Frühgottesdienst am 2. Adventssonntag, 7. Dezember 2003

 

Lieder:

Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein‘ höchsten Bord...8

Ihr lieben Christen, freut euch nun...6

Wie soll ich dich empfangen...11, 6-8

                                                            9+10

Psalm: Jes. 63/64  i.A.

Lesung: Lukas 21, 25-28.33-36

 

Predigt über Jakobus 5, 7-9

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

„Über der ganzen Menschheit, über dem Gräberfeld dieser Erde, über den Schichten von Knochenasche, die sich seit Jahrtausenden übereinander lagern und in die Generation um Generation einsinkt und dem Vergessenwerden verfällt – hoch über diesem Totenreich erscheint Einer, der selbst die Spuren eines schrecklichen Todes an sich trägt – und er ruft mit einer Stimme, wie sie die Welt noch niemals gehört hat – oder nur einmal, damals, als alles Seiende auf solch einen Ruf hin aus dem Nichts ins Dasein getreten ist; er ruft mit unwiderstehlicher schöpferischer Kraft, und was längst vermodert und vergessen war, das steht wieder da, wird wieder lebendig...“: So beschreibt Helmut Gollwitzer in einer Predigt (Zuspruch und Anspruch, S. 62) das Unbeschreibliche, das unfasslich Grosse, das wichtigste Ereignis unseres Lebens überhaupt, auf das wir alle zugehen: Die Wiederkunft Christi, das Letzte Gericht, den Jüngsten Tag.

 

Der für den diesjährigen zweiten Adventssonntag vorgeschlagene Predigttext sagt uns, in welcher Haltung wir dieses unausdenkbare Geschehen erwarten sollen. Ich lese aus dem 5. Kapitel des Jakobusbriefs die Verse 7 – 9:

 

So seid nun geduldig, ihr Geliebten, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.

Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Seufzt nicht gegeneinander, ihr Lieben, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür.

 

                                                                        I

 

Zur Geduld ruft uns Jakobus also auf.

 

Aber was heisst das? „Abwarten und Tee trinken“? Abwarten, bis es – vielleicht – irgendwann soweit ist, dass Christus der Herr  kommt?

 

Haben wir nicht stattdessen eher Grund zur Ungeduld? Letzten Sonntag im Predigttext haben wir sie wieder gehört, die Zusage (Römer 14, 12): Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag – der Tag der Wiederkunft Christi – ist nahe herbeigekommen..! Aber merken wir denn etwas davon, dass er unaufhaltsam immer näher kommt?

 

2

 

 

Was wir sehen, ist, dass der eigentliche Sinn von Weihnachten: Die Geburt des Erlösers der Menschheit – bis zur Unkenntlichkeit verschüttet ist. Weihnachten ist geradezu identisch geworden mit dem „Weihnachtsgeschäft“. Ein Pastor aus dem Hörsterfeld in Horst Eiberg erzählte vor zwei Wochen im Pfarrkonvent, seine Konfirmanden hätten auf seine Frage, warum wir Weihnachten feierten, keine Antwort gewusst, und einer habe schliesslich allen Ernstes gefragt: Weihnachten - ist das nicht der Todestag vom Weihnachtsmann?

 

Wer richtet seine Vorfreude schon auf die Geburt des Erlösers? Und: Wo zeigt sich

dies denn in unserem Volk, dass die meisten von uns sich Christen nennen, womit sie doch eigentlich meinen müssten: Jesus Christus – das ist der Herr über unser Leben! Er hat das Sagen über unser Tun und Lassen! Stattdessen scheinen wir eher - ohne es zu merken - von Dämonen beherrscht. Von Mächten, die uns Spass und Konsum als oberste Lebenswerte suggerieren und schleichend und unbemerkt von den meisten Leben und Lebensbeziehungen zerstören – und vor allem auch: uns die Ehrfurcht vor Gott vergessen lassen.

 

Aber, wenn  man solchen Gedanken nachhängt, lauern zwei Versuchungen.

 

Entweder: Wir Christen werden ungeduldig, hektisch, biedern uns mit allerlei limonadigen Angeboten und Aktionen an, um die Leute irgendwie für Kirche und Gemeinde zu interessieren und verflachen und verwässern dabei die uns aufgetragene Botschaft -

oder aber, wir wirken wie gelähmt, jedenfalls wenig hoffnungsfroh oder gar

freudestrahlend.

 

Wie wichtig, wie wohltuend und aktuell ist es also, wenn Jakobus uns zur Geduld rät. Das Wort, das hier im griechischen Urtext für „Geduld“ steht – makrothymia - das meint gerade  nicht ein apathisches Abwarten, sondern es bedeutet wortwörtlich übersetzt: „In leidenschaftlichem Verlangen einen langen Atem haben“; es bedeutet also so viel wie Ausdauer, Beständigkeit, Beharrlichkeit – und das gepaart mit sehnsüchtigem Verlangen nach Jesus; ein Verlangen, das aber auf felsenfestem Grund steht, nämlich der Gewissheit: Er wird das letzte Wort über alle und alles sprechen. So wie Paul Gerhardt davon singt:

 

„Was fragt ihr nach dem Schreien der Feind‘ und ihrer Tück?

