Gottesdienst zum  Sonntag Invocavit , 3. März 2006, im Wohnstift Augustinum

 

Lieder:

 

Erneure mich, o ewigs Licht...390

Ein feste Burg...362

Stern, auf den ich schaue...407

Ach bleib mit deiner Gnade...347

 

Psalm 31 i. A. (Nr. 715.1)

Lesung:  Matthäus 4, 1-11

 

Predigt über 2. Korinther 6, 1 - 10

 

Paulus schreibt:

 

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt.

Denn er spricht (Jesaja 49, 8): "Ich habe dich zur Zeit der Gnade erhört und  habe dir am Tage des Heils geholfen." Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!

Und wir geben in nichts irgendeinen  Anstoß, damit unser Amt nicht verlästert werde;

sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten,

in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im  Wachen, im  Fasten,

in  Lauterkeit, in  Erkenntnis, in  Langmut, in  Freundlichkeit, im  heiligen Geist, in ungefärbter Liebe,

in dem Wort der Wahrheit, in  der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten  und  zur Linken,

in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und  guten  Gerüchten, als "Verführer" und doch wahrhaftig;

als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und  doch nicht ertötet;

als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben, und doch alles haben.

 

 

 

Liebe Gemeinde, was sind das für wunderbare,  mitreißende, bewegende und erschütternde Worte, in denen Paulus hier spricht. Er redet von seinem Auftrag, der zugleich der Auftrag auch von  uns allen als Christen ist, seinem Auftrag als Mitarbeiter Gottes, und seine Worte finden ihren Höhepunkt in der Aussage über uns: Wir Christen sind die, "die nichts haben und doch alles haben".     

 

Ich mußte, als ich über diesen Satz nachdachte, an die letzte schriftliche Aufzeichnung Martin Luthers denken  -  vom  16. Februar 1546, zwei Tage vor seinem Tod. Da schreibt er: Die Heilige Schrift meine niemand genugsam geschmeckt zu haben, er habe denn  hundert Jahre lang mit Propheten wie Elia und Elisa, Johannes dem Täufer, Christus und  den Aposteln die Gemeinden geleitet. Dann fährt er fort: Du lege nicht die Hand an die Heilige Schrift, sondern  geh tief anbetend ihren Fußspuren nach. D.h.stelle dich nicht über, sondern unter das Wort der Heiligen Schrift.  Und  dann, als letzter schriftlicher Satz in seinem Leben: Wir sind Bettler, das ist wahr.

 

Wir sind Bettler vor Gott, das ist wahr. Leute, die vor Gott nichts vorzuweisen haben, ihm 

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nichts zu bringen haben, vor ihm nur mit leeren Händen stehen können, aber - und das vor allem meint Luther, meint auch Paulus: Wir sind zugleich Menschen, denen Gott die leeren Hände reichlich füllt, die er mit Gutem beschenkt, ja, um das Bild vom Bettler im Sinne der Evangelien  weiterzuführen: Denen er die Bettelkleider auszieht und ihnen stattdessen festliche Kleidung anzieht, die er aus ihrem Bettlerdasein herausholt und sie an seine hochzeitlich-festliche Tafel einlädt, die darum, wie Paulus sagt, alles haben, alles geschenkt bekommen, was zur Rettung unseres Lebens, was zur Seligkeit notwendig ist in Zeit und Ewigkeit.

 

Das Neue Testament faßt dies, womit Gott uns beschenkt, in  einem einzigen Wort zusammen: Dem Wort Gnade. 

 

Und nun  sagt Paulus mit großen Ernst: Als Mitarbeiter Gottes ermahnen wir euch, daß ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt! 

 

Das kann also sein, daß wir das Evangelium hören, aber es gestaltet und regiert unser Leben nicht. Aber das Evangelium sagt uns, nicht nur zu Weihnachten, sondern jeden Tag:  Euch ist heute der Heiland geboren, jetzt, heute will er dein Leben prägen, dich aufs  neue  erfreuen, dir neuen Halt geben, neue Geduld und Widerstandskraft, neue Hoffnung und das Vertrauen: Das, was ich derzeit erlebe, geschieht nach seinem Plan für mich, ist das, was er für mich ersehen hat. Heute, sagt Paulus,  jetzt wendet Gott mir seine Gnade zu; heute, jetzt ist der Tag des Heils für mich!

 

Und dann spricht Paulus davon, wie er das Amt ausführt und gestaltet, das Christus ihm übertragen hat.

 

Zunächst: "Ich gebe in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser Amt nicht verlästert werde!" 

Keinen Anstoß geben! Sich vorbildlich, sich möglichst untadelig verhalten.

 

Das gilt für mich als Gemeindepfarrer: Denn ich weiß schon und finde es auch richtig: Wir werden beobachtet, man schaut auf uns, Junge wie Alte suchen ja sehr nach glaubwürdigen Christen, nach echten Vorbildern. Also wie ich  das familiäre Leben gestalte, wie wir wohnen, wie ich mich kleide, wie ich mit meinem  Körper umgehe, wie ich rede - mein ganzes Verhalten ist wichtig - für die Glaubwürdigkeit kirchlichen Amtes, für die Glaubwürdigkeit des Evangeliums! Ein Gemeindepfarrer hat natürlich eine Vorbildfunktion.

