"Erleuchtete Augen des Herzens"


Predigt am Fest der Himmelfahrt Christi, 1. Mai 2008

(Pfarrer i.R. Martin Quaas)


Liebe Gemeinde, der heutige Predigttext ist aus dem Epheserbrief, Kapitel 1, die Verse 20 - 23. Im Grunde müsste man das ganze Kapitel von V 3 an vorlesen: Ein einziger grandioser Hymnus, ein vor Freude übersprudelnder Lobpreis Gottes! Ich nehme wenigstens einige Verse dazu und lese von Vers 15:


Darum auch ich (schreibt Paulus), nachdem ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen,

höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet,

dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen.

Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist

und wie überschwenglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde,

mit der er in Christus gewirkt hat. Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel

über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.

Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles,

welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.


Liebe Schwestern und Brüder,


ein großer lutherischer Theologe des 19. Jahrhunderts, August Christian Friedrich Vilmar, erzählt in seinen Lebenserinnerungen, er sei als junger Theologiestudent an diese Verse des Epheserbriefs gekommen, und er schreibt dann: "Ein Glanz aus der jenseitigen Welt leuchtete mich an, und ich fühlte mich angehaucht von dem Atem des ewigen Lebens. Einen ganzen Tag las ich diese Verse wieder und wieder und konnte nicht von ihnen loskommen. Ich begriff, dass dies nicht dunkle Worte und phantastische Redensarten seien, sondern Worte von Gott geredet und vom heiligen Geist eingegeben, Worte, wie sie die Erde nicht hat und erzeugt. Der Eindruck ist mir von damals ungeschwächt geblieben bis an mein Greisenalter".


So tief können diese Worte also einen Menschen berühren. Und das habt ihr beim Hören sicher auch gespürt: Paulus ist, als er diese Verse schreibt, selber ganz überwältigt von Freude, Dank und Begeisterung - und er will uns in diese Freude und Begeisterung mit hineinziehen! Denn das "wir" und "uns", das er hier öfter gebraucht, meint ja nicht nur die

Christen in der Hafenstadt Ephesus damals, sondern auch uns, die Gemeinde hier!

Aber wie kann das geschehen, dass auch bei uns jetzt Freude und Begeisterung einziehen?


Wir brauchen dazu


1. Ein erleuchtetes Erkennen


Ein erleuchtetes Erkennen! Das ist etwas Anderes als zum Beispiel Bildung, gebildet sein. Dabei wollen wir die nicht schlecht machen. Gerade die Evangelische Kirche hat ja Gewaltiges zur Bildung beigetragen; und ich habe noch im Ohr, wie mir einer von Euch

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nach dem Gottesdienst am vorletzten Sonntag sagte, dass gerade sein Interesse am Glauben und an der Bibel in ihm einen regelrechten Bildungshunger ausgelöst habe. Aber Erkenntnis ist mehr; ist erst recht mehr als Kenntnisse, Wissen, Informiertsein. Das Wissen nimmt ja offenbar - vor allem seit Einführung des Internet - explosionsartig zu. Nun will ich auch das nicht einfach schlecht machen und auch ich gebe gern mal Stichworte im Internet ein und schon kann ich mich bei "Wikipedia" ausführlich informieren - nur kann man eins nicht sagen: Dass nämlich mit dem Riesenzuwachs an Wissen in den letzten Jahrzehnten auch eine Zunahme an Erkenntnis, an Weisheit, oder gar an Lebensfreude oder auch zum Beispiel an Dankbarkeit verbunden sei - eher ist, glaube ich, das Gegenteil der Fall. Ja, bei Menschen, die viel Wissen und auch viel Lebenserfahrung angehäuft haben, kann man stattdessen schon mal eher eine Art Schwermut oder gar Resignation feststellen - wenn sie nicht in der Erkenntnis des Glaubens leben, also klare Massstäbe, einen festen Halt und und eine Quelle der Hoffnung im Glauben haben!


Und darum bittet Paulus hier so dringlich und innig: "Gott gebe euch den Geist der Weisheit - und wir erinnern uns sofort an das so tiefe und herrliche Wort, das öfters im Alten Testament genannt wird: Die Furcht des Herrn - also die Ehrfurcht vor Gott - ist der Weisheit Anfang, und er wünscht uns: "Gott gebe euch den Geist der Offenbarung" - also der Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift, in der Gott sich uns offenbart. Und dann fügt er noch hinzu: "Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt..". Was für ein schöner Ausdruck: "Erleuchtete Augen des Herzens". Ob vielleicht der Schriftsteller Saint-Exupery von hierher seine oft zitierte Formulierung hat: "Man sieht nur mit dem Herzen gut..."? Erleuchtete Augen des Herzens: Also ein zugleich liebeerfülltes wie ehrfurchtsvolles Erkennen - ein Erkennen, wie es nur Gott selbst, wie es nur der Heilige Geist in uns bewirken kann.


Und dann - was erkennen wir dann?


