Predigt über Epheser 1, 3 – 14 am Sonntag Trinitatis, 18. Juni 2000, anläßlich des 2ojährigen Jubiläums des Rellinghauser Posaunenchors (Pfarrer Martin Quaas)

 

Liebe Gemeinde!

 

Der für heute vorgeschlagene Predigttext ist das, was im jüdischen Gottesdienst eine beracha heißt, Worte der Segnung also, Worte der Anbetung Gottes, Worte jubelnden Lobpreises – so jubelnd und strahlend, wie wir’s eben in Bach’s „Gloria sei dir gesungen...“ gehört haben und in dem Choral „Nun lob, mein Seel, den  Herren...musiziert und gesungen haben. Die Worte unseres Predigttextes wollen gar nicht in erster Linie mit dem Verstand begriffen werden, sie sind ohnehin von solch einer Dichte und Tiefe, daß der Verstand da garnicht hindringen kann. Sondern sie sind Worte der Freude und Ehrfurcht und wollen Freude und Ehrfurcht in uns wecken. Im Grunde ist es angemessen, sie stehend zu hören. Darum bitte ich Sie heute, sich zu erheben, wenn ich sie lese.

 

Im ersten Kapitel des Epheserbriefs schreibt der Apostel in den Versen 3 – 14:

 

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.

Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, daß wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten; in seiner Liebe

hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens,

zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten.

In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade,

die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit.

Denn Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Entschluß, den er zuvor in Christus gefaßt hatte,

um ihn auszuführen, wenn die Zeit erfüllt wäre, daß alles zusammengefaßt würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist.

In ihm sind auch wir zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Ratschluß seines Willens;

damit wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit, die wir zuvor auf Christus gehofft haben.

In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Seligkeit – in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem heiligen Geist, der verheißen ist,

welcher ist das Unterpfand unsres Erbes, zu unserer Erlösung, daß wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.

 

 

Liebe Schwestern und Brüder,

 

im jüdischen Talmud gibt es auch die Legende von den vier großen Lehrern Israels, die gewürdigt wurden, Gott selbst in seiner himmlischen Herrlichkeit zu schauen. „Als

 

2

sie wiederkamen gegen Abend, da schritten sie riesengroß und dunkel aus der Glut des Westhimmels hervor in schwerem Schweigen; die anderen Lehrer aber, die ihnen entgegengingen, erschraken vor der Verstörung ihrer Gesichter. Der eine, Rabbi Simon, warf sich mit zitternden Gliedern auf sein Lager, nahm weder Speise

noch Trank zu sich und starb nach wenigen Tagen. Den zweiten bedrängten die maßlos ungeheuren Bilder, die er gesehen hatte, so sehr, daß er mit den irdischen Dingen nicht mehr zurecht kam und in Wahnsinn versank. Rabbi Elisa, dem dritten, war alles sinnlos geworden. ‚Was wir hier haben, ist ja doch nur eine abgesplitterte Nichtigkeit vom Ewigen‘, rief er, stieß verzweifelt allen Glauben von sich und warf sich allen Sünden der Welt in die Arme.‘ Wir sind tot, gemessen an Seinem Leben, winzig vor Seiner Unendlichkeit, Toren vor Seiner Weisheit; dennoch ist seine Hand über uns und hat uns dieses Leben gegeben, daß wir darin wirken zu Seiner Ehre‘, bekannte Rabbi Akiba, der vierte, und stand hoch auf, zu lehren Ewiges in den armen Formen der Erde“.

 

„Zu lehren Ewiges in den armen Formen der Erde“: Nicht wahr, genau darum geht’s in allem, was die Bibel von Gott sagt und erzählt, auch in all unseren Predigten,  und auch in der Lehre von der Dreieinigkeit Gottes. Es kann nicht darum gehen zu sagen, wie Gott, der Ewige, an und für sich ist. Nicht nur, daß wir seinen Anblick nicht  ertragen könnten. Wir können mit unserem begrenzten Wahrnehmungsvermögen ja auch nicht im entferntesten erfassen, wer und wie Gott selbst ist. Sondern wir können immer nur hören,  wo und wie Gott ist in seiner Zuwendung zu uns Menschen.