 

Aber es gilt eben auch für jeden, für den das Wort "Gnade" keine leere Formel, sondern lebendige Lebenswirklichkeit ist: Man soll an deinem ganzen Verhalten erkennen können, daß die Gnade Gottes dein Leben prägt, man soll an der Art, wie du Menschen beurteilst und über sie sprichst, erkennen können, daß du dir bewußt bist: So, wie die Gnade Gottes mir unverdient gilt, in gleichem Maße gilt sie auch dem Menschen, mit dem ich jetzt gerade zu tun habe. Ich soll sie ihm mitteilen - in Tat und Wort. Um es mit einer Formulierung des in der ökumenischen Bewegung herausragenden indischen Bischofs D.,T. Niles zu sagen, eine Formulierung, die das Bild vom Bettler aufgreift: "Wir Christen sind Bettler, die anderen Bettlern zeigen, wo sie Brot finden können!"

 

Und eben dies hat Paulus ja in unermüdlicher Weise getan - und er mußte darüber erfahren,  daß seine Botschaft allzuoft nicht gern und dankbar angenommen wurde, sondern ganz im Gegenteil auf Widerstand und Feindseligkeit stieß, eine Feindschaft, die sich oft nicht nur in Worten, sondern in brutalen Mißhandlungen ihm gegenüber äußerte; man muß nur mal lesen, was er 2. Korinther 11 alles an schrecklichen Peinigungen aufzählt! 

 

3

 

Der große Prediger der Bekennenden Kirche Hans Joachim Iwand beschreibt diese Erfahrungen des Paulus in der Nachfolge Jesu in einer Predigt über unseren Text (Nachgelassene Werke 3, Ausgewählte Predigten, Kaiser-V. 1963, 146f.) so:

 

"Mein Heute, sagt Paulus, wenn ihr wissen wollt, wie es aussieht, ist eigentlich  eine unabreißbare Kette von Bedrängnissen, Ausweglosigkeiten und Erniedrigungen, immer wieder bin ich an den Rand der menschlichen Existenz gedrängt, immer wieder läuft mein Leben so, daß ich nicht weiß, wie es weitergehen soll, es ist kein geregeltes, kein, wie man so sagt, gesegnetes Dasein, sondern durchwachte Nächte, durcharbeitete Tage...von der Menge verhöhnt, von den Führern verfolgt, so sieht das Heute unter der Gnade für mich aus."

 

Aber - so läßt Hans Joachim Iwand den Paulus dann weiter sprechen:" Ich will euch noch etwas anderes sagen, die andere Seite meiner Existenz, damit ihr Beides seht, die beiden Hälften meines Lebens. Denn erst dieses seltsame, wunderbare widerspruchsvolle Ineinander von diesen beiden ergibt das Heute der Gnade Gottes. Dieser selbe Weg, der eine Kette von Bedrängnissen ist, ist gleichzeitig ein Weg herrlichster Entdeckungen, mitten in dieser Finsternis leuchten sehr helle, klare Lichter, es ist ein Gehaltensein da, ein Gehaltensein von oben her, die Augen gehen einem auf für Gott und seinen Sohn, es sind Erkenntnisse, die man nicht auf der Schulbank gewinnt, sondern Lebenserkenntnisse, Erkenntnisse, zu denen Todesnähe gehört: Güte und Großmut habe ich da gelernt und gefunden, Gottes Geist, der so selten da zuhause ist, wo der Geist des Menschen sich bläht, Liebe, echte Liebe, nicht Liebe des gefärbten Wortes, sondern  wirkliche Liebe des Opferns, des brüderlichen Verbundenseins, die ist mir da begegnet...".

 

Und, so schließt Paulus in den Worten Iwands: "Es muß schon beides zusammen sein, diese Tiefe und diese Höhe, unsere Ratlosigkeit und das Wort der Wahrheit, unsere Schwachheit und die Kraft Gottes...".

 

 

Ich denke, wir können dem doch zustimmen, wir haben das alle - sicher in kleinerer Münze als Paulus  - doch auch oft und oft erfahren, daß Gottes Kraft, je schwächer und  verzagter wir selbst waren, umso mächtiger und stärker in uns war. Daß wir gerade in Ängsten die

Wahrheit des Psalmwortes erfuhren: Du stellt meine Füße auf weiten Raum (Ps. 31,9); daß wir gerade in Traurigkeiten  über dem Hören eines Bibelwortes oder einem Gebet mit einemmal ganz fröhlich wurden und uns geborgen wußten... Und es ist auch wahr, daß der, der weiß, dass er arm vor Gott ist, ihm nichts zu bringen hat, daß der, der nicht mehr nötig hat, sich vor anderen zu brüsten - dass gerade der das Leben Anderer sehr bereichern kann .

 

"Als die Armen, die doch viele reich machen" , wie Paulus das ausdrückt." Und: Als die Sterbenden, und siehe, wir leben": Martin Niemöller  hat einmal geschrieben: Dies gilt nicht nur für den einzelnen Christen, sondern  ist das Kennzeichen der Kirche überhaupt: Sie scheint durch die ganze Kirchengeschichte hindurch immer irgendwie im Sterben zu liegen, unansehnlich, erfolglos, sehr menschelnd - aber  zugleich gilt: Siehe da, erstaunlich, trotz aller Menscheleien, trotz allen Kleinglaubens, trotz ihrer merkwürdigen Pfarrer, trotz aller Verweltichungen in ihr - sie lebt!  Immer dann lebt sie, wenn sie der Gnade Gottes alles zutraut. Immer dann, wenn sie im Wissen lebt: Wir sind Bettler - aber wie reich beschenkt! So reich, daß wir mit vollen Herzen und Händen das mitteilen müssen: Siehe, jetzt, heute ist die Zeit der Gnade,  jetzt, heute ist der Tag des Heils! Amen.