Gottesdienst am 10. Sonntag nach Trinitatis, 15. August 2004

 

 

Lieder:

 

Die güldene Sonne bringt Leben und Wonne...444

Ein reines Herz, Herr, schaff in mir...389

Komm in unsre stolze Welt...428

Anbetung, Ehre, Dank und Ruhm...281, 3

 

Psalm 130

 

Lesung: Lukas 19, 41 - 48

 

Der heutige Predigttext ist aus dem Buch des Propheten Jeremia. Sein Leben und  seine Botschaft ist übrigens in unvergleichlicher Weise dargestellt in dem Buch, das der Dichter Franz Werfel 1938 in  prophetischer Klarheit schrieb: Jeremias. Höret die Stimme. (Jer. 7 = 19. Kapitel: Jojakim und Konjah)

 

Ich lese aus Jeremia 7 die Verse 1 – 11:

 

Dies ist das Wort, das vom Herrn geschah zu Jeremia:

Tritt ins Tor am Hause des Herrn und rufe dort dies Wort und sprich: Höret des Herrn Wort, ihr alle von Juda, die zu diesen Toren eingehen, den Herrn anzubeten!

So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels:  Bessert euer Leben und euer Tun, so will ich bei euch wohnen an diesem Ort.

Verlaßt euch nicht auf Lügenworte, wenn sie sagen: Hier ist des HerrnTempel, hier ist des Herrn Tempel, hier ist des Herrn tempel!

Sondern bessert euer Leben und euer Tun, daß ihr recht handelt

einer gegen den andern

und keine Gewalt übt gegen Fremdlinge, Witwen und  Waisen und nicht unschuldiges Blut vergießt an diesem Ort und nicht andern Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden,

so will ich immer und ewig bei euch wohnen an diesem Ort, in dem Lande, das ich euren Vätern gegeben habe.

Aber nun  verlaßt ihr euch auf Lügenworte, die zu nichts nütze sind.

Ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige und opfert dem Baal und  lauft fremden Göttern nach, die ihr nicht kennt.

Und dann kommt ihr und tretet vor mich in diesem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, und sprecht: Wir sind geborgen, - und tut weiter solche Greuel.

Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle? Siehe, ich sehe es wohl, spricht der Herr.

 

Liebe Gemeinde,

 

stellen wir uns die Situation vor Augen. Es ist das Jahr 601 vor Christus. Im Jahr 609 war der gottesfürchtige König Josia, der den Über-Mut gehabt hatte, sich dem ägyptischen  Pharao Necho in  einer Schlacht bei  Megiddo entgegenzustellen,

 

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in dieser Schlacht getötet worden. Pharao Necho setzt den schwachen Jojakim zum Nachfolger ein. Aber der begeht dann die Verrücktheit, sich gegen die neu aufkommende Vormacht, die Babylonier unter ihrem König Nebukaderezar, aufzulehnen. Es war Brauch, daß König und Tempelpriester - also Thron und Altar - im Bündnis miteinander versuchten, das Volk in diesen politischen Krisenzeiten vor

Mutlosigkeit oder Aufbegehren zu bewahren, es sozusagen in Sicherheit zu wiegen und  einzulullen. Also feierte man etwa glanzvolle Gottesdienste im Tempel und sagte: Gott ist mit euch, er wird euch schon beschützen. Vertraut nur eurem König und eurem Gott. Und nun gehen  Menschen aus Jerusalem und Umgebung zu einem dieser Tempelgottesdienste. Sie gehen  hinauf auf den Berg Zion, auf dem der Tempel Jahwes stand, den König Salomo hatte bauen lassen. In Scharen strömen sie herbei. Vielleicht schwatzen sie fröhlich. Vielleicht sind sie in Gedanken schon beim Festessen nach dem Gottesdienst.

 

Da steht Jeremia am Tor zum inneren Tempelvorhof. Er steht da, wie wenn heute einer oder eine vor den Treppenstufen dort am Eingang unserer Kirche stehen würde.

 

Und er ruft, dem Sinn nach: He – habt ihr völlig vergessen: Zum Gottesdienst geht man nicht wie zu einem Theaterbesuch! Wenn ihr zum  Gottesdienst geht, dann tretet ihr mit euren Mitmenschen vor den heiligen Gott, den unfaßlichen Schöpfer des All...!

 

Aber – fährt er dann fort - wer seid ihr denn, daß ihr es überhaupt wagt, euch Gott zu nähern! Ihr habt Menschen durch Worte und  Taten verletzt, ihr habt die Ehe gebrochen, lauft Götzen nach, das Elend Anderer kümmert euch kaum...und  jetzt geht ihr zum Gottesdienst...und  gleich anschließend fangt ihr wieder an, die Gebote Gottes zu übertreten und ihn  genauso wenig ernst zu nehmen wie vor dem Gottesdienst!

