Gottesdienst am 2. Advent, 6.Dezember 1998 (Pfarrer Martin Quaas)

 

Lieder:

Seht auf und erhebt eure Häupter (21; Wochenspruch)

O Heiland reiß die Himmel auf...(7)

Ihr lieben Christen, freut euch nun...(6)

Wie soll ich dich empfangen...(11, 5 – 7. 9+10)

Psalm: Aus Jesaja 64

Lesung: Jakobus 5, 7 – 8

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

erwarten wir, daß Jesus Christus wiederkommen wird in Glanz und Herrlichkeit?

Immer, wenn diese Hoffnung stark war, war die Kirche lebendig und wirkungsvoll. Immer wenn die Hoffnung auf die Wiederkunft Christi schwach war, war die Kirche lau und angepaßt, mitschwimmend im Strom.

 

Die Predigttexte zum 2. Adventssonntag wecken und stärken in besonderer Weise die Sehnsucht nach dem Kommen Jesu in Herrlichkeit. Der heutige Predigttext handelt nicht von dem Geschehen des Jüngsten Tages selbst, sondern von den Zeichen und „Geburtswehen“, die der Wiederkunft Christi vorausgehen. Ich lese aus Matthäus 24 die Verse 1 – 14:

 

Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels.

 

Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.

 

Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt?

 

Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Seht zu, daß euch nicht jemand verführe.

 

Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen.

 

Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muß so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da.

 

Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort.

 

Das alles aber ist der Anfang der Wehen.

 

Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehaßt werden um meines Namens willen von allen Völkern.

 

2

 

Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen.

 

Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.

 

Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.

 

Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.

 

Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

 

 

Liebe Gemeinde!

 

Jesus geht aus dem Tempel heraus ins Freie. Er geht über den Tempelvorhof. Die Jünger treten zu ihm heran. Stolz weisen sie ihn auf das Tempelgebäude hin: Sieh, diese prachtvollen weißen Steine, diese reiche Goldverzierung, diese mächtigen Mauern und wundervollen Portale!

 

Seit über vierzig Jahren war an diesem Tempel des Herodes  gebaut worden. Noch weitere vierzig Jahre würde man an ihm bauen. Und dann, im Jahre 7o -  kurz nach seiner Fertigstellung –  ist er von den Truppen des römischen Feldherrn Titus zerstört, verbrannt, zertrümmert worden. Noch heute kann man die riesigen   rauchgeschwärzten  und zerborstenen Steine herumliegen sehen.

 

Noch aber, während des Gesprächs zwischen Jesus und seinen Jüngern, erglänzt der Tempel herrlich im Sonnenlicht.

 

Auf Jesus allerdings macht er offenbar nicht den geringsten Eindruck. Seht ihr nicht dies alles? fragt er. Und dann: Ich sage euch – es wird hier nicht ein Stein auf dem

andern bleiben.

 

Den Jüngern muß dieser Satz die Sprache verschlagen haben. Schweigend gehen sie den Tempelberg Zion hinab, durchs Kidrontal, am Garten Gethsemane vorbei, hinauf auf den Ölberg. Sie setzen sich dort, den Tempel nun in größerer Entfernung vor Augen. Und erst jetzt fragen sie Jesus: Wann wird das geschehen? Und dann die ganz umfassende Frage: Welches werden die Zeichen des Weltendes sein?

 

Die Antwort, die Jesus gibt, paßt wahrlich nicht zu traulich – gemütlicher Adventsstimmung. Und ich kann verstehen, wenn einer gedacht hat, als er eben diese Worte hörte: Ja, müssen wir denn auch in der Kirche solche düsteren und furchtbaren Dinge hören?! Das kriegen wir doch zuhauf in den Nachrichten mit, und auch persönlich und in der Familie haben wir doch genug Belastungen zu tragen. Wir wollen doch wenigstens in der Kirche ein wenig Trost finden und froh werden können!

 

3

 

Ja. Aber ich vermute: Jesu Antwort war für die Jünger damals – notwendig. Und auf jeden Fall münden seine Worte in eine wunderbar tröstende Verheißung.

 

Jesus sagt den Jüngern – auch uns heutigen Jüngern – etwas über die Zukunft der Welt und die Zukunft der Kirche.

 

Für die Zukunft der Welt hat er hier nur Katastrophen anzukündigen: Kriege, Hungersnöte, Erdbeben. Und er sagt: Erschreckt nicht. Das muß so geschehen.

