Predigt über Apg. 16, 9-15 (Sonntag Sexagesimae, 3. Februar 2002, Frühgottesdienst)


Lieder:


Tut mir auf die schöne Pforte...166

Ich weiß mein Gott...497, 1-8

Herr,dein Wort die edle Gabe...198

Du bist mein Vater...497, 13+14


Psalm 63, 1-9

Lesung: Jesaja 55, 6-12

Fürbitten: Zippert 47


Liebe Gemeinde,


der für heute vorgeschlagene Predigttext ist aus der Apostelgeschichte, Kapitel 16. Lukas, der außer dem Evangelium auch die Apostelgeschichte als 2. Band geschrieben hat, erzählt vor unserm Predigttext dies (auf Folie zeigen):


Paulus und seine Begleiter Silas und Timotheus sind auf ihrer sog. Zweiten Missionsreise (50-52 n.Chr.). Sie kommen von Jerusalem, wo auf dem sog. Apostelkonzil die Weichen für die Ausbreitung der Evangeliums unter den Heidenvölkern gestellt wurden. Sie besuchen Gemeinden, die sie auf der 1. Missionsreise gegründet hatten, wagen sich dann aber auch in neue Landschaften, in denen man vorher noch nichts von Jesus dem Erlöser gehört hatte.


Nicht immer haben sie Erfolg. In der Provinz Asien, in der heutigen Türkei, ist kein Durchkommen, nichts gelingt ihnen, die ursprüngliche Route muß geändert werden, denn, so schreibt Lukas: Ihnen wurde vom heiligen Geist verwehrt, in der Provinz Asien zu predigen. Und: der Geist Jesu ließ es nicht zu, daß sie in Bythinien predigten.


Das sind entscheidende Sätze. Sie sagen: Alles geschieht unter Führung des Heiligen Geistes. Er, der Geist Gottes, ist Initiator und Lenker aller Mission, nicht etwa Paulus, der ist nur Mittler, Werkzeug Gottes.


Das bedeutet für Paulus zweierlei. Einmal: Er hat stets nach dem Willen Gottes zu fragen, er hat im Gebet zu fragen: was willst du, Herr, was ich tun, wohin ich gehen soll?


Und zweitens: Er kann seinen Auftrag in einer großen Gelassenheit erfüllen. Denn er weiß: Gott selbst stellt die Weichen, er lenkt, führt durch, bringt alles ans Ziel.


Und dann heißt es im heutigen Predigttext, Apg. 16, V 9 – 15, Lukas läßt die Beteiligten zum Teil in der Wir-Form erzählen:


Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber und hilf uns!



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Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiß, daß uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.

Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis

Und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.

Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluß, wo wir dachten, daß man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.

Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, so daß sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde.

Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, daß ich an den Herrn glaube, so kommt und bleibt da. Und sie nötigte uns.



Gott stellt die Weichen, Gott sagt dem Paulus, was er tun, wohin er sich wenden soll.

Paulus hört in einer Vision den Hilferuf eines Mannes: Komm uns zu Hilfe! Der ganze Glaube bedeutet: Hilfe, Lebenshilfe! Komm herüber zu uns, nach Europa. Und sie

machen sich sofort auf, sie wandern, sie fahren über den Bosporus, sie gelangen nach Philippi - alles sozusagen im Eiltempo.


Aber dann dort angekommen, überstürzen sie nichts, halten Ruhe bis zum Sabbat. In alldem hören wir: Sie öffnen sich dem Geist Gottes, sie beten, sie fragen nach Gottes Willen, sie haben Zeit zur Ruhe, zur Besinnung - sie nehmen sich diese Zeit, damit Gottes Geist, sein Wirken, Raum finden kann bei ihnen. Mit einer ruhigen Gelassenheit, erfüllt vom Geist des Evangeliums, machen sie sich dann am Sabbat auf den Weg, gehen an einen Ort außerhalb der Stadt, von dem sie vermuten, daß die jüdischen Bürger sich dort zum Gebet versammeln – hier aber treffen sie nicht,

wie sie vielleicht erwartet hätten, jüdische Männer beim Torastudium, sondern eine Frauengruppe.


Und auch jetzt, in der Begegnung mit diesen Frauen, wird wieder der Geist Jesu deutlich spürbar.


Die Evangelien berichten ja von vielen Begegnungen, die Jesus mit Frauen hatte. Begegnungen, in denen er sich ihnen ganz zuwandte, sie ganz ernst nahm als gleichberechtigte Gesprächspartnerinnen in Glaubensfragen, sie heilte, aufrichtete, ihnen Liebe erwies – wie in der Geschichte von der gekrümmten Frau, die er so heilte, daß sieaufgerichtet wurde, aufrecht gegen konnte, erhobenen Hauptes (Lk.13). Oder da ist das Gespräch mit Maria und Martha (Lk.10), das Gespräch mit der Samariterin am Brunnen (Joh.4), die Heilung der Frau, die an ständigem Blutfluß litt (Mk.5). Jesus heilt sie, so daß sie wieder in die Öffentlichkeit kann.


