Frühgottesdienst am Sonntag Estomihi, 5. März 2000 (Pfarrer Martin Quaas)

 

Lieder: 130,1.2.5/ 413/ 414, 1 –3

Psalm 113

Lesung: 1. Korinther 13

 

Predigt über Amos 5, 21 – 24:

 

So spricht Gott der Herr:

 

Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen.

Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich doch kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.

Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!

Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.                           

 

 

Liebe Gemeinde,

 

„Nur der darf gregorianisch singen, der für die Juden schreit“, hat Dietrich Bonhoeffer in den dreißiger Jahren geschrieben. Auf uns heute übertragen: Nur der darf die schönen Gesangbuchlieder singen, der sich für die Menschen und ihr Recht einsetzt.

                                                          

                                                                       I

 

Warum?  Weil Gott das Recht liebt und das Unrecht haßt. Weil er sich freut, wenn es Menschen gutgeht, und weil er mit leidet, wenn Menschen leiden.

 

Aber was sage ich da? Scheint es uns nicht oft eher, als sei Gott uninteressiert am Zustand unserer Welt und das Leid von Menschen lasse ihn unberührt? Läßt er nicht die schlimmsten – und anscheinend sich immer mehr häufenden – Naturkatastrophen zu? 

 

Aber zum einen: Sind nicht zumindest manche dieser Katastrophen von uns Menschen und unserem großspurig – habgierigen Verhalten mitverursacht und also auch von uns zu verantworten? Und zum anderen: Gottes Wirken in der Schöpfung –sagt die Bibel (etwa im Buch Hiob)  - das bleibt für uns Menschen absolut undurchschaubar. Wir sollen und können es also auch nicht beurteilen. Was uns die Bibel aber von Anfang an auf’s deutlichste sagt, ist, daß das Ergehen jedes Menschen ihm am Herzen liegt.

 

Im Grunde ist es atemberaubend, wie die Bibel von Anfang an von Gott redet. Wo offenbart er sich dem Volk Israel zum ersten Mal? In der Wüste, als er dem Mose im Dornbusch begegnet. Da sagt er zu ihm: „Ich habe das Elend deines Volks gesehen, haben ihr Schreien gehört, bin heruntergekommen, um sie herauszuführen in die Freiheit...“. Gott ist von Anfang an ein herunterkommender Gott, einer, der einen  Zug nach unten, eine Schwäche für die Schwachen  hat, einen Widerwillen gegen jede Art von Versklavung und Abhängigkeit und eine Leidenschaft für das Recht. 

2

 

Und so haben wir’s ja auch im Eingangspsalm 113 gebetet: Gott ist ein Gott, „der oben thront in der Höhe, der herunterschaut in die Tiefe, der den Geringen aufrichtet aus dem Staube, daß er ihn  setze neben die Fürsten...“ Ist das nicht ein wunderbares Bild? Die Geringsten gleichrangig neben den Fürsten, die Müllarbeiter an der gleichen Tafel wie die Wirtschafts- und Finanzbosse.

 

Und so steht’s in der ganzen Bibel überall. Nur zwei Beispiele. 5. Mose 10,18: „Gott schafft Recht den Waisen und Witwen und hat die Fremdlinge lieb, daß er ihnen Speise und Kleider gibt“. Oder Jesaja 61, 8: Trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, denn ich bin der Herr, der das Recht liebt und Raub und Unrecht haßt“.

 

Also: Wer sich zu dem Gott der Bibel bekennt, ohne sich um das Recht des Nächsten zu kümmern, der tut Gott selbst Unrecht. Denn er trägt dazu bei, daß Menschen ein falsches Bild von ihm bekommen.

 

                                                                       II

 

Und darum war Amos so leidenschaftlich. Er mußte bei seinen Zeitgenossen erleben, daß ihre Gier nach Geld keine Grenzen kannte. Manchen von ihnen - wie sich die Zeiten gleichen! – manchen von ihnen waren sogar die Feiertage lästig, weil man an ihnen keinen Profit machen konnte. Hört, sagt der Prophet in Kapitel 8, 4ff., hört dies, die ihr die Armen zertretet und die Elenden im Lande zugrunderichtet und sprecht: Wann geht der Neumond vorüber, daß wir wieder Getreide verkaufen können, und der Sabbat, daß wir wieder Korn anbieten können und das Maß verringern, den Preis steigern, die Waage fälschen? Der Herr hat geschworen: Niemals werde ich eure Taten vergessen!  Kurz vor unserem Text (Kap.5,10) schreibt er von der

Bestechlichkeit von Richtern und Zeugen: Sie hassen den, der vor Gericht für das Recht eintritt und verabscheuen den, der die Wahrheit redet. Aber genau diese Leute kamen dann, um im Tempel zu opfern und dem Gott Loblieder zu singen, dessen Rechte und Gebote sie im Alltag mit Füßen traten.

