Zärtlich statt bissig – Vom Trost des Evangeliums


Gottesdienst im Weiglehaus am Sonntag Laetare, 14. März 2010


Lieder:


Jesu meine Freude EKG 293, 1. 2. 6 (EG 396, 1.2.6)

In allen meinen Taten...292, 1-3 (EG 368, 1-3)

Warum wilst du draußen stehen...439, 1-3 (Mel.: EG 524


Lesung: Jesaja 54, 7 - 10


Predigt zu 2. Korinther 1, 3 – 7:


Liebe Gemeinde,


Der Igel war traurig.


Wehmütig verfolgte er, was sich in Nachbars Garten abspielte. Zwei junge Hunde tobten da ganz ausgelassen.Sie stupsten ihre Nasen aneinander, sie leckten sich und schleckten sich.

Der Igel sah das und dachte bekümmert: „Mich hat noch keiner geschleckt. Ist ja auch kein Wunder bei so vielen Stacheln“. Er haderte noch ganz mit seinem bedauernswerten Schicksal, als einer der beiden Hunde ihn entdeckte.

„He, Kleiner, komm, spiel mit“.

Geht nicht“, sagte der Igel, „ich hab Stacheln“. Mit mir will keiner spielen. Alle machen um mich einen großen Bogen.“

Ach was, leg' dich einfach auf den Rücken, dann schleck' ich dich mal richtig durch.“

„Wirklich? Das würdest du tun?“

„Klar doch.“


Der Igel legte sich auf den Rücken, der Hund rieb seine Nase am weichen Igelbauch.

Der Igel wollte gerade rufen: „Hm, tut das gut“, da öffnete der Hund sein Maul und biss

einfach zu – mitten hinein in den weichen Igelbauch.


Schmerzgequält krümmte sich der Igel im Garten und seitdem, so endet die Geschichte, rollen sich alle Igel ein, wenn ihnen Hunde oder andere große Lebewesen über den Weg laufen.


Eine traurige Geschichte, nicht wahr? Traurig – aber wahr.


Wir sind vermutlich alle schon mal an solch einen gemeinen Hund geraten, der unser Vertrauen missbraucht hat, manch einer leidet immer noch an einer Wunde, die ihm einer zugefügt hat, und – Hand aufs Herz - wir selber sind doch auch schon mal in der Versuchung, jemanden an einer empfindlichen Stelle zu treffen oder gar in einer offenen Wunde zu stochern, und vor allem : Wir mögen nach aussen cool oder gar unnahbar wirken und haben doch Sehnsucht nach Zärtlichkeit, nach einem, der uns Gutes tut, der uns versteht und der uns tröstet.


Nur: Bei wem finden wir das? Wo finden wir Verständnis und Trost?


Ich lese den heutigen Predigttext:

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Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der

Barmherzigkeit und Gott allen Trostes,der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.

Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.

Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.

Und unsere Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.


Trost, trösten“: Immer wieder kommt dieses Wort in diesen Versen vor, insgesamt zehnmal.


Sie werden mir zustimmen : Trösten - das ist ein schönes Wort. Wir alle sind trostbedürftig, nicht nur ältere Menschen, sondern jeder, in jedem Alter. Das hat mich oft bewegt, wie nach den Grundschulgottesdiensten oft gleich mehrere Kinder geradezu Schlange standen: Sie brauchten jemanden, dem sie ihr Herz ausschütten mussten, weil jemand aus der Familie gestorben war, oder weil sie Angst hatten, dass ihre Eltern sich trennen würden.


Und wir wissen nun aber sicher auch: Wirklich getröstet werden, das ist etwas Kostbares und Seltenes. Häufiger und üblicher unter uns Menschen ist leider das, was dem Igel passiert.


Aber vielleicht haben Sie doch eine lebendige Erinnerung daran, wie jemand Sie einmal tröstend in die Arme nahm, ihnen etwas Einfühlsames, Stärkendes sagte, und Sie sich aussprechen konnten?


Wer hier würde von sich sagen: Doch, ich bin einmal wirklich getröstet worden?


Und das sollen wir dann als Geschenk und Wirken des Heiligen Geistes deuten.


Denn die ganze Bibel sagt: Aller Trost hat seine Quelle in Gott. Dementsprechend geht auch Paulus hier im Predigttext von Gott aus.


Er sagt dreierlei:


1. Gott ist ein tröstender Gott

2. Er tröstet uns durch Jesus Christus

3. Von ihm getröstet, können wir Andere trösten.


I

1. Gott ist ein tröstender Gott


Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes“, so beginnt Paulus. Er fasst in diesem Satz alles zusammen, was von Gott und uns Menschen im Wesentlichen zu sagen ist, nämlich: dass Gott zu loben und der Mensch zu trösten ist . Da scheint sogar ein innerer Zusammenhang zu bestehen.

