Gottesdienst am 6. Sonntag nach Trinitatis, 3. Juli 2005

 

Lieder:

In allen meinen Taten...368, 1-4

Lob Gott getrost mit Singen...243

Einer ist’s, an dem wir hangen..256, 1+2

 

Psalm 63 (Nr. 729)

Lesung:  Matth. 28, 16-20

 

Predigttext: 5. Mose 7, 6-10

 

Liebe Gemeinde!

 

„Dies sind die Worte, die Mose zu ganz Israel redete jenseits des Jordan in der Wüste... - alles, wie es ihm der Herr für sie geboten hatte“: So beginnt das 5. Buch Mose. Das ganze Buch ist im  Grunde eine einzige grandiose Predigt des alten Mose vor seinem Tod. Und das Grundthema und Leitmotiv seiner Predigt ist dies: „Wenn ihr ins Land Kaanan kommt – dann vergeßt Gott nicht! Vergeßt den Gott nicht, der euch treu und  geduldig jahrzehntelang durch die Wüste geführt hat. Vergeßt Gott nicht, wenn ihr in Kanaan wohlhabend werden solltet. Vergeßt Gott nicht, wenn ihr satt und seßhaft geworden seid – denn wenn ihr ihn  vergeßt, wird euer Leben verderben und  ihr werdet umkommen“...

 

Der für heute vorgeschlagene Predigttext ist ein Ausschnitt aus dieser Mosepredigt, ich lese aus 5. Mose 7 die Verse 6-10:

 

Denn du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. Dich hat der Herr, dein Gott, auserwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.

Nicht hat euch der Herr angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern -,

sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.

So sollst du nun wissen, daß der Herr, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,

und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.

 

                                                                       I

 

Ein harter Schluß - dieser letzte Vers des heutigen Textes! Ist Gott nicht der Gott der Gnade und des Erbarmens von Anfang an – hat er sich so nicht dem Abraham offenbart, und dem  Mose, dem er sagte: Ich habe das Elend deines versklavtenVolkes gesehen und  sein Schreien gehört und ich bin heruntergekommen und will es herausführen in die Freiheit (2. Mose 3)...? Und spricht nicht Mose auch in unseren Versen in  herrlichen  Worten davon, daß Gott

 

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sein Volk erwählt hat, daß es ihm heilig ist...? Und dann spricht er hier dennoch von Gottes Vergeltung gegenüber denen, die ihn hassen und davon, daß er sie

umbringen  wird??

 

Wie reimt sich das zusammen?

 

Aber zuerst müssen wir auch hier hören, daß vorher in diesem Satz ja steht: Gott ist der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit  hält bis ins tausendste Glied,  also bis in fernste Fernen, durch viele viele Generationen hin, er bleibt der immer aufs neue barmherzige, treue, erbarmende, gnädige Gott;  aber vergelten tut er nur ins Angesicht, also persönlich; er kennt keine Sippenhaft und ist nicht nachtragend... Und er vergilt nur dann, wenn wir seine Gnade eben nicht annehmen und unser Leben nicht von ihr prägen lassen. Mit andern Worten: Wir sollen das Wunder seiner Barmherzigkeit schon ernst nehmen! 

 

Bonhoeffer hat einmal zwischen der teuren und der billigen Gnade unterschieden. Er sagt: Gottes Gnade ist keine billige, sondern  eine teure Gnade, sie hat Jesus das Leben gekostet. Gott hat uns seine  Gnade mitgeteilt um den Preis des Lebens seines Sohnes! Und wir sollen sie in Ehrfurcht, Demut, Staunen und  Dankbarkeit annehmen: Uns, den Sündern, uns, die sie nicht  verdient haben, wendet Gott sie zu!  Welch ein Wunder – wo wir doch das Gegenteil verdient hätten. Und  welch eine Dankbarkeit kann uns  erfüllen, daß Jesus das Urteil Gottes, das eigentlich uns gelten müßte, an unserer Stelle auf sich genommen und getragen hat....Und wenn ich in Ehrfurcht und  Staunen die Gnade Gottes bedenke und  annehme, dann  prägt und gestaltet sie mein Leben..Dann werde ich ein Abbild des Wesens Gottes, nämlich meinerseits „barmherzig und gnädig, geduldig und gütig“ (Psalm 103, 8) zu Menschen. Wenn nicht, dann allerdings kann ich den Zorn Gottes auf mich ziehen, wird er mein Leben verderben und  verkommen lassen. Denn wer nicht von der Gnade Gottes erfüllt und befreit und erfreut wird, dessen  Leben  verkommt und  verdirbt, dessen Leben bleibt in der Wüste, verdorrt und verdurstet dort.  