Paulus stellt uns


2. eine unerhörte Tat Gottes


vor Augen. Er erzählt in diesen hymnischen Versen gleichsam eine Geschichte, eine Aktion, die noch in vollem Gange ist, die aber unaufhaltsam auf ein Ziel, eine Vollendung zusteuert, und er nennt uns sämtliche an diesem Geschehen beteiligten Personen:


1. Der Autor ist Gott, den Paulus - damit seine Hörer und Leser auch genau wissen, wer hier mit Gott gemeint ist, den "Vater der Herrlichkeit" nennt - ein Name für den Gott Israels.


2. nennt er mehrfach sozusagen den Titelhelden, die Hauptperson: nämlich "den Herrn Jesus Christus".


3. dann jene Größen, die hier "alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was einen Namen hat", genannt werden - also alle, die Macht ausüben, sowohl sichtbare Menschen: Präsidenten und Kanzlerinnen, Militärs, Wirtschaftsführer, Zeitungsbosse und Medienstars, wie auch unsichtbare, aber sehr spürbare Mächte und Einflüsse wie die Eifersucht, die Todesfurcht und Zukunftsangst, der Geiz, die Eitelkeit oder ihre Kehrseite, den Selbstzweifel - aber auch Dämonen und Engel, die höllischen und die himmlischen Mächte


4. dann die Christen, die hier "die Gemeinde", der "Leib Christi", die "Heiligen" genannt werden


und 5. könnte man noch hinzufügen: Die gesamte Menschheit, ja die gesamte Welt, das All,

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denn Christus wird hier der genannt, der schliesslich "alles in allem erfüllt".


Das also sind die "dramatis personae", das Personenverzeichnis dieses Drams, dieses alles verändernden Geschehens. Und was ist der Inhalt?


Die Schlüsselperson, die Zentralgestalt ist, wie gesagt, Jesus Christus. Der Apostel sieht ihn an zwei grundverschiedenen Stellen. Er sieht ihn ganz unten. Und er sieht ihn ganz oben, hoch erhöht über das Universum.


Zuerst ganz unten, so tief, wie es tiefer nicht geht. Er sieht Christus im Tode, in der Grabeshöhle. Aber dort, tief unten, im Tod Jesu, da beginnt eine Kraft zu wirken. Eine ganz andere Kraft, als sie in unserer Welt vorfindlich ist. Dazu muss man in den griechischen Urtext hineinsehen. Um die Einzigartigkeit dieser Kraft zu kennzeichnen, reiht der Apostel alle bekannten Worte der griechischen Sprache für "Kraft" aneinander, er spricht wörtlich von "der Größe der dynamis, der Dynamik Gottes...gemäß derr Energie der Kraft seiner Stärke". Diese für uns Menschen unfassliche Kraft, diese Überkraft Gottes, diese göttliche Schöpferkraft, die aus Nichts etwas macht - die belebt, was starr und tot da liegt und holt den toten Menschen Jesus von da ganz unten heraus und herauf - hinauf über die höchsten Höhen, die überhaupt nur denkbar sind, setzt ihn über alles, was es an Mächten, Reichen, Gewalten, Herrschaften und Namen, die etwas bedeuten, gibt - also dorthin, wo alle sichtbaren und unsichtbaren Kräfte und Mächte der Schöpfung ihren Herrn und Schöpfer haben; dorthin, wo das erste wie auch das letzte Wort gesprochen wird über das Geschehen des gesamten Universums wie auch über jedes Menschenleben, auch deins und meins. In dieser Zentrale der Weltregierung ist nun Jesus. "Sitzend" zur Rechten Gottes" , wie wir im Glaubensbekenntnis sagen. Er, der von Menschen Erniedrigte und Verstoßene, ist von Gott zum Herrscher über das All, zum Pantokrator eingesetzt worden - wie ihn die Künstler auf zahllosen Mosaiken und Malereien dargestelt haben.


Und das eben feiern wir heute, feiern Himmelfahrt als Fest der Weltherrschaft und Allmacht Jesu Christi, feiern das Fest, in dem unser Glaube zu seiner unüberbietbaren Spitzenaussage kommt: Gott hat dem gekreuzigten Jesus alle Macht im Himmel und auf Erden übertragen! Was für eine unerhörte - im Doppelsinn unerhörte - Tat Gottes!


