Frühgottesdienst am Sonntag Judica, 17. März 2002

 

Lieder:

 

Nun  gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha...93

O Mensch, bewein dein Sünde groß...76

Jerusalem, du hochgebaute Stadt...150, 1.6.7

Lasset uns mit Jesus ziehen...384, 1

 

Psalm 43

Lesung: Markus 10, 35 - 45

 

Predigttext: Hebräer 13, 12 - 14

 

Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.

So laßt uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.

Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

                                                                      

„wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“: Dieser

Vers ist eines der sog. „goldenen Worte“ in der Bibel, im Druck in der Lutherbibel

herausgehoben – auf Friedhöfen sprechen und hören wir es oft. Dort, wo häufig auch die Worte des 39. Psalms ausgesprochen werden:

 

Herr, lehre mich doch, daß es ein Ende mit mir haben muß und mein Leben ein  Ziel hat und ich davon muß...

Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben.

Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe;

sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird.

 

Diese Verse machen ja unausweichlich klar: Alles, was wir in unserem Leben angesammelt haben, alles, worin wir uns häuslich eingerichtet haben -  das müssen wir loslassen, zurücklassen, der Haushalt wird aufgelöst, man nimmt nichts Irdisches mit.

 

Wir Menschen sind hier im Grunde nur auf der „Durchreise“,so wie es eine der schönen chassidischen Geschichten  aus dem Polen des 19. Jahrhunderts erzählt:

 

Zu Rabbi Hofetz Chaim kam eines Tages ein Besucher, um einen Rat von ihm zu erbitten.

 

Als der Mann sah, daß die Wohnung des Rabbi aus einem winzigen Zimmer bestand, in dem sich nur eine Liege, ein Tisch mit Stuhl und eine Reihe Bücher

 

 

 

2

 

befanden, fragte er den Rabbi verwundert: ‚Meister, wo haben Sie ihre Möbel und den Hausrat?“

 

Wo haben Sie Ihre?“, erwiderte der Rabbi.

 

„Meine?“ fragte der verblüffte Besucher. „Ich bin doch  nur zu Besuch hier. Ich bin doch nur auf der Durchreise!“

 

„Ich auch!“, sagte Hofetz Chaim.

 

 

Also, wir nehmen nichts mit – und sollen doch etwas mitnehmen ans Ziel unserer Reise, in die himmlische Welt, in das himmlische Jerusalem!  Aber was?  Was können wir da hineinbringen?

 

Der Apostel Paulus sagt in seinem „Hohenlied der Liebe“ 1. Kor. 13:  Alles vergeht, wird abgetan, hört auf - nur dreierlei bleibt: Glaube – Hoffnung – Liebe... Also  mit dem, was der Glaube, die Hoffnung, die Liebe in uns und durch uns bewirken  -

allein mit dieser Frucht, diesem Ertrag unseres Lebens werden wir einmal vor Gottes Thron treten. Dies allein bleibt. Dies allein hat bleibenden Wert für unser Leben, dies allein gibt unserm Leben bleibenden Wert.

 

Das ist schon ganz schön radikal und schwer zu akzeptieren. Wer schon einmal seine Wohnung aufgeben und sich „kleiner setzen“ mußte, vielleicht gar in ein Altenwohnheim umziehen mußte, das weiß, wie schwer es ist, sich von liebgewordenen Dingen zu trennen.  Wir Menschen können schwer loslassen, wir wollen so gern „bleiben“: Darum haben Potentaten sich  Mausoleen, Gedenkstätten, Pyramiden errichten lassen. Und wir wollen so gern Bleibendes schaffen und bewirken: Darum schreiben zB manche älteren Pfarrer Bücher, damit Spätere noch ihre Namen nennen. Aber Bücher vergilben, verstauben, werden vergessen, Bauwerke zerbröseln.  Es ist schon so: Bleibend in der Weltgeschichte und im persönlichen Leben sind allein Glaube und Hoffnung und Liebe – mit einem Wort gesagt: Das , was Jesus in unserem Leben bewirkt.

