Gottesdienst am Sonntag Exaudi, 24. Mai 2009

in Essen-Bredeney, Kirche Am Brandenbusch


Lieder:

O Heilger Geist, kehr bei uns ein...130, 1. 2. 5. 6

Wir strecken uns nach dir...664

Dir dir, o Höchster, will ich singen...328, 1 + 2

Komm, o komm, du Geist des Lebens...134, 1. 8


Psalm 27 (Nr. 713)


Schriftlesung: Johannes 15, 26 und 27; 16, 12 – 14


Predigt zu Epheser 3, 14 – 21:


Der Apostel schreibt:


Deshalb beuge ich meine Knie vor dem Vater,

der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heisst im Himmel und auf Erden,

dass er euch gebe Kraft nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen,

dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in der Liebe eingewurzelt und gegründet seid.

So könnt ihr mit allen Heiligen begreifen, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist,

auch die Liebe Christi erkennen, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet mit der ganzen Gottesfülle.




Liebe Gemeinde!


Zum Kampf der Wagen und Gesänge

die auf Korinthus' Landesenge

der Griechen Stämme froh vereint,

zog Ibykus, der Götterfreund.

Ihm schenkte des Gesanges Gabe,

der Lieder süßen Mund Apoll.

So wandert er an leichtem Stabe

aus Rhegium, des Gottes voll.


So haben wir es in der Schule auswendig gelernt: Schiller, Die Kraniche des Ibykus. Ibykus wandert „...aus Rhegium, des Gottes voll“. Davon spricht auch der Apostel hier: „Ihr sollt erfüllt werden mit der ganzen Gottesfülle!“, schreibt er. Man kann also erfüllt sein von Gott und leer sein von Gott. In den Leerraum dringen dann andere Mächte und Einflüsse.


Vielleicht denkt ja einer oder eine von Euch hier jetzt: Gott Lob und Dank – ich bin ganz erfüllt von Gott! Juble, springe, freue mich! Aber vermutlich werden die meisten von uns hier bei dem Wort „Gottesfülle“ doch eher an unseren Mangel denken: Mangel an geistlicher Kraft, Mangel an Freude, wie sie eigentlich die Grundhaltung von Christen sein

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müsste, Mangel an Dankbarkeit – denn wie gut geht es uns im Grunde, jedenfalls materiell. Nicht wahr, es geht uns besser als es jemals Menschen in Deutschland gegangen ist, besser als - sagen wir – 90% der Menschheit. Da müssten wir doch eigentlich platzen vor Dankbarkeit, vor Freude, vor Gottesfülle! Aber es ist eben nicht so.



I


Also tun wir gut daran, dem Rat des Apostels zu folgen: „Werdet stark durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen“.


Im Neuen Testament, liebe Gemeinde, finden wir ja manchmal diese Unterscheidung zwischen dem äusseren und dem inneren Menschen. So schreibt zum Beispiel der Apostel Paulus in 2. Kor. 4 Vers 16: „Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch der äussere Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert“. Der „äussere Mensch“, das sind wir also im Blick auf unsere Natur, unsere Vergänglichkeit, unsere Körperlichkeit; unsere Ausrichtung nach aussen hin, der „innere Mensch“, das sind wir im Blick auf die seelische, die geistliche Kraft, die uns erfüllt, unsere Ausrichtung auf Gott hin.


Und jetzt habe ich mal überlegt: Wieviel Zeit, Geld , Kraft wendest du auf für den äusseren Menschen auf, also für Essen, Trinken, Kleidung, Körperpflege und sog. fitness, für Gesundheitsvorsorge und Arztbesuche, für Wohnungseinrichtung, Auto, Freizeitveranstaltungen, Konsum im weitesten Sinne...



Und wieviel Zeit, Geld und Kraft wenden wir auf für den inneren Menschen: Für Gebet und Bibellese, Gewissensprüfung und Meditation, für die Vorbereitung auf das Sterben, den Tod, das Jüngste Gericht, die Ewigkeit; für den Gottesdienst und den Dienst am Nächsten durch Besuche, durch Briefe, durch die Fürbitte für Menschen...


