Abendmahlsgottesdienst Kirche am Heierbusch, Essen-Bredeney,

19. Sonntag nach Trinitatis, 28. September 2008


Lieder:

Aus meines Herzens Grunde...443, 1-4

Nun lasst uns Gott, dem Herren, Dank sagen...320

Ach bleib mit deiner Gnade...347

Danket dem Herrn...333,1-3


Psalm 32 (Nr. 716, S.1150) Schriftlesung: Jakobus 5, 13 - 17


Liebe Gemeinde!


Der für diesen Sonntag vorgeschlagene Predigttext führt uns zurück in die Frühzeit des Gottesvolkes Israel, in die Zeit seiner Wanderung durch die Wüste.


Texte lesen wir dort im 2. Mosebuch, archaische Texte, die wie gewaltige Berggipfel sind, wie eine ferne Gebirgskette, zu denen man aus den Niederungen des Alltags aufschaut.

Wir sehen dort hoch oben Mose im Gespräch mit Gott – Gott „redete mit Mose, wie ein Mann mit seinem Freunde redet“ (2. Mose 33,11), so heisst es in einem dieser Texte.


Wir sehen aber auch das Volk Israel samt seinen Priestern, Aaaron voran – in den Niederungen des Alltags. Sie wollen einen sichtbaren Gott – einen Gott, den man berühren und begreifen kann, und der vor allem ansehnlich ist: Kraftvoll und goldglänzend. Aaron, der Priester, passt sich den Wünschen und Bedürfnissen des Volkes an, und so umtanzen sie schliesslich ein vergoldetes Jungstierbild und singen einander zu: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägypten geführt hat (2. Mose 32,4).


Mose, zornentbrannt, als er, in die Niederungen hinabsteigend, Lustgeschrei, Musik und Lärm hört, lässt das Stierbild zerstören und straft die Gotteslästerer gnadenlos. Immerhin, das Volk legt seinen Schmuck ab, tut Buße und trauert. Es kommt zu einer erneuten Begegnung zwischen Gott und Mose, und im heutigen Predigttext heisst es:


Und der Herr sprach zu Mose: Haue dir zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren, dass ich die Worte darauf schreibe, die auf den ersten Tafeln standen, welche du zerbrochen hast.

Und sei morgen bereit, dass du früh auf den Berg Sinai steigest und dort zu mir tretest auf dem Gipfel des Berges.

Und lass niemand mit dir hinaufsteigen; es soll auch niemand gesehen werden auf dem ganzen Berge. Auch kein Schaf und Rind lass weiden gegen diesen Berg hin.

Und Mose hieb zwei steinerne Tafeln zu, wie die ersten waren, und stand am Morgen früh auf und stieg auf den Berg Sinai, wie ihm der Herr geboten hatte, und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand.

Da kam der Herr hernieder in einer Wolke, und Mose trat daselbst zu ihm und rief den Namen des Herrn an.

Und der Herr ging vor seinem Angesicht vorüber, und er rief aus: Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und

Treue,der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde, aber ungestraft lässt er niemand, sondern sucht die Missetat der Väter heim an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte


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Glied!

Und Mose neigte sich eilends zur Erde und betete an

und sprach: Hab ich, Herr, Gnade vor deinen Augen gefunden, so gehe der Herr in unserer Mitte, denn es ist ein halsstarriges Volk; und vergib uns unsere Missetat und Sünde und lass uns dein Erbbesitz sein.


In der Frühe, im Morgengrauen ist er hinaufgestiegen, auf dem Rücken zwei schwere Tafeln aus Stein, ein stundenlanger Aufstieg. Da steht er dann auf dem Gipfel, schwer atmend, erschöpft, ein kraftvoller alter Mann – und begegnet Gott. Und redet mit dem Ewigen.


Er hat sich tief demütig vor dem Unsichtbaren zu Boden geworfen, mit seinem ganzen Leben liegt er vor Gott: Der Säugling, gleich nach der Geburt vom Tode bedroht, durch Gottes Fügung wunderbar errettet, am Hof des Pharao erzogen, hochgebildet - der jähzornige Totschläger, dem Unrecht unerträglich war - der Flüchtling und Staatenlose, Aufrührer und Anführer dann: Ein Mann der Faust, der auch Steinplatten zuzuhauen versteht, der häufig in lodernden Zorn geraten kann, und in tiefste Verzweiflung über das immer wieder kleinmütige und kleingläubige, halsstarrige und widerspenstige Volk, das er in die Freiheit und zur Lebensfülle hin führen soll -: Mose, der weiss und oft erfahren hat: Gott, der Ewige und Unfassbare, der Schöpfer des All - er hört auf ihn! Mose kann den Zorn Gottes besänftigen. Er kann Reue bei Gott auslösen. Er kann Ihn umstimmen, sodass er seine Pläne ändert. Er kann Gottes Herz bewegen.


So bittet er auch jetzt wieder für sein Volk: „Hab ich, Herr, Gnade vor deinen Augen gefunden, so gehe der Herr in unserer Mitte; denn es ist ein halsstarriges Volk; und vergib uns unsere Missetat und Sünde und łass uns dein Erbbesitz sein.“ Er fleht: Halte fest an der Erwählung deines Volkes, bleib bei ihm mit deinem Segen.


