Predigt am Heiligen Abend 2001, 17.30 Uhr

(Pfarrer Martin Quaas)

 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Nun, liebe Gemeinde,  hören wir auf die Weihnachtsgeschichte des Paulus. Ganz anders ist sie als die des Lukas. Bei Lukas eine herrliche Erzählung voll wunderbarer tief eindringender Bilder – bei Paulus ein einziger Satz von geradezu unauslotbarer Tiefe.  

 

Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, schreibt er. Obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet.

 

Um Armut und Reichtum geht es also, und damit im Grunde um das Hauptthema der Weltgeschichte – und  auch um das Grundproblem der heutigen Welt. Denn wenn die Politiker sich – was sie kaum tun – um eine gerechtere Weltwirtschaftpolitik bemühen würden, hätten wir sicher viele Probleme nicht, die uns in Trauer und Entsetzen stürzen. 

 

Seht auf Christus! sagt Paulus allen Christen und auch jedem von uns jetzt hier. Er, der reich ist, wird um eurettwillen arm, um euch gerade durch seine Armut reich zu machen. Merkwürdig. Wie kann einer, der reich ist, freiwillig arm werden wollen? Das ist unter uns Menschen  jedenfalls selten. Obwohl’s das auch gab, zum Beispiel Franz von Assisi. Und: noch merkwürdiger: Wie kann einer ausgerechnet durch seine Armut Andere reich machen?

 

Gehen wir den Weg Christi, den Paulus hier beschreibt, in Gedanken nach.

 

I

 

1. Der reiche Gott

 

Ähnlich wie der Evangelist Johannes fängt auch Paulus nicht mit der irdischen Geburt Jesu an (die hat ihn, den Denker und Junggesellen, vermutlich wenig interessiert), sondern er beginnt mit dem eigentlichen Anfang, mit dem Ursprung der Geschichte Jesu: Jesus, so sagt er, kommt unmittelbar von Gott her, sein Ursprung ist der Reichtum Gottes.

 

Ja aber – ist Gott denn reich?

 

Sicher, müssen wir sofort sagen. Unermeßlich reich.

 

Er ist ja der Schöpfer des Universums, ihm allein gehört das ganze Weltall mit seinen unzähligen Sternen, Spiralnebeln, Milchstraßen, mit seinen unausforschlichen Wundern und Geheimnissen, mit allen Schätzen und allen Bodenschätzen allein auf unserem Winzling Erde und ihm allein gehören auch alle Lebewesen, die es auf unserer Erde und vielleicht sonst irgendwo im All gibt.

 

 

2

 

Und Gott ist offenbar auch überaus reich an Gedanken und an Phantasie: Jeder Mensch, so hat jemand mal gesagt, jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes – und nun wiederum jeder einzelne Mensch – wie unübersehbar vielfältig ist das Leben eines jeden von Euch hier an Gedanken und Gefühlen, Worten, Erlebnissen, Sorgen, Begegnungen mit Menschen... 

 

Und welch ein Reichtum an Phantasie Gottes auch, wenn wir an die unglaubliche Vielfalt seiner Geschöpfe denken: Seekühe, Giraffen,  Nilpferde, Bienen, diese überaus kunstreichen Tierchen, und Ameisen, und Spinnen, die die wunderbarsten (und so gefährlichen) Netze herstellen, all die exotischen Fische, die Schmetterlingsarten...

 

Und schließlich: Reich ist Gott sicher auch an Risikobereitschaft. Als er uns Menschen schuf  - da ist er offenbar ein hohes Risiko eingegangen. Ob er hat voraussehen können, wie gewalttätig wir Menschen miteinander umgehen würden, auch heute noch, als hätten wir seit der Steinzeit nichts dazu gelernt, hat er vorausgesehen, wie wir Menschen unsere Mitgeschöpfe, viele Tiere,  behandeln würden -  so als seien sie Versuchsobjekte und Industrieprodukte? Und hat er damit gerechnet, was wir mit der Erde anrichten würden, diesem  (wie die Astronauten sagen) kostbaren Juwel, diesem Edelstein?

 

Nun, Gott sei Dank: Gott ist offenbar auch überaus reich an Möglichkeiten zu handeln. Er kann aus Bösem Gutes werden lassen, er kann da, wo für uns alles zuende ist, einen neuen Anfang setzen. Und er, der reiche Gott, kann sogar für sich freiwillig die Armut wählen. Und er hat das getan – um unsertwillen.

 

II

 

2. Der arme Gott

 

 

Zur Zeit des Herodes ist er arm geworden,  der reiche Gott.

 

Denn: Wenn wir nun auf das irdische Leben Jesu sehen: Daß Jesus reich war, kann man jedenfalls nicht von ihm sagen. Allerdings kam er sicher auch nicht in solch bitterer Armut oder auch bitterer Kälte zur Welt, wie das manche erbaulichen Weihnachtserzählungen ausmalen. Aber: In schlichtesten Verhältnissen wird er geboren, sein Leben ist von Anfang an bedroht, er muß mit seiner Familie auf die Flucht, als Erwachsener hat er jedenfalls weder Grundbesitz noch eine eigene Wohnung.  Immerhin: Er hat wahrscheinlich kaum je hungern müssen, aber am Ende ist er allerdings in tiefster Armut. Als er stirbt, hat er buchstäblich nichts Eigenes mehr, er endet in absoluter Verlassenheit, nackt und bloß, erniedrigt, verspottet.

