Gottesdienst am 1. Sonntag nach Trinitatis, 25. Mai 2008,

in der Kirche Am Brandenbusch, Essen-Bredeney




Lieder:

Die helle Sonn leucht' jetzt herfür...437

Wie groß ist des Allmächtgen Güte... 662, 1 - 4

So jemand spricht: Ich liebe Gott...412, 1 - 4

Nun bitten wir den heiligen Geist...124


Psalm 63 (Nr. 729, S. 1160)


Schriftlesung: Lukas 16, 19 - 31


Eingangsgebet:


Gott du Ewiger. Wie wunderbar ist es, dass du zu uns reden willst - auch jetzt, in dieser Stunde, zu jedem von uns persönlich. Wie sehr brauchen wir das, dass du uns Mut machst, uns mit Freude und Dank erfüllst, uns Wegweisung gibst. Denn wir sind wie die Schafe, die ohne dich, den Hirten, orientierungslos herumirren und keine gute Nahrung finden. Wir bitten dich: Bring unsere Gedanken zur Ruhe, damit wir hören, was du uns sagen willst. Bring unser Herz zur Ruhe, damit nicht unsere Sorgen und unsere Wünsche den Raum erfüllen, in dem du uns begegnen willst. Lass uns erfahren, wie unser Leben sich weitet, wenn es sich dir zuwendet im Hören, im Loben, Danken und Bitten. Der du in der Einheit des Vaters, Sohnes, und Heiligen Geistes lebst und regierst ohne Anfang und Ende. Amen




Predigt über 5. Mose 6, 4 - 9:


Der heutige Predigttext steht im 5. Buch Mose. Das Buch ist eine einzige gewaltige Predigt des uralten Mose, eine eindringliche Mahnung, bevor das Volk nach 40jährigem Unterwegssein mit Gott durch die Wüste in die Sesshaftigkeit nach Kanaan überwechselt. Im heutigen Text sagt Mose:


Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein.

Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.

Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen

und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst.

Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,

und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.


Liebe Gemeinde!


Sch'ma jissrael adonaj elohenu, adonai ächad.


Das ist das sog. Sch'ma Jissrael, das jüdische Glaubensbekenntnis. "Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein." Dieses Glaubensbekenntnis soll von jedem gläubigen Juden jeden Morgen und jeden Abend gesprochen werden, jüdische Kinder sollen es lernen, sobald sie sprechen können, und Sterbende sollen es als allerletztes Gebet murmeln,

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sprechen, röcheln. Und es ist überliefert, dass zahllose jüdische Frauen, Männer und Kinder mit diesem Bekenntnisgebet auf den Lippen gestorben sind, in Gaskammern, an Galgen, auf Scheiterhaufen, in Folterkammern: "Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst liebhaben den Herrn deinen Gott von ganzem Herzen und von ganzer Seele und mit all deiner Kraft..."




I


Höre, Israel! Auf das Hören kommt alles an. Aber nicht nur mit den Ohren soll gehört werden! Dieses Gebot, Gott, den Einzigartigen, zu lieben, soll in Fleisch und Blut übergehen, man soll es sich wortwörtlich "einverleiben". Und darum sagt unser Text jedem Juden: Du sollst dir diese Worte "binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen sein zwischen deinen Augen".


Und - manche von Euch haben das vielleicht schon gesehen, jedenfalls auf Bildern -: Das ist ja bis heute jüdischer Brauch: Man legt zum Gebet die sog. teffilin an: Das sind kleine würfelförmige Kapseln, in denen wesentliche Abschnitte aus den Fünf Büchern Mose stehen. Diese Teffilin werden mit dünnen Lederriemen an Unterarm und Hand befestigt, und

auch am Kopf oberhalb der Stirn. Der Sinn ist klar: Das Hören auf Gottes Weisung und die Liebe zu ihm soll alles Handeln bestimmen, alles, was wir mit den Händen tun: Rechnungen schreiben, Musizieren, Streicheln..., und es soll alles Denken leiten bis hin zur Genforschung, unserem Urteil über Menschen, der Produktion von Fernsehsendungen, der Art und Weise unseres Einkaufens...


Und es steht hier die Weisung: Du sollst diese Worte schreiben auf die "Pfosten deines Hauses und an die Tore". Wer von Euch schon in Israel oder sonstwo in einem jüdischen Haus oder Gemeindezentrum war, der wird an den rechten Türpfosten etwa in Augenhöhe eine sog. mesusa gesehen haben: Eine hölzerne Kapsel, die ebenfalls Abschnitte aus der Tora enthält, darunter auch das "sch'ma Jissrael". Auch hier ist der Sinn klar: Das Ehe- und Familienleben und alle Geselligkeit in diesem Haus soll von Gottes Wort und Willen geleitet werden. Und: In den Toren - nämlich den Stadttoren - wurde in biblischer Zeit Recht gesprochen: Also die gesamte Rechtsprechung soll an den Geboten Gottes orientiert sein.


