Lieder:
Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von
Golgatha...93
O Mensch, bewein
dein Sünde groß...76
Jerusalem, du
hochgebaute Stadt...150, 1.6.7
Lasset uns mit Jesus
ziehen...384, 1
Psalm 43
Lesung: Markus 10, 35 - 45
Predigttext: Hebräer 13, 12 - 14
Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
So laßt uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und
seine Schmach tragen.
Denn
wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Liebe Gemeinde,
„wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern
die zukünftige suchen wir“: Dieser
Vers ist eines der
sog. „goldenen Worte“ in der Bibel, im Druck in der Lutherbibel
herausgehoben – auf Friedhöfen sprechen und hören wir es oft. Dort, wo häufig auch die Worte des 39. Psalms ausgesprochen werden:
Herr, lehre mich doch, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muß...
Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben.
Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe;
sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird.
Diese Verse machen ja unausweichlich klar: Alles, was wir in unserem Leben angesammelt haben, alles, worin wir uns häuslich eingerichtet haben - das müssen wir loslassen, zurücklassen, der Haushalt wird aufgelöst, man nimmt nichts Irdisches mit.
Wir Menschen sind
hier im Grunde nur auf der „Durchreise“,so wie es eine der schönen
chassidischen Geschichten aus dem Polen
des 19. Jahrhunderts erzählt:
Zu Rabbi Hofetz Chaim kam eines Tages ein Besucher, um einen Rat von ihm zu erbitten.
Als der Mann sah, daß die Wohnung des Rabbi aus einem winzigen Zimmer bestand, in dem sich nur eine Liege, ein Tisch mit Stuhl und eine Reihe Bücher
2
befanden, fragte er den Rabbi verwundert: ‚Meister, wo haben Sie ihre Möbel und den Hausrat?“
„Wo haben Sie Ihre?“, erwiderte der Rabbi.
„Meine?“ fragte der verblüffte Besucher. „Ich bin doch nur zu Besuch hier. Ich bin doch nur auf der Durchreise!“
„Ich auch!“, sagte Hofetz Chaim.
Also, wir nehmen
nichts mit – und sollen doch etwas mitnehmen ans Ziel unserer Reise, in die
himmlische Welt, in das himmlische Jerusalem!
Aber was? Was können wir da
hineinbringen?
Der Apostel Paulus
sagt in seinem „Hohenlied der Liebe“ 1. Kor. 13: Alles vergeht, wird abgetan, hört auf - nur dreierlei bleibt:
Glaube – Hoffnung – Liebe... Also mit
dem, was der Glaube, die Hoffnung, die Liebe in uns und durch uns bewirken -
allein mit dieser
Frucht, diesem Ertrag unseres Lebens werden wir einmal vor Gottes Thron treten.
Dies allein bleibt. Dies allein hat bleibenden Wert für unser Leben, dies
allein gibt unserm Leben bleibenden Wert.
Das ist schon ganz
schön radikal und schwer zu akzeptieren. Wer schon einmal seine Wohnung
aufgeben und sich „kleiner setzen“ mußte, vielleicht gar in ein Altenwohnheim
umziehen mußte, das weiß, wie schwer es ist, sich von liebgewordenen Dingen zu
trennen. Wir Menschen können schwer
loslassen, wir wollen so gern „bleiben“: Darum haben Potentaten sich Mausoleen, Gedenkstätten, Pyramiden
errichten lassen. Und wir wollen so gern Bleibendes schaffen und bewirken:
Darum schreiben zB manche älteren Pfarrer Bücher, damit Spätere noch ihre Namen
nennen. Aber Bücher vergilben, verstauben, werden vergessen, Bauwerke
zerbröseln. Es ist schon so: Bleibend
in der Weltgeschichte und im persönlichen Leben sind allein Glaube und Hoffnung
und Liebe – mit einem Wort gesagt: Das , was Jesus in unserem Leben bewirkt.