Der Herr wird sie zerstreuen in einem Augenblick.

Er kommt, er kommt, ein König, dem wahrlich alle Feind‘

auf Erden viel zu wenig zum Widerstande seind“.

 

Mit anderen Worten: Es kommt alles darauf an, dass wir den Blick unbeirrt auf Christus gerichtet halten, bei ihm Orientierung suchen und finden – und uns als bewusste Christen dadurch deutlich und  immer deutlicher von der Menge unterscheiden, eben nicht uns von der Masse mitziehen lassen, sondern uns vom Evangelium her ganz klare Maßstäbe geben lassen für das, was wirklich wichtig und wertvoll ist fürs Leben und  was nur hohler Schein ist – und dementsprechend unser

 

3

 

Leben führen und gestalten! Denn wir werden einmal von Christus dem Weltenrichter nach der Frucht, dem Ertrag, der Ernte unseres Lebens gefragt werden.

 

 

                                                                        II

 

Und darum empfiehlt uns Jakobus, uns den Bauern, den Landmann als Vorbild zu nehmen: „Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde, bis sie empfange den Frühregen und den Spätregen“.

 

Wie sehr brennt der Bauer darauf, dass die Ernte kommt und dass sie reichlich ist – und was er selbst dazu tun kann, tut er ja. Allerdings: Das Wesentliche: Sonne und Regen zur rechten Zeit, und Wachstum und Gedeihen – das kann er eben nicht machen.

 

 

Aber er weiss ja: Sie kommt auf jeden Fall, die Ernte, und fleissig erwartet er ihr Kommen, er sieht über seiner alltäglichen oft mühsamen Arbeit die Ernte sozusagen schon vor Augen: Sieht die wogenden reifen Kornfelder, die schönen Ähren, die  wunderbar nahrhaften Körner...

 

Und in diesem Sinne sagt auch Jakobus: Das Kommen des Herrn ist nahe! In der Weise ist es „nahe“, dass ihr euch auf sein Kommen in Herrlichkeit schon jetzt freut, es mit einer Mischung aus Geduld und Ungeduld erwartet – euer Alltagsverhalten schon davon beeinflussen lasst – ihn, den Herrn,  euch „nahegehen“ lasst und also inständig und beharrlich um Wachstum und Gedeihen, nämlich um das Kommen

und den Beistand des Heiligen Geistes bittet.

                                                                       

 

III

 

Und dann ist Eins ja sonnenklar: Dann können wir eigentlich nicht mehr böse sein zu einem Menschen, dann können wir auch einem andern Menschen auf Dauer nicht mehr böse sein!

 

Seufzt nicht gegeneinander“, sagt Jakobus, „damit ihr nicht gerichtet werdet“.

 

Zu Gott hin, zu Jesus hin seufzen, ihm unser Herz ausschütten, ihm unsere Bedrängnis, unsere Enttäuschung, vielleicht gar unseren Zorn sagen – das können und sollen wir. Aber nicht gegen Andere seufzen. Auch hier lohnt es sich wieder, im griechischen Urtext nachzusehen, das griechische Wort  - stenazein – bedeutet: Nicht kurzatmig, also heftig, mit aufwallendem Gemüt gegen Andere sein.

 

Klar, dass einem schon mal die Gäule durchgehen können, mir auch. Aber dann sollen wir immer wieder auch hingehen zu dem Andern und mit ihm persönlich versöhnlich reden. Denn: „Der Richter steht vor der Tür“; der, der über unser Leben richten wird.

 

So, wie Paul Gerhardt davon singt:

 

 

 

4

 

 

Er kommt zum Weltgerichte:

zum Fluch dem, der ihm flucht,

mit Gnad‘ und süssem Lichte

dem, der ihn liebt und sucht.

 

Und dann bittet er:

 

Ach komm, ach komm, o Sonne,

und hol uns allzumal

zum ewgen Licht und Wonne

in deinen Freudensaal“

 

„Allzumal“! Also gerade auch den Anderen sollen wir es wünschen und in Wort und Tat für sie erhoffen, dass Christus ihnen am Ziel nicht zum Fluch kommen möge – sondern „mit Gnad‘ und süssem Lichte“. Dementsprechend sollen wir uns jedem Menschen  gegenüber in Wort und Tat verhalten.

 

Bald ist Weihnachten: Das Fest seines Kommens zu uns auf die Erde. In einer Mischung von Geduld und Ungeduld erwarten wir es, auf jeden Fall hoffentlich in

Vorfreude.

 

Gerade so dürfen wir seine Wiederkunft erwarten. Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen.

 

 

 

 




Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.