Nicht wahr: Das ist schon eindrucksvoll, wie intensiv hier die Einzigkeit Gottes und sein Gebot, in liebevoller Verbundenheit mit ihm zu leben, auch durch sichtbare, fühlbare Hinweise und Zeichen eingeprägt werden soll. Die tiefe Weisheit steckt dahinter, dass wir eigentlich auf Gott nicht hören wollen, oder zumindest Gott im Alltag leicht vergessen.


Darum brauchen wir Menschen solche Zeichen, die uns sinnfällig vor Augen führen und zu Herzen gehen lassen, was Gott uns alles gibt und schenkt und was er von uns will.


Brot und Kelch: Zeichen der Liebe Gottes, die sich jedem Menschen in gleicher Weise zuwendet - unserm Nachbarn auch, in gleicher Weise wie mir. Oder die Handauflegung beim Segen; der Ring als Zeichen der bleibenden ehelichen Verbundenheit, ein Kuß oder auch ein Blumenstrauß als Zeichen der Liebe. Oder: Es hat mich beeindruckt, als jemand mir einmal den Sinn des Weihwassers am Eingang katholischer Kirchen erklärte: Man taucht die Finger hinein, und erinnert sich sinnfälltig daran: Ich bin einmal in einer Kirche getauft worden, ich habe Jesus Christus zum Herrn und Heiland! Oder auch: Welch tiefe Bedeutung hat das Ewige Licht auf Gräbern. Oder: Ich habe über unserer Wohnungstür ein Segenswort hängen, oder viele haben mit Kreide über der Haustür das C M B vom

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Dreikönigssingen der Kinder, Christus mansionem benedicat, Christus segne dieses Haus. Und früher gab's im Alltag der Christen noch viel mehr Symbole: : Man schnitt vor dem Backen ein Kreuz in den Brotlaib oder, in ländlichen Gegenden, etwa in Bayern, finden wir bis heute die sog. Feldkreuze, zum Zeichen: Alles, was auf den Feldern an Frucht gedeiht, ist Segen Gottes. Zeichen, Symbole. Sie können mehr sagen als Worte.



II


Und nun stellt sich ja doch die Frage: Können auch wir Christen denn solch ein Herzstück jüdischen Glaubens, diese Worte, die sich jedem Juden zeichenhaft und tief in Herz und Hirn einprägen sollen, für uns übernehmen, so dass auch wir in ihnen Gottes Wort für uns hören?


Jedenfalls kann man an Versen wie diesen ein Gespür dafür bekommen: Die Worte der Hebräischen Bibel, von uns "Altes Testament" genannt" - ein leicht mißverständlicher Ausdruck, weil darin ein völlig unangebrachter überheblicher Klang mitschwingen könnte: Diese Worte sind zuerst und bis heute an erster Stelle Gottes Wort für sein bleibend erwähltes Volk Israel. Das betrifft nicht nur das Sch'ma Jissrael, sondern auch die Gottesworte aus den Propheten oder die uns teilweise so vertrauten und lieb gewordenen Psalmen und auch die Segensworte - den uralten sog. "aaronitischen Segen" - am Ende des Gottesdienstes. Was für unvergängliche, einzigartig kostbare Schätze und Wahrheiten

verdankt die Menschheit dem biblischen Israel!


Und darum können wir nur mit großem Respekt, ja in Ehrfurcht vor der jüdischen Glaubenstradition auch als Christen dieses Bekenntnis Israels hören. Und doch : Es war und ist ein Jude, der erlaubt und gebietet es auch uns Menschen aus den Heidenvölkern, es als Gottes Wort auch an uns persönlich zu hören: Jesus nennt in Markus 12, 28ff. das "Höre Israel..." und das Gebot der Gottesliebe als das höchste Gebot von allen, und bindet dann daran noch das Gebot der Nächstenliebe aus dem 3. Buch Mose als gleich wichtig. So gelten diese Worte auch uns und wir können sie als Bekenntnis auch unseres christlichen Glaubens mitsprechen.



III


Was sagen sie uns?


