Predigt über 1. Mose 50, 15 - 21, 4. Sonntag nach Trinitatis, 1. Juli 2007, Tersteegenkirche Düsseldorf


Lieder:


Mein erst Gefühl...451, 1-5

O Gott du frommer Gott...495, 1 - 6

Befiehl du deine Wege...361, 1.2.5 -7

Mein erst Gefühl...451, 5 - 10


Psalm 42 (Nr. 722)


Lesung: Römer 14, 7 - 13



Liebe Gemeinde!


Der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene alttestamentliche Predigttext steht im 1. Mosebuch Kapitel 50; er ist das Ende der Erzählung von Josef und seinen Brüdern. Manche von Ihnen werden als Kinder schon diese Geschichte gehört, auch auf Bildern gesehen haben. Das ist ja eine Geschichte, äusserst spannend, meisterhaft erzählt, sie zeigt uns die Abgründe der menschlichen Seele und die Kompliziertheit menschlicher Beziehungen, all das, was es auch heutzutage in Familien und andern Beziehungen gibt; vor allem aber zeigt sie uns, wie Gott in und trotz unserer menschlichen Irrungen und Wirrungen unser Leben nach seinen Plänen führt. "Was er sich vorgenommen und was er haben will, das muss doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel", wie wir gleich nach der Predigt mit Paul Gerhardt singen werden. Ich erzähle in grossen Zügen nach, was vor unserem Predigttext geschildert wird.


Jakob hat, wie Sie wissen, zwei Ehefrauen, die eher ungeliebte Lea und die heissgeliebte Rahel. Lea bekommt eine ganze Reihe von Kindern, Rahel bleibt lange kinderlos, bis sie dann Josef zur Welt bringt und später dann noch den Benjamin, bei dessen Geburt sie in der Nähe von Bethlehem stirbt. Und diesen Josef bevorzugt Jakob. Entsprechend redet der Josef auch überheblich und prahlerisch vor seinen Brüdern, die ärgert das, sie werden neidisch, eifersüchtig, beginnen Josef zu hassen. Das kennen wir: "Mutti, die bevorzugst du immer...Und ich: an mich denkst du garnicht...".


Sie wollen den Josef weghaben. Ihn umzubringen, davor scheuen sie sich dann doch. Stattdesssen werfen sie ihn in eine Grube. Soll er verdursten.


Aber Josef hat Glück. Anders ausgedrückt: Gott bewahrt ihn. Nach knapp drei Tagen entdecken ihn Kaufleute, die in einer Karawane vorbeiziehen. Sie nehmen ihn mit, verkaufen ihn in Ägypten als Sklaven.


In der Familie zu Hause aber frisst das Böse weiter. "Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend Böses muss gebären",wie Schiller das formuliert hat. Die Brüder suchen ihre Untat zu vertuschen, lügen etwas daher von einem wilden Tier, das den Josef zerrissen und gefressen habe, zeigen den von ihnen mit Blut getränkten bunten Rock, den der Vater eigenhändig dem Josef genäht hatte. Die von ihnen ersehnte Liebe des Vaters gewinnen sie aber nicht, stattdessen versinkt Jakob in Trauer. Und: Weder ihm noch

einander können sie noch gerade in die Augen sehen.


In Ägypten aber beginnt der märchenhafte Aufstieg des Josef. Aufgrund seiner Gabe, Träume deuten zu können und weil er strikt in Vertrauen und Gehorsam gegen Gott und

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seine Gebote bleibt., steigt er auf; wird schliesslich - nächst dem Gottkönig, dem Pharao - zweitmächtigster Mann in Ägypten. Er heiratet mit 30 die Tochter des Obersten Priesters; zwei Söhne werden ihm geboren, Ephraim und Manasse, dert erste Name bedeutet übersetzt: Gott hat mich mein Elend vergessen lassen; der zweite: Gott hat mich wachsen lassen im Lande meines Elends.


Zuhause in Kanaan dagegen herrscht bittere Hungersnot. Die Brüder ziehen nach Ägypten, um da Korn zu kaufen. Nur den Jüngsten, den Benjamin, will Jakob nicht mitziehen lassen. Die zehn Brüder dienern vor dem Mächtigen, dem Herrn über die Getreidesilos; tief neigen sie sich vor ihm, Josefs Kindheitstraum von den Garben, die sich vor seiner neigen, erfüllt sich. Josef erkennt sie, gibt sich ihnen aber aus gutem Grund nicht zu erkennen. Stattdessen fasst er sie hart an. Sie müssen den Jüngsten, den Benjamin, holen; auf dem Rückweg finden sie den Kaufpreis für das Korn in ihren Getreidesäcken, was ihre Unsicherheit und Angst vermehrt. Schliesslich sind sie innerlich so weit, dass bei ihrer Rückkehr einer von ihnen, nämlich Juda, stellvertretend für alle von ihrer unseligen und unbewältigten Vergangenheit erzählt, er erzählt von Josef, dem verstorbenen Bruder, bleibt aber noch bei der Lüge, ein Tier habe ihn zerrissen.


Und jetzt kann Josef nicht länger an sich halten, laut weint er, er gibt sich den Brüdern zu erkennen und sagt den tiefen Satz: Um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch hergesandt! Also: Damit ihr jetzt Lebensmittel bekommt, damit Gottes Segen auf unserer Familie bleibt - darum hat Gott alles so geschehen lassen!


Und dann lässt er den Vater holen, die Familie erhält fruchtbare Ländereien, alles scheint gut, eitel Friede - und ist es doch nicht.