Ergebnis: Das ist ziemlich offensichtlich, dass der äussere Mensch bei uns hierzulande im allgemeinen eher überversorgt, überernährt, übersättigt ist - die Fettleibigkeit nimmt immer noch zu – während der innere Mensch unter Unerernährung und Mangelkrankheiten leidet. Sie äussern sich in Unruhe und Hektik, in Egoismus und Geiz, in ungestilltem Lebensdurst, in Aggressivität und innerer Leere.


Man kann es auch an einem Beispiel illustrieren, dem Energieverbrauch: Was schliessen wir nicht alles an Steckdosen an. Wieviel Geräte für Haushalt, Beruf, Freizeit, Unterhaltung...Und wie ist es mit unserem Anschluss an das Stromnetz Gottes, die Energiezufuhr durch die Bibel, durch das Gebet, durch die Gemeinschaft - auch Gebetsgemeinschaft - mit anderen Christen? Nicht wahr, da ist bei vielen doch eher Wackelkontakt oder gar Stromausfall.


Ich sage das jetzt ein wenig salopp daher, aber dahinter steckt viel Todernstes und Erschütterndes. Die Beziehungen und Verbundenheiten in Ehe, Familie, Verwandtschaft, Freundschaft zerreissen und zerfallen weiterhin rapide. Alte Menschen auf Pflegestationen dämmern isoliert, in ihrem Rollstuhl oder an Tischen hockend, vor sich hin. In jedem Konfirmandenkurs, wenn wir das Thema „Gebet“ hatten, habe ich auch nach dem häuslichen Tischgebet gefragt: Fast immer Fehlanzeige, manchmal meldete sich

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etwas verschämt einer oder zwei, meistens keiner. Und auch das Gespräch über Glaubensfragen findet in den Familien oder zwischen Eheleuten kaum statt. Es gibt viel geistlichen Analphabetismus unter uns Christen hierzulande. Und es ist schon so: Jede

Gemeinschaft, die keine Glaubensbindungen mehr kennt, geht zugrunde. Oder wie der frühere rheinische Präses Peter Beier öfters sagte: „Eine Gesellschaft,die keine Ehrfurcht vor Gott mehr hat, hat keine Zukunft mehr“.



II


Aber all das lässt sich ändern; man kann umkehren. Paulus zeigt uns, wie wir dem Mangel an Gottesfülle abhelfen können.


Der Apostel betet, er beugt seine Knie vor Gott.


Knien - das ist eine schöne Gebetshaltung. Bei uns Evangelischen ist sie eher selten. Wir falten die Hände. Allmählich nimmt eine andere, eine in biblischer Zeit sehr häufige Gebetshaltung zu: Das Beten mit weit ausgebreiteten Armen, das sich Öffnen zu Gott hin.

Aber Knien?


Den Älteren ist der Kniefall von Willy Brandt am Mahnmal in Warschau in Erinnerung. Bei mir hat sich eine Erinnerung tief eingeprägt, noch aus den Anfangszeiten meiner Pfarrtätigkeit in Stadtwald: Eine alte Frau, aus Ostpreussen stammend. Sie nahm das Heilige Mahl knieend. Verschleiert mit einem Kopftuch kniete die kleine Frau auf der untersten Treppenstufe im Altarraum und empfing in tiefer Ehrfurcht das Sakrament. Vielleicht ist das der größte Mangel heute: Dass uns die tiefe Ehrfurcht vor dem Heiligen fehlt.


Der Apostel beugt seine Knie. Er drückt damit aus, dass er mit allen Fasern seines Wesens, mit Körper, Geist und Seele zu Gott hingewandt ist. Alles an ihm und in ihm betet. Er betet zu dem Gott, von dem er hier sagt: Du bist „der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heisst im Himmel und auf Erden“. Er betet in einer Ehrfurcht zu Gott, die aus Vertrauen, ja Liebe zu Gott erwächst.