 

II

 

Auf ihn richtet auch unser heutiger Predigttext unseren Blick, um unserem Leben auch jetzt wieder bleibende Frucht zu schaffen und sagt uns: „Jesus hat, um das Volk durch sein eigenes Blut zu heiligen, draußen vor dem Tor gelitten“.

 

Draußen vor dem Tor. Nicht wahr, Jesus war und ist eigentlich immer „draußen“, ein „Außenseiter“, immer „out“. „Draußen“ beginnt ja schon sein Lebensweg: In einer Krippe.  In den  Herbergen von Bethlehem ist kein Raum für ihn. Gleich nach

der Geburt muß er nach „draußen“, muß außer Landes, als Flüchtling vor den   Soldaten des Herodes. Als Erwachsener hat er kein festes Zuhause, er hat, so könnte man sagen, allein in der Liebe seines himmlischen Vatwers seine Bleibe.

 

Diese Liebe teilt er Menschen mit, die „draußen“ sind: Aussätzigen,  Verachteten. Er weckt durch seine Liebe in ihnen Glauben und Hoffnung.

3

 

Dann nehmen die Hüter von Sitte, Zucht und Ordnung ihn gefangen, unterwerfen ihn einem Scheinverhör, dessen Ergebnis wohl schon vorher feststand und stoßen ihn aus der Stadt, dem Ort der Gemeinschaft aus. Denn die zum Tode Verurteilten wurden bewußt aus der Stadt herausgestoßen zum Zeichen, daß sie nicht mehr zur Volksgemeinschaft gehörten. Draußen vor den Stadttoren schlagen sie ihn ans Kreuz und er stirbt mit dem Schrei: Mein Gott – wozu hast du mich verlassen?

 

Als er stirbt, zerbricht anscheinend auch die letzte Gemeinschaft, die mit Gott. Schon vorher waren um ihn ja alle Gemeinschaften, in denen wir Menschen Schutz und Geborgenheit suchen, zerbrochen. Die mit seiner Familie: „Der ist von Sinnen – verrückt“, sagten sie von ihm (Markus 3, 21). Die mit seinen Jüngern, die ihn schließlich samt und sonders im Stich ließen. Die mit seinem Volk, daß ihn verstieß. Und zuletzt auch die Gemeinschaft mit Gott, der ihn offenbar verlassen hatte.

 

Wozu dieser Tod –  draußen vor dem Tor?

 

Um das Volk durch sein Blut zu heiligen“, sagt unser Text.

 

Zu heiligen, das heißt zunächst: zu heilen, zu trösten. Dem, der einsam ist, der seine Heimat verlassen mußte, der ein Flüchtling ist, dem sagt er: Ich bin bei dir. Und ich

kann dir eine Gemeinschaft vermitteln, die dir in Wahrheit Schutz, Geborgenheit, Beheimatung schenkt.  Denn der, um den herum alle Gemeinschaften zerbrachen, der stiftete durch seinen Tod das Mahl einer in der Welt wahrlich einzigartigen und grenzenlosen Gemeinschaft: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, sagt er (Mt.11,28). Niemanden, der Menschenantlitz trägt, schließt er aus der Gemeinschaft des Heiligen  Mahles aus, jeder,  gleich welchen Volkes, welcher Hautfarbe, welcher Religion oder Konfession, welchen Standes oder Berufes: Jeder und jede kann kommen und teilnehmen – wenn er nur zu ihm, zu Jesus kommen will.

Und darum dürfen auch wir niemanden, der zu Christus kommen will,  selbstgerecht und selbstherrlich vom Heiligen Mahl ausschließen.

 

Über der Gemeinschaft des Heiligen Mahls wird aber auch deutlich: Heiligen bedeutet mehr als heilen. „Siehe, das ist Gottes Lamm, welches die Sünden der Welt trägt“. Er nimmt die Schuld, die dich belastet, auf sich, befreit dich davon!