 

Und eben davon, von dieser Zuwendung Gottes zu uns, davon spricht der Apostel staunend in diesen zwölf Versen und dreimal kommen seine Worte zu dem gleichen Ziel: „...daß wir etwas seien zum Lob der Herrlichkeit Gottes“. Darum also geht es, daß wir Gott loben können – und zwar mitten in  unserm irdischen Dasein mit all seinen Rätseln, Geheimnissen und der Bruchstückhaftigkeit unseres Erkennens: Daß wir Gott loben können durch unser Tun und Lassen, durch unsere Worte und Lieder, und natürlich auch durch unser Orgelspiel und die Musik des Posaunenchors. Und nicht umsonst haben unsere Bläserchor-Bücher ja Titel wie „Lobt Gott“, „Rühmet den Herrn“ und ähnlich.

 

Nun liegt uns Menschen ja leider das Klagen, Mäkeln und Jammern näher als das Loben Gottes. Manche Menschen brauchen’s auch sehr, daß man sie lobt. Wer das nicht mehr nötig hat, wer von Herzen gern Gott lobt, der ist schon ziemlich frei. Wir können das eigentlich nur, wenn wir wissen, wie sehr Gott uns anerkennt, wie liebevoll er uns ansieht – wenn wir also dankbar werden für seine Wohltaten. Aber wo sind die zu haben? Und nun heißt es in diesen Versen ja immer wieder: „In ihm“, „in ihm“, “in ihm“, so als sollte es uns geradezu eingehämmert werden, daß alle Gotteserkenntnis hier auf der Erde mit Jesus Christus beginnt und endet, daß wir alle Wohltaten Gottes durch Jesus bekommen und das, was die Bibel von ihm sagt.

 

Denn „in ihm“ – so sagt der Apostel in den drei entscheidenden Tätigkeitsworten dieses Hymnus – in ihm hat Gott uns

 

erwählt

erlöst

versiegelt.

 

3

                                                                       I

 

Erwählt!   Das heißt schlichtweg: Wir sind geliebt! Gott sagt zu jedem und jeder von uns: Ich liebe dich! Ich will nicht ohne dich sein. Ich will dir zuhören. Ich brauche

dich. Also nicht ein blindes seelenloses Schicksal lenkt das All und unser Leben, sondern ein Gott, der jeden von uns kennt und – liebt.

 

Wir können etwas sein zum Lob seiner Herrlichkeit, indem wir Gott vertrauen.

 

Aber, sofort drängen sich uns ja Fragen auf. Wenn wir ihm so wertvoll sind, wenn, wie Bodelschwingh formuliert hat, „kein Mensch über die Erde geht, den Gott nicht liebt“:  Ja – wie reimt sich damit zusammen, daß seine von ihm erwählten Kinder – besonders das „erwählte Volk“,  die Juden in ihrer ganzen Geschichte – aber auch so viele Christen, und manchmal ganz besonders die, die Ernst machten mit dem Glauben an ihn: Daß die oft so Furchtbares erleiden und ertragen mußten: Grausamkeit und Schmerzen, Spott und Hohn, Verfolgung, Verachtung, Vernichtung...? Und überhaupt: Macht nicht der Tod doch letztlich alles zunichte? Ist nicht doch der Tod der Allmächtige?

 

                                                                       II

 

Und dahinein ergeht das zweite Stichwort:

 

erlöst.

 

„Dazu ist Jesus Christus gekommen“, sagt der Hebräerbrief, „daß er die erlöste, die durch Furcht vor dem Tode im ganzen Leben Knechte sein mußten“ (Hebr.2,14f.)

 

Erlöst: Wir sprechen von erlöstem Aufatmen, von erlösendem Lachen...erlöst, das bedeutet: erleichtert sein, ent - lastet, befreit aufatmen,  unbeschwert sein können...

 

Aber: wie oft schon ist Nietzsches Satz zitiert worden: „Erlöster müßten mir die Christen aussehen, wenn ich an ihren Gott glauben sollte...“. Sind wir denn wirklich erlöst?

 

Ich fühle mich oft ganz schön unerlöst und handele wahrlich nicht immer so, wie sich’s eigentlich für einen erlösten Menschen gehört.