 

Aber zugleich:  Welch ein Geheimnis in diesem Leben! Welch ein unerhörter Reichtum inmitten der äußeren Armut dieses Lebens. Reichtum – man kann es  nur mit diesem viel strapazierten Wort sagen – Reichtum an Liebe. Nicht Liebe als Gefühl, schon gar nicht kriecherische Liebedienerei, seine Liebe kann auch die Gestalt des Zorns annehmen, sich in harten Gerichtsworten äußern und

 

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entschiedenem Nein zu bestimmten Verhaltensweisen. Aber es ist immer Liebe. Liebe bis in den Tod.

 

III

 

3. Der arme Gott, der uns reich macht.

 

 

Paulus und unsere Weihnachtslieder sagen: Das hat er alles uns getan....um uns durch seine Armut reich zu machen.  

 

Uns will er reich machen. Dich. Mich.

 

Aber: Sind wir nicht schon reich? Sicher: Nicht so reich wie Königin Elisabeth oder die Albrecht-Brüder oder die Verfasserin der Harry Potter Bücher – aber einiges haben

wir schon...in unseren Wohnungen... auch auf unseren Konten.

 

Oder: Könnte es sein, daß wir vielleicht doch nicht reich sind, sondern arm?  Vielleicht bettelarm? Verbergen wir vielleicht unsere Armut nur vor anderen, verstecken wir sie unter eleganter Kleidung? Gott sieht ja in das Verborgene. Gott sieht deinen Kummer, sieht die Tränen, die Du sogar vor deinen nächsten Angehörigen verbergen konntest. Gott möchte nicht, daß du arm dran bist.

 

Gott möchte dich durch seine Armut gern reich machen.

 

Zum Beispiel: reich an Freude. Ich muß von mir persönlich sagen: Jesus ist für mich immer wieder eine Quelle der Freude und des Staunens. Seine Worte zu befolgen, das bringt einfach Freude ins Leben, von ihm zu erzählen, etwa im Unterricht oder in Schulgottesdiensten, das macht Freude!

 

Und es kann tiefe Freude in uns wecken, wenn wir das auf uns beziehen, was das Evangelium von ihm sagt: Daß wir Angst, Sorge und Schuld, die uns belasten, bei ihm abladen können, daß wir in der Zuversicht leben können: Er und kein anderer hat und spricht das letzte Wort –  Er und nicht  George Bush, und nicht Bin Laden, sondern sie werden sich Beide einmal vor Ihm verantworten müssen. Und es kann uns einen tiefen Trost und starken Mut geben, zu wissen, daß hinter dem Tor des Todes uns  Er erwartet und mit ihm Licht und Seligkeit...So wie es Paul Gerhardt dichtet – wir haben’s gestern im Weihnachtsoratorium gehört: „...mit dir will ich endlich schweben voller Freud, ohne Zeit, dort im andern Leben...“

 

Weiter: Er macht unser Leben reich an Vertrauen – Vertrauen zu Gott und  auch zu Menschen. Wir können durch Jesus zu dem Vertrauen finden: Da, wo Gott uns Schwierigkeiten schickt, hat er doch  vielleicht gerade Gutes für unser Leben vor. Also halte durch!  Und Jesus hilft mir auch, mich Menschen immer wieder vergebend und vertrauensvoll zuzuwenden. Er hilft, bei Anderen nicht vorrangig das Negative zu sehen – das vielzitierte mobbing, das ja tatsächlich grassiert - sondern die Menschen, denen ich begegne, als von Gott hochgeachtet anzusehen.

 

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Weiter: Er macht uns reich an Gemeinschaft. Die Soziologen nennen uns ja die „egoistische Gesellschaft“ – jeder ist auf sich fixiert. Aber darum ist die Gemeinde so wichtig, oder auch Kinder- und Jugendfreizeiten: Hier lernt und erfährt man Gemeinschaft. Und auch sonst im Leben unserer Gemeinde: Wie reich können wir durch Begegnungen mit  andern Menschen in ihr werden. Wie gut tut etwa auch unseren älteren Gemeindegliedern die Teilnahme im Seniorenkreis! Jeder Nachmittag ist so etwas wie ein Jungbrunnen!

 

Und: Er macht uns reich an Luxusgütern. Ja - Ihr habt richtig gehört. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensbeger sagte das vor einiger Zeit: Die eigentlichen heutigen Luxusgüter seien: Zufrieden sein, Zeit sinnvoll gestalten, Stille finden...Und

diese Luxusgüter sind in der Tat bei Jesus zu finden und von ihm zu haben. Übrigens läßt er uns darüber ein Lebensgesetz erkennen: Je mehr innerer Reichtum, desto weniger brauchen wir materielle Güter und also ist es für uns selbst gut und bereichernd, wenn unsere Gesellschaft ärmer wird – und andere Menschen durch unser Ärmerwerden reicher. Und ich muß schon sagen: Ich sehne mich sehr danach,

daß dieser Überfluß, dieser Materialismus bei uns endlich aufhört, oder jedenfalls vernünftige Formen annimmt.

 

Ein Volk ohne Religion, ohne Glaubenssubstanz hat keine Zukunft, es verdirbt. Aber Gott will nicht, daß wir verderben. Darum laßt uns das zu Herzen nehmen und und uns darüber freuen: Der ewigreiche Gott will uns, indem er arm wird, reich machen. Reich an Freude, an Vertrauen, an Gemeinschaft, reich an Kostbarkeiten wie Zufriedenheit, Stille, sinnvollem Leben. Laßt uns das bewahrheiten, was Paul Gerhardt sagt: Hier, bei dem Kind, das ein Mann wird, „sind alle guten Gaben und das Gold, da ihr sollt euer Herz mit laben“!

 

Amen

 




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