 

Und dies ist das Wichtigste, das wir brauchen, um in Frieden leben und auch sterben zu können. Es gehört zum  Bewegendsten in meinem Beruf, wenn ich Menschen im Sterben begleiten darf und wir das Vaterunser beten und ich dann sehe, wie sie bei der Bitte: „und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ die Lippen bewegen und diese Bitte mitsprechen. Wer diese Bitte von Herzen mitsprechen kann, der hat den Frieden gefunden, und umgekehrt: wer sie nicht von Herzen mitsprechen kann, der hat den Frieden noch nicht.  Aber gerade das Heilige Mahl sagt uns ja zu: Gott vergibt dir, er nimmt dich an als sein liebes Kind, du bist in Gottes Augen heilig , bist ihm geheiligt – und der oder die neben dir genauso. Und darum sind wir alle das, was wir im Glaubensbekenntnis aussprechen: Eine Gemeinschaft der Heiligen, der in Gottes Augen Heiligen.

 

 

 

 

4

 

                                                                       III

 

Was ist die Konsequenz für uns, für ein Leben in seiner Nachfolge?

 

„So laßt uns nun  zu ihm herausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen“,

sagt unser Text.

 

Nun  also auch wir: Heraus aus dem Lager. Kirche und Lager – das reimt sich nicht zusammen. Nicht nur, daß man die Kirche nie einem „Lager“ zuordnen darf, keinem politischen  oder weltanschaulichen „Lager“, vor allem auch: Sie ist nie lagernd, nie seßhaft, stattdessen ist ihre Existenz eine Zeltexistenz, die Kirche ist ein Volk auf der Wanderung...Und wenn sie ihre Zelte aufschlägt – wo sind sie? Draußen, bei denen am Rande, bei den Außenseitern, dort, wo Christus selbst ist, denn er hat ja gesagt: „Was ihr den Hungrigen und Durstigen, den Ausländern und Flüchtlingen, den Nackten, Kranken und Inhaftierten getan habt, das habt ihr mir getan – dort bei und in ihnen, da bin ich“ (;t.25, 35f.). Dort also sollen wir Christen „die Schmach Christi“ tragen.

 

Mir ist wohl bewußt, daß solche Aussagen wie Stachel im Fleisch unserer wohlanständigen, unserer gutbürgerlichen kirchlichen Existenz sind. Und so manche Christen aus der sog. Dritten Welt schreiben uns hier hinter die Ohren: Eine reiche oder wohlhabende Kirche kann nicht in der Nachfolge Christi leben – das kann nur eine arme Kirche. Obwohl ich schon denke, dies ist nicht die ganze Wahrheit. Denn was brauchen die Menschen bei uns, die verführt und verblendet werden von Luxus und elektronischen Medien  - was brauchen sie notwendiger, was ist für sie heilsamer und befreiender als die  Botschaft des Evangeliums, die ihnen aufs klarste sagt, worin der Sinn, die Schönheit, die Freiheit des Lebens liegt?

 

Dennoch -  wir sollen „draußen“ bei Christus sein. Und  das bedeutet auf jeden Fall auch die Anfrage an jeden von uns: Bist du dir bewußt: Bleibend ist nichts von deinem Hab und Gut , bleibend ist nichts außer dem Glauben, der Hoffnung, der Liebe...Also nutze dein Hab und Gut, um dadurch Glauben, Hoffnung und Liebe für dich und für andere zu mehren...

 

Denn „wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir...“ Das Ziel unseres Lebens, das Ziel aller Schöpfung ist eine Stadt, in die hinein wir die bleibenden Schätze hineinbringen dürfen, die Stadt, in der  wir dann auf ewig Heimat, Schutz, Geborgenheit finden, wo wir dann zuhause sind: das himmlische Jerusalem, von dem wir jetzt singen. Amen.

 

Lied 150, 1.6.7

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.