Gottesdienst am Sonntag Estomihi, 22. Februar 2004

 

Lieder:

 

Aus meines Herzens Grunde...443, 1 - 4

Lasset uns mit Jesus ziehen...384

Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt...413

Ich will dich lieben, meine Stärke...400, 4 – 6

 

Psalm 31 i.A. (Nr.715.1)

 

Lesung: Amos 5, 21 - 24

 

Der für diesen Sonntag vorgeschlagene Predigttext ist das sog. „Hohelied der Liebe“, 1. Korinther 13.

 

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und  hätte die Liebe nicht,  so wäre ich nur ein tönendes Erz oder eine blecherne Schelle.

Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und hätte alle Erkenntnis und allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und  hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dem Feuertod preisgäbe, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.

 

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht  Mutwillen, sie bläht sich nicht auf,

sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit;

sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie hält allem stand.

 

Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.

Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.

Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.

Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und  dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber erwachsen wurde, tat ich ab, was kindisch war.

Wir sehen jetzt in einem Spiegel: ein Rätselbild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich so erkennen, wie ich von Gott erkannt bin.

Bis dahin aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die grösste unter ihnen.

 

Ein Theologe, liebe Gemeinde, hat einmal begeistert geschrieben: Diese  Verse, diese drei Liedstrophen - sie sind der schönste Text der Weltliteratur überhaupt! 

 

 

 

2

 

Paulus hat bei dem, was er hier in so herrlichen Worten von der Liebe sagt, Jesus vor Augen: Da bei ihm – letzten Endes an seinem Leiden und Kreuzestod - hat er die Liebe erkannt, die nicht das Ihre sucht, sondern ganz für uns da ist, die sich nicht erbittern lässt und Böses nicht zurechnet,  die alles erträgt und nicht aufhört, an uns zu glauben, auf uns zu hoffen, für uns zu bitten, die Liebe, die niemals aufhört...

 

Von dieser Liebe Jesu soll euer Umgang miteinander gesprägt sein, sagt er der Gemeinde in Korinth und  uns hier. Und er schärft uns in der ersten Strophe seines Lobgesanges ein: Ohne solche Liebe ist alles nichts.

                                                                       

I

 

In den beiden Kapiteln vorher und nachher in seinem 1. Brief an die Korinther – da hören wir von ihm Einiges über die grossartigen Gaben und Fähigkeiten der Gemeindeglieder dort, und auch in unserm Text – besonders in der 1. Strophe -spricht er davon: Dort in Korinth gab es die Gabe der Glossolalie, des „Zungenredens“, des Redens „in Engelszungen“, wie Paulus das hier nennt: Ein Reden ganz erfüllt vom Heiligen Geist, ein ganz unmittelbares gleichsam vor-sprachliches, oft in Verzückung geschehendes Beten zu Gott: Eine Gabe, die übrigens auch Paulus zuzeiten hatte und die in vielen Gruppen der Weltchristenheit – auch etwa den Pfingstkirchen oder charismatischen Bewegungen bei uns hier - geübt wird. Und er sagt: Wenn Menschen nicht von Liebe erfüllt sind, ist diese Gabe nichts wert.

 

Es gab das „prophetische Reden“, ein  vollmächtig-geisterfülltes Verkündigen des Wortes und Willens Gottes. Es gab, was Paulus hier „Erkenntnis“ nennt, ein tiefes Erkennen der Geheimnisse Gottes, es gab, wie Paulus hier erwähnt, eine grosse Freiheit: Freiheit vom eigenen Besitz, den man freiwillig an die Armen verteilte und  es gab Märtyrertum: Menschen nahmen um des Glaubens willen den Feuertod auf

sich – und Paulus sagt von all diesen eindruckvollen Dingen: Ohne Liebe sind all diese Gaben und Verhaltensweisen ganz unnütz und wertlos.

 

Also: Da ist ein Prediger, der kann glänzend, begeisternd, mitreissend reden – wenn er und seine Worte nicht von Liebe zu Menschen erfüllt sind, ist all sein Reden nichts als Blech.

 

Oder: Erkenntnis der Geheimnisse Gottes und der Geheimnisse der Schöpfung, also Theologie, Forschung, Wissenschaft: Paulus sagt: Wenn all dieses Denken und Forschen nicht in Liebe geschieht, taugt es nichts und ist nichts wert. Wie unglaublich radikal redet Paulus! Und: Wie recht hat er! Wie anders sähe unsere Welt aus, wenn etwa bei uns Christen in Europa und USA Wissenschaft und Forschung nicht aufgrund von Profitstreben oder militärischem Interesse erfolgen würden, wenn ihr Hauptzweck nicht der vermeintliche „Nutzen“ für uns Menschen wäre, sondern wenn Menschen in Ehrfurcht vor Gott und seinen Geheimnissen und in Liebe zu Gott und Menschen und Mitgeschöpfen forschen und erkennen würden. Völlig undenkbar wäre dann vermutlich so etwas wie „Gentechnik“ oder der Missbrauch von Tieren zu

Versuchszwecken für die Kosmetikindustrie.