Sonnenklar, dass wir zum Glauben daran "erleuchtete Augen des Herzens" brauchen. Denn was wir mit unseren Augen sehen, ist ja: Die Welt dreht sich weiter, als sei nichts geschehen. Politiker, die sich christlich nennen, scheinen sich wenig an die klaren Weisungen Jesu zu halten. Es gibt politische Situationen wie in Israel/Palästina - da scheinen auch unsere zahllosen Gebete zu keiner Lösung zu führen. Oder auch: Eine Kirche oder auch Pfarrer - angepasst, machen allerhand Allotria - aber scheinen ihrem ureigensten Auftrag nicht allzuviel zuzutrauen. Aber sehen wir auch auf uns selber. Da gibt's ja diese schöne Geschichte von dem Rabbi, die Martin Buber überliefert. Dieser Rabbi erzählte: In meiner Jugend, als mich die Gottesliebe entzündete, meinte ich, ich würde die ganze Welt zu Gott bekehren. Aber bald verstand ich, es würde genug sein, wenn ich die Leute meiner Stadt bekehrte, und ich mühte mich lang, doch wollte es mir nicht geklingen. Da merkte ich, dass ich mir immer noch zu viel vorgenommen hatte, und ich wandte mich meiner Familie zu. Es ist mir nicht geglückt, sie zu bekehren. Endlich ging mir auf : Mich selbst will ich zurechtschaffen, dass ich Gott in Wahrheit diene. Aber auch diese Bekehrung habe ich nicht zustande gebracht".


Und darum ist es so wichtig, nicht auf uns selbst zu starren, sondern auf den Herrn Christus zu sehen - und auf die Mitgeschwister!


Denn 3. Er schafft eine geisterfüllte Gemeinde! Die "Avantgarde der Menschheit", den

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"Vortrupp des Lebens" hat sie Helmut Gollwitzer gern genannt: Die Gruppe von Menschen, die in der Menschheit nun doch schon diesem Glauben gemäss zu leben suchen - und die darum nur zu gut wissen, wie sehr sie auf Christus, ihr "Haupt", angewiesen sind - auf seine Geduld, seine Nachsicht, seine Liebe zu ihnen. Und die darum - das meine ich ganz im Ernst - klüger sind als andere. Klug in den Sinne, dass sie von ihrer Glaubenserkenntnis her die Geister prüfen und unterscheiden können. Klug in dem Sinne, dass sie, was Jesus gesagt hat, einfach für einleuchtend und vernünftig halten und ihr Verhalten danach richten. Und klug in dem Sinne, in dem ich es einmal bei dem Vater von Dietrich Bonhoeffer, einem Berliner Psychiater, definiert fand: Klug, sagte er, ist der Mensch, der seine Grenzen erkennt.


Als wesentliche Kennzeichen solcher vom Heiligen Geist erleuchteten Klugheit nennt

Paulus, wie öfter in seinen Briefen, so auch hier die Dreieinheit von Glaube - Hoffnung - Liebe.


Glaube: Also ein unbeirrbares Vertrauen zu Jesus und zugleich ein möglichst kompromissloser Gehorsam gegenüber seinen Worten.


Hoffnung: Die Hoffnung, dass er das letzte Wort über alle spricht und dass am Ziel er alles erfüllt, und dass auch für uns, wie Paulus hier schreibt, ein "reiches Erbe" bereitliegt.


Und 3.: "Die Liebe zu allen Heiligen". Manchmal, wenn wir im Glaubensbekenntnis von der "Gemeinschaft der Heiligen" sprechen, sehe ich die Gemeinde an und denke: Sie alle, jeder, jede von ihnen heilig, in Gottes Augen heilig, eine Gemeinschaft der Heiligen! Nicht wir sprechen ja jemanden heilig oder gar selig (was für eine Anmaßung liegt darin!), sondern wir werden von Gott durch den Glauben an Jesus heilig und selig gesprochen. Und ganz sicher ist dies ein Hauptsinn aller Gemeindearbeit, dass wir einander spüren lassen: Du bist in Gottes Augen heilig, gerecht und gut; der Liebe Jesu würdig; wichtig für ihn, gerade mit deinen Gaben!


Glaube, Hoffnung, Liebe - ohne Jesus würde uns alles das im Nu zerstieben - aber er weckt das immer aufs neue in uns durch seinen Geist.


Zwei Dinge nennt Paulus noch gleich zum Eingang des Textes:


Er dankt Gott dafür, dass eine Gemeinde da ist, Menschen, die ihr Vertrauen auf Jesus setzen und sich einander in Liebe zuwenden. Und er gedenkt ihrer im Gebet. Beides können und wollen auch wir tun. Gott danken für diese Gemeinde hier, und auch ich persönlich bin dankbar, dass es eine Weiglehaus-Gemeinde gibt, in der, wie ich finde, der Geist spürbar wirkt Und wir wollen treu und beharrlich Anderer gedenken, beten für kranke Gemeindeglieder, aber auch für die ehrenamtlich und hauptamtlich Tätigen.Vielleicht für einen Menschen, von dem wir annehmen, dass für ihn keiner oder kaum einer betet. Vor allem aber immer wieder für uns selbst wie für andere bitten um "erleuchtete Augen des Herzens" , um das Kommen des heiligen Geistes, um den wir auch jetzt im Lied bitten. Amen


Lieder:

Wir danken dir, Herr Jesu Christ...426, 1-4 / Siegesfürste, Ehrenkönig...95, 1.2.5.6/ Jauchz, Erd, und Himmel, juble hell...100, 5+7 // Lesung: Apg. 1, 3-11