Gottesdienst am Sonntag Misericordias Domini,

dem Sonntag vom Guten Hirten,   10. April 2005

 

Lieder:

 

Nun jauchzt dem Herren alle Welt...288, 1-5

Mit Freuden zart...108

Der Herr ist mein getreuer Hirt...612

Warum sollt ich mich denn grämen...370, 1o - 12

 

Psalm 23 (Nr. 710, S. 1144f.))

 

Lesung: Johannes 10, 11-16

            Als Hallelujaruf: Der Herr ist auferstanden...118

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus

 

Liebe Gemeinde,

 

der heutige Predigttext ist aus dem 1. Petrusbrief.

 

Du bist Petrus“ – so steht es in riesigen  Lettern an der Kuppel des Petersdoms – und der Tod des nach katholischer Zählung 264. Nachfolgers auf dem Stuhl Petri, der war ja in  der vergangenen Woche das Hauptthema in den Medien der ganzen Welt. Wir sahen die Bilder von Millionen von Menschen in polnischen Großstädten, vor allem aber in Rom: Betend und anbetend, singend und trauernd. Wir erlebten mit, wie ein  Menschen mit großen Verdiensten und persönlich höchst glaubwürdig als Christ, aber eben doch ein Sünder wie wir, von anderen Menschen geradezu in den Himmel gehoben wurde. Wir erlebten das faszinierende Schaupiel, daß die Machthaber aus den meisten Ländern der Erde zu seinem Abschied, an seinem Sarge  zusammenkamen. Wir sahen Rituale, Zeremonien und Liturgien geprägt von einer grandiosen  Mischung aus religiösen, heidnischen und christlichen Elementen. Wir erlebten die katholische Kirche in  all ihrem Glanz, ihrer Macht - und ihrer Fragwürdigkeit von den Maßstäben des Evangeliums her. 

 

Jemand hat einmal  - sicher holzschnittartig-vereinfachend - gesagt: Im Katholizismus rangiert allem voran die Kirche, letztlich verkörpert im Papst, und  erst danach kommt Jesus Christus. Er hat  der Kirche zu dienen. Im Protestantismus kommt zuerst Jesus Christus. Ihm hat die Kirche nachzufolgen.

 

Auch der heutige Predigttext richtet unseren Blick ganz auf Jesus Christus, den einzig guten Hirten der Christenheit, ja der ganzen Menschheit.

 

Ich lese aus 1.Petrus 2 die Verse 21b-25 :

 

Dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen;

er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand;

der nicht widerschmähte, als er geschmäht wurde, nicht drohte, als er litt, er stellte es aber dem anheim, der gerecht richtet;

 

2

 

der unsre Sünde selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.

Denn ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Einen Bibeltext „betrachten“ – das ist eine schöne Redewendung. Mag sein, daß sie noch aus dem Mittelalter stammt, wo man Bibeltexte ja wortwörtlich betrachtete.

 

Kaum einer konnte ja damals schreiben oder lesen und so malten oder schnitzten die Künstler die biblischen  Erzählungen und Geschehnisse, so daß das Volk sie betrachten konnte und so die Bibel kennenlernte. Der Unkenntnis im Lesen verdanken wir also die herrlichsten Kunstwerke. So hat alles sein Gutes.

 

Auch der heutige Predigttext lädt uns zur „Betrachtung“ ein. Er ermuntert uns dazu, uns Jesus in Bildern – ohne Rahmen drumherum – vor Augen zu malen, indem er uns sagt:  Ein Vorbild hat Christus uns hinterlassen. Ein Vorbild – nehmen wir dies Wort im buchstäblichen Sinn: Ein Bild, das vor uns steht. Genauer gesagt sind es drei Bilder von Christus, die ich in diesem Text sehe:

 

-            Christus als der Lehrer, der Prediger der Wahrheit

-            Christus als der Heiland

-            Christus als der Hirte.

                                                                        I

 

Christus als der Prediger der Wahrheit: „Er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand“. Jesus der Sündlose, in Vollmacht den Willen Gottes, die Wahrheit, das Leben  verkündigend. Jesus der Bergprediger, auf einer Anhöhe nahe des Sees Genezareth, vor ihm Frauen, Männer, Kinder, im engsten Kreis um ihn geschart die Jünger – alle hören mit größter Aufmerksamkeit, staunend und manchmal fassungslos, ganz überwältigt, zu:

 

Selig sind die Sanftmütigen, sie werden das Erdreich besitzen.

 

Selig, die reines Herzens sind: Sie werden Gott schauen.

 

Ihr sollt dem Bösen nicht mit gleicher Münze heimzahlen. Im Gegenteil:  Betet für eure Feinde, tut ihnen Gutes. Denn auch  euer Vater im Himmel läßt

seine Sonne ja aufgehen über Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte wie Ungerechte.

 

Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld. Beide beanspruchen euch ganz. Ich sage euch:  Macht euch nicht unnötig Sorgen, setzt euch vor allem ein für Gottes Reich und  seine Gerechtigkeit. Ihr werdet darüber merken, Gott sorgt wunderbar für euch, ihr kommt keinesfalls  zu kurz im Leben..(Matth. 5/Matth. 6).

 

3

 

Und später im  Matthäusevangelium  (Kap. 23, 8f.) sagt er: Ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen, denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder und Schwestern. Und Ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist.

 

                                                                        II

 

Und nun das zweite große Bild: ungfernde speiust., einen Jesus als Heiland. Wir sehen etwa dieses Bild von  ihm: Ein Aussätziger bahnt sich den Weg durch die Menge, sie weichen zurück, voller Entsetzen und  Abscheu – und er, er berührt ihn, diese ekelerregende, abstoßende Gestalt, er berührt ihn liebevoll: Sei gesund, dein Glaube hat dir geholfen.

 

Und dann, später: Wir sehen ihn, gefangengenommen, mit Stricken gebunden, er wird verhöhnt und verspottet als König, sie legen ihm einen Purpurmantel um und drücken ihm eine Dornenkrone auf  den Kopf, sie schlagen ihn, so daß er – von Striemen übersät – blutet.  Wir sehen mit an, wie sie ihn an das Kreuzholz nageln und das Kreuz aufrichten, wie er da hängt, zwischen zwei Mördern.

 

Und wir stehen unten am Kreuz und können seine Augen sehen: Tiefes Leiden ist darin, aber es ist: Mit-Leiden, Mitleid mit denen, die ihren Selbsthaß, ihren Unfrieden mit sich selbst an ihm auslassen... 

 

Wir sehen Mitleid,  und: Liebe. Liebe zu denen, die ihn hassen. Liebe zu denen, die ihn höhnisch auffordern, doch vom Kreuz herunterzusteigen. Und ich höre, wie er für alle bittet: Vater, vergib ihnen, sie wissen ja nicht, was sie tun... Und ich erkenne ihn – den Heiland. Den Erlöser, der von Schuld befreit, der den Teufel, den Verführer und Verwirrer, entlarvt, der die Endgültigkeit und Allmacht des Todes überwindet; den,  von dem Petrus hier die herrlichen Worte sagt: „Er hat unsere Sünde selbst hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben.“  

 

Er sagt uns damit: Gott sieht nicht mehr auf deine Sünde, auf all das Böse und Gottlose und Häßliche in dir und deiner Vergangenheit. Das hängt für ihn am Kreuzholz Christi.  Dich sieht er stattdessen als sein geliebtes Kind an, du bist in seinen Augen gerecht und gut!  Und nun  kannst du dementsprechend leben! Kannst zu anderen Menschen sein, wie Gott zu dir ist!  Das ist das Evangelium, das tiefste Freude und  Dankbarkeit auslöst, höchstmögliche Freiheit schenkt – das wir zu verkündigen haben und das wir nicht durch Vorschriften, Gebote und Bedingungen einengen und  verdunkeln dürfen. Das Evangelium von der bedingungslosen Liebe Gottes, die er durch Christus jedem Menschen anbietet.

 

                                                                        III

 

Und dazu stellt uns Petrus nun ein drittes Bild von Jesus vor Augen: Jesus der gute Hirte.

 

 

4

 

Wir sehen nun gleichsam die ganze Menschheit, die Völker wie eine unermeßliche Herde von Schafen, sie neiden einander das Futter, stoßen sich gegenseitig weg,

jedes dieser Schafe ist so, wie es im Gottesknechtslied Jesaja 53 gesagt wird: Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen  Weg: Jeder sieht auf seinen Weg, seinen Vorteil, seine Durchsetzungskraft. Und zum Bild dieser Herden gehört, daß sie Hirten brauchen, Führer, die ihnen Orientierung geben, die für sie Vorbilder sind, denen sie willig folgen. Und so ist das ja auch bei uns, daß Jung und Alt Idolen, Führern, Vorbildern und  Leithammeln folgen, derzeit vorrangig aus der Glitzerwelt der Medien, der Vergnügungsindustrie. Und – ein ganz anderer Bereich -  auch die Heiligenverehrung in  der katholischen Kirche hat hier eine große Bedeutung und  auch der Papst erfüllte ja offenbar diese urreligiöse Sehnsucht nach einem, den man verehren und anbeten kann, der wie ein Übervater ist.   

 

Aber unser Text und mit ihm das ganze Neue Testament sagt: In dieser unermeßlichen Menschheitsherde gibt es nur einen, einen einzigen wahren und  guten  Hirten, und  der ruft in die Völkerwelt hinein: Kommt her zu mir alle, die ihr  mühselig und beladen seid , ich führe euch auf gute Weide, an klares frisches Quellwasser (vgl. Matth.11,28).

 

Und – um das Bild weiterzumalen: Aus den Herden der Völker der Erde lösen sich hier einige, da einige, die der Stimme dieses Hirten folgen; des Hirten, der hier im Text genannt wird: Bischof unsrer  Seelen.  Er, nur er allein ein Bischof. 

 

Das griechische Wort für Bischof, episkopos, heißt übersetzt: Aufseher, einer, der umsichtig Aufsicht führt, einer, der wacht, wenn wir schlafen, einer, der gut führt, einer, der für unsere Seele sorgt. Menschen können das letztlich nicht, darum braucht die evangelische Kirche keine Priester-, Bischofs-, Heiligenverehrung, sie maßt sich nicht an, bestimmte Menschen heilig oder gar selig sprechen zu können, weil sie weiß: Wir sind eine Gemeinde von  Brüdern und  Schwestern, alle in gleicher Weise ohne ihr Verdienst, allein  um des Verdienstes Christi willen von Gott

heilig und  selig gesprochen.

 

 

Christus hat uns ein Vorbild hinterlassen, daß wir sollen nachfolgen seinen Fußstapfen, schreibt Petrus. 

 

Wir Christen in aller Welt, wir Christen aller Konfessionen sollen uns immer wieder Christus allein vor Augen stellen:

 

-             Christus den vollmächtigen Verkünder der Wahrheit;

 

-             Christus, den Heiland und  Retter am Kreuz 

 

-             Christus, der allein der gute Hirte ist und uns in die Gemeinschaft der Gemeinde führt. Der uns im Heiligen Mahl sättigt und der niemanden, der zu ihm kommen will, von diesem Mahl ausschließt.

 

Seinem Vor-Bild folgen, darin liegt unerschöpflich viel Freiheit, Freude und Lebensfülle. Amen.