Predigt Pfingstsonntag, 12. Juni  2011, Rhodos

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Ein älterer Pfarrer sagte mir vor einiger Zeit: Zu Pfingsten fände er das Predigen am schwersten. Er erklärte mir dann, warum: Gerade zu Pfingsten sollte ja über den Heiligen Geist nicht nur geredet werden, sondern die Gemeinde sollte ihn im  Gottesdienst richtig spüren, richtig erleben!

 

Aber was kann man dazu tun? Reden über den Heiligen  Geist – das kann man sicher, vielleicht sogar mit großartigen Worten: der Heilige Geist als stürmische, begeisternde  Kraft, als erfrischendes lebensdurststillendes Wasser, als Feuer, so dass Menschen in Begeisterung für Jesus entflammt werden...Reden über ihn, das können sicher viele gut. Aber dass Er uns ergreift und erfüllt und wir seine Kraft spüren und sein  Licht das Leben der Menschheit hell macht...Da können wir Menschen doch nichts dazutun. Oder vielleicht doch? Ich lese dazu einen der für mich eindrucksvollsten Texte der Bibel, aus Hesekiel 37 die Verse 1 – 14. Der Prophet schreibt:

 

Des Herrn Hand kam über mich, und  er führte mich hinaus im Geist des Herrn und stellte mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine.  

Und er führte mich überall hindurch. Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld hin, und  siehe, sie waren ganz verdorrt.

Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: Herr, mein Gott, du weisst es.

Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort!

So spricht Gott der Herr zu diesen Gebeinen: Siehe, ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet.

Ich will euch Sehnen geben und lasse Fleisch über euch wachsen und überziehe euch mit Haut und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet; und  ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin.

Und ich weissagte, wie mir befohlen war. Und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich, und die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu Gebein.

Und ich sah, und siehe, es wuchsen Sehnen und Fleisch darauf, und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen.

Und er sprach zu mir: Weissage zum Odem; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Odem: So spricht Gott der Herr: Odem, komm herzu von den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden!

Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam der Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füsse, ein überaus großes Heer.

Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und  es ist aus mit uns.

Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein  Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels.

Und ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole.

Und ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der Herr.  

2

 

Liebe Gemeinde, es ist gut, sich hin und wieder klar zu machen, was für ein wunderbares Geschenk das ist, dass wir als christliche Gemeinde Anteil haben dürfen an den heiligen Schriften des Judentums. Da sehen wir ein ganzes Volk aufs intensivste beschäftigt mit Gott. Bauern und Könige, Hirten und  Priester, Feigenzüchter wie Amos und Mägde wie Hagar, Huren wie Rahab und Prophetinnen wie Debora, auch Ausländerinnen wie Ruth... Sie sinnen nach über Gott, Gott begegnet ihnen durch Engel, in Träumen, und indem er selbst unmittelbar zu ihnen redet...Und sie schreiben auf, was sie von  ihm  gesehen und gehört haben, sie sind ganz ergriffen und  überwältigt von Gott, staunen über ihn, erzählen von seinen Schöpfungswundern, sind tief erschrocken über ihr Versagen vor ihm, sie leiden an ihm, schreien zu ihm, klagen ihn an, und loben ihn hellauf begeistert.

 

Was für ein Geschenk ist es für uns,die christliche Gemeinde, in diesem Volk des biblischen Israel gleichsam herumwandern, seinen Gesprächen mit Gott zuhören, seine Gebete mitsprechen, von seinen Erlebnissen und Erfahrungen mit Gott hören zu dürfen.

 

Und hier: Hier stehen wir nun neben einem Mann, der in eine Buchrolle schreibt. Er war im Jahr 598 vor Christi Geburt mit zahlreichen seiner Landsleute aus seiner Heimat Israel  nach Babylon gebracht worden. Gott war ihm in einer gewaltigen Vision, von der er in Hesekiel 1 berichtet, erschienen und hatte ihn zum Propheten berufen. Nach dieser Gottesbegegnung, so schreibt er, hatte er sieben Tage und sieben Nächte ganz verstört, wie betäubt, dagesessen. Er hatte dann begonnen, zu sagen, was Gott ihm zu sagen gab. Zum Beispiel äusserst scharfe Anklagen gegen die Hirten Israels, die nur sich selber weiden - es war ja der Predigttext von Christiane am Sonntag vor einigen Wochen. Elf Jahre später dann, im Jahr 587, war Jerusalem mitsamt dem Tempel vollständig zerstört worden. Viele Israeliten hatte man erneut verschleppt in die babylonische Gefangenschaft.