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Wahrscheinlich haben Sie das selber schon erfahren: Wenn wir Gott loben – gleich in welcher Situation wir uns befinden – wenn wir Gott Loblieder singen, werden wir darüber zugleich selber getröstet. Darum ist es so wichtig, wenn wir etwa bei Trauerfeiern

Vertrauenslieder, Osterlieder, Danklieder singen. Unser Blick, unser Denken und Fühlen

wird durch die Liedworte wie von selbst weggerichtet vom Kreisen um den Tod,

sozusagen höher hinauf, über unseren Horizont hinaus – hin auf Gott, auf Jesus, der dem

Tod die Herrschaft genommen hat.


Ja, aber warum können wir Menschen denn überhaupt Gott loben? Warum ist das Loben Gottes -neben der Klage – im biblischen Israel, besonders in den Psalmen - d i e grundlegende Weise, zu Gott zu reden? Weil Gott, wie Paulus hier in echt orientalischer Redeweise sagt: „der Vater der Barmherzigkeit“ ist, also der Urheber, die Quelle aller Barmherzigkeit, alles Erbarmens.


Tröstet, tröstet mein Volk“, so ruft er am Anfang des Buches Deuterojesaja aus -voll Mitleid, weil sein Volk so verzweifelt und so völlig am Ende ist in der babylonischen Gefangenschaft. Und das tut dann der Prophet mit wundervollen Trostworten in dem Buch Jesaja 40 – 55, das Luther mit Recht überschrieben hat: „Das Trostbuch von der Erlösung Israels“.


Voller Evangelium ist das sog. Alte Testament. Schon gleich zu Beginn der Geschichte Gottes mit seinem Volk, als er zum ersten Mal dem Mose begegnet, da sagt Gott: Ich habe das Schreien meines Volkes Israel gehört, und bin heruntergekommen, und ich will es herausführen aus der Gefangenschaft in ein Land, wo Milch und Honig fliesst. Er hat Mitleid, er will sein Volk zur Freiheit, zur Freude hin führen. Im Talmud heisst es übrigens zu dieser Stelle: Hätte Israel nicht geschrieen, so hätte Gott auch nicht gehört. Also - wie der Seelenkenner Shakespeare im „Macbeth“ sagt:


Gib Worte deinem Schmerz.

Gram, der nicht spricht,

presst das beladene Herz,

bis dass es bricht.


Gib Worte deinem Schmerz, sprich aus, was dich trostlos macht, vergrabe es nicht in dir, sag es jemandem, dem du vertrauen kannst. Auch hier im Weiglehaus gibt es genügend solcher Menschen. Suche einen, dem du vertraust; gerne auch mich.


Und was geschieht dann, wenn einer getröstet wird?


Von Menschen, die von allen guten Geistern verlassen sind, sagen wir schon mal: Die

sind nicht ganz bei Troste. Getröstet werden, das bedeutet also: Wieder von einem guten

Geist erfüllt werden; das Wort Trost gehört ja zum gleichen Wortstamm wie Vertrauen, Treue, englisch: trust. Trost empfangen bedeutet also: Wieder vertrauen können.


Ich las: Wenn in früheren Jahrhunderten ein Theologe eine neue Lehre vortrug, dann wurde sie darauf geprüft, ob sie tröstlich wäre. War sie es nicht, dann war es schlechte Theologie. Und ich habe es nicht vergessen und es traf mich sehr, als mir spundjungem Pastor 1969 in Neviges ein glaubenserfahrener Presbyter, Herr Klein, sagte: Die moderne Theologie vermittelt keine Geborgenheit.


Inzwischen weiss ich: Sie tut das dann nicht, wenn sie ein sog. heutiges Menschen- und

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Weltbild zur Voraussetzung und zum Masstab für das Verstehen der Bibel macht, statt einfach die biblischen Worte gelten- und stehenzulassen und sich unter sie – statt über

sie - zu stellen. Das gilt vor allem auch für die Aussagen über Jesus im Neuen Testament.

II


2. Gott tröstet uns durch Jesus Christus


All das, was Jesus gesagt, getan, erlitten hat: Welch eine Überfülle an Trost ist darin enthalten! Gleich zu Beginn seines Wirkens, die Hochzeit zu Kana: Wir können uns, während wir den Text Johannes 2 lesen, gleichsam unter die Hochzeitsgäste mischen im Wissen: Er will, dass auch ich fröhlich werde, er ist auch für mein Leben der Freudenmeister: Meister darin, Freude zu schenken – und der, der von allen Menschen, die je gelebt haben, am meisten Freude ausgelöst hat. Meine Mutter hat uns heranwachsenden Kindern, wenn wir mal sauer waren oder Weltschmerz hatten, öfter gesagt: Aber Gott hat uns zur Freude geschaffen! Und wenn sie das sagte, hatte sie dabei Jesus im Blick.