So ist es für die drei, die in der Nachfolge Jesu leben und in seinem Auftrag reden, kein Problem, sich zu diesen Frauen zu setzen und ihnen vom Evangelium zu

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erzählen. Und eine von ihnen spürt ganz besonders schnell und stark, was dieses Evangelium für sie und alle Welt bedeutet – Lydia, die erste Christin in Europa.


Lydia lebt von der Mode. Ihr gehört sozusagen eine Boutique in Philippi. Und zwar hat sie nur erste Ware, höchste Qualität, exquisite Stoffe. Das Beste hieß damals: Purpur. Ein fast violett schimmernder Farbstoff – aus der Ausscheidung der sog. Purpurschnecke gewonnen.


Lydia steht einem ganzen Hause vor, hören wir, sie ist also sicher wohlhabend, sehr tüchtig, erfolgreich. Sie steht „ihre Frau“. Aber sie hat nicht nur Erfolg, sie hat auch klare Lebensregeln: Einmal in der Woche schließt sie ihr Geschäft, um an den Fluß zu gehen, sich mit anderen Frauen zu treffen – sagen wir, zu einer Art Gebetsfrühstück.


In dieses Treffen kommt Paulus hinein, die Frauen hören ihm zu und ich denke mir, Paulus erzählt von Jesus, von seinen Worten und Taten. Und dann, weil er weiß, Lydia kennt sich in purpurfarbenen Textilien aus, wird er vielleicht auch erzählt

haben, daß man Jesus einen Purpurmantel angezogen habe, als man ihn als König verspottete.


Und vielleicht wird er auch erwähnt haben: Als Jesus am Kreuz hängt und in die Finsternis hinein schreit: Mein Gott, wozu hast du mich verlassen...da zerriß der

Purpurvorhang im Tempel mitten entzwei, und Paulus könnte gesagt haben, das sei ein Zeichen dafür, daß Gott aus seiner Verborgenheit herausgetreten sei, daß er bei den Menschen, seinen Kindern wohnen wolle, daß jeder Mensch nun unmittelbaren Zugang zu ihm haben dürfe, und daß er ihnen darum Jesus Christus als Erlöser, als Mittler seiner bedingungslosen und grenzenlosen und vorbehaltlosen Liebe gesandt

habe, damit wir Menschen in keiner Situation, selbst im Sterben, nicht mehr ohne die Nähe Gottes zu sein brauchten.


Wir hören nichts davon, was Paulus wirklich gepredigt hat, aber es könnte so gewesen sein, nach seinem Motto: Den Juden bin ich ein Jude geworden, den Griechen ein Grieche, allen alles, um auf jedmögliche Weise Menschen für’s Evangelium zu gewinnen (1Kor.9,20ff) - der Purpurhändlerin also einer, der von dem erzählt, worin sie sich auskennt...



Aber das Wesentliche tut auch hier wieder Gott selbst: Gott öffnet der Lydia das Herz...


Ich stelle mir vor, wie die Kundinnen der Lydia bei ihr während der Anproben manchmal „ausgepackt“ hatten, ihr Herz ausgeschüttet hatten: Familienschwierigkeiten und Streitereien, Beziehungsprobleme, Nachbarschaftstratsch...


Lydia wußte, wie die Menschen innerlich leer und ausgepumpt sein konnten,wie sie Hilfe, Trost, Verständnis brauchten, das Gefühl angenommen und wertvoll zu sein..



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Lydia wußte vielleicht auch: Das, was uns Menschen wirklich hilft, das können wir nicht kaufen oder uns selber sagen: Es muß uns zugesagt, muß uns geschernkt werden.


Sie erfuhr über den Worten des Paulus: Jesus ist für uns gestorben, in seiner Liebe finden wir Menschen die Liebe Gottes, um Jesu willen nimmt er uns an als seine Kinder an: Ihr Herz wird erfüllt und weit.


Dieses Wunder tat Gott bei der Lydia. Jesus zieht in ihr Herz ein und damit erfährt sie das Wunder der Liebe und Barmherzigkeit Gottes.


Die Folge ist: Sie hat nun nicht nur ein offenes Herz, sondern auch ein offenes Haus für andere. Sie öffnet ihr Haus für die drei Botschafter der Liebe Gottes und die erfahren die Gastfreundschaft der Lydia.


So also hat der Glaube in Europa angefangen, die Gemeinde in Europa, an einem Fluß am Rande von Philippi, am liebevoll gedeckten Tisch der Lydia.


Offene Häuser bei uns, auch offene Gemeindehäuser, wo wir Gemeinschaft, auch Tischgemeinschaft erfahren und stiften, das gehört zum Glauben. Gott möchte unser Herz für ihn und dann auch unser Herz und Haus für andere Menschen öffnen, das ist das, was uns Lydia heute sagt. Amen.