Mose weiss: Gottes innerstes Wesen ist Gnade! Darum ruft er Ihn bei seinem Namen, ruft, während der Ewige unsichtbar vor seinem Angesicht vorübergeht, laut aus: adonaj, adonaj, elohim...Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde...“


Wie sehr voller Demut und Vertrauen spricht Mose zu Gott! Wie evangelisch, wie voll von froher Botschaft ist dieser archaische Text! In vielen Köpfen auch heutiger Christen nistet und lebt ja noch das Vorurteil, das im Dritten Reich ausgesät wurde: Der Gott des Alten Testamentes sei der rächende, der gesetzliche, der grausame Gott; der des Neuen Testaments erst der Gott der Liebe. Ach, wie falsch.


Hier sehen wir - wie an zahlreichen anderen Stellen des Alten Testaments – ganz besonders etwa im Psalter, oder bei Deuterojesaja –: Gott ist von Anfang an, seit er Israel erwählte, der barmherzige und gnädige Gott, geduldig und von großer Treue - ein Gott, der zu uns redet und uns zuhört und mit sich reden lässt. Der mittelalterliche Mystiker Johannes vom Kreuz trifft es genau, wenn er von dem Gott der Bibel sagt: Sucht der Mensch Gott – wieviel mehr sucht Gott den Menschen!


Gott sucht und braucht die Gemeinschaft mit uns, die lebendige Beziehung, den Gedanken- und Gesprächsaustausch. Und wenn wir Ihn vergessen, Er uns vielleicht gar

gleichgültig wird, wir uns abwenden von ihm, dem Unsichtbaren, und stattdessen

sichtbare Götter anbeten, ansehnliche, begreifbare, auf unsere Bedürfnisse

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zugeschnittene Götzenbilder verehren, dann kann er auch heute zornig werden und seine Geduld mit uns bereuen, sich als enttäuschter oder betrogener Liebhaber abwenden, sich zurückziehen von uns, ja – sich mit Scheidungs- oder gar Mordgedanken tragen. Und doch: Unser Gebet kann ihn umstimmen; denn - wie Luther es in einer ungeheuren Formulierung zu sagen wagte: „Im Gebet ist der Mensch mächtiger als Gott“. Wir können Gott beeinflussen - so wie wir es hier und mehrfach in vorangehenden Texten Mose tun sehen.


Barmherzig und gnädig zu sein, das ist Gottes innerstes Wesen. Zugleich bleibt er der heilige Gott, den man nicht ungestraft verachtet oder gar verspottet; der Gott, „der die Missetat der Väter heimsucht an Kindern und Kindeskindern bis ins dritte und vierte Glied“. Kinder, Enkel und Urenkel müssen büssen und ausbaden, was die Voreltern angerichtet haben. Wieviel ist auch in dem in so vieler Hinsicht doch auch fürchterlichen letzten Jahrhundert nachfolgenden Generationen aufgebürdet worden. Wie viel bürden wir mit unserem unersättlichen Lebensstil – mit massloser Verschwendung, Urlaubs-Flugreisen tausende km weit, hemmungslosem Raubbau und Zerstörung der eigenen Lebensgrundlagen - den Nachkommen bis ins 3. und 4. Glied auf und werden die Wahrheit des Pauluswortes erfahren: „Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten“ (Gal.5,7).


Und doch: Wenn wir - wie Mose hier – zu Gott flehen und unser Leben ändern: Dann will und wird er Schuld vergeben, will und wird er uns neu mit Liebe und Segen beschenken.


Die Weisen Israels lehren im Talmud, Mose sei mit den neuen Gesetzestafeln am 10. Tag des 7. Monats vom Sinai zurückgekommen, als die Israeliten sich kasteiten und zu Gott flehten. Dieser zehnte Tag des 7. Monats ist der jom kippur, der Große Versöhnungstag, einer der wichtigsten jüdischen Feier- und Bußtage; in diesem Jahr fällt er auf den 9. Oktober.


Der Sinn dieses Tages ist klar: Bei den ersten Tafeln sündigten die Israeliten - sie tanzten ums Goldene Kalb. Als aber die zweiten Tafeln zu ihnen gelangten, empfingen sie sie mit Fasten, Flehen und Lobpreis. Darum ist der jom kippur der Tag der dankbaren Annahme der Barmherzigkeit und Güte Gottes, wie sie in den Tafeln des Bundes ausgesprochen und zugesagt ist.


Wir können daraus für uns lernen: Wer Gottes Wort und Willen empfangen will, der muss offen sein für Ihn, innerlich bereit, sich ihm in Ehrfurcht anzuvertrauen und ihm zu gehorchen. Die von uns so genannten 10 Gebote sind und bleiben die Weisung Gottes, die niemand ungestraft übertritt. Zwar: Wir dürfen als Christen in der Gewissheit leben: Für unsere Seligkeit ist gesorgt. Wir empfangen sie als unverdientes Geschenk, weil Jesus, was wir mit Recht von Gott verdienen würden, an unserer Stelle getragen und ertragen hat. Wir sollen nicht zweifeln, dass Gott uns damit beschenken wird, wenn wir einmal mit unserem ganzen Leben vor Gottes Thron stehen werden; auch sollen wir für jeden – wirklich jeden - Menschen erhoffen, dass auch er damit beschenkt werden wird.


Wir brauchen also nicht mehr mit Leistungen uns die Gnade Gottes zu verdienen suchen: Aber um so freier und ohne Erfüllungsduck sozusagen können und sollen wir nun uns

kompromisslos an die Gebote halten und ihnen entsprechend uns verhalten - und darüber erfahren, wie befreiend und dem Leben dienlich sie sind, ein Vorgeschmack der himmlischen Freiheit. Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.