(Pfarrer
Martin Quaas)
Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn,
geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.
Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes
gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!
So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber
Kind, dann auch Erbe durch Gott.
Das, liebe
Gemeinde, ist also auch eine Weihnachtsgeschichte, die Weihnachtsgeschichte des
Apostels Paulus. Zwar – wenn wir wählen müßten zwischen der so herrlich
anschaulichen Erzählung des Lukas in seinem Evangelium und dieser doch etwas
trocken klingenden des Paulus – ich denke, es wäre klar, wie das
Abstimmungsergebnis unter uns aussehen würde.
Aber, es hat
ja auch sein Gutes, wenn etwas Wesentliches knapp und klar zusamengefaßt ist –
und das ist hier der Fall. Paulus, dieser wohl größte aller christlichen Theologen -
er hat die Gabe, alles, wirklich alles, was zu Weihnachten Wichtiges zu
sagen ist, in einem Satz zu sagen.
Hören wir diesen Satz noch einmal: „Als aber...empfingen“ .
Worum geht es
in diesem Satz, worum geht es zu Weihnachten? Ich will es mit einem anderen
berühmten Satz sagen.
1934 trafen
sich Vertreter der Bekennenden Gemeinden zu einer Synode in Wuppertal - Barmen.
Im zweiten Artikel des Bekenntnisses, das damals entstand, heißt es: „Durch Jesus Christus widerfährt uns frohe
Befreiuung aus den gottlosen Bindungen der Welt...“.
Das ist es,
darum geht es: Um ein befreiendes Handeln Gottes, das uns über die Maßen froh
werden läßt.
Immer schon
war dies die Absicht Gottes: Uns Menschen
zu befreien. Das fängt damit an, daß er zu Mose sagt: ich habe das
Schreien der Israeliten gehört und bin heruntergekommen, um sie herauszuführen
aus der Sklaverei und in ein Land zu führen, das von Milch und Honig
überfließt..Und dann redet Gott immer aufs neue durch die Propheten, um sein
Volk aus den „gottlosen Bindungen der Welt“ zu befreien..Und dann: als die Zeit
erfüllt ist...“.
Ein merkwürdiger Ausdruck. Aber das wissen wir
ja auch: Zeit kann leer sein, unendlich langweilig, sie dehnt sich
endlos...Zeit kann aber auch überaus erfüllt sein, dicht, prall von
Erleben..Und: Alles hat seine Zeit, zu
einer bestimmten zeit ist etwas „dran“, ist „die Zeit reif für etwas..“, muß
man sagen: jetzt oder nie! Und so war das offenbar mit Gottes Absichten mit
seiner Menschheit: In genau diesem Augenblick in der Geschichte des Universums, an diesem Ort in Palästina, zur
Zeit der Statthalterschaft des Pontius Pilatus – da, gerade da, war es Zeit,
war der rechte, der richtige Zeitpunkt...daß Gott seinen Sohn sandte, um uns
Menschen zu erlösen,
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Gott wurde
Mensch. Aber halt: Ist es eigentlich richtig zu sagen, Gott wurde Mensch?
Paulus sagt es genauer, konkreter: Er wurde ein jüdischer Mensch. Geboren von
einer jüdischen Frau und darum Jude und darum auch „unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren,
erlöste“. Gott wurde Jude – kam in
dem Volk, das er erwählt hatte, zur Welt. Es bleibt sein erwähltes Volk – und
darum muß man umso dringender seine Politik infrage stellen und zu Israel
sagen: Der Gott, der dich erwählt hat, ist ein Gott, der Recht und
Gerechtigkeit liebt!
Die Torah, das
Alte Testament, das „Gesetz“, wie Luther mißverständlich übersetzt, bedeutet ja
wörtlich: Wegweisung, Gottes gute Wegweisung, die der Befreiung von uns
Menschen dient. Aber: Wenn man Gottes Wort mißversteht, kann es auch das
Gegenteil bewirken, kann Menschen knechten, versklaven,unterdrücken, freudlos
werden lassen – wenn man nämlich meint, man muß
alle Gebote und Worte Gottes halten...So ist es einem Luther gegangen, der
sich herumquälte und herumschlug mit dem Problem, wie kann ich das hinkriegen,
so zu leben,daß ich Gott gefalle? Er stand unter einem ungeheuren Druck.
Manchmal denke
ich, es geht manchen Menschen auch mit Weihnachten so. Welche Hoffnungen werden
in der Vorweihnachtszeit erzeugt! Und darum manchmal dann nach Weihnachten: Welche
Enttäuschungen! Daß wir wenigstens zu Weihnachten freundlich miteinander
umgehen. Daß wir zu Weihnachten auch den und den Brief noch abschicken, oder dies Päckchen packen. Und nie
flattern so viel Spenden aufrufe und –bitten
ins Haus wie vor der Adventszeit. Das also, könnte man sagen, ist das Weihnachtsgesetz. Und es ist ja auch irgendwie gut und richtig: Wer wünschte
sich nicht mehr Frieden, echtere Liebe, größere Hilfsbereitschaft, wer sehnt
sich nicht nach ein bißchen mehr Himmel auf dieser Erde? Aber wenn es dann
nicht eintrifft – wie schwer kann dann die Enttäuschung sein.
Aber nun läßt
Gott es Weihnachten werden lassen nicht durch
uns, sondern für uns. Nicht wir
sollen das schaffen und herbeiführen: die Liebe, den Frieden, die Freude,
sondern er will uns das alles schenken. Er will, daß wir die „frohe Befreiung“
spüren, die er uns zugedacht hat. Weihnachten ist für uns nicht Forderung,
schon gar nicht Überforderung, sondern Geschenk.
