Gottesdienst am 20.August 2000 (Pfarrer Martin Quaas)

 

Lieder: All Morgen ist ganz frisch und neu...440

 Ich weiß, mein Gott, daß all mein Tun...497

Psalm 13  -  Lesung: Matth. 25, 14 - 30

 

Predigt über Jeremia 1, 4 -10.17-19:

 

Und des Herrn Wort geschah zu mir:

Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.

Ich aber sprach: Ach, Herr Herr, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.

Der Herr sprach aber zu mir: Sage nicht: “Ich bin zu jung“, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.

Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr.

Und der Herr streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.

Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen...

So gürte nun deine Lenden und mache dich auf und predige ihnen alles, was ich dir gebiete. Erschrick nicht vor ihnen, auf daß ich dich nicht erschrecke vor ihnen!

Denn ich will dich heute zur festen Stadt, zur eisernen Säule, zur ehernen Mauer machen im ganzen Lande gegen die Könige Judas, gegen seine Großen, gegen seine Priester, gegen das Volk des Landes,

daß, wenn sie auch gegen dich streiten, sie dir dennoch nichts anhaben können; denn ich bin bei dir, spricht der Herr, daß ich dich errette.

 

Ich bin bei dir,daß ich dich errette“ – dies, liebe Gemeinde, sagt Gott dem Jeremia zu. Jeremia  – das kann man hier heraushören - wird es also nicht leicht haben, wird Gefahren,Bedrohungen, Anfeindungen, Anfechtungen ausgesetzt sein.

 

Und so war es dann auch. Wohl kaum ein Prophet hat so unter seinem Auftrag gelitten wie er. „Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde“, so schreit er einmal in abgrundtiefer Qual. Und: „Alle meine Freunde und Gesellen lauern darauf, mich zu Fall zu bringen“. Und: „Ich nahm mir vor: Ich will nicht mehr an Gott denken, nicht mehr sein Wort verkündigen aber“, so fährt er dann fort, „es wurde in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer...“(Jer.20,14.10.9). Was Gott ihm auferlegte, mußte heraus aus ihm, sonst wäre er innerlich verbrannt. Sein  Leben steht unter einem Muß. Er muß sagen,was Gott ihm zu sagen gibt, er kann nicht anders.

Und hier meldet sich ja gleich eine Frage an alle,die von Gott den Auftrag der Verkündigung haben: Hören und  sagen wir, was Gott uns zu sagen gibt? Wissen wir, daß wir eine Berufung von Gott und einen Auftrag von ihm haben?

 

Wie es bei Jeremia dazu kam,davon berichtet er im heutigen Predigttext.

Wir hören

-         von Gottes Anruf an ihn

-         von dem Auftrag, den Gott ihm gibt

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-     und von der Wirkung dieses Auftrags.

          

                                                                       I

 

1. Gottes Ruf an ihn

 

Es ist im Jahr 627 vor Christus. Jeremia ist 23 Jahre alt. Da begegnet ihm der lebendige Gott ganz unmittelbar. Er sagt zu ihm: „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleib bereitete, ich sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, ich bestellte dich zum  Propheten über die Völker“.

 

Ehe Jeremia empfangen und  geboren wurde, hatte Gott also schon bedacht, welchen Sinn, welche Bedeutung dieses Leben haben sollte. Wie absolut anders wird hier Tiefe und Bedeutung eines Menschenlebens gesehen als etwa in der derzeitigen gentechnologischen Diskussion, wo das Klonen menschlicher Embryos von manchen gewollt wird. Stattdessen: „Jeder Mensch ist ein Gedanke Gottes“, so hat es einmal jemand formuliert. Gilt das auch von uns? Hat unser Leben solch eine unersetzliche einmalige Bedeutung in Gottes Plänen?

 

Auf jeden Fall soll jeder, ob jung, ob alt, ob schwach oder stark, so von sich denken: Mein Leben ist für Gott wichtig, er kann und will mich berufen, gebrauchen, ich soll  jedenfalls – und das ist ja der Sinn des eben gehörten Gleichnisses Jesu –  ich soll meine Begabungen, meine Talente nicht brach liegen lassen.

 

Aber vielleicht haben Sie solch eine Berufung durch Gott noch nie gehört? Auch Jeremia wußte jahrelang nichts davon, was Gott mit ihm vorhatte.Wir hören in den ersten Versen des Jeremiabuchs von ihm: Er wächst auf in Anatoth, einem kleinen Dorf 7 km südöstlich von Jerusalem. Eine Reihe von Priesterfamilien wohnte dort, auch Jeremias Vater tat Dienst im Jerusalemer Tempel, wanderte,wenn er mit seinem Dienst an der Reihe war, die anderthalb Stunden Fußweg durch die karge steinige Landschaft hin zum Tempel – und übliche Sitte war, daß auch der Sohn einmal in die beruflichen Fußstapfen des Vaters treten würde.

