Gottesdienst am Sonntag Invokavit, 13. März 2011, Rhodos

 

Lieder:

 

Nun jauchzt dem Herren alle Welt...288, 1.2.4.6

Du hast uns, Herr, gerufen...168, 1 - 3

Ich steh vor dir mit leeren Händen...382

O Tod, wo ist dein  Stachel nun...113, 1.2.4.5

Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen...272

 

Psalm: Phil. 2, 5 – 11 (Nr. 760)

 

Lesung: 1. Mose 2, 15-17.25; 3, 1-8

 

Predigt  zu 1. Mose 3, 8b-24  

 

Liebe Gemeinde,

 

wie schlicht und einfältig wird hier erzählt – und doch ist jeder Satz und jedes Wort voller  Tiefe, Weisheit und Lebenserfahrung.

 

Von einer betrügerischen  Schlange hören wir und von einem Gespräch, in dem Gott zwei Menschen zur Verantwortung ruft, von Mühsal und  Schmerzen, die zum menschlichen  Leben gehören, aber auch davon, wie Gott fürsorglich Felle gerbt und zusammennäht und damit das Menschenpaar, das friert und sich schämt  umhüllt.

 

I

 

Die beiden hatten sich versteckt -  und Gott war ihnen nachgegangen, hatte sie gesucht und gerufen: Mensch, Adam – wo bist du? Und sie hatten  Gottes Ruf gehört.  Aber statt froh und vertrauensvoll zu ihm hinzugehen, waren sie in ihrem Versteck geblieben.

 

Warum? Was hatten sie zu verbergen? Wir wissen schon: Die Wahrheiten in dieser Geschichte entdecken wir nur, wenn wir diese Frage an uns stellen – uns,die Adams und Evas hier im Gottesdienst.

 

Also: Versuche ich mich vor Gott zu verstecken?  Haben wir vielleicht etwas vor ihm und unsern Mitmenschen zu verbergen? Bei mir finde ich da schon einiges, was möglichst nicht offensichtlich sein soll – und ich meine jetzt nicht nur Speckröllchen oder krumme Beine, sondern Dinge aus meinem Leben, die besser im Dunkeln bleiben.

 

Wir wollen uns nicht nackt zeigen, weder im  wörtlichen, noch im hintergründigen Sinne -  so nackt und  bloss und unansehnlich, wie wir im Grunde sind.  Aber – vor Gott jedenfalls können wir ja gar nichts verbergen – und, so hören wir hier, er geht uns nach,  und stellt uns zur Rede.

 

Wir Menschen mögen Gott im Alltag vergessen, wir mögen sagen: Es gibt ihn garnicht, er ist eine blosse Erfindung von Menschen. Oder: Er ist sozusagen das blinde Schicksal. Wir mögen ihn anklagen und sagen: ich kann nicht an einen Gott der Liebe glauben, wenn er ständig entsetzliche Katastrophen im Leben Einzelner wie ganzer Völker zulässt oder selber bewirkt.  

Wir mögen praktisch gott-los leben  - und bleiben ihm doch verantwortlich. Und im Grunde

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weiss das auch jeder Mensch, auch die, die sich Atheisten nennen und  ihn leugnen.  Von Heinrich Boell gibt es den schönen Ausspruch: Die Atheisten langweilen mich, sie

reden dauernd von Gott.

 

Und wir haben wohl auch alle von Natur aus diese unbestimmte Furcht vor Gott, von der Adam hier spricht, und die gerade keine Ehrfurcht ist, sondern ein Gemisch aus  Misstrauen und schlechtem Gewissen: Es steckt in uns ein Mißtrauen gegen Gottes Fürsorge und wir wollen nicht gern  im Hören auf ihn und im Gehorsam unter ihm leben, sondern selber alles erkennen, selber bestimmen, was gut und böse ist, selber wie Gott sein.

 

II

 

Aber Gott überlässt es dem nicht, sondern er sucht uns auf, und stellt uns zur Rede.

 

Adam versucht's  mit Ausflüchten und  schiebt die Verantwortung ab: Ich war ja bloss der Mitläufer, angefangen hat die Frau, ich hab bloss mitgemacht und getan, was sie

wollte...Aber auch die schiebt die Verantwortung ab. Wie sehr kennen wir das: Von Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, aber auch von uns selber: Ausreden, Ausflüchte, gewundene Erklärungen, Abschieben der eigenen Verantwortung auf andere.  Und auch dies kennen wir: Die beiden  versuchen ja dann noch etwas geradezu Aberwitziges, aber zugleich auch Plausibles und Logisches: Sie schieben Gott die Schuld zu, sie suchen die Rollen umzutauschen und den Richter zum Angeklagten zu machen: „Die Frau, die du mir zugesellt hast... Die Schlange, die du geschaffen hast, hat mich betrogen. Letzten Endes ist Gott der Schuldige.

 

Und stimmt das nicht auch?  Hat Gott nicht auch das Verführerische und das Böse   geschaffen? Dieses sich Schlängelnde und Windende, dieses heuchlerisch-Verlogene und   Verführerische, dieses süsse Gift...? Und: Lässt er nicht auch ständig abgründig Böses und Entsetzliches zu? Sie ist doch da und allgegenwärtig – die Macht des getarnten und des unverhüllt seine furchtbare Fratze zeigenden Bösen. Warum und wozu ist es da? Darauf hat kein Mensch eine Antwort. Die Schlange wird von Gott nicht zur Rede gestellt. Der Ursprung und mögliche Zweck oder gar Sinn des Bösen bleibt rätselhaft; im Dunkeln.

 

Aber, trotz der Rätsel und unbeantwortbaren Fragen, sagt die Erzählung, bleiben wir Gott verantwortlich. Wir können nicht einfach alles aufs Milieu oder auf die Andern oder auf Gott abschieben. Für das Dasein des Bösen sind wir nicht verantwortlich – dennoch fragt Gott jeden von uns  nach seinem  Tun und  Lassen,seiner persönlichen Verantwortung.

 

III

 

Wer immer diese Erzählung aufgeschrieben hat – vielleicht waren es ja ganze Generationen – sie verstehen es auch als Konsequenz unseres Mißtrauens und unserer Grenzüberschreitungen, wenn sie nun  beschreiben, wie unsere Erde und unser Leben  von Leid und Mühsal, Kampf und  Feindschaft geprägt ist  - wobei sie das zur damaligen Zeit jeweils Typische für die beiden Geschlechter betonen. Bei der Frau sind das Schwangerschaft und Geburt und sexuelle Beherrschung  durch den Mann. Bei ihm, dem   Hirten und Ackermann ist es die Arbeit voller schweisstreibender Mühsal und Plage, mit oft nur kargen Erträgen und überall wucherndem Unkraut, Widrigkeiten und Mißerfolg (und das gilt ja auch  für  jenen demnächst in Pension gehenden Ackermann, der für seine

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Schwerstarbeit bei der Deutschen Bank jährlich ca. 11 Millionen bekommt).

 

Wir Menschen versuchen seit jeher, mit oft unglaublichem Fleiss, Hartnäckigkeit und  

Wagemut, all dieses Unkraut und  Dornen, Schmerzen und Schweiss zu vermindern, durch alle möglichen Hilfsmittel· bis hin zu Atomkraftwerken – und doch, es bleibt das Fazit, das der 90. Psalm von unserm Leben zieht: Und wenn es köstlich ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen, denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon. Bis wir dann wieder zu Erde werden, von der wir genommen sind.

 

Und nun ist ja zusätzlich zu unserer unstillbaren Neugier, unserem unersättlichen Drang zu erkennen  und  Grenzen zu überschreiten auch noch die Sehnsucht nach ewigem Leben in uns, der Trieb, die Grenze des Todes möglichst weit hinauszuschieben, die Falten und  Runzeln des Alters mit anti aging Salben und  - perverses Wort - „Schönheitsoperationen“ zu vertuschen, das Sterben zu verdrängen aus Öffentlichkeit und Bewusstsein, ja, in uns ist der Drang nach `Grenzen- und  Schwerelosigkeit, nach Überwinden der Grenzen von Raum und  Zeit, nach ewigem Leben, um auch darin wie Gott zu sein ...aber das ist uns verwehrt.