 

Darum gibt Amos uns hier im Predigttext einen – ja man muß sagen – Zornesausbruch Gottes, einen empörten Aufschrei Gottes wieder: Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder, ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Auf uns übertragen: Euer Singen ist unerträglich für mich, hört auf mit eurer gottesdienstlichen Musik!

 

Aber meint der Prophet denn allen Ernstes auch uns?

 

Klar ist: Er sprach seine Worte damals in eine ganz konkrete Situation, in eine ganz bestimmte Zeit hinein. Und doch: Sie wurden aufgeschrieben und  weitergegeben in dem Wissen, daß sie allen Menschen, also auch uns Entscheidendes zu sagen haben!

 

Aber was?

 

Ich habe mir gedacht, dies einmal den Amos selbst zu fragen und ihm einen Brief zu schreiben. Ich habe mich also am Donnerstagabend an den Computer gesetzt und dies geschrieben:

3

                                                                      

III

 

„Lieber Amos, du bist für mich - neben Jesaja und Jeremia und Ezechiel - einer der gewaltigsten Propheten. Schon als Theologiestudent war ich erschüttert von deiner Radikalität und begeistert von deiner Gerechtigkeitsliebe. Ich bin froh, daß deine Worte heute auch uns erreichen. Oft schon habe ich gedacht: Wenn wir Christen in Europa und Amerika deine Worte ernst nehmen würden, dann müßten wir Christen hier viel leidenschaftlicher für mehr Gerechtigkeit hier und in der Weltwirtschaft eintreten. Aber ausgerechnet wir Christen gehören inzwischen  zu den reichsten Völkern der Erde und können uns über unsere Korruptheit und Verdorbenheit eigentlich garnicht genug schämen.

 

Meinst du, Amos, daß Gott auch gegen unsere schönen Gottesdienste ist? Ich meinesteils muß sagen: Ich liebe die Musik im Gottesdienst, ich liebe viele unserer Gesangbuchlieder, und ich habe geradezu eine Sehnsucht danach, daß auch unser Kirchenraum innen bald schön gestaltet sein möge. Liege ich falsch, wenn ich mir vorstelle, du kämst heute in unsere Kirche und Gemeinde und riefst: So spricht Gott: Tut weg von mir eure Aktivitäten, eure Hektik, Unterschriftenlisten, Aktionen und Kampagnen. Richtet stattdessen die auf, die sich überarbeiten und atemlos sind im  ständigen Einsatz für Andere. Gebt ihnen Lieder auf die Lippen und Farben ins Leben und Freude an Gott, laßt sie die Liebe Gottes spüren! Ihr körperlich Verfetteten, aber seelisch Verhungerten und Verdursteten, sucht die Quellen der Stille! Übt euch im Gebet!

 

Lieber Amos, könntest du in unserer Situation vielleicht auch so reden?“

 

                                                                       IV

 

Als ich soweit war, fiel mir ein Wort des Amos ein, das für mich zu den dichtesten und schönsten der ganzen Bibel gehört und das kurz vor unserem Predigttext steht: „So spricht der Herr: Sucht mich, so werdet ihr leben“ (Amos 5,4).

 

Darum geht`s Gott also, nur darum - : Um Leben, um Leben in Fülle für alle. Wo Luther „suchen“ übersetzt, steht im hebräischen Urtext übrigens wörtlich: Sucht mich auf – nämlich da, wo ich zu finden bin: im Wort der Bibel!

 

Wenn wir uns diesen Worten öffnen, dann ist alles gut, dann sagen sie jedem das, was gerade für ihn in seiner Situation heilsam ist. Es gibt Menschen unter uns, die sich überaus beharrlich für mehr Gerechtigkeit einsetzen. Damit ihnen nicht der Atem ausgeht, haben sie die Worte Gottes nötig, die ihnen neue Kraft, neue Hoffnung geben, etwa das Jesuswort: Selig sind, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, sie sollen satt werden (Mt. 5,6). Es gibt andere, die Gottesdienst feiern aber geizig sind und im Alltag unrecht handeln, denen gilt Gottes Wort: Ich mag eure Lieder und Gebet nicht hören, es ströme stattdessen in eurem Verhalten das Recht wie Wasser.

 

Worum also geht es Amos? Aufs kürzeste gesagt: Lebe erfüllt von der Liebe Gottes, dann  wird recht sein, was du tust. Amen.




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