 

Pfarrerssohn und Theologiestudent ist er also, könnte man heute sagen – und alles war ihm selbstverständlich: daß Gott da ist, und daß man ihm im Tempel dient und daß er das auch einmal tun  würde... und dann, eines Tages, begegnet ihm der lebendige Gott direkt und ganz überwältigend, legt seine Hand auf ihn, rührt seinen Mund an und sagt: Ich lege meine Worte in deinen Mund.

 

Jeremia wehrt ab: Ich kann nicht predigen, ich bin ja viel zu jung. Und Gott läßt das nicht gelten , sondern entgegnet ihm mit dem Satz, den – zu meiner  Überraschung – sich einer unserer Söhne seinerzeit als Konfirmationsspruch auswählte: Sage nicht, ich bin zu jung, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und reden, was ich dir gebiete.

 

Und von jetzt an wird Gott dem Jeremia alles andere als selbstverständlich, sondern im Gegenteil oft tief verborgen, rätselhaft und dunkel.  Manchmal wird ihm,  was Gott

von ihm verlangt, übermenschlich schwer. Wie tief hat er an Gott gelitten – aber auch: wie sehr hat er an Gott gehangen, wie hat er ihn geliebt.

 

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                                                           II

 

Und in der Tat: welch einen gewaltigen Auftrag erhält Jeremia bei seiner Berufung von Gott! „Ich setze dich heute über Völker und Königreiche, daß du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst – und bauen und pflanzen“.

 

Wir hören hier: Gott ist der Herr der Geschichte, der Lenker der Geschicke der Völkerwelt. Wir, die Kirche, sind ihm nur insofern wichtig,als wir von ihm einen Auftrag für die Völkerwelt haben, nämlich sein Wort in der Völkerwelt zu verkündigen und zu tun. Nicht um ihrer selbst willen ist die Kirche da, sondern sie hat einzig und allein darin und dann Bedeutung, wenn sie Salz und Licht für die Völker ist, wenn sie das Reich Gottes – also Gerechtigkeit, Frieden, Liebe und Wahrheit unter den Völkern ausbreitet und wenn sie ihr Wächteramt in Staat und Gesellschaft wahrnimmt.

 

Jeremia konnte nicht anders: Er hat in der Tat diesen schweren Auftrag Gottes wahrgenommen, hat  den politischen und wirtschaftlichen Machthabern den Einsturz ihrer hochfliegenden Pläne angekündigt, hat ihr arrogantes Gehabe gestört, ihr politisches Fehlverhalten angeprangert. Er gerät darüber in tiefen Konflikt mit seinen Priesterkollegen, muß denen, mit denen zusammen er aufgewachsen war, Verdorbenheit, Lauheit, Feigheit vorwerfen, und sie ihrerseits planen, ihn wegen seiner kompromißlosen Verkündigung zu beseitigen  und umzubringen.  Er wird einer, so würden wir sagen, der nur noch so für die Kirche dasein kann, daß er ständig gegen sie ist – das Gegenteil eines beliebten Pastors oder gar „netten Pfarrers“.

 

Und ist das nicht alles sehr aktuell? Auch mir scheint unsere Kirche in vielem viel zu angepaßt. Ein Beispiel von vielen, die ich nennen könnte: da steht jetzt in der Zeitung, es sei beschlossen, der Essener Weihnachtsmarkt solle zeitlich noch weiter vorverlegt werden, nun schon auf Montag vor Buß- und Bettag, der ohnehin ohne nennenswerten kirchlichen Widerstand abgeschafft wurde – und niemand regt sich über diese Mitteilung auf, kein Leserbrief, kein Protest, wir nehmen als Christen offenbar alles mittlerweile hin, schwimmen mit im Strom, anstatt das gewaltige Machtmittel einzusetzen, das Gott uns anvertraut.

