Gottesdienst am Sonntag Jubilate, 7. Mai 2006

 

Lieder:

 

Mein erst Gefühl sei Preis und Dank...451, 1-4

Hevenu schalom alechem...433

O heilger Geist, kehr bei uns ein...130, 1.2.5-7

Freuet euch der schönen Erde...510

Schalom chaverim...434

Mein erst Gefühl...451, 5 - 10

 

Psalm 92 Nr. 740 S. 1169f.

Schriftesung: Jesaja 40, 26 - 31

           

 

Predigt über 2. Korinther 4, 16-18:

 

Darum werden wir nicht müde, sondern wenn auch unser äusserer Mensch verfällt, so wird doch der innere von ag zu Tag erneuert. Denn unsere Trübsal, die zeitlich und  leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

 

Liebe Gemeinde!

 

Haben Sie schon mal Strom gesehen? Ich meine elektrischen  Strom? Klar, der ist unsichtbar. Aber doch real. Man kann  ihn  spüren. Zum Beispiel, wenn ich mal versuche, in unserer Wohnung eine Lampe aufzuhängen.

 

Noch eine Frage: Haben  Sie schon mal den  Heiligen Geist gesehen?  Klar - auch der ist unsichtbar; wir können ihn ebenso wenig  sehen wie den ewigen Gott selbst. Aber auch der Heilige Geist ist spürbar! Und  wie!

 

Er wirkt so, wie es der Prophet Deuterojesaja einmal in diesem atemberaubend schönen Bild sagt: Männer werden müde und  matt und Jünglinge starucheln und  fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und  nicht matt werden, daß sie wandeln  und  nicht müde werden! (Jes. 40, 31).

 

Diese Kraft Gottes, diesen heiligen Geist meint  der Apostel Paulus, wenn er schreibt: Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch  unser äusserer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Klar, alle werden älter, vielleicht  körperlich schlaffer und schrumpliger, aber der innere Mensch kann Tag für Tag durch die Kraft Gottes erneuert werden, Menschen  bekommen durch ihn neuen Mut, werden getröstet, werden froh...Und nebenbei: Das tut auch dem äusseren Menschen gut, unserem Leib, unserem Körper also. Menschen mit lebendigem Glauben, Menschen, die um  den Geist Gottes bitten und  ihn  als lebendige Kraft in ihrem Leben erfahren, die sind - wie zahlreiche Statistiken  belegen -  auch  körperlich gesunder, leben im Schnitt länger als andere.

 

Nicht müde werden!

 

Ich will einige Beispiel dazu erzählen. 

 

 

 

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                                                                       I

 

Das erste: Einige Verse vor unserem Predigttext schreibt Paulus: "Darum, weil wir dieses Amt haben nach der Barmherzigkeit, die uns  widerfahren ist, werden wir nicht müde!" (Kap.4 Vers 1).  Auch hier wieder:  "...werden wir nicht müde". 

 

Ich las, diesen Vers hat sich ein Mann auf den  Grabstein  setzen lassen, dessen 175.

Geburtstag wir in diesem Jahr begehen. Na? Wer ist es? Eine Hilfe: Die Strasse, an der unsere Kirche liegt, ist nach  ihm benannt.

 

Friedrich von Bodelschwingh, der die bis heute berühmten Betheler Anstalten ausbaute, aber auch sog.  "Arbeiterkolonien" gründete: In der Senne und  östlich von  Berlin in Lobetal, Hoffnungstal, Gnadental, aber auch zum  Beispiel die Mission in Ostafrika ins Leben rief... - ein Mann, der nicht müde wurde , der angespornt wurde  von der Kraft des Glaubens.

 

Die Kraft des Heiligen  Geistes äusserte sich bei ihm in Liebe zu Menschen. "Es geht kein  Mensch über Gottes Erde, den Gott nicht liebt", hat er einmal in einer Predigt gesagt. Und er hat ja diesem Satz entsprechend gelebt und sich verhalten.

 

Geistig oder seelisch Kranke: Von Gott geliebt! Darum sollen sie liebevolle, heilende Pflege und  Betreuung finden. Die von ihm so genannten  "Brüder von  der Landstrasse": Von Gott geliebt! Darum sollen sie in den sog. Arbeiterkolonien"  Möglichkeiten zum Arbeiten finden:  Denn handfeste körperliche Arbeit, bei der man rechtschaffen müde wird, aber auch stolz, weil man sichtbare Erfolge sieht - die verhindert, dass man auf dumme Gedanken kommt und ist ein  gutes auch seelisches Heilmittel. Immer, wenn ich mal enttäuscht oder verzagt oder einfach schlecht drauf war, habe ich die Bibliothek geordnet, oder den Keller aufgeräumt,  oder Gartenarbeit gemacht - das tat gut, man sah, was man getan hatte.  

