Predigt am 1. Weihnachtstag 2001 über Galater 4, 4-7

(Pfarrer Martin Quaas)

 

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,

damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.

Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater!

So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

 

Das, liebe Gemeinde, ist also auch eine Weihnachtsgeschichte, die Weihnachtsgeschichte des Apostels Paulus. Zwar – wenn wir wählen müßten zwischen der so herrlich anschaulichen Erzählung des Lukas in seinem Evangelium und dieser doch etwas trocken klingenden des Paulus – ich denke, es wäre klar, wie das Abstimmungsergebnis unter uns aussehen würde.

 

Aber, es hat ja auch sein Gutes, wenn etwas Wesentliches knapp und klar zusamengefaßt ist – und das ist hier der Fall. Paulus, dieser wohl größte aller christlichen  Theologen -  er hat die Gabe, alles, wirklich alles, was zu Weihnachten Wichtiges zu sagen ist, in einem Satz zu  sagen. Hören wir diesen Satz noch einmal: „Als aber...empfingen“ .

 

Worum geht es in diesem Satz, worum geht es zu Weihnachten? Ich will es mit einem anderen berühmten Satz sagen.

 

1934 trafen sich Vertreter der Bekennenden Gemeinden zu einer Synode in Wuppertal - Barmen. Im zweiten Artikel des Bekenntnisses, das damals entstand, heißt es: „Durch Jesus Christus widerfährt uns frohe Befreiuung aus den gottlosen Bindungen der Welt...“.

 

Das ist es, darum geht es: Um ein befreiendes Handeln Gottes, das uns über die Maßen froh werden läßt.

 

Immer schon war dies die Absicht Gottes: Uns Menschen  zu befreien. Das fängt damit an, daß er zu Mose sagt: ich habe das Schreien der Israeliten gehört und bin heruntergekommen, um sie herauszuführen aus der Sklaverei und in ein Land zu führen, das von Milch und Honig überfließt..Und dann redet Gott immer aufs neue durch die Propheten, um sein Volk aus den „gottlosen Bindungen der Welt“ zu befreien..Und dann: als die Zeit erfüllt ist...“.

 

Ein  merkwürdiger Ausdruck. Aber das wissen wir ja auch: Zeit kann leer sein, unendlich langweilig, sie dehnt sich endlos...Zeit kann aber auch überaus erfüllt sein, dicht, prall von Erleben..Und:  Alles hat seine Zeit, zu einer bestimmten zeit ist etwas „dran“, ist „die Zeit reif für etwas..“, muß man sagen: jetzt oder nie! Und so war das offenbar mit Gottes Absichten mit seiner Menschheit: In genau diesem Augenblick in  der Geschichte des Universums, an diesem Ort in Palästina, zur Zeit der Statthalterschaft des Pontius Pilatus – da, gerade da, war es Zeit, war der rechte, der richtige Zeitpunkt...daß Gott seinen Sohn sandte, um uns Menschen zu erlösen,

 

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Gott wurde Mensch. Aber halt: Ist es eigentlich richtig zu sagen, Gott wurde Mensch? Paulus sagt es genauer, konkreter: Er wurde ein jüdischer Mensch. Geboren von einer jüdischen Frau und darum Jude und darum auch „unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste“.  Gott wurde Jude – kam in dem Volk, das er erwählt hatte, zur Welt. Es bleibt sein erwähltes Volk – und darum muß man umso dringender seine Politik infrage stellen und zu Israel sagen: Der Gott, der dich erwählt hat, ist ein Gott, der Recht und Gerechtigkeit liebt!

 

Die Torah, das Alte Testament, das „Gesetz“, wie Luther mißverständlich übersetzt, bedeutet ja wörtlich: Wegweisung, Gottes gute Wegweisung, die der Befreiung von uns Menschen dient. Aber: Wenn man Gottes Wort mißversteht, kann es auch das Gegenteil bewirken, kann Menschen knechten, versklaven,unterdrücken, freudlos werden lassen – wenn man nämlich meint, man muß alle Gebote und Worte Gottes halten...So ist es einem Luther gegangen, der sich herumquälte und herumschlug mit dem Problem, wie kann ich das hinkriegen, so zu leben,daß ich Gott gefalle? Er stand unter einem ungeheuren Druck.

 

Manchmal denke ich, es geht manchen Menschen auch mit Weihnachten so. Welche Hoffnungen werden in der Vorweihnachtszeit erzeugt! Und darum manchmal dann nach Weihnachten: Welche Enttäuschungen! Daß wir wenigstens zu Weihnachten freundlich miteinander umgehen. Daß wir zu Weihnachten auch den und den  Brief noch abschicken, oder dies Päckchen packen. Und nie flattern so viel Spenden aufrufe und –bitten  ins Haus wie vor der Adventszeit. Das also, könnte man sagen,  ist das Weihnachtsgesetz. Und es ist ja auch irgendwie gut und richtig: Wer wünschte sich nicht mehr Frieden, echtere Liebe, größere Hilfsbereitschaft, wer sehnt sich nicht nach ein bißchen mehr Himmel auf dieser Erde? Aber wenn es dann nicht eintrifft – wie schwer kann dann die Enttäuschung sein.

 

Aber nun läßt Gott es Weihnachten werden lassen nicht durch uns, sondern für uns. Nicht wir sollen das schaffen und herbeiführen: die Liebe, den Frieden, die Freude, sondern er will uns das alles schenken. Er will, daß wir die „frohe Befreiung“ spüren, die er uns zugedacht hat. Weihnachten ist für uns nicht Forderung, schon gar nicht Überforderung, sondern Geschenk.