Wieviel trostlos-seichte Fröhlichkeit gibt’s in unserer Spassgesellschaft. Aber von Jesus gilt, was wir gleich singen werden: „Aller Trost und alle Freude ruht in dir, Herr Jesus Christ, dein Erfreuen ist die Weide, da man satt und fröhlich ist...“ (Paul Gerhardt, EKG 439).


Oder: Wir können, wenn wir in tiefe Glaubenszweifel geraten, Jesu Wort zu Petrus als an uns gerichtet hören: Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre (Lukas 22, 32). Wir können uns, wie Petrus versinkend, von Jesus an der Hand gehalten wissen. Wir können, mit unserer Schuld unter dem Kreuz stehend, ihn auch für uns beten hören: Vater vergib ihm... und wir dürfen die Vergebung der Schuld im Gnadenzuspruch und in der Feier des Heiligen Mahls empfangen.


Wie tröstlich ist gerade der leidende Jesus! „Wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus“, schreibt Paulus aus seinem Gefängnis in Ephesus. Er meint das Leiden, das in der Nachfolge Jesu geschieht, aber darüber hinaus können wir alles Leiden aus Gottes Hand annehmen.


Gerade im Leiden kommt Gott durch Jesus uns so nahe. Das hat auch unsere Familie in den vergangenen Monaten erfahren. Wir haben erlebt, wie tröstlich der verborgene Gott ist und wie wunderbar man von Menschen in der Fürbitte getragen wird, auch von so manchem aus der Gemeinde hier.


Wenn wir in schwierigen Zeiten im Gottvertrauen bleiben, dann lernen wir darüber viel Gutes und Wesentliches fürs Leben, unter anderem Geduld, wie es auch Paulus in

unserm Text sagt.


Dazu eine kleine Geschichte: Eine junge Frau geht zu ihrem Pastor und sagt: Was mir fehlt, ist Geduld. Können sie mir da helfen?'

Gern, sagt der Pastor. Er schlägt vor, miteinander zu beten. Und dann bittet er: Gott, gib dieser Frau Bedrängnisse, bring sie in Schwierigkeiten und Trübsal, schicke ihr Widriges und Belastendes...


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Die Frau ist völlig erschrocken und meint: Sie haben mich missverstanden, ich möchte

Geduld, keine Schwierigkeiten.


Ich weiss, sagt der Pastor, aber die Bibel sagt klar , dass Trübsal, dass Bedrängnis

Geduld bringt. Geduld werden sie auf keine andere Weise bekommen.


Wobei es hilfreich ist, zu wissen: Es gibt im griechischen Neuen Testament zwei

unterschiedliche Worte, die Luther beide mit „Geduld“ übersetzt, das eine – makrothymia – bedeutet: einen „langen Atem“ haben, also Beharrlichkeit, Ausdauer; das andere: hypotomé, wörtlich: drunter bleiben können unter Lasten, Lasten tragen, belastbar sein. Und dieses Wort gebraucht Paulus hier.


III


Und für Menschen, die das erfahren haben, gilt dann drittens: Von Gott, von Jesus getröstet, können wir andere trösten. Wer nie gelitten hat oder in Glaubenanfechtungen geriet, kann auch andere nicht trösten. Wer aber Leiden getragen hat und Gottes Stärkung und Treue darin erfahren hat, der kann auch andere trösten: Durch Zuhören. Durch gemeinsames Lesen eines der Klagepsalmen, die uns von der Klage hin zu Lob und Gottvertrauen führen. Oder durch Zuspruch eines Bibelwortes, wie dieses Juwel, Jesaja 28,29: Des Herrn Rat ist wunderbar, und Er führt es herrlich hinaus. Oder dieser Diamant, zwei Kapitel später bei Jesaja: Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein (Jes.30,15).


Besonders wunderbar geschieht Gottes Trost oft im gemeinsamen Gebet. Und miteinander werden wir nun als Gemeinde getröstet durch die Feier des Heiligen Mahls.

Christus lädt uns ein, und wir laden ihn, den Freudenmeister, zu uns ein und singen Lied Nr. 439,die Strophen 1-3: Warum willst du draussen stehen, du Gesegneter des Herrn? Lass dir bei mir einzugehen wohlgefallen, du mein Stern...

Amen.


Bitte lassen sie das Lied nach der 3. Strophe weiter aufgeschlagen: Ich werde zu Beginn der Abendmahlsliturgie die 4. Strophe sprechen, und nach dem 3. Kyrie werden wir

miteinander die Strophen 5 und 6 sprechen und so einander die Vergebung der Sünden zusprechen.