II
Auf ihn richtet auch unser heutiger Predigttext unseren Blick, um unserem Leben auch jetzt wieder bleibende Frucht zu schaffen und sagt uns: „Jesus hat, um das Volk durch sein eigenes Blut zu heiligen, draußen vor dem Tor gelitten“.
Draußen vor dem Tor.
Nicht wahr, Jesus war und ist eigentlich immer „draußen“, ein „Außenseiter“,
immer „out“. „Draußen“ beginnt ja schon sein Lebensweg: In einer Krippe. In den
Herbergen von Bethlehem ist kein Raum für ihn. Gleich nach
der Geburt muß er
nach „draußen“, muß außer Landes, als Flüchtling vor den Soldaten des Herodes. Als Erwachsener hat
er kein festes Zuhause, er hat, so könnte man sagen, allein in der Liebe seines
himmlischen Vatwers seine Bleibe.
Diese Liebe teilt er
Menschen mit, die „draußen“ sind: Aussätzigen,
Verachteten. Er weckt durch seine Liebe in ihnen Glauben und Hoffnung.
3
Dann nehmen die
Hüter von Sitte, Zucht und Ordnung ihn gefangen, unterwerfen ihn einem
Scheinverhör, dessen Ergebnis wohl schon vorher feststand und stoßen ihn aus der
Stadt, dem Ort der Gemeinschaft aus. Denn die zum Tode Verurteilten wurden
bewußt aus der Stadt herausgestoßen zum Zeichen, daß sie nicht mehr zur
Volksgemeinschaft gehörten. Draußen vor den Stadttoren schlagen sie ihn ans
Kreuz und er stirbt mit dem Schrei: Mein Gott – wozu hast du mich verlassen?
Als er stirbt,
zerbricht anscheinend auch die letzte Gemeinschaft, die mit Gott. Schon vorher
waren um ihn ja alle Gemeinschaften, in denen wir Menschen Schutz und
Geborgenheit suchen, zerbrochen. Die mit seiner Familie: „Der ist von Sinnen –
verrückt“, sagten sie von ihm (Markus 3, 21). Die mit seinen Jüngern, die ihn
schließlich samt und sonders im Stich ließen. Die mit seinem Volk, daß ihn
verstieß. Und zuletzt auch die Gemeinschaft mit Gott, der ihn offenbar
verlassen hatte.
Wozu dieser Tod
– draußen vor dem Tor?
„Um das Volk durch sein Blut zu heiligen“, sagt unser Text.
Zu heiligen, das
heißt zunächst: zu heilen, zu trösten. Dem, der einsam ist, der seine Heimat
verlassen mußte, der ein Flüchtling ist, dem sagt er: Ich bin bei dir. Und ich
kann dir eine
Gemeinschaft vermitteln, die dir in Wahrheit Schutz, Geborgenheit, Beheimatung
schenkt. Denn der, um den herum alle
Gemeinschaften zerbrachen, der stiftete durch seinen Tod das Mahl einer in der
Welt wahrlich einzigartigen und grenzenlosen Gemeinschaft:
Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, sagt er (Mt.11,28). Niemanden, der Menschenantlitz
trägt, schließt er aus der Gemeinschaft des Heiligen Mahles aus, jeder, gleich
welchen Volkes, welcher Hautfarbe, welcher Religion oder Konfession, welchen
Standes oder Berufes: Jeder und jede kann kommen und teilnehmen – wenn er nur
zu ihm, zu Jesus kommen will.
Und darum dürfen
auch wir niemanden, der zu Christus kommen will, selbstgerecht und selbstherrlich vom Heiligen Mahl ausschließen.
Über der
Gemeinschaft des Heiligen Mahls wird aber auch deutlich: Heiligen bedeutet mehr
als heilen. „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches die
Sünden der Welt trägt“. Er nimmt
die Schuld, die dich belastet, auf sich, befreit dich davon!