Ich will das
an einer ebenso eigenartigen wie großartigen Geschichte deutlich machen. Der
Italiener Dino Buzatti erzählt sie. Er erzählt, wie an einem Weihnachtsabend
der Erzbischof ohne Gott zu bleiben droht. Sein Sekretär hatte einem Bettler,
der sich in der Kirche etwas erwärmen und am Lichtglanz der göttlichen
Herrlichkeit erfreuen wollte, die Tür vor der Nase zugeschlagen. Da war das
Licht verschwunden, der göttliche Glanz war erloschen, es war finster, kalt
und feucht im Dom geworden. Doch Don
Valentino, der Sekretär, weiß sich zu helfen. Er eilt zu einer befreundeten
Familie, von der er weiß, diese Menschen sind fromm, freundlich, hilfsbereit.
Er trifft sie beim Weihnachtsmahl, umgeben von Gottes Herrlichkeit. Als er
jedoch seine Geschichte erzählt und sie bittet, ihm ein wenig von Gottes Glanz
abzugeben, zeigen sie ihm die kalte Schulter. Morgen vielleicht, sagen sie,
aber heute gehört Gott uns, wir wollen uns an ihm erfreuen. Kaum haben sie das
gesagt, verschwindet das Licht. “Das Lächeln erstarrte“, schreibt Dino Buzatti,
„und der Truthahn schmeckte wie Sand zwischen den Zähnen“.
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Und so
geschieht es wieder und wieder. Wo immer Don Valentino Gottes Herrlichkeit bei
den Menschen findet, will keiner etwas davon abgeben und verliert sie im selben
Augenblick. Die Welt wird dunkler und kälter. Gott scheint sich ganz
zurückgezogen zu haben. Verzweifelt geht Don Valentino zur Kathedrale zurück.
Er will dem Bischof alles bekennen und alle Schuld auf sich nehmen. Er öffnet die Domtür und traut
seinen Augen nicht: Der Kirchenraum ist voll lichten Glanzes, voll himmlischer
Seligkeit. Der Erzbischof kommt auf ihn zu: „Gesegnete Weihnachten,
Don Valentino.
Wo treibst du dich in dieser Eiseskälte auch nur so lange herum?“
Ich muß sagen,
daß ich den Schluß dieser Geschichte, die ich schön öfter gelesen habe, erst
durch unseren Predigttext zum ersten Mal richtig verstanden habe. Der Anfang
ist klar. Das ist das Weihnachtsgesetz.
Wer Gottes Liebe nicht mit andern teilen will, der verdient sie nicht, der
verliert sie selbst. Das Weihnachtsevangelium
aber lautet: Gott kommt trotzdem. Ja, er kommt gerade zu denen, die seine
Barmherzigkeit eigentlich nicht verdienen. Ihnen will er sie schenken. Nun
zählt nicht mehr, was wir nicht können. Es zählt nur noch, wie er, wie Gott zu
uns steht. „Sieh nicht an, was du
selber bist in deiner Schuld und Schwäche“, hat Jochen Klepper
geschrieben.“Sieh den an, der gekommen ist, damit er für dich spreche“.
Auf die Frage:
Warum können Engel fliegen? soll Papst Johannes XXIII geantwortet haben: Weil
sie sich selbst leicht nehmen.
Leicht nehmen
kann sich selbst nur der, der sich ganz ernst genommen weiß, der weiß, für mich
ist gesorgt, ich habe einen, der zu mir hält, der für mich eintritt, einen, auf den ich mich felsenfest verlassen
kann. All das ist gemeint, wenn Paulus sagt, daß Gott seinen Sohn darum gesandt
hat, „damit wir die Kindschaft empfingen“.
Gott will, daß
wir erleichtert aufatmen, dankbar werden, wie Kinder, denen der Vater ganz überraschend und unverdient
Schönes schenkt.
Vergiß nie,
daß du ein Königskind bist, hat Martin Buber einmal geschrieben. In Wahrheit
sind wir noch mehr, nämlich Gottes erwachsene Söhne und Töchter. So ernst nimmt
er uns, so wichtig sind wir ihm, daß er uns angenommen hat an Kindesstatt, daß
er uns alle Rechte gegeben hat, die wir als seine Kinder haben. Ja, wir werden
sogar seine Erben sein! Und was das bedeuten mag ,das ist sicher unbegreiflich,
unbegreiflich schön. Gott wird uns alles geben, was sein ist. Wir werden sein
wie Er.Und für unsere Tage hier gilt: Er bleibt uns treu, als seinen Kindern, er
hält zu uns, er sorgt für uns, er fragt als guter Vater nicht nach Versagen
oder Leistung bei uns, er hat uns lieb um unsertwillen.
Fliegen werden
wir, solange wir leben, noch nicht. Wir sind – noch - keine Engel. Aber
aufatmen können wir, unsere Lasten bei ihm abladen und was das Allerwichtigste
ist: Wir dürfen wissen, daß er uns hört, wenn wir rufen und daß er uns trägt, wenn wir müde werden: „Weil ihr nun
Kinder seid“, sagt Paulus, „hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere
Herzen, der da ruft Abba, lieber Vater“. Dieser Geist inniger Liebe, kindlichen
Vertrauens zu Gott, den schenkt Gott einem jeden, einer jeden von uns, wenn wir
zu ihm rufen. Dieser Geist ist der Geist eines Gottvertrauens, das uns sagen
läßt: „Es kann mir nichts geschehen, als
was er hat ersehen und was mir selig ist...“Amen.