Ob er Jesu Gleichnis vom verlorenen Sohn, besser genannt: das Gleichnis vom liebevollen Vater, gekannt hat? Schöner kann man ja nicht sagen, was gemeint ist, wenn wir Gott, den absolut un-fasslichen, un-begreiflichen, un-ergründlichen Schöpfer des All „Vater“ nennen dürfen.


Der Sohn in Jesu Gleichnis will Selbstbestimmung, Autonomie. Erst als sein Leben wortwörtlich „versaut“ ist, merkt er, was für einer Scheinfreiheit er aufgesessen ist. Isoliert ist er schliesslich, ein single, innerlich leer und tot – und er kehrt um.


Und der Vater hat lange, Tag und Nacht, sehnsüchtig gewartet, hat am Fenster gesessen und herausgeschaut. Und dann, nach langem vergeblichem Warten, sieht er eines Tages sein Kind zurückkommen. Da vergisst der Patriarch alle Würde und Selbstachtung und rennt, was er kann, dem Sohn entgegen, nimmt ihn, der vor ihm kniet, in seine Arme, steckt ihm seinen Siegelring an den Finger, setzt ihn damit neu zu seinem Kind und Erben ein und ruft: Kommt, freuen wir uns miteinander ! Mein Sohn war tot - und er lebt wieder!


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III


So können wir vor Gott unsere Knie beugen, in den Armen des Gottes, der immer voller Sehnsucht auf uns wartet. Denn es ist so, wie es der Mystiker Johannes vom Kreuz

formuliert hat: „Sucht der Mensch Gott - wieviel mehr sucht Gott den Menschen.“


Wie der heimkehrende Sohn können wir Töchter und Söhne Gottes täglich zu ihm kommen – zu dem Gott, der uns mit unseren Mitgeschwistern zum Freudenmahl einlädt.


Dieses Freudenmahl kann ganz verschieden aussehen. Aber natürlich denken wir auch und vor allem an das Mahl, das Jesus gestiftet hat, das Mahl der Gemeinde, deren Heiland und Herr der ist, von dem Paulus hier wünscht, dass er durch den Glauben in euren Herzen wohne und ihr in seiner Liebe eingewurzelt und gegründet seid“.


Starke Worte. Also nicht hin und wieder mal, bei einem sog. „Gottesdienstbesuch“, soll uns das Evangelium zu Herzen gehen, sondern Christus selber soll in unseren Herzen wohnen.


Vom Herzen wird ja das Blut ständig in alle Fasern, Muskeln und Zellen gepumpt und nur, wenn unser Körper ständig so durchblutet wird, bleibt er am Leben. Wenn Christus in unseren Herzen wohnt, dann durchdringt Er unser ganzes Denken, Fühlen, Wollen, Reden, Schweigen, Handeln. Dann ist er, und nicht mehr unser Ich, unser Lebenszentrum. In diesem Sinne wird, vor allem in der orthodoxen Kirche, das „ständige Gebet des Herzens“ geübt. Und Luther sagt einmal den schönen Satz: „Bete immer so , als wenn Christus in dir betet“.


Wenn Christus so in uns eingewurzelt ist, dann ist die Liebe die ständige Kraftnahrung für unser Leben. Auch Nahrung für unsere Augen, denn, wie Paulus schreibt, wir erkennen und sehen dann „mit allen Heiligen, welches die Breite und die Höhe und die Länge und die Tiefe ist“. Er meint damit wohl die Liebe Christi, die alle Zeiten und Räume, Höhen und Tiefen, Grenzen und Entfernungen übersteigt: Die Liebe, die sich am Kreuz vollendet. Das Kreuz verbindet in seinen beiden Balken ja Himmel und Erde, Gott und Welt und alle Glieder des Volkes Gottes aus Juden und Heiden.


Diese allen zu allen Zeiten an allen Orten geltende Liebe Jesu: Sie ist die ganze Gottesfülle. In ihr ist das ganze Reichtum der Herrlichkeit Gottes zu finden, von dem vrtfPaulus hier so staunend spricht.


Und, nicht wahr: Sie hat doch auch unser Leben reich gemacht und macht es immer auf's neue reich.


Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.