Predigt am Ostersonntag, 23.4.2000

über 1. Samuel 2, 1 – 8a  (Pfarrer Martin Quaas)

 

Liebe Gemeinde!

 

Wozu sind wir Menschen auf der Welt?

 

Die Älteren haben noch übereinstimmend gesagt: Man lebt, um zu arbeiten. „Arbeit macht das Leben süß“, wie die alte Spruchweisheit lautet. Im Augenblick scheint das Meinungspendel allerdings eher ins Gegenteil umgeschlagen zu sein: Man lebt, um möglichst viel Spaß zu haben. Was sagt die Bibel? Sie ist eindeutig der Auffassung: „Gott loben, das ist unser Amt“ wie es in einem Gesangbuchvers heißt. Wir sind dazu da, um durch unser Verhalten, unser Reden und Singen Gott zu loben – oder aber, das ist die Kehrseite des Lobens – ihm in der Klage unser Herz auszuschütten.

 

Loben – das ist geäußerte, ausgesprochene Liebe. In dem für das heutige Osterfest vorgeschlagenen Predigttext lobt eine Frau namens Hanna Gott aus vollem Herzen. Sie hat einen konkreten Anlaß für ihr Lob: Sie hat neues Leben zur Welt gebracht! Sie hat – nach langem, langem Warten und Sehnen -  ein Kind bekommen: den Samuel.    

 

Und nun stimmt sie einen herrlichen Lobgesang an. In 1. Samuel 2, in den Versen

1 – 8 ist er überliefert:

 

Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn, mein Haupt ist erhöht in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils.

 

Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist.                                                        

 

Laßt euer großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der Herr ist ein Gott, der es merkt und von ihm werden Taten gewogen.

 

Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.

 

Die da satt waren, müssen um Brot dienen, und die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin

 

Der Herr tötet und macht lebendig, führt hinab zu den Toten und wieder hinauf.

 

Der Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht.

 

Er hebt den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, daß er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse.

 

 

 

2

 

Nicht wahr, wir können spüren: Hanna ist ganz überwältigt vor Staunen und Freude. Sie lobt Gott in überschwenglichen und zugleich sehr tiefsinnigen und – radikalen! Worten. Gott hat etwas für sie getan, was nach Menschenermessen kaum möglich schien.

 

Im Kapitel vor unserem Text – einem der Glanzstücke biblischer Erzählkunst – hören wir davon, wie Hanna sich jahrelang grämte. Sie weint oft, will nichts essen. Denn, wie der Erzähler formuliert, „Gott hatte ihren Schoß verschlossen“. (1,6).

 

Frauen, die keine Kinder bekamen, wurden - und werden im Orient bis heute – oft verstoßen, mindestens bekommen sie Verachtung zu spüren. Und Pennina, die zweite Frau ihres Ehemannes Elkana, tut das auch ausgiebig, sie kränkt und reizt die arme Hanna. Anders allerdings Elkana selbst. Er versucht sie zu trösten: Sieh, du hast doch mich. Bin ich dir denn nicht mehr wert als viele Kinder? Aber das ist für Hanna kein Trost. Sie sehnt sich danach, Gott möge sie durch ein Kind beglücken und ehren. Und sie betet beharrlich darum. Und schließlich erhört Gott sie! Er verwandelt ihren Kummer in Freude, ihre Klage in Lob. Hanna hat neues Leben zur Welt gebracht, und ihr eigenes Leben wird darüber neu: „Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn...Ich freue mich, ich freue mich deines Heiles...“, so sprudelt es aus ihr hervor.

 

                                                                         II

 

1000 Jahre später. Gott tut etwas nach Menschenmaßstäben absolut Unmögliches.

 

Wiederum Frauen in tiefer Betrübnis. Auch sie weinen vielleicht, während sie zu einem verschlossenen Grab hingehen. Düster ist es in ihnen, während sie den Weg im Dunkeln suchen. Und vor ihre inneren Augen treten Bilder: Wie man Jesus gefoltert hatte, ihn bespuckt hatte. Sie denken an die Striemen und vielen Wunden auf seinem Körper. Sie haben die höhnenden Worte der Priester und Gelehrten im Ohr: „Komm doch runter vom Kreuz. Du kannst doch Wunder tun! Andern hast du immer geholfen. Jetzt hilf dir doch mal selber!“ Sie hören noch, wie Jesus laut schrie, bevor er starb. Von fern hatten sie mit angesehen, wie man seinen Leichnam immerhin abgenommen und in ein Grab gelegt hatte. Nun wollen sie dorthin, um ihn einzubalsamieren.

 

Da beginnt strahlend die Sonne aufzugehen. Sie sehen das vermutlich nicht. In ihren Herzen ist weiter Nacht. In ihnen ist alles  wie tot. Gott loben? Kein Gedanke daran. Jede Kraft zum Lob Gottes ist in ihnen erstorben. „Im Tode lobt man dich nicht“, wie es in manchen Psalmen heißt.

 

Die Frauen gehen zum Grab, wie vielleicht einer von Ihnen zum Grab eines Menschen  geht, der zu seinem Leben gehörte. Man sucht seine Nähe, spricht vielleicht zu ihm hin – aber man weiß, man wird keine Antwort mehr bekommen.

 

Die Frauen gehen zum Grab und sehen: Es ist offen! Sie gehen in die Grabhöhle hinein und sehen statt eines Leichnams -  einen Engel, einen Boten der himmlischen Welt! Sie werden von Furcht und Entsetzen gepackt. Aber sie hören: Fürchtet euch nicht! Der, den ihr sucht, der ist nicht mehr hier. Er wird vor euch hergehen...