 

 

3

 

Machmal denke ich: Die Menschheit befindet sich sozusagen noch in einer Phase der Pubertät, und   ich hoffe – obwohl kaum  etwas dafür spricht – wir Menschen 

kommen einmal zu einer erwachsenen, reifen  Weise des Umgangs mit unseren Mitgeschöpfen und der Schöpfung überhaupt: Zu einem nicht mehr aggressiven, sondern von Ehrfurcht, Staunen und Behutsamkeit geprägtem Erkennen und Verhalten, so wie es Jesus sagt: „Selig sind die Sanftmütigen; sie werden das Erdreich besitzen“ (Mt. 5, 5).

 

                                                                        II

 

Aber nun – zweitens - ist das Wort Liebe ja ein äusserst missverständliches Wort. Und  darum: Was meinst du denn, Paulus, wenn du von „Liebe“ sprichst?

 

Und er beschreibt ihr Wesen  in seiner zweiten Strophe: Langmütig ist sie, sie hat eine  langen Atem und einen starken Mut zugleich, Beharrlichkeit ist also sehr kennzeichnend für sie. Dagegend ist sie nie eifernd, also fanatisch-rechthaberisch; sie drängt sich auch keinem Menschen auf. Eitelkeit ist ihr fremd, Prahlerei, Aufgeblasenheit, Geltungssucht hat sie nicht nötig. Behutsam achtet sie darauf, dass ihre Worte niemanden verletzen –und: das vielleicht Schönste und Stärkste an ihr: Sie ist ganz frei von Selbstsucht.- Spätestens hier merken wir: Sie ist vor allem ein Geschenk für uns, eine Gabe für uns, eine Kraftquelle, die uns froh und frei macht.   Von Jesus her,  über dem Befolgen seiner Worte, über dem Gebet zu ihm strömt sie in unser Leben, weckt in uns Vertrauen zu Gott und Menschen und Hoffnung auf Gottes Treue.

 

Das Einübungsfeld für diese Liebe – das sind wir hier in unserer Gemeinde! Und wir wollen jetzt nicht zu klein von uns denken oder zu kleinlaut angesichts der Realität

werden, sondern mit Paulus der Überzeugung sein: Wenn wir versuchen, mit Jesus zu gehen und zu leben, dann  geht und geschieht das, was Paulus hier sagt – gewiss

bruchstückhaft und fragmentarisch  -  so bruchstückhaft und fragmentarisch, wie alles in unserm Leben bleibt - aber es geschieht! Und ich könnte jetzt dutzendweise wunderschöne Beispiele dafür aus unserer Gemeinde erzählen, wo die Liebe wirklich die stärkere Kraft war, stärker als Selbstgerechtigkeit, stärker als Geiz, Bosheit, Hoffnungslosigkeit, Trostlosigkeit, Bequemlichkeit, stärker sogar als die Macht des Todes.

 

                                                                        III

 

Denn sie – so sagt Paulus in der 3. Strophe, in der er seinen Blick sozusagen auf die gesamte Weltgeschichte bis zu ihrer Vollendung richtet – sie, die Liebe, wird allein bleiben, sie allein - mitsamt dem Glauben und der Hoffnung, die aus ihr folgen -  hat bleibenden Wert, gibt dem Leben bleibenden Wert. Sonst bleibt nichts: Keine tiefsinnigen Bücher, die Theologen geschrieben haben, keine Bauwerke, mit denen einer sich ein Denkmal setzen wollte. Auch von unserem ganzen Pastorendasein mit all seinen täglichen Bemühungen bleibt nichts als das, was wir an Glaube, Hoffnung, Liebe empfangen und mitgeteilt haben. Sonst nichts. Aber das doch. Auch hier wieder:  Wie radikal ist Paulus! Das wird abgetan, hört auf, vergeht – so sagt er von  den eindrucksvollen Gaben in der Gemeinde, und  wir können ergänzen: Vergänglich sind, aufhören werden alle Forschungsergebnisse, alle Weltreiche,

4

 

Weltanschauungen, Religionen, Kulturen und  Philosophien – alles entsteht und vergeht wieder, wird vom  Winde verweht, versinkt ins Vergessen und wird wieder Staub – nur dreierlei bleibt in der Weltgeschichte,  bleibt auch von unser aller Leben: der Glaube, die Hoffnung, die Liebe, die Jesus in uns weckt und die er durch uns anderen Menschen mitteilt.

 

 

Bis wann bleibt das? Paulus endet mit einem unfasslichen Ausblick. Hier, sagt er, erkennen wir so wie in einem Spiegel: So wie man sich selbst sah in einem jener damaligen  Kupferspiegel: Sehr verschwommen, sehr undeutlich. Hier, so sagt er, durchschauen wir noch nichts, bleibt uns alles noch völlig rätselhaft, sondern wir spiegeln im Grunde in allem Erkennen  nur uns selbst wider, spiegeln uns selbst in dem, was wir von andern Menschen sagen oder auch von Tieren,  wir „vermenschlichen“  sie – und mit Gott tun wir das auch...Aber einmal: Einmal werden wir durch und durch erkennen, so wie Gott uns jetzt schon durch und durch erkennt, uns durchschaut bis auf den Grund unserer Seele. Dann werden auch Glaube und Hoffnung aufhören, dann werden wir Gott schauen, dann wird nur noch die Liebe sein, die Gott ist. Amen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




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