 

Der Theologe Gollwitzer hat mit Recht gesagt: Der Erlöser ist gekommen – die Erlösung steht noch aus. Ja, der Erlöser ist gekommen: Jesus Christus. Ihm kann man sein Herz ausschütten, bei ihm können wir alles abladen, was uns bedrängt und beschwert, durch ihn empfangen wir in Zeit und Ewigkeit Gottes Gnade und Vergebung ...Gibt es etwas Herrlicheres? Und das Evangelium sagt uns zu: Einmal, einmal soll und wird die ganze Schöpfung erlöst sein...Aber das steht noch aus, das ist unsere Hoffnung. Es ist die Hoffnung darauf, daß die Liebe Jesu mächtiger ist als alles andere, daß die Liebe Jesu siegt.

 

Diese Liebe Jesu kann und soll uns prägen, damit auch wir liebevoll umgehen mit Menschen, die samt und sonders unsere Geschwister sind, damit wir Zeit finden, ihnen zuzuhören, niemanden verurteilen, sondern jeden hochachten.

4

Wir können etwas sein zum Lob der Herrlichkeit Gottes, indem wir der Macht der Liebe Jesu trauen.

 

Aber, wieder kommen Fragen: Ist diese Liebe Jesu nicht doch eine viel zu schwache Macht? Sind Gottlosigkeit, Habgier, menschliche Bosheit und Gleichgültigkeit nicht doch viel stärker?

 

Manchmal denke ich: In den dreißig Jahren, in denen ich Gemeindepfarrer bin – in dieser Zeit hat die weltwirtschaftliche Gerechtigkeit keineswegs zugenommen, und auch die Behutsamkeit im Umgang mit unseren Mitgeschöpfen und den Bodenschätzen und unseren Lebensgrundlagen Wasser und Luft nicht, eher im Gegenteil. Wir sind halt die „Spaßgesellschaft“, die konsumiert, bis sie platzt. Und zugleich: wieviel Einsamkeit gibt es, auch gerade bei jungen Menschen, wie unheimlich viel seelische Leere und zunehmende Hemmungslosigkeit im Blick auf Gewalt: gerade wieder die Morde an den drei Polizisten, oder der Mensch aus Mozambique, den man in Dessau zu Tode geprügelt hat...

 

                                                                       III

 

Aber in den Kleinmut hinein, der einen manchmal ergreifen will, ergeht das dritte Stichwort:

 

versiegelt.

 

Das heißt: Gott hat uns mit der Taufe sein Schutz- und Eigentumssiegel aufgeprägt. Wir bleiben Gottes unantastbares Eigentum.

 

 „Wir sind versiegelt“ heißt aber auch: Wer wir sind, was aus uns und der Schöpfung wird – das ist noch „ein Buch mit sieben Siegeln“, es ist noch Geheimnis. Es wird erst enthüllt werden, wenn wir einmal ...Gott sehen... und dann nicht  nur Gottes Kinder, sondern auch Gottes Erben sein werden. Was und wie das sein wird, das kann keiner von uns erahnen und ermessen. Aber es bedeutet auf jeden Fall auch dies: Gott hält uns – und seiner Schöpfung – die Treue. Gott führt alles dem von ihm gesetzten Ziel entgegen – wir können seine Pläne wohl stören, aber nicht hindern.

 

Wir können etwas sein zum Lob seiner Herrlichkeit, indem wir in beharrlicher Hoffnung auf Gottes Treue leben.

 

„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus“. In diesem Ausdruck „geistlicher Segen“ faßt der Apostel alle Wohltaten Gottes zusammen. Gott hat uns gesegnet. Auch die Arbeit unseres Posaunenchors hat er gesegnet. Auch unseren Leiter, Herrn Kirchhefer und seine Frau  - gerade erst hat er sie mit einem Enkelkind gesegnet - 

und Herrn Degen mit seiner Familie, der einige Jahre den Chor leitete und Frau Urbasch, die ihn ein Jahr leitete. Und: Jeden von uns hat er gesegnet, „hat aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet“. Darum: Lobe den Herrn!  „In den armen Formen der Erde“ können wir „etwas sein zum Lob seiner Herrlichkeit“. Amen.

 

 

 




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