 

Das klingt fast unerträglich, und ich kann es nicht hören, ohne zunächst einmal heftig dagegen aufzubegehren: Kriege müssen sein? Ja, sind denn Kriege nicht eindeutig gegen Gottes Willen und Sünde ?  Hat Jesus nicht die Friedensstifter selig gepriesen? Und Hungersnöte: Sind nicht wir Menschen dafür verantwortlich? Ich habe zu Hause ein Buch, in dem nachgewiesen wird: Bei richtiger Verteilung und gutem Umgang mit der Natur könnte die Erde glatt bis zu 3o Milliarden Menschen ernähren!

 

Und doch! Trotz aller Bemühungen: Immer noch schwelt der furchtbare Krieg auf dem Balkan, und was ist im Sudan und am Kongo und und ..! Oder auch: Die Flutkatastrophe in China, und der furchtbare Taifun in Guatemala, Nicaragua, Honduras.. Unsere Geschwister in El Salvador blieben gottlob weitgehend verschont, obwohl auch in unserer Partnergemeinde Mejicanos durch den Sturm viele Dächer von den Häusern abgerissen wurden...All das gibt es: Kriege und Katastrophen, und

ganz unbegreiflich, absolut unergründlich ist Jesu Wort: Das muß geschehen.

 

Gott jedenfalls läßt es zu. Nicht einmal der Herr Christus selbst  im Himmel kann all das Schreckliche und Leidvolle offenbar verhindern. Nur eines weiß und sagt er hier: Diese Katastrophen sind Wehen, Geburtswehen.

 

Und für seine Jünger, für die Christenheit also, hat er  anzukündigen.

 

Falsche Propheten werden auftreten, Menschen werden sich selbst zu Messiassen erklären, Verführung wird in der Kirche um sich greifen und Abfall vom Glauben. Und denen, die es mit dem Glauben ernst meinen, kündigt er gar an: Man wird euch hassen, wird euch verfolgen, möglicherweise töten, ihr werdet tiefen Anfechtungen und schweren Bedrängnissen preisgegeben werden. Und vielleicht werdet ihr nicht einmal inmitten eurer Gemeinden einen Rückhalt finden, denn bei vielen wird die Liebe erkalten. Auch in den Gemeinden wird Kälte von Menschen ausgehen statt Herzenswärme. Und wir müssen sagen: All dies gibt es heute tatsächlich inmitten der Kirche.

 

Aber Jesus sagt auch: Mitten in alledem wird die Verkündigung vom Reiche Gottes weitergehen,  wird das Reich Gottes auf verborgene Weise wachsen und sich ausbreiten bis an die Enden der Erde – und dann wird das Ende kommen.

 

 

 

 

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Jesus macht uns keine Illusionen. Er äußert keine schönklingenden Versprechungen. Er sagt, was ist und was derzeit in der Kirche geschieht. Und er sagt , was sein wird,  ja, sein muß.

 

Er sagt aber auch einen über die Maßen tröstenden Satz , den Satz, auf den all seine Worte zulaufen: Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig werden.  Wer

durchhält, wer bis an sein Lebensende durchhält – der wird gerettet werden, wird selig werden.

 

Jesus verheißt uns Christen, dieser Gemeinde und der ganzen Kirche nicht: Erfolg oder gar Triumphe. Eine triumphierende Kirche, ein Kirche mit Glanz, Pomp und Liebäugeln mit den Machthabern  paßt nicht zu Jesus. Aber er verheißt ihr, daß sie

durchhalten kann und wird. Daß  sie nie untergehen kann bis ans Ziel. Und jedem von uns sagt er: Es lohnt sich für dich, im Glauben durchzuhalten bis ans Ende

 

Beharren, beharrlich sein im Glauben – dazu gehört, finde ich: Täglich Jesu Nähe suchen im Gebet und im Hören auf das Wort der Bibel. Täglich sich von der Liebe Jesu neu beschenken lassen. Das Wort „Gnade“ buchstabieren lernen.  Ein durstiger Mensch bleiben, ein Mensch voller Durst nach Gerechtigkeit und Leben. Im Wissen leben: Jesus ist Sieger. Er wird auf jeden Fall das letzte Wort behalten und das letzte Urteil sprechen über jedes Menschenleben.

 

Wer  aber durchhält bis ans Ende, der wird selig werden.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.




Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.