(a) Zuerst und vor allem: Höre! Höre! wird Israel und uns eingeschärft! Nach der ganzen Heiligen Schrift ist das Hören - jedenfalls für den Glauben - viel wichtiger als das Sehen oder gar das Sprechen. Im Jakobusbrief heisst es zum Beispiel: "Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn". Hören - das ist in der Bibel nicht einfach ein akustisches Wahrnehmen, sondern im tiefen Sinn: Ein offenes Herz und Ohr für Gott und sein Wort haben. Wer Gott nicht einbezieht in sein gesamtes Denken und Fühlen und Erkennen, der "hat Ohren und hört nicht". Wie oft ruft Jesus bei seinen Gleichnissen aus: "Wer Ohren hat zu hören, der höre!" Es geht um ein tiefes hörendes und gehorchendes Wahrnehmen der Worte, Hinweise und Zeichen Gottes.


(b) Was sollen Juden und Christen an erster Stelle hören? "Der Herr ist u n s e r Gott". Gemeint ist: Der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, das Sichtbare und das Unsichtbare - der unbegreifliche und unfassliche Gott, der redet uns ganz persönlich an. Er spricht zu uns als unser Gott, der mit jedem von uns persönlich durchs Leben gehen will. Es

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gibt ein schönes Wort des Mystikers Johannes vom Kreuz: "Sucht der Mensch Gott - um wieviel mehr sucht Gott den Menschen!" Gott sucht uns - wie der Hirte das verlorene Schaf, Gott sehnt sich nach uns und wartet auf uns - wie der Vater auf den heimkehrenden Sohn. Gott möchte, dass wir ein Gespräch mit ihm sind.


"Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein", sagt er zu Israel und uns; und ebenso zum ganzen Volk Israel wie zu jedem von uns persönlich: "Fürchte dich nicht, denn ich

habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein" - im Leben, und im Sterben, und nach dem Sterben. Nichts und niemand kann uns von der Liebe Gottes scheiden, die sich uns Christen - und Juden - letztlich und noch durchs Sterben hindurchtragend in Christus zuwendet.


(c) Und damit sind wir beim Dritten, was uns hier gesagt wird: Darum sollen auch wir Gott lieben mit unserem ganzen Wesen. Ja - fragt man sich immer wieder: Können wir Menschen das denn überhaupt? Ist Gott nicht der absolut Unfassliche, der ganz Andere und Unbegreifliche? Ja! Jedes der vielen entsetzlichen Ereignisse, von denen wir aus der ganzen Welt inzwischen hören, sagt uns überdeutlich, wie unbegreiflich Gott ist. Und auch jede Krankheit eines geliebten Menschen etwa. Und doch, so glauben wir: Dieser unfassliche Gott hat zu uns geredet und redet zu uns. Die Worte der Bibel kann man liebgewinnen, und durch sie Gott liebgewinnen! Jesus kann man liebgewinnen - und durch ihn Vertrauen und Liebe zu Gott finden. Wir erfahren dann, wie wir gehalten, getragen, geliebt werden. Und wenn es schwer wird im Leben? Jesus, der Herr der Kirche, ist mit einer

verzweifelten Frage, aber eben doch einer im Gebet gestellten Frage zu Gott hin gestorben. Er hat in der Finsternis im Olivengarten Gethsemane und am Kreuz hängend an Gott festgehalten und sein Gebet ist erhört worden. So wird Gott auch uns durch Leid hindurchtragen, durch den Tod ins Leben führen.


(d) Gott lieben! Gott selbst sagt uns in seinem Wort, dass es noch eine entscheidende Weise der Liebe zu ihm gibt: Die Liebe zum Nächsten. Für Israel sind es etwa die Palästinenser vor ihrer Haustür. Für uns: Der Nachbar. Menschen im Krankenhaus, die wir besuchen, die sog. "fernen Nächsten", die uns im globalen Dorf heute so nahe sind. Jesus schärft uns ein, wir haben's in der Lesung gehört: Ihr, die ihr "herrlich und in Freuden lebt", überseht und übergeht den Lazarus nicht, der bedeckt mit Geschwüren - mit Aids - vor eurer Haustür liegt, der in Booten übers Mittelmeer will oder die Mauern und Stacheldrahtzäune in Gibraltar zu überklettern sucht... Ihr, die ihr "herrlich und in Freuden" lebt, überseht ihn nicht, helft ihm, wo ihr könnt - ehe es zu spät für euch ist. Liebe zu Gott ist immer zugleich auch Liebe zu mir selbst - und Liebe zu den Ärmsten, das hat Jesus eindeutig klargemacht im Gleichnis vom Weltgericht. Ja, der Herr Christus selbst begegnet uns in den Geringsten. Und im 1. Johannesbrief heisst es: Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?


Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.