 

                                                                       II

 

Und Ähnliches gilt im Blick auf die Erwählung: Du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott, sagt Mose. Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt zum Volk seines Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.

 

Und das bleibt so: Israel bleibt das erwählte Volk Gottes, das Volk, mit dem er ein Bündnis geschlossen hat. Gott hat diesen Bund nicht  rückgängig gemacht,  wohl aber sind nun auch wir, wir Christen,  mit erwählt durch Jesus,  mit hineingerufen ins Volk seines Eigentums, seines Bundes. Darum  heißt es im 1. Petrusbrief (2,9) von uns Christen: Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, daß ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht...Kann man Höheres, Ehrenvolleres überhaupt sagen? Das sind wir – die Kirche, in Gottes Augen! Und das ist unser Auftrag!

 

Warum wurde Israel von Gott erwählt? Nicht weil es so groß und ansehnlich, herrlich und gläubig war – im  Gegenteil: Es war, wie Mose hier sagt,  das kleinste und

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unansehnlichste unter den Völkern. Sondern  weil Gott sich nun mal ausgerechnet in dieses  Volk verliebt hat. Die Liebe kennt kein  Warum, die Liebe liebt.

 

Allenfalls könnte man sagen: Gottes Auge ist auf dieses Volk gefallen,weil sie so schrieen und klagten und sein Mitgefühl, sein Erbarmen hervorriefen. Denn seine besondere Liebe gilt dem Schwachen, Unansehnlichen. Der Gott der Bibel hat nicht einen Zug nach oben, sondern nach unten, eine besondere Schwäche für die Schwachen.

 

Er hat dieses kleine schwache, erniedrigte Volk erwählt, es ist und bleibt das Volk seines  Eigentums.

 

Darin liegt seine hohe Ehre und unvergleichliche  Würde.  Ja, Gott sagt sogar einmal: Wer Israel antastet,  tastet meinen Augapfel, also mich selbst in meinem Sehen und meiner Verletzlichkeit, an (Sach. 2, 12). Und darum ist der Judenhaß Gotteshaß und  der Versuch, das Judentum zu zerstören, der Versuch, Gott selbst zu zerstören.  

 

Aber in der Erwählung durch Gott liegt auch seine schwere Bürde, seine besondere Verpflichtung und Verantwortung Gott gegenüber. Bei Amos steht der Satz:  Aus allen Geschlechtern auf Erden, spricht Gott der Herr, habe ich allein euch erkannt, darum will ich auch an euch heimsuchen alle eure Sünde (3, 2) .

 

Wer liebt, der nimmt den Anderen, sein Leben, sein Verhalten ganz ernst, er möchte ihn nicht verachten, nicht  sich über ihn ärgern müssen, sondern er kann, wenn der Geliebte sich töricht oder peinlich verhält, ihn strafen, zornig werden – aus Liebe! So sind auch wir, die von Gott Erwählten, ihm in besonderer Weise seinen  Zorn wert!   Darum sollen wir seine Heimsuchungen als Zeichen seiner verletzten und gekränkten Liebe deuten.

 

                                                                       III

 

Und nun hören wir in unsderm Text noch ein Drittes:  Gott sagt uns nicht nur seine Barmherzigkeit zu  und  mahnt uns zugleich, seine Gnade ernst zu nehmen, er sagt uns nicht nur zu, daß er uns Christen mit Israel zu seinem Volk erwählt hat und wir ihm heilig sind, sondern Mose sagt hier, daß Gott selbst sich sogar durch einen Eid verflichtet habe zur Treue gegenüber uns, seinem Volk.

 

Ich las kürzlich eine erbauliche Geschichte: Die von von der alten Marieluise. Als es mit ihr auf‘s Ende zuging, fragte sie einer ihrer Freunde: Und wenn Gott dich doch vergißt?  Wenn er dich fallenläßt und du verlorengehst? Da antwortete sie: In diesem Falle würde ich meine Seele verlieren, und das wäre schlimm. Noch schlimmer aber wäre, daß Gott seinen guten Ruf verlöre. Denn er hätte sein Wort, seinen Eid gebrochen, daß alle, die sich auf ihn  verlassen, nicht verlorengehen.

 

Mose betont auch in unserem Text: Auf Gott ist Verlaß. Sein  Wort verpflichtet uns. Aber es bindet auch ihn. Oder besser: Er bindet sich selbst daran.  Darum gilt: Sind wir untreu, so bleibt er doch treu. Er kann sich selbst nicht verleugnen (2. Tim. 2, 13).

 

 

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Ich schließe mit einem Wort Jesu,  das alles in einem Satz zusammenfaßt:

 

Ihr habt mich nicht erwählt, aber ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr Frucht bringt, die in Ewigkeit bleibt (Johannes 15, 16). Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen