Ansprache über Lukas 2, 15-20 (Christmette 2002)

 

Eingangsgebet (nach Karl Barth):

 

Ewiger Gott, lieber himmlischer Vater !

 

Du wolltest nicht nur im Himmel, sondern auch bei uns auf der Erde wohnen – nicht nur hoch und groß, sondern wie wir niedrig und  gering sein – nicht nur herrschen, sondern uns dienen – nicht nur Gott sein in  Ewigkeit, sondern für uns als Mensch geboren werden, leben und sterben.

 

In unserem Herrn und Heiland Jesus Christus hast du uns nicht weniger als dich selber geschenkt, damit wir ganz dir gehören sollten. Was bleibt uns, als uns zu wundern, uns zu freuen, dankbar zu sein, unser Leben dir anzuvertrauen?

 

Wir bitten dich: Laß das in dieser Stunde geschehen unter uns und in uns allen. Laß uns in von Herzen kommendem Beten und Singen, Reden und Hören eine Gemeinde sein, die dir die Ehre gibt und dann auch dem Frieden dient. Amen

 

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, sagt der Engel den erschrockenen und völlig überraschten Hirten,  ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll - also auch uns  jetzt hier.

 

Überlegen Sie: Wann haben Sie sich eigentlich das letzte Mal so richtig gefreut,  wirkliche Freude empfunden -  

entweder als eine völlig begeisterte, überschwängliche, überschäumende Freude, so daß man anfängt zu jubeln und zu singen  oder zu tanzen oder zumindest auf den Zehenspitzen zu wippen - oder aber als eine stille, tiefe, vielleicht sogar zu Tränen gerührte Freude?

 

Wahrscheinlich stimmen wir alle zu, wenn ich sage: Solch eine Freude ist eher zum Luxusartikel geworden, zu etwas Seltenem - so wie  auch manche anderen Erfahrungen und Erlebnisse zu einem Luxusartikel geworden sind: Zum Beispiel  - die Stille, oder – Langsamkeit, oder  - verwandt mit ihr - Muße oder - Finsternis, eine solch nachtschwarze Dunkelheit, daß man die Hand nicht vor Augen sehen kann.

 

Jeder von uns weiß: Freude ist ja etwas anderes als Spaß. Spaß, das wissen wir auch, der wird uns massenhaft angeboten, im Fernsehen haben alle eigentlich

ständig gute Laune, da ist jeder unablässig höchst munter, aufgedreht und „gut drauf“.  So, als ob es überhaupt kein Leid im Leben geben würde.

 

Und: Genuß, auch der wird uns angeboten, so häufig und so billig, daß manche inzwischen all die ausgefallenen Speisen satt haben und inzwischen schon wieder eine normale Linsensuppe oder Bratkartoffeln für einen Spitzengenuß halten.

 

Spaß also haben wir jede Menge, und Genuß auch. Aber Freude? Freude kann man nicht kaufen, Freude kann man auch nicht machen, sie „widerfährt“, wie Lukas

 

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schreibt, sie geschieht, sie wird einem geschenkt. Und das, was Freude auslöst, ist eigentlich immer dies, daß ich merke: Ich bin einem viel wert, ich werde geliebt.

 

„Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll, denn euch ist heute der Heiland geboren“. Das ist der Grund der Freude:

Mir und dir ist der Heiland geboren. Es gibt einen, dem bist du viel wert. Der hat dich lieb.

 

Aber wo und wie finden wir ihn? Hingehen, wie die Hirten, hingehen zu Jesus. Ihn ansehen. Von ihm hören.

 

Aber wollen wir das überhaupt -  zu Jesus gehen? Ich las: Dieses Jahr hatten nur noch 50 Prozent der Deutschen vor, zu Heiligabend einen Gottesdienst zu besuchen. Der christliche Glaube scheint schleichend, aber anscheinend unaufhaltsam  aus dem Leben und Verhalten der Menschen zu entschwinden. Stattdessen scheinen wir zunehmend Pawlows Hunden zu gleichen, also Lebewesen zu sein, die automatisch auf Konsumreize reagieren. Die Leute kaufen ja wirklich alles.

 

Was ist der Mensch? Geistesgiganten wie Aristoteles, Kant oder Hegel haben versucht, darauf Antworten zu finden. Die Antwort auf diese philosophische Urfrage scheint heute zu sein: Der Mensch ist Verbraucher. Konsument.  Welch eine Verarmung des Lebens!

 

Oder stimmt das doch nicht?  Immerhin, im  Spiegel stand kürzlich zu lesen: „Was ist den Menschen zwischen Athen und Lissabon, zwischen Berlin und New York wichtig, außer Arbeit und Brot, Genuß und Komfort? Die Demokratie, gewiß, aber dann? Kommt dann Gott? Aber welcher Gott? Und bleibt für jene, die an Gottes Existenz zweifeln, wirklich „nichts“ übrig als eine durch Wohlstand und allerlei Laster versüßte Leere? Und: Das Geld als ,der einzige Glaube‘,  ein Glaube, der, wie Peter Handke schreibt  - ,gefährlicher ist als der religiöse Fundamentalismus‘?“ - Ob das stimmt?  Ohne Glauben an Gott bleibt nur eine innere Leere? Bzw. der „sehr gefährliche Glaube“ ans Geld?

 

Mir jedenfalls ist  - das werden Sie nicht anders erwarten – mir jedenfalls ist sonnenklar: Es gibt nichts, was das Leben freier und erfüllter machen könnte als das, was die Hirten tun: Hingehen zu Jesus in der Krippe... Und: Was die Jünger später -wenigstens aus der Ferne - tun: Hingehen zu Jesus am Kreuz. Denn, dies gehört nun untrennbar zu dem Geheimnis von Weihnachten dazu: Seine Geburt kann man nicht ohne seinen Tod sehen, Krippe und Kreuz sind aus demselben Holz.

 

Einerseits sehen wir sowohl an der Krippe wie am Kreuz: Wir Menschen wollen ihn nicht, er hat keinen Raum bei uns in der Herberge. Die mächtigsten Führer der westlichen Welt, Bush und Blair, agieren stattdessen auch jetzt wieder wie weiland Kaiser Augustus, der auf Frieden durch Gewalt, Unterdrückung, militärische Überlegenheit setzte.

 

Aber ob wir uns stattdessen nicht fürchten sollten vor der unheimlichen Wahrheit eines Jesuswortes wie das, das er zu Petrus sprach: Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen. Das heißt: Wer andere Völker zerstören will, wird

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sich und sein eigenes Volk zerstören, wer andere verderben will, den wird Gott selbst in sein Verderben rennen lassen.

 

Alle sagen: Wir müssen dem militanten Islam etwas entgegensetzen. Aber das kann doch nur bedeuten, den „guten Kampf des Glaubens“ zu kämpfen (1.Tim.6,12), also die Kraft und die Inhalte des christlichen Glaubens fördern, sich mit allen Kräften um Gerechtigkeit, Frieden, Versöhnung bemühen.

 

Aber wie ist es damit bei jedem von uns hier?  „Er hat keinen  Raum bei uns in der Herberge“ – das bedeutet für viele Christen ja nicht einmal, daß sie Jesus anfeinden,  

sondern daß sie sich einfach  für ihn schlichtweg nicht interessieren, so wie es Dagmar Beiersdorf in einem Gedicht schreibt:

 

Du bist zu früh gegangen/ du solltest noch einmal unter uns leben/ so wie damals/ mit deiner liebe/ deinen worten/ die menschen verlernten es dir gegenüber ehrlich zu sein/

damals haben sie die armut ihrer seele offen gezeigt/ den hass ihres lieblosen herzens: sie wollten dich töten als du geboren wurdest/ sie verlachten und verachteten dich/ sie spuckten dir vor die füße/ sie nagelten dich an das kreuz und würfelten um deine kleider/

heute kennen sie dich nicht mehr/ sie behängen dich im  winter mit lametta und bunten kugeln/ im  frühling verstecken sie eier/ süße bemalte dinger/ in deinen händen deinen augen deinen wunden/

du bist zu früh gegangen/ christus/ sie kennen dich nicht mehr/ sie behängen dich mit gold und lametta im winter/ sie kennen dich nicht

 

 

So scheint das zu sein: Viele interessiert das schlankweg nicht, was in den Evangelien von ihm gesagt wird, man denkt, ich kenn‘ das doch alles - und kennt doch nichts. Das scheint die heutige Weise zu sein, in der wir ausdrücken: Wir wollen nicht einen Gott, der das Sagen hat über unser Leben, sondern wollen selber Gott und Schöpfer des Lebens sein.

 

Auf der anderen Seite aber zeigt uns Weihnachten und Karfreitag, Krippe und Kreuz: Gott hält das aus, daß man sich für Jesus, den Heiland, nicht interessiert, oder daß man ihn verdrängt, abschiebt, in die Flucht nach Ägypten treibt, ihn  schließlich wegen Gotteslästerung aus der Gemeinschaft ausstößt, so daß er - einsam und verlassen, von  Theologen und  kirchlichen Machthabern verspottet, zwischen zwei Terroristen hängend - den Foltertod, den Verbrechertod stirbt.

 

Gott hält das nicht  nur aus, sondern sagt und  zeigt uns sogar zu Weihnachten und Karfreitag und nicht nur dann: Euch, die mich nicht wollen, euch habe und behalte ich lieb, will bei euch sein, euch liebhaben in eurer Bosheit und Habsucht, euren Krankheiten und eurer Verlassenheit, ja selbst noch in eurem Tod – in alledem sollt ihr meine Nähe und Liebe spüren, eine Liebe, die heilend wirkt und die es vielleicht doch noch schaffen wird, euch böse Menschen gut werden zu lassen, wenn ihr endlich klug werdet und mich aufnehmt bei euch.

 

 

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Das ist der Kern der Weihnachts-, der Karfreitags-  und Osterfreude und diese Botschaft ist unabhängig von allem Drumherum, mit dem wir sie behängen, sie wird trotz allem spürbar! Dieser Weihnachtssog, dieser Sog, der von der Krippe ausgeht, der zieht die Menschen eben doch allesamt an, der bewirkt überall in der Welt um die Zeit vor und um Weihnachten eben doch viel viel Gutes – und ich muß sagen: Ich habe die Menschen in dieser Adventszeit freundlicher als früher in der vorweihnachtlichen Hektik erlebt, z.B. die Damen in der Post bei Heger am Stadtwald, aber auch andere.

 

Trotz  allem schafft sich die Freudenbotschaft von Weihnachten Gehör, hier bei uns

und überall in der Welt,  und darum kann sie auch unter Palmen statt unterm Tannenbaum gefeiert werden, bei Kokosmilch oder Palmwein statt bei Punsch oder

auch völlig ohne Geschenke – obwohl Geschenke ein Ausdruck dieser kindgewordenen Liebe des sich verschenkenden Gottes sind. :

 

„Deine Krippe ist leer – wo bist du heute, Jesuskind?“ fragt der Dichter Jean Anouilh in einem Weihnachtsgedicht und Martin Luther gibt in einer Weihnachtspredigt die Antwort: Jesu Krippe, die ist heute das Wort der Bibel. Da finden wir ihn und mit ihm die große Freude: in den Worten der Bibel - zu Hause in den Losungen, der täglichen  Bibelese, und in der Gemeinde etwa in  dem Bibelseminar, das wir Ihnen im Februar wieder anbieten: Einladungszettel bekommen Sie gleich am Ausgang. Machen Sie  sich und mir die Freude und nehmen sie teil.

 

Seine Krippe, die ist das Wort der Bibel.

 

Freude „widerfährt“ uns in ihren Worten, auch und vielleicht gerade dann,  wenn sie uns vielleicht schwer im Magen liegen, weil sie uns gegen den Strich gehen und uns sagen: Du mußt dein Leben ändern.  

 

So wie Marc Twain  es einmal schön formuliert. Er schreibt:  „Mir bereiten nicht die unverständlichen Bibelworte Bauchweh, sondern diejenigen, die ich verstehe“.

 

Solche Bauchschmerzen wären ja wirklich heilsam für uns, solche Bauchschmerzen wünsche ich uns zu Weihnachten, aber nicht nur dann. Amen.