3

 

In Galiläa, bei denen am Rande, bei denen unten wird er euch wieder begegnen...

 

 

Die Frauen erkennen – und später sprechen es alle Zeugen des Neuen Testaments auf vielfältige Weise aus: Gott hat hier etwas getan, was nach Menschenmaßstäben schlichtweg unmöglich ist. Er hat dem toten Jesus sein eigenes göttliches Leben eingehaucht. Er hat an Jesus das getan, was Hanna gesungen hatte:

 

Der Herr tötet und macht lebendig,

er führt in die Hölle und wieder heraus.

Der Herr macht arm und macht reich,

er erniedrigt und erhöht...

Er erhebt den Dürftigen aus dem Staub...

und läßt ihn den  Thron der Ehre erben.

 

All dies hat Gott zu Ostern an Jesus getan.

 

Und hat dadurch alles neu gemacht, in dreierlei Weise.                                                                                    

 

                                                                        III

 

1.      Der Tod ist nicht mehr, was er war. Nun können wir sicher davon nicht

so überschwenglich sprechen, wie es manche Osterlieder tun. Denn: der Tod eines lieben Menschen gehört weiterhin sicher zum Schrecklichsten, was es gibt. Und: Wir müssen weiterhin sterben, und wir wissen nicht, wie das Sterben bei uns sein wird. Aber: Ostern sagt uns das absolut Unbegreifliche: Gottes Beziehung zu uns endet nicht mehr im Tod. Gott erhebt uns aus dem Staub, ruft uns heraus aus dem Tod. Wer das anzweifeln würde, würde zu gering denken von Gottes Schöpfer- und Liebesmacht. Gott „läßt uns den Thron der Ehre erben“, wie Hanna sang, er ruft uns vor seinen Thron, dorthin, wo das ewige Gotteslob erklingt.

 

Und darum – zweitens -  braucht nun auch bei christlichen Trauerfeiern das Lob Gottes nicht mehr zu verstummen. Auch hier, liebe Gemeinde, kann man nur sehr behutsam formulieren. Manchmal kann man hier wirklich nur klagen – wenn man nicht ganz verstummt. Und doch, ich habe oft auch in unserer Gemeinde erlebt, wie das geschehen ist, was der Schweizer Dichter Kurt Marti in einem seiner Gedichte eine Frau sagen läßt:

 

wenn ich gestorben bin

hat sie gewünscht

feiert nicht mich und auch nicht den Tod

feiert DEN

der ein Gott von Lebendigen ist

...singt Lobgesänge.

 

Auch trauernde und ganz verzagte Menschen können nun Zuversicht schöpfen aus den Worten der Hanna:

 

4

 

Gott tötet und kann in die Hölle führen – aber auch wieder da heraus! Gott kann das Leben sehr arm machen, aber auch, in neuer Weise, wieder reich. Witwen, Witwern,

auch in unserer Gemeinde, kann Gott in Trauer und Leid doch einen neuen Lebensauftrag, neue Aufgaben, neue Freude finden lassen.

 

Und drittens – und hier schlägt mein ganzes Herz, das finde ich fast die wichtigste Konsequenz des Ostergeschehens -: Seit Ostern gilt das, was Hanna gesungen hat:

 

Der Bogen der Starken ist zerbrochen

und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke.

Die da satt waren, müssen um Brot dienen,

und die Hunger litten, hungert nicht mehr...

 

Gott hat seit Ostern die Rangordnungen und Werte der Welt umgekehrt. In den  Schwachen ist seine Kraft mächtig, die Hungrigen füllt er mit Gutem, aber die in sich selbst Starken läßt er leer ausgehen. Denn, nicht wahr, wer satt ist und skeptisch gegenüber der Osterbotschaft und sich vor ihr verschließt, der wird von der Osterwahrheit nichts erkennen und die Osterfreude nicht erfahren können. Aber für alle Bedrückten, Verzagten, Bedürftigen und Armen ist Ostern ein ganz wundervolles Fest. Ihnen wird klar zugesagt: Die Handlanger des Todes, die Gewalttäter und Habgierigen – die werden nicht das letzte Wort haben. Das letzte Wort behält Jesus. Er ist der Sieger, und wer auf seiner Seite lebt, lebt auf der Seite des Siegers.  Und wo finden wir ihn? Er ist auf seiten der Schwachen, um sie stark zu machen, auf seiten der Armen, um sie reich zu machen.

 

Um noch einmal Kurt Marti zu zitieren:

 

Das könnte den Herren der Welt ja so passen,

wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme,

erst dann die Herrschaft der Herren,

erst dann die Knechtschaft der Knechte

beseitigt wäre für immer.

 

Doch ist der Befreier vom Tod ja erstanden,

ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle

zur Auferstehung auf Erden,

zum Aufstand gegen die Herren,

die mit dem Tod uns regieren...

 

 

Ostern: Eine unerhörte Botschaft -  gegen die Realität, gegen den Augenschein. Und doch – wie es Bonhoeffer formulierte: Wer Ostern kennt, kann nicht mehr verzweifeln. Wer mit dem lebendigen Jesus unterwegs bleibt, der kann dann, sehr bruchstückhaft und immer wieder von Sünde überlagert, doch schon in Wort und Tat dem Lobe Gottes dienen. Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen

 




Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.