 

Ich will das an einer ebenso eigenartigen wie großartigen Geschichte deutlich machen. Der Italiener Dino Buzatti erzählt sie. Er erzählt, wie an einem Weihnachtsabend der Erzbischof ohne Gott zu bleiben droht. Sein Sekretär hatte einem Bettler, der sich in der Kirche etwas erwärmen und am Lichtglanz der göttlichen Herrlichkeit erfreuen wollte, die Tür vor der Nase zugeschlagen. Da war das Licht verschwunden, der göttliche Glanz war erloschen, es war finster, kalt und  feucht im Dom geworden. Doch Don Valentino, der Sekretär, weiß sich zu helfen. Er eilt zu einer befreundeten Familie, von der er weiß, diese Menschen sind fromm, freundlich, hilfsbereit. Er trifft sie beim Weihnachtsmahl, umgeben von Gottes Herrlichkeit. Als er jedoch seine Geschichte erzählt und sie bittet, ihm ein wenig von Gottes Glanz abzugeben, zeigen sie ihm die kalte Schulter. Morgen vielleicht, sagen sie, aber heute gehört Gott uns, wir wollen uns an ihm erfreuen. Kaum haben sie das gesagt, verschwindet das Licht. “Das Lächeln erstarrte“, schreibt Dino Buzatti, „und der Truthahn schmeckte wie Sand zwischen den Zähnen“.

 

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Und so geschieht es wieder und wieder. Wo immer Don Valentino Gottes Herrlichkeit bei den Menschen findet, will keiner etwas davon abgeben und verliert sie im selben Augenblick. Die Welt wird dunkler und kälter. Gott scheint sich ganz zurückgezogen zu haben. Verzweifelt geht Don Valentino zur Kathedrale zurück. Er will dem Bischof alles bekennen und alle Schuld auf  sich nehmen. Er öffnet die Domtür und traut seinen Augen nicht: Der Kirchenraum ist voll lichten Glanzes, voll himmlischer Seligkeit. Der Erzbischof kommt auf ihn zu: „Gesegnete Weihnachten,

Don Valentino. Wo treibst du dich in dieser Eiseskälte auch nur so lange herum?“

 

Ich muß sagen, daß ich den Schluß dieser Geschichte, die ich schön öfter gelesen habe, erst durch unseren Predigttext zum ersten Mal richtig verstanden habe. Der Anfang ist klar. Das ist das Weihnachtsgesetz. Wer Gottes Liebe nicht mit andern teilen will, der verdient sie nicht, der verliert sie selbst. Das Weihnachtsevangelium aber lautet: Gott kommt trotzdem. Ja, er kommt gerade zu denen, die seine Barmherzigkeit eigentlich nicht verdienen. Ihnen will er sie schenken. Nun zählt nicht mehr, was wir nicht können. Es zählt nur noch, wie er, wie Gott zu uns  steht. „Sieh nicht an, was du selber bist in deiner Schuld und Schwäche“, hat Jochen Klepper geschrieben.“Sieh den an, der gekommen ist, damit er für dich spreche“.

 

Auf die Frage: Warum können Engel fliegen? soll Papst Johannes XXIII geantwortet haben: Weil sie sich selbst leicht nehmen.

 

Leicht nehmen kann sich selbst nur der, der sich ganz ernst genommen weiß, der weiß, für mich ist gesorgt, ich habe einen, der zu mir hält, der für mich eintritt,  einen, auf den ich mich felsenfest verlassen kann. All das ist gemeint, wenn Paulus sagt, daß Gott seinen Sohn darum gesandt hat, „damit wir die Kindschaft empfingen“.

Gott will, daß wir erleichtert aufatmen, dankbar werden, wie Kinder, denen  der Vater ganz überraschend und unverdient Schönes schenkt.

 

Vergiß nie, daß du ein Königskind bist, hat Martin Buber einmal geschrieben. In Wahrheit sind wir noch mehr, nämlich Gottes erwachsene Söhne und Töchter. So ernst nimmt er uns, so wichtig sind wir ihm, daß er uns angenommen hat an Kindesstatt, daß er uns alle Rechte gegeben hat, die wir als seine Kinder haben. Ja, wir werden sogar seine Erben sein! Und was das bedeuten mag ,das ist sicher unbegreiflich, unbegreiflich schön. Gott wird uns alles geben, was sein ist. Wir werden sein wie Er.Und für unsere Tage hier gilt: Er bleibt uns treu, als seinen Kindern, er hält zu uns, er sorgt für uns, er fragt als guter Vater nicht nach Versagen oder Leistung bei uns, er hat uns lieb um unsertwillen.

 

Fliegen werden wir, solange wir leben, noch nicht. Wir sind – noch - keine Engel. Aber aufatmen können wir, unsere Lasten bei ihm abladen und was das Allerwichtigste ist: Wir dürfen wissen, daß er uns hört, wenn wir rufen und daß er uns  trägt, wenn wir müde werden: „Weil ihr nun Kinder seid“, sagt Paulus, „hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft Abba, lieber Vater“. Dieser Geist inniger Liebe, kindlichen Vertrauens zu Gott, den schenkt Gott einem jeden, einer jeden von uns, wenn wir zu ihm rufen. Dieser Geist ist der Geist eines Gottvertrauens, das uns sagen läßt: „Es kann mir nichts geschehen, als was er hat ersehen und was mir selig ist...“Amen.     

 

 

 




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