 

Und nun, nach all den schrecklichen  Geschehnissen, von denen er gehört oder die er miterlebt hat, sitzt der Prophet dort auf der Erde und schreibt auf, was Gott ihn erneut hat sehen lassen in einer Vision, wie wir das nennen, ohne genau sagen zu können, was da wirklich geschehen war.  

 

Vielleicht hatte er vorher tagelang in tiefem Schweigen dagesessen, und auch dann, nachdem er das alles geschaut hatte, hat er vielleicht wieder – wie nach seiner Berufungsvision - ganz verstört dagesessen, bevor er langsam, Wort für Wort, das Geschaute in Worte zu fassen sucht und aufschreibt.

 

Die „Hand des Herrn“ , schreibt er, war über ihn gekommen. Gott hatte ihn ergriffen, hatte ihn, wie er sagt,  „hinausgeführt“. Eine weite Ebene liegt vor ihm und er selbst befindet sich  mitten auf diesem Feld, das voller Totengebeine liegt.

 

Und nun  wird zunächst garnichts gesprochen. Der Prophet sagt nur, er sei da überall hindurchgeführt worden.

 

„Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld hin

und siehe, sie waren ganz verdorrt.

 

Unabsehbar weit ist dieses Totenfeld, und was Hesekiel sieht, ist ganz und  hoffnungslos tot. So sieht er sein Volk Israel. Er sieht sie so, wie sie selber es in diesem Text (V 11) es ja aussprechen: „Unsere Hoffnung ist verloren und es ist aus mit uns“.

 

3

 

Menschen am Ende, Menschen ohne Hoffnung, innerlich leer und tot. Ob einer wie

Hesekiel uns, das Volk Gottes, die Christen – sagen wir, in Europa und USA  - so sehen würde?

 

Ob Gott uns hier auf Rhodos so sieht? Die Touristen hier am Strand, oder in der Altstadt? Als Menschen, die innerlich leer und ohne große Hoffnung sind? „Tot in ihren Sünden“, wie das der Epheserbrief nennt? Eben nicht beflügelt und belebt vom Geist Gottes?

 

Ich denke, wir würden wohl alle sagen: Na, so krass soll man das nun doch nicht sehen. Sind wir nicht doch ziemlich lebendig? Wie viel ist bei uns von fitness, Vitalität und Dynamik die Rede; und wie oft habe ich auch gehört, dass Menschen von ihrer Gemeinde als einer „lebendigen Gemeinde“ geredet haben. Und gibt’s nicht tatsächlich unglaublich viel Aktivität in unseren Kirchen? Kirchentage? Weltjugendtage? Christivals und Glaubenskongresse, und und...Obwohl mich hin und  wieder auch schon mal der Gedanke  beschlichen hat, manches an unserem kirchlichen Betrieb könnte vergleichbar sein einem lauten, schnell rotierenden Motor – aber er rotiert im Leerlauf. Viel Geräusch und Gedröhne, aber es bewegt sich nichts wirklich.

 

Es ist eine offene Frage, wie Gott uns sieht, uns Christen und sein Volk, die Juden.  Den Hesekiel jedenfalls lässt er seine Landsleute damals so sehen – als ein Feld voller Totengebeine. Als Menschen, die ohne  lebendige Hoffnung sind.  

 

Und dann dringt die Frage Gottes an Hesekiels Ohr: Du Menschenkind, meinst du, dass diese Gebeine wieder lebendig werden?

 

Auf uns, die Christenheit bezogen, würde das heissen: Meinst du, dass die tote Christenheit mit Leben aus Gottes Geist erfüllt werden könnte? Dass in ihr eine Erweckung und  Erneuerung stattfinden könnte? Glaubensbegeisterung und Glaubensstolz, Dankbarkeit, den Ehrennamen „Christ“ tragen zu dürfen, tiefe Freude an den wunderbaren Befreiungstexten der Bibel, ein Ernstnehmen der Worte Jesu in der Bergpredigt, Dankbarwerden für die Erlösung durch seinen Kreuzestod,  von Freude und Hoffnung erfüllt auf das Leben im Licht...

 

Eine neue Hinkehr zu den Quellen der Freude, die im Evangelium sprudeln, und Abkehr dann von all diesem Seelenmüll, diesen Spassangeboten, die mit Milliardenaufwand produziert werden, stattdessen Gottesdienste, erfüllt von Spontaneität und Lebendigkeit, wo sowohl die Klage wie Lob und Heiterkeit Raum haben...und ein neuer starker Durst und Hunger nach Frieden unter uns Christen; die Abkehr von der Lüge, man könne mit Waffengewalt auch nur ein  Problem lösen, und stattdessen Phantasie und Einsatz beim  Aufbau einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, so dass eben keine Riesenzäune an den Grenzen Europas die Menschen mehr aufhalten und sie nicht mehr in überfüllten Booten im Mittelmeer ertrinken.

 

Du Menschenkind, fragt Gott den Propheten,  meinst du, dass diese Totengebeine wieder lebendig werden? Dass Christen und Juden, Moslems und Hindus es neu lernen, in Ehrfurcht vor Gott, in Dankbarkeit für die Schöpfung, in Respekt voreinander zu leben?

 

Und was antwortet Hesekiel auf diese Frage Gottes an ihn?  Er sagt weder Nein noch Ja. Er legt die Frage zurück in Gottes Hände. „Und ich sprach: Herr, mein Gott, du weisst es“.

 

4

 

Er sagt nicht: Da müssten wir uns eben mal gewaltig anstrengen, da müssten wir doch mal für frischen Wind sorgen und vor allem den Jugendlichen  was bieten...Er sagt überhaupt nicht: Wir müssten und sollten..., sondern er sagt, wie Paul Gerhardt das in einem Lied ausdrückt: Ach Herr, mein Gott, das kommt von dir, du du musst alles tun..“. Er sagt damit auch zugleich:  Du kannst aber auch alles tun, nichts ist dir unmöglich. Du kannst das: Tote lebendig machen. Um es mit einem andern Liedvers von Paul Gerhardt zu sagen:

 

Ach Hüter unsers Lebens

fürwahr es ist vergebens

mit unserm Tun und  Machen

wo nicht dein Augen wachen...

 

Gelobt sei deine Treue,

die alle Morgen neue...

 

Wenn wir in solchem Zutrauen zu Gott leben könnten! Das wäre so, wie es von Adam und Eva im Paradies erzählt wird: Ganz vertrauensvoll  hören sie auf Gottes Gebot, leben in vertrauter Nähe zu ihm und  in ehrfürchtiger Gemeinschaft miteinander.

 

Und jetzt erhält Hesekiel nun doch einen Auftrag:

 

Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine

und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort!

Siehe,ich will Odem in euch bringen,

dass ihr wieder lebendig werdet!

 

Und in der Tat: Was für eine  Wirkung hat nun  die Predigt des Propheten! Er sagt Gottes Wort weiter und auf sein Wort hin werden die toten Menschen wieder lebendig, aber  noch fehlt das Entscheidende. Der Prophet bekommt nun noch den Auftrag: Den Odem Gottes, den heiligen Geist herbeizurufen, damit er diese lebendig gewordenen Leiber erfülle und die Menschen dann sich aufrichten und aufstehen, aufrecht stehen und aufrichtig leben.

 

Und der Prophet tut das, ruft den Atem  Gottes, die belebende Kraft Gottes herbei und der bewirkt, dass die Menschen die Gräber ihrer Verschlossenheit, Isolierung und Vereinsamung verlassen und  sie nun Menschen sind, erfüllt von froher lebendiger Hoffnung, von kindlichem Vertrauen zu Gott und echter herzlicher Liebe – lauter belebende Wirkungen des heiligen Geistes, mit dem sie beschenkt und begabt werden.

 

Liebe Gemeinde, ich finde, diese Worte, die Hesekiel aufgeschrieben hat,  sind vor allem tröstende Worte. Es kann ja sein, dass sich irgendwo ein Mensch wortwörtlich so fühlt wie hier beschrieben, tot und am Boden liegend – und ihm wird hier gesagt: Doch, Gottes Wort und  Gottes Geist können das, dich neu mit lebendiger Hoffnung, mit Gottvertrauen und neuer Tatkraft erfüllen...

 

Und uns, den christlichen Gemeinden, auch uns hier auf Rhodos, sagen sie: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr hier seid das Licht der Welt. Ihr könnt euch nicht selber dazu machen,aber ihr seid es in Gottes Augen, und zweierlei könnt ihr dazu tun: Aufmerksam auf Gottes Wort in der Bibel hören und das Gehörte einander mitteilen – und: im  Gebet um das kraftvolle Kommen des Heiligen Geistes bitten – und  beides in einer Haltung, die   von Gott Unglaubliches erwartet, die Jesus unmöglich Scheinendes  zutraut. Amen.