 

Und das war bei Jeremia einzig das  Wort, das Gott ihm zu sagen gab. Das ist auch unser einziges Machtmittel. So wie es in der 4. Barmer These heißt: „Die Kirche vertraut und gehorcht allein der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt“. Oder, um den Dichter Jeremias Gotthelf zu zitieren: “Das Wort ist unendlich mächtiger als das Schwert, und wer es zu führen weiß in weiser starker Hand, ist viel mächtiger als der mächtigste der Könige“. In der Tat: Durch die Worte der Bibel, die in die Gegenwart hineintreffen, können und sollen wir zum Einsturz von Weltanschauungen beitragen, den Zusammenbruch wirtschaftlicher Imperien und überheblicher Gedankensysteme bewirken - aber auch aufbauen und pflanzen: können also durch das Erzählen von biblischen Geschichten, durch Singen und Beten Kindern ein solides Fundament für ihr Leben, können durch hilfreiche Worte Jugendlichen einen festen Halt und klare Orientierung geben, können im Leben von

Menschen Segen und Gedeihen bewirken....All dies durch das Wort, das Gott uns zu sagen gibt. Dem allein sollen wir in der Kirche alles zutrauen. Obwohl man immer wieder sagen muß: Die Wirkung bleibt oft so unsichtbar, man sieht so wenig von

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seiner Macht, wie schwach scheint das Wort...Und darum kann man verstehen, wenn manche Pastoren lieber sichtbare Erfolge vorweisen wollen: Gebäude errichten oder Bücher schreiben...

 

Aber wir sollen und dürfen von dem Wort der Bibel, dem Wort der Verkündigung das gleiche erwarten, was Jeremia einmal von ihm sagt: „Dein Wort ward meine Speise, sooft ich’s empfing, und dein Wort ist meines Herzens Freude und Trost“ (Jer,15,16). Und ich finde, das  merken wir immer wieder etwa im Bibelgesprächskreis.

 

                                                                       III

 

 

Drittens also:  Es gibt Beweise für die ungeheure Wirkung des Wortes Gottes, das Jeremia weitergab. Einmal: Diese 25oo Jahre alten Worte sind bis heute lebendig  und wirksam.Jeremia ist „Prophet für die Völker“ geblieben – bis heute und auch noch in Zukunft. Seine Worte werden ja bis zu diesem Augenblick in der Völkerwelt verkündigt und wirken fort. Alle andere Worte von damals sind vergangen, waren mehr oder weniger Schall und Rauch, dieses Wort bleibt, weil es Gottes eigenes Wort ist. Darum lest es! Von Montag nächster Woche an sind übrigens ausgerechnet  Jeremiatexte im Losungsbüchlein als fortlaufende Bibellese angegeben.

 

Und welche Wirkung hatte Gottes Wort für Jeremia selbst?

 

Einerseits wurde es ihm unerhört schwer, dieses Wort weitersagen zu müssen, er  geriet dadurch in tiefe Einsamkeit und erlebte anscheinend nur Erfolglosigkeit: Er konnte das Unheil für sein Volk trotz seiner beschwörenden Warnungen nicht abwenden, sondern mußte die Zerstörung des Tempels und der Stadt Jerusalem miterleben, als Vaterlandsverräter wurde er unmittelbar, bevor die Babylonier in die Stadt eindrangen, in eine Jauchegrube geworfen,von einem Häufchen Überlebender dann nach Ägypten verschleppt -  er war inzwischen wohl über siebzig Jahre alt.

Und die Legende berichtet - die Bibel in ihrer Abneigung gegen alle Helden- und Märtyrerverehrung hält es nicht für nötig,das überhaupt zu erwähnen - die Legende berichtet, er sei dort in Ägypten von seinen verzweifelten Volksgenossen zu Tode gesteinigt worden.

 

Es bleibt eins der  Geheimnisse Gottes, warum er seine größten Boten – allen voran Jesus selbst – oft so tief in scheinbaren Mißerfolg, Scheitern, Leiden und Verzweiflung führt.

 

Und doch, bei ihnen allen machte und macht er auch alle seine Verheißungen wahr, läßt sie seine Nähe spüren, gibt ihnen Glück und Erfüllung im Gehorsam gegen ihn.

Auch seine Zusage an Jeremia hat er wahrgemacht: “Ich bin bei dir, daß ich dich errette“.

 

Ich denke, auch Jeremia hätte das, was wir eingangs im 13. Psalm beteten, von Herzen nachgesprochen. Die klagende, bange Frage: „Wie lange, wie lange....“ zum einen, aber vor allem das, wohinein die Worte dieses Psalms münden: „Ich aber traue darauf,daß du so gnädig bist, mein Herz freut sich, daß du so gerne hilfst. Ich will dem Herrn singen, daß er so wohl an mir tut!“

So segne Gott sein Wort auch an uns, Amen.

 

 

 

 




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