 

Ja,  so ruft er aus - und Jesus, der auch wie ein Gerichtsprophet und mit geißelnden Worten auftreten konnte, wird es ihm nachtun (Lukas 19; Schriftlesung) -:    Ist das Haus Gottes denn eine Räuberhöhle? Ein Ort, wo Diebe und Verbrecher zusammenkommen? Ihr denkt, hier sei Gott euch ganz selbstverständlich nahe und lasse euch – wieder einmal – ausrichten, daß ihr seine Kinder wärt, die er liebhat...Nein! Wer Gottes Willen nicht tut, von dem wendet Gott sich ab. Wenn ihr so weitermacht wie jetzt und euch nicht entscheidend bessert, werdet ihr zugrundegehen und  dies Haus Gottes hier wird zerstört werden.

 

Und so ist es dann auch gekommen. Denn die Menschen änderten sich nicht. Es war knapp 20 Jahre nach diesen Worten des Jeremia, daß die Babvlonier die Stadt Jerusalem mitsamt dem Tempel in Schutt und Asche legten und  die Besiegten in die Sklaverei schleppten.

 

Könnte denn uns Ähnliches bevorstehen? Könnten denn diese Worte des Jeremia auch uns gelten? Ist es nicht so, daß auch wir Gewalt gegen Fremde üben  - sowohl hier im Lande wie auch dadurch, daß wir Europa zu einer Festung gegen sie machen, möglichst mit Auffanglagern schon in  Afrika, so daß die Fremden, die ja nur an unseren Wohlstand wollen,  garnicht erst bis zu uns kommen können. Und ist es

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nicht so, daß auch wir andern Göttern  nachlaufen, vor allem dem Obergötzen  Mammon. Vor die Frage gestellt: Was ist uns wichtiger: Der Gott der Bibel oder das Geld – Hand aufs Herz, was würden Sie antworten?

 

 

Stellen wir uns nun dreierlei vor Augen:

 

1.      die Vollmacht, in der der Prophet spricht, also daß er so redet, wie er redet

 

2.      Seine Botschaft, also was er zu sagen hat und

 

3.      die Absicht, mit der Gott durch ihn  redet, also wozu seine Worte dienen sollen.

 

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1.      Die Vollmacht Jeremias – daß er so redet, wie er redet

 

Jeremia kann diese Worte nur sagen, weil Gott vorher zu ihm gesprochen hat. Er muß das sagen, was Gott ihm aufgetragen hat. Er muß. Er kann nicht anders. Er muß Gott auf Gedeih und Verderb gehorchen.

 

Eine Frage: Hat einer von Euch das schon einmal erlebt, daß es für ihn  ganz eindeutig war: Hier spricht Gott zu mir?!  Oder daß er ganz sicher war: Gott will, daß ich das jetzt sage! Ich muß das tun, koste es, was es wolle.

 

Es ist dies sicher vor allem auch eine Frage an alle, die zu predigen, also Gottes Wort und  Willen zu verkündigen haben: Lesen und hören wir einen Bibeltext in der Bitte und  Erwartung, in diesen Worten Gott selbst heute zu uns sprechen  zu hören?

 

Aber darüberhinaus ist das ja eine Frage an jeden, dem Gott für sein Leben wichtig ist: Wollen wir überhaupt, daß Er zu uns spricht? Leben wir in der Hinwendung zu Ihm? Möchten wir die Stimme Gottes hören, der in der Stille zu uns spricht?

 

Deckt nicht der Lärm alles zu? Bewirkt nicht die Vielfalt der Aktivitäten und Reize, denen wir unser Leben ständig aussetzen, daß Gott daraus entschwindet?

 

Ich las vor einiger Zeit diese Sätze des Radiojournalisten Joachim Ernst Behrendt: „Der Verfall unseres Hörsinns läuft auffällig parallel mit dem, was man die ‚Abkoppelung des westlichen Menschen von Gott‘ genannt hat. Der heutige Mensch hört nicht mehr auf Gott. Der heutige Mensch hört nicht mehr“. Auf Gott hören können und überhaupt hören können – das hängt offenbar sehr eng zusammen.

 

Vielleicht wollen wir ja auch gar nicht, daß Gott zu uns redet. Wir müßten dann unser Leben ja gewaltig ändern.

 

Es ist offenbar heute wie zu allen Zeiten ein Wunder, wenn ein  Mensch von Gott so sehr ergriffen wird, daß er dann nicht mehr ohne ihn leben – kann! Auch in der Bibel kommt Gott so gewaltig, so das ganze Leben beschlagnahmend nur zu Wenigen: Einem Mose, einem Paulus und eben hier zu Jeremia.

 

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Mehrfach klagt Jeremia verzweifelt darüber, wie schwer Gottes Hand auf ihm liegt. Er will Gott los sein und  kann es doch nicht. Er will nicht mehr predigen müssen und  muß es doch. Auch und  gerade solche Worte mußte Jeremia sagen, von denen ihm schon vorher klar war, wie die Hörer darauf reagieren würden.

 

Nämlich so, wie sie auch auf seine Worte vor dem Tempeleingang damals reagierten. In Kapitel 26 des Jeremiabuchs wird davon  berichtet. Jeremia verursacht einen Aufruhr. Lautstark machen  sich Empörung und  Agressivität breit, die beamteten Tempelpriester und  -wächter stürzen sich mitsamt einigen Gottesdienstbesuchern auf ihn  und schreien ihn  an: Du wagst es, die Zerstörung

dieses heiligen Gotteshauses anzukündigen? Für deine Gotteslästerung sollst du mit dem Leben bezahlen!

 

Und weil das, was Jeremia gesagt hat, in Windeseile auch bis zum  Königspalast gedrungen  ist, eilen von dort die Staatsbeamten  herbei und  schleppen Jeremia zum Stadttor, wo die Gerichtsverhandlungen stattfanden.

 

Und  was macht Jeremia dann dort? Er wiederholt seine Worte. Und  fügt jetzt hinzu: Ich bin in eurer Hand, ihr könnt  mit mir  machen, was ihr wollt. Aber bedenkt: Ich spreche im Namen  und Auftrag Gottes.

 

 

Und dann wagen sie bei ihm  dann doch nicht das zu tun, was bei vielen Zeugen und  Boten der Wahrheit Gottes geschehen  ist – als Beispiel unter vielen  nenne ich nur Jan Hus – und was sie allen voran bei Jesus, dem  Sohn Gottes getan  haben: Das Todesurteil wegen Gotteslästerung zu verhängen.

 

                                                                       II

 

Aber nun das Zweite: Die Botschaft Jeremias – also was er zu sagen hat.

 

Es ist eine äußerst leidenschaftliche Botschaft, eine Botschaft, erwachsen aus tiefem Leiden an der praktischen Gottlosigkeit und  Gleichgültigkeit seiner Mitbürger. Erwachsen aus Entsetzen darüber, wie wenig seine Landsleute den Willen Gottes ernst nahmen. Ja, sagt Jeremia, es stimmt: Gott hat euch zugesagt: Ich bin euer Gott  – und  ihr seid mein Volk, das ich erwählt habe. Aber denkt doch nicht, jetzt könne euch nichts mehr geschehen !

 

Jeremia wendet sich gegen eine Haltung, die meint , wir könnten der Liebe Gottes sicher sein. Aber einen Gott, der zu allem Ja und  Amen sagt, einen  Gott, von dem

man in allzuvielen  Predigten hört: „Gott liebt uns und nimmt uns  an, wie wir sind“ –einen solchen Gott nimmt man doch nicht mehr ernst. Ja – Gott ist Liebe! Aber aus Liebe zum Leben kann  er auch zornig werden und schreckliche Gerichte kommen lassen.

 

Gottes Wort ist – wie Luther einmal sagte –ein „fahrender Platzregen“. Das heißt: Gott schüttet sein  Wort zu manchen Zeiten so aus, daß es reiche Frucht bringt, aber sein Wort kann auch weiterziehen, zu anderen Weltgegenden, zu anderen Kirchen.

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Wir halten dann vielleicht noch Gottesdienste, aber Gott ist nicht mehr gegenwärtig. Der ganze kirchliche Betrieb ist wie ein  Motor im Leerlauf.  Ob dieser Gedanke uns wenigstens beunruhigt?

 

                                                                       III

 

Denn dies – drittens – ist die Absicht Gottes, also wozu er durch Jeremia redet.

 

Nicht dazu muß Jeremia ja so predigen, weil er die Hörer ärgern, empören, provozieren will, sondern weil er – rechtzeitig - zur Umkehr, zur Buße rufen will (vgl. Jeremia 26, 3). Denn dies und  nur dies ist ja der Wille Gottes, daß seine Menschenkinder  ein erfülltes, getröstetes, befreites Leben führen. Und das ist eben

nur in Lebensgemeinschaft mit Gott zu finden. Nur, indem wir den Willen Gottes hören und ihm gehorchen. Der Wille Gottes ist auf Leben gerichtet, darauf, daß wir leben – und unsere nahen und fernen Nächsten ebenso wie wir. Die Afrikaner haben kein  bißchen  weniger Recht auf Wohlstand als wir, die Palästinenser kein bißchen weniger Recht auf Sicherheit als die Israelis. Darum dürfen wir nicht müde werden, für das Lebensrecht der Schwachen in Wort und Tat einzustehen. Jesus sagt einmal: Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben, und  es in Fülle haben (Johannes 10, 10).

 

Durch Jesus schenkt Gott uns seine Gnade, seine Vergebung , sein  Erbarmen für unser zeitliches und ewiges Leben – aber es ist keine billige Gnade, wir sind teuer erkauft. Darum laßt uns ihn  durch die Tat unseres Lebens preisen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.