Der einfache Nomade und Bauer Jakob, inzwischen 130 Jahre alt, segnet den mächtigsten Mann der Welt, den Pharao. Er segnet vor seinem Tod auch die beiden Söhne, die dem Josef geboren wurden. Und er segnet alle seine Söhne. Dann stirbt er - und die Brüder denken: Jetzt kommt die Vergeltung. Das ist ja schonmal so: Solange die Eltern noch leben, da schwelt das nur, was an Unbereinigtem zwischen Geschwistern da ist. Aber dann, wenn sie tot sind, bricht's heraus, alles das, was unausgesprochen, ungelöst war. Da kann's dann zum Bruch kommen, zu offenem Hass und Streit, zu bleibenden Zerwürfnissen.


In den ersten Versen des heutigen Predigttextes heisst es:


Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein, und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben.

Darum liessen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters.


Nicht wahr, das ist eine ganz schön gewundene Rede. Sie versuchen, sich hinter der Autorität des Vaters zu verschanzen. Und: Was sie sagen, ist immer noch unwahrhaftig, im blblischen Text steht nichts davon, dass ihr Vater so etwas gesagt hätte. Und: Sie versuchen, Gott für ihre Zwecke einzuspannnen, so wie Menschen das beim Eid tun, oder gar bei Kriegen, die sie führen, sie bringen Gottes Autorität ins Spiel, indem sie sagen: Wir sind doch wie du Diener des Gottes deines Vaters. Also: dann musst du das doch tun: Vergeben!


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Und hier, liebe Gemeinde, kommt es zum zweiten Mal in der Bibel überhaupt vor (das erste Mal in der Erzählung von Kain und Abel), das Wort: ver-geben. Diese un-erhörte Möglichkeit im menschlichen Zusammenleben.


In allen Weltreligionen geht es immer um Sühne, um Vergeltung, um Buße und Strafe. Nur im biblischen Israel, nur vom Glauben an den Gott Israels her konnte so etwas überhaupt ins Blickfeld menschlicher Möglichkeiten geraten, dass man Schuld auch ver-geben kann. Dass man sie also wie einen Stein vom Herzen des Andern wegnehmen und wegwerfen kann, so dass sie nicht mehr auf ihm lastet. Denn zum Glauben Israels gehörte von Anfang an, von der Wüstenwanderung an: Gott, der Unbegreifliche und Unergründliche, ist ist in seinem innersten Wesen barmherzig und gnädig, geduldig und von grosser Güte (2. Mose 34,6; Psalm 103, 8).


Nur: Man kann Schuld nur ver-geben, sie von ihm wegnehmen, wenn der Schuldige sie auch erkennt und bekennt, sie zugibt und eingesteht. Und das ist offenbar das Schwerste.




Unser Predigttext mündet in die Verse:


Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten.

Und seine Brüder gingen hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte.

Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt?

Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein grosses Volk.

So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.


Ach, diese Brüder; ach wir Menschen. Jetzt kriechen sie vor ihm: "Wir sind deine Knechte", sagen sie zu ihm. So wie der verlorene Sohn unterwürfig zu seinem Vater, der ihm entgegenkommt, sagt: Mache mich zu einem deiner Tagelöhner (Lukas 15, 19).


Und Josef weint zum zweiten Mal. Er weint nicht über seine verkorksten Brüder. Er weint, weil er erschüttert und bewegt ist davon, wie wunderbar Gott geführt und alles gefügt hat.


Leicht hatte Gott es dem Josef ja wahrhaftig nicht gemacht. Was musste er alles aushalten: Da unten in der engen Zisterne, und dann im Gefängnis, und die Sehnsucht nach Zuhause und nach dem Vater... Aber wieviel Segen hatte er auch bekommen: Bewahrung und Erfolg, Macht und Reichtum, Familienglück und hohes Ansehen. Immer war er gerad-linig, im besten Sinne ein-fältig, gottesfürchtig geblieben. Und er erkennt rückblickend:Gott hatte ihn diesen Weg geführt. Mitten in allem Schlamassel konnte er noch nichts von Gottes Führung erkennen. Aber jetzt im Rückblick wohl. So wie der Philosoph Kierkegaard das einmal ausdrückte: Das Leben muss vorwärts gelebt werden - kann aber nur rückwärts verstanden werden. Josef erkennt und spricht es seinen Brüdern gegenüber aus: Ihr gedachtet es böse zu machen, aber Gott hat das alles benutzt und zum Guten gewendet. Wo ich von ihm so unverdient reich beschenkt worden bin - wie könnte ich euch noch vergelten, wie ihr's eigentlich verdient hättet?


Hier sehen wir, wie Vergebung überhaupt nur möglich wird.


Erstens: Sie kann nur geschehen, wo ein Mensch Schuld einsieht und sie unumwunden

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ausspricht.


Weiter: Sie ist nur dann möglich, wenn einer zuerst den Blick auf Gott richtet. Auf seine Führung, seine Treue, sein Erbarmen. Auf den Gott, der die Sünde straft und den Sünder liebt. Dann können auch wir die Schuld, die einer uns gegenüber eingesteht, von ihm nehmen, ihn ent-lasten und können sie Jesus geben, können sie auf die Schultern des Gekreuzigten legen .


"Ich will für euch und eure Kinder sorgen", sagt Josef noch. Zur Vergebung gehört die Fürsorge. Zur Seelsorge gehört die Leibsorge.


Nun ist Friede geworden.


Dieser Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.