Und dies ist das
Wichtigste, das wir brauchen, um in Frieden leben und auch sterben zu können.
Es gehört zum Bewegendsten in meinem
Beruf, wenn ich Menschen im Sterben begleiten darf und wir das Vaterunser beten
und ich dann sehe, wie sie bei der Bitte: „und vergib uns
unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ die Lippen bewegen und diese Bitte mitsprechen. Wer
diese Bitte von Herzen mitsprechen kann, der hat den Frieden gefunden, und
umgekehrt: wer sie nicht von Herzen mitsprechen kann, der hat den Frieden noch
nicht. Aber gerade das Heilige Mahl
sagt uns ja zu: Gott vergibt dir, er nimmt dich an als sein liebes Kind, du
bist in Gottes Augen heilig , bist ihm geheiligt – und der oder die neben dir
genauso. Und darum sind wir alle das, was wir im Glaubensbekenntnis
aussprechen: Eine Gemeinschaft der Heiligen, der in Gottes Augen Heiligen.
4
III
Was ist die
Konsequenz für uns, für ein Leben in seiner Nachfolge?
„So laßt uns nun zu ihm herausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen“,
sagt unser Text.
Nun also auch wir: Heraus aus dem Lager. Kirche
und Lager – das reimt sich nicht zusammen. Nicht nur, daß man die Kirche nie
einem „Lager“ zuordnen darf, keinem politischen oder weltanschaulichen „Lager“, vor allem auch: Sie ist nie
lagernd, nie seßhaft, stattdessen ist ihre Existenz eine Zeltexistenz, die
Kirche ist ein Volk auf der Wanderung...Und wenn sie ihre Zelte aufschlägt – wo
sind sie? Draußen, bei denen am Rande, bei den Außenseitern, dort, wo Christus
selbst ist, denn er hat ja gesagt: „Was ihr den Hungrigen und Durstigen, den
Ausländern und Flüchtlingen, den Nackten, Kranken und Inhaftierten getan habt,
das habt ihr mir getan – dort bei und in ihnen, da bin ich“ (;t.25, 35f.). Dort
also sollen wir Christen „die Schmach Christi“ tragen.
Mir ist wohl bewußt,
daß solche Aussagen wie Stachel im Fleisch unserer wohlanständigen, unserer
gutbürgerlichen kirchlichen Existenz sind. Und so manche Christen aus der sog.
Dritten Welt schreiben uns hier hinter die Ohren: Eine reiche oder wohlhabende
Kirche kann nicht in der Nachfolge Christi leben – das kann nur eine arme
Kirche. Obwohl ich schon denke, dies ist nicht die ganze Wahrheit. Denn was
brauchen die Menschen bei uns, die verführt und verblendet werden von Luxus und
elektronischen Medien - was brauchen
sie notwendiger, was ist für sie heilsamer und befreiender als die Botschaft des Evangeliums, die ihnen aufs klarste
sagt, worin der Sinn, die Schönheit, die Freiheit des Lebens liegt?
Dennoch - wir sollen „draußen“ bei Christus sein.
Und das bedeutet auf jeden Fall auch
die Anfrage an jeden von uns: Bist du dir bewußt: Bleibend ist nichts von
deinem Hab und Gut , bleibend ist nichts außer dem Glauben, der Hoffnung, der
Liebe...Also nutze dein Hab und Gut, um dadurch Glauben, Hoffnung und Liebe für
dich und für andere zu mehren...
Denn „wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir...“ Das Ziel unseres Lebens, das Ziel aller
Schöpfung ist eine Stadt, in die hinein wir die bleibenden Schätze
hineinbringen dürfen, die Stadt, in der
wir dann auf ewig Heimat, Schutz, Geborgenheit finden, wo wir dann
zuhause sind: das himmlische Jerusalem, von dem wir jetzt singen. Amen.
Lied 150, 1.6.7