 

Von Friedrich von  Bodelschwingh stammt auch der Satz, der u.a. im Kampf gegen das scheussliche Naziwort vom "lebensunwerten Leben" wichtig wurde: "Das Wort 'unheilbar' steht im Wörterbuch eines Christen nicht mehr. Wer danken gelernt hat, ist gesund geworden, auch wenn er sein  ganzes Leben in einer Zelle zubringen muss". Wer danken gelernt hat, ist gesund geworden! Das ist ein Satz, der auch heutzutage ungeheuer wichtig ist angesichts von Körperkult,  Magersucht, Fitnesswahn: Gesund ist nicht, wer fit ist; gesund ist, wer dankbar ist.

 

   

Noch ein  dritter Ausspruch von ihm: Darüber, dass ich erfahren habe, wie hart Gott sein kann, habe ich Barmherzigkeit gelernt".  Er spielt in diesem Satz darauf an, dass Gott seiner Frau und ihm innerhalb von 14 Tagen alle seine vier Kinder wegnahm, die an sog. "Stickhusten" starben.

 

                                                                       II

 

Auch dieser Christ also hat in besonders starkem Masse das erfahren, was Paulus in unserem Text "Trübsal" nennt. "Denn unsere Trübsal", schreibt er, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare".

 

Trübsal - also schwere Lebenserfahrungen, seelische Belastungen, Trauer, Betrübnis, Leid...: Solche  Erfahrungen - so meint Paulus - haben ihren Sinn für die Ewigkeit, sie  tragen bei zur Herrlichkeit des Lebens in  der Auferstehung. Die Leiden, die ich jetzt

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ertragen muss, sagt er, die wiegen nicht schwer und  gehen vorüber. Und sie haben einen grossen Sinn! Sie werden  mir eine Herrlichkeit einbringen, die alle Vorstellungen übersteigt und  kein  Ende hat. 

 

Dazu meine zweite Beispielgeschichte. Es ist einige Wochen  her. Ich gehe zu einem  Trauerbesuch. Die Verstorbene - 55 Jahre alt - war an Krebs erkrankt gewesen. Der Ehemann und die zwei erwachsenen Söhne empfangen mich. Mitten in ihrer tiefen Trauer strahlen sie doch zugleich Dankbarkeit, Frieden, Zuversicht aus. Ein halbes Jahr vor ihrem Tod war der Verstorbenen mitgeteilt worden, ihre Krankheit sei nach  menschlichem Ermessen nicht heilbar. Sie hatte dann den Rest ihres Lebens als überzeugte Christin ganz bewusst gestaltet. Der Ehemann sagte mir: Wir alle konnten den Blick auf das Ende richten, weil wir in der Hoffnung auf das dahinterliegende Ziel: das Leben in der Herrlichkeit Gottes, lebten. Alle vier  sprachen  miteinander über die Gestaltung der Trauerfeier; ihre Angehörigen  waren im  Sterben bei ihr, gestalteten  die  Trauerfeier in Gebet und Lesung und  Sologesang mit;  wir  sangen die von  ihr gewünschten Vertrauens- und  Auferstehungslieder, im Trauergespräch wie in der Trauerfeier wurde spürbar: Der Tod, so schlimm  und  schrecklich er ist, ist nicht der Mächtigste.  Jesus, der Ostersieger, ist stärker. Er, der Unsichtbare, ist stärker als das Sichtbare. 

 

                                                                       ÎII

 

Mein drittes Beipiel ist aus einem Büchlein, das mir geschenkt wurde: Der Mann mit den Bäumen. Jean Giono erzählt von einer Wanderung, die er im  Hochland der Provence unternimmt: Er wandert durch ein ödes verkarstetes Gebiet und triftt dort in  der Einsamkeit einen  Hirten.  Man isst miteinander, der Gast übernachtet in der Hütte. Am nächsten Morgen begleitet er den Hirten, der anstelle des Hirtenstabes eine Eisenstange mitnimmt, "dick wie ein  Daumen und  ungefähr anderthalb Meter lang".

 

Am Abend vorher hatte der Hirte aus einem grossen Haufen 100 fehlerlose Eicheln ausgesucht; nun, während er die Schafherde hütet, pflanzt er die Eicheln. Der Begleiter erfährt dann von ihm, dass er, der 55jährige Witwer, das seit drei Jahren tue, 100.000 Eicheln hatte er in  den  Boden gesenkt, 20.000 hatten getrieben, nach Verlust durch Nagetiere oder andere Umstände würden ca. 10.000 Eichen  groß werden.

 

Jahre später besucht Jean Giono, der diese wahre Begebenheit erzählt, den Schäfer Elzeard Bouffier erneut. Der hat inzwischen  zusätzlich Buchen und  Birken gepflanzt, die Eichen sind zu einem stattlichen  Wald geworden, ehemals vertrocknete Bachläufe führen wieder Wasser, eine Vielfalt anderer Pflanzen  hat sich angesiedelt, Insekten summen - aus der verödeten Wüstenei ist eine blühende und  fruchtbare Landschaft geworden, auch Menschen haben sich in einem kleinen Dorf wieder angesiedelt.

 

Jean Giono schliesst sein Büchlein mit den Worten: " Wenn ich bedenke, dass ein einziger Mann mit seinen beschränkten physischen und  moralischen  Kräften genügt hat, um aus der Wüste dieses "Gelobte Land" erstehen zu lassen, dann finde ich, dass trotz allem das Leben des Menschen  wunderbar ist. Wenn ich aber ausrechne, wieviel Beständigkeit, Seelengrösse, Eifer und Selbstlosigkeit es gebraucht hat, um  dieses Ergebnis zu erreichen, dann  erfüllt mich eine unbegrenzte Hochachtung vor diesem alten  Bauern ohne Bildung, der aber dieses Werk zu schaffen wußte, das Gottes würdig ist. Elzeard  Bouffier ist im  Alter von  87 Jahren im Altenasyl von Banon im Frieden entschlafen".

 

Diese Geschichte ist schön und wahr zugleich; vor allem ist sie ein Gleichnis für die Reich-

 

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Gottes-Arbeit. Sie zeigt, wie ein Mensch unverzagt und beharrlich - ohne müde zu werden - in einem  begrenzten  Bereich  segensreich wirken  kann - und  darüber selbst  glücklich ist. Giono schreibt von  diesem  Schäfer: "Ich hatte den Eindruck: Er wusste mehr als alle. Er hatte den  berühmten  Weg  zum  Glück gefunden".          

 

Wir können das Meer des Elends nicht ausschöpfen, aber unser Tun kann - wie es in einem  neuen geistlichen Lied  heisst - ein "Tropfen (sein) von  dem Regen, der aus Wüsten 

Gärten macht". Oder, wie es im  jüdischen Talmud heisst: "Es ist nicht möglich, das Werk zu vollenden. Und es ist uns nicht erlaubt, das Werk zu verlassen".

 

Das heisst: Wir werden zum Beispiel nicht den vollkommenen politischen Frieden  zwischen  Israel und  den Palästinensern bewirken können, aber wir können Einiges tun, und wir haben zahlreiche Beispiele gesehen und erlebt, wie Menschen  Frieden und  Versöhnung stifteten. Darum abschließend einige dieser Beispiele.

 

                                                                       IV

 

Ein  Sonntagmorgengottesdienst bei den Benediktinern in  Tabgha am See Genezareth. Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus aller Welt. Eine wunderbar tröstende und stärkende Predigt. Die Liturgie der Messe, lebendig ausgestaltet, hat die Kraft, Menschen  unterschiedlichster Völker und Sprachen miteinander zu verbinden, zu erfreuen.

Hier geschah Frieden, Schalom.

 

Am darauffolgenden Sonntag: Abendmahlsgottesdienst in der Erlöserkirche in  Jerusalem. Wiederum eine sehr ermutigende Predigt, eine bewegende Abendmahlsfeier.  Aber besonders eindrucksvoll das Nachgespräch mit dem Propst und vor allem mit einer Französin, die seit 40 Jahren Friedensarbeit im Heiligen  Land übt, etwa zu den israelischen  Soldaten und  Soldatinnen an den checkpoints geht, ihnen persönliche Briefe übergibt , in denen sie sie zum  Frieden und  zur Liebe aufruft, und indem sie durch  ihre Anwesenheit darauf achtet, dass die Palästinenser bei den  Kontrollen nicht gedemütigt werden.

 

Dann die intensiven Gespräche und Informationen in  Beit Jala: Die Abrahamsherberge, wo die Angehörigen  der drei Abrahamsreligionen: Juden, Christen, Moslems, miteinander reden und Versöhnungsarbeit fördern; die Aktion "Lifegate": Arbeitsplätze für behinderte Menschen,  und die evangelische Schule Talitha Kumi (Beit Jala) , wovon  wir gleich Näheres hören.

 

"Darum werden wir nicht müde, sondern wenn aucn unser äusserer Mensch  verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert". Die Kraft des Heiligen Geistes, die Kraft des Glaubens, der Hoffnung , der Liebe vermag uns Tag für Tag zu erneuern; sie vermag es, dass Menschen, auch wenn  sie alt sind,  "dennoch blühen, fruchtbar und  frisch" bleiben (Psalm 92) , und  ihr  Leben segensreich  für andere und sich selbst gestalten.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und  Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.