 

IV

 

Oder doch nicht? Das Neue Testament sagt uns nun hierzu etwas ganz Unerwartetes und Unkonsequentes, nämlich: Gott lässt uns nicht in diesem Leben jenseits von Eden, diesem Leben mit Neid und Hass, Mord und  Totschlag, Hoch hinauswollen und babylonische Türme bauen, sondern er kommt noch einmal zu uns, kommt zu uns in unser Versteck, in unsere Ausweglosigkeit und Verlorenheit, wird einer wie wir und schenkt uns ewiges Leben, Leben in seiner Nähe, Leben in vertrautem Gespräch mit ihm und in der Freude an der Fülle seiner Gaben.    

 

Zu Weihnachten singen wir ja: Heut schliesst er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub  steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis. Das heisst doch: Gott hat uns  durch Jesus den verschlossenen Zugang zu paradiesischem Leben wieder geöffnet. Zu einem Leben in Vertrauen zu ihm und – durch die Liebe – auch zueinander, zu einem Leben, in  dem wir gern auf die guten Gebote Gottes hören, weil wir merken, wie befreiend sie sind, wenn wir in ihren wohltuenden Grenzen leben; zu einem Leben in Ehrfurcht vor dem Schöpfer und seiner Schöpfung,  so dass wir die Erde mit all ihrer Lebensvielfalt, ihren Früchten und Schätzen nicht nur  bebauen, sondern auch bewahren.  

 

Und in  der jetzt beginnenden Passionszeit und am Karfreitag hören wir ja noch mehr, nämlich: Gott, auf den wir die Schuld abschieben, hat sich in der Tat zum Sündenbock machen  lassen,  hat unsere Schuld auf sich genommen und die Strafe,die wir verdient hätten, selbst  getragen. Gott ruft uns weiter zur Verantwortung, aber er verurteilt uns nicht mehr. Wir brauchen uns  vor ihm nicht mehr zu verstecken, sondern dürfen und können uns vor ihm so nackt und bloss zeigen, wie wir sind, unsere täglichen Dummheiten und Fehler vor ihm aussprechen und, spüren, wie er uns, statt uns auszuschimpfen,  liebevoll in die Arme nimmt.

 

Noch gehören Mühsal und  Leid zum Leben in unserer Welt und doch dringen in all das hinein und  strömen überall hin die Kräfte des Erlösers: Er kann Menschen trösten, hat er doch selber Schmerzen und Leid getragen und die Warum-Frage qualvoll

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herausgeschrien, er kann seelische Verkrampfungen lösen, Schmerzen lindern und Wunden heilen – und gebraucht dazu auch Hebammen und behutsame Zahnärzte, Palliativmediziner und Christen mit der Gabe der Heilung. Und auch in der Wissenschaft gibt es – neben allem Forschen, das militärischen und Profitinteressen dient und sich

wenig um die Verantwortung für künftige Generationen schert -  doch auch zahllose Projekte, die  Gerechtigkeit fördern, dem Frieden dienen und Liebe wecken.    

 

Und was ist mit der Einflüssen und Mächten der Verführung und des Bösen? Gleich werden wir mit einem Osterlied Paul Gerhards singen: Wie sträubte sich die alte Schlang,

als Christus mit ihr kämpfte,/mit List und  Macht sie auf ihn drang und dennoch er sie dämpfte,/ob sie ihn in die Ferse sticht, so sieget sie doch darum nicht,/ der Kopf ist ihr zertreten. ...Noch ist das Böse, Verführerische da, aber Jesus kann unseren Verstand so erleuchten, dass wir – wenigstens hin und wieder – die Tarnungen des Versuchers durchschauen und der Lüge nicht mehr auf den Leim gehen.

 

Und alles in allem: Gott hat uns die Garantie gegeben, dass am Ziel nur noch Licht und alles im Licht sein wird und es so sein wird, wie es die Schriftstellerin Marieluise Kaschnitz in einem Gedicht sagt:

 

Glauben Sie, fragte man mich,

an ein Leben nach dem Tode?

Und ich antwortete: Ja.

Aber dann wusste ich keine Auskunft zu geben,

wie dass aussehen sollte dort.

Ich wusste nur eins:

Keine Hierarchie auf goldenen Stühlen sitzend,

kein Niedersturz verdammter Seelen.

 

Nur Liebe, freigewordene,

niemals aufgezehrte, mich überflutend.

Mehr also, fragen die Frager,

erwarten sie nicht nach dem Tode?

Und ich antworte:

Weniger nicht.

 

Amen.