Taufpredigt über Jesaja 11, 1-9, 2. Weihnachtstag 2000

 

Liebe Gemeinde,

Wölfe bei den Lämmern: Starke bei den Schwachen, Wilde bei den Sanften – und alle vertragen sich gut – wie schön wäre das! Zu schön, um wahr zu sein?

 

Nicht wahr, in der Realität ist das doch anders. In  der Natur herrscht der Kampf ums Dasein, da regiert das Gesetz von Fressen und Gefressenwerden: Immer frißt ein größeres oder stärkeres Lebewesen ein kleineres oder schwächeres. Die Amöbe die Bakterie, das Pantoffeltierchen die Amöbe, der Wasserfloh das Pantoffeltierchen, der kleine Fisch den Wasserfloh, der große Fisch den kleinen Fisch – und der Mensch, der ist im Grunde am schlimmsten, frißt alles, beutet alles aus, zerstört, was er nur kann – und am Ende sogar noch sich selbst.

 

Aber nun – nun hat eine gewaltige Gegenbewegung begonnen: Jesus ist gekommen,  hat herrliche Worte gesagt und erstaunliche Tasten getan, hat sein Leben hingegeben für uns, hilft uns zur Sanftmut – und Sanftmut bedeutet in der Bibel: in Einklang mit sich selbst leben, im Frieden mit sich selbst, es nicht mehr nötig haben, aggressiv zu sein gegen andere oder gegen sich selbst oder gegen die Natur.

 

In seiner Nähe, unter seinem Einfluß auf uns geschieht das, was Jesaja weissagt, bruchstückhaft zwar und zeichenhaft oft, aber es geschieht: Aggressive werden friedfertig, Menschen empfinden Mitleid mit anderen und werden ihnen zur Hilfe, Starke und Schwache vertragen sich, wohnen in Frieden beieinander.

 

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von dem Wolf von Gubbio, einem Ort in Italien, den der heilige Franz von Assisi zähmte. Dieser Franz ist ja ohnehin ein großes Vorbild für uns Christen, ein Vorbild für einfaches Leben. Er sagt und zeigt uns: Das meiste, was uns in den Kaufhäusern und Supermärkten und inzwischen auch im Internet angeboten wird, das brauchen wir überhaupt nicht, wir leben viel glücklicher, wenn wir relativ einfach leben. Er ist ein Vorbild auch für unseren Umgang mit unseren Mitgeschöpfen, den Tieren, es wird erzählt, daß er einmal sogar den Vögeln eine liebevolle und eindringliche Predigt gehalten habe - und sie verstanden ihn. Ja, und mit dem Wolf von Gubbio verhielt es sich so: Der war ungeheuer wild und schrecklich, er riß sogar Menschen. Keiner traute sich nachts aus dem Haus, aus lauter Angst vor ihm. Franziskus hatte Mitleid mit den Einwohnern. Er beschloß den Wolf aufzusuchen. Der rannte ihm mit offenem Rachen entgegen. Franz machte das Zeichen des Kreuzes und sprach zu ihm: Bruder Wolf, im  Namen Jesu gebiete ich dir, nicht mehr Böses zu tun! Und der Wolf kam sanftmütig wie ein Lamm heran und legte sich zu Füßen des Heiligen nieder.

 

Der hielt ihm nun eine Predigt, hielt ihm das Böse, das er getan hatte, vor, versprach aber auch, sich dafür einsetzen zu wollen, daß die Menschen ihm vergeben würden. Und zur Vergebung solle gehören, daß die Einwohner von  Gubbio ihm in Zukunft genügend Nahrung bereitstellen sollten, denn, so sagte Franz, ich weiß wohl, du hast das Böse getan, weil du Hunger littest.

 

Der Wolf  neigte deutlich den Kopf zum Zeichen seiner Zustimmung, beide gingen hinein ins Dorf, der Wolf neben dem Heiligen, gehorsam und still wie ein Lamm.

 

 

 

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Dort war großes Aufsehen, die Leute liefen zusammen, Franz predigte auch ihnen, sagte ihnen, sie sollten zurückkehren zur Ehrfurcht vor Gott und zur Liebe Christi.

Dann unterbreitete ihnen seinen Vorschlag zum Frieden, die Bewohner stimmten feierlich zu, den Wolf  dauernd zu beköstigen und der seinerseits stimmte durch freundliche Gebärden zu, keinem  Menschen  mehr schaden zu wollen. Es wurde sozusagen ein richtiger Vertrag geschlossen. „Der Wolf“ –so endet die Geschichte – „lebte noch einige Jahre in Gubbio. Er ging zutraulich von Haus zu Haus, von Tür zu Tür, ohne irgendwem ein Leