir all das Unkraut, das Dornige, Schmerzende und  Schweißtreibende zu vermindern suchen – sei’s durch chemische Keulen oder Gentechnik, sei’s durch Maschinen und Computer -  es bleibt bei dem, was der 90. Psalm von unserm Leben sagt: Und wenn  es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und  Arbeit gewesen, denn  es fähret schnell dahin, als flögen wir davon...  Bis wir wieder zu Erde werden, von der wir genommen sind.

 

Und nun ist zusätzlich zu unserem  unersättlichen Drang nach Erkenntnis und Grenzüberschreitung  ja auch der Drang nach ewigem Leben in uns, die Sucht, die Grenze des Todes weitmöglichst hinauszuschieben, Sterben  und Alter hinauszuzögern – ja der Drang nach Aufhebung aller Begrenztheit, die Sehnsucht nach  Schranken- und Schwerelosigkeit, nach Überwindung der Grenzen von Raum und Zeit, nach ewigem Leben ....Aber das – das erreichen wir nicht.

 

                                                                        IV

 

Stattdessen sagt das Neue Testament uns etwas absolut Unerwartetes und Unglaubliches, nämlich: Gott schenkt es uns Menschen von sich aus, schenkt uns ewiges Leben und schenkt uns erlöstes Leben, Leben in neuem Gottvertrauen wie im Paradies.  

 

Zu Weihnachten haben wir gesungen: Heut schließt er wieder auf die Tür zum  schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis. ...

 

Und das heißt: Gott wurde selbst wie unsereiner, hat uns den Zugang zum Paradies auf der Erde wieder eröffnet: Wir können durch Jesus unsern Bruder nun wieder in Vertrauen zu Gott unserm Vater und auch in Vertrauen zueinander leben,  können als befreite Kinder Gottes wieder gern auf ihn  hören und seinen guten Geboten folgen und lernen, wenigstens einigermaßen die Erde mit ihrer Fülle von Früchten und Schätzen nicht nur zu bebauen, sondern auch zu bewahren. 

 

Und in der jetzt beginnenden Passionszeit und am Karfreitag hören wir noch mehr, nämlich: Jesus hat sich von Gott auf die Anklagebank setzen lassen, er hat die Rolle des Sündenbocks auf sich genommen und die Strafe, die wir verdient hätten, für uns getragen. Gott ruft uns weiter zur Verantwortung, aber er straft uns nicht mehr. Wir brauchen uns nicht mehr vor ihm zu verstecken , sondern dürfen ihn bei Schuld und Versagen vertrauenvoll um Verzeihung bitten – und  wir können und sollen

 

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nun  auch unsererseits verzeihen und niemanden mehr zum  Sündenbock abstempeln.

 

Noch gehören Mühsal, Leid und Feindschaft zum Leben in unserer noch unerlösten Welt und doch brechen und dringen da hinein die befreienden Kräfte des Erlösers: Er kann uns im Leiden trösten, hat er doch selber die Warum-Frage am Kreuz herausgeschrien, er kann und will als Heiland wirksam sein, so daß Schwangerschaft und Geburt erleichtert werden (oder auch: ein anderes Beispiel – der Gang zum Zahnarzt nicht mehr so mit Schmerzen verbunden  ist).

 

Noch gibt es scheußliche sexuelle Unterdrückung der Frauen und auch – sagen wir -  Spannungen zwischen  Mann und  Frau in der Ehe, so wie ich‘s kürzlich in der Traupredigt eines afrikanischen Pfarrers lustig formuliert fand: „Die Ehe“ – schreibt er – „ist der einzige Krieg, in dem man mit dem Feind schläft“, aber es gibt bei aller Mühsal auch des ehelichen Zusammenlebens doch auch echte und für Beide hilfreiche und  beglückende Partnerschaft.

 

Und was ist mit der Schlange, dem Symbol der Verführung? Zu Ostern  werden wir singen: Wie sträubte sich die alte Schlang, als Christus mit ihr kämpfte. Mit List und  Macht sie auf ihn drang und dennoch er sie dämpfte. Ob sie ihn in die Ferse sticht, so sieget sie doch darum nicht,  der Kopf ist ihr zertreten.

 

Und das heißt doch:  Noch ist das Böse, Verführerische da -  aber ich kann mit Hilfe der Worte Jesu, die meinen Verstand erleuchten,  immerhin Einiges davon durchschauen, brauche der Verführung nicht  mehr auf den  Leim  gehen.  

 

Und auch in der Wissenschaft gibt es  – neben allem Forschen, das nach Gott nicht fragt, sondern der persönlichen  Bereicherung oder Ehre oder den Interessen der Großkonzerne oder dem Militär dient – doch auch – und vielleicht  zunehmend - dies: Daß Wissenschaftler die möglichen Konsequenzen ihres Forschens mitbedenken und bei manchen Projekten, in denen der Mensch selbst Gott spielen will oder die eindeutig dem Leben und Miteinanderleben schaden, nicht mitmachen: etwa bei der sog. Abtreibung, Bereichen der Gentechnologie, der sog. Euthanasie. 

 

Und vor allem: Wir Christen können Menschen sein, die erfüllt sind von der starken Hoffnung: Wenn  wir mit Jesus leben, leben  wir auf der Seite des Siegers. Denn er, das Lamm Gottes, spricht das letzte Wort in jener Welt, auf die wir zugehen und die uns die Bibel auf ihren letzten Seiten im Bild des himmlischen Jerusalem vor Augen stellt: Einer Stadt, in die hinein die Völker all die Schätze ihrer Kultur und  Kunst hineinbringen werden und in der wir Gott sehen werden, wie Er ist. Vom Leben dort wollen wir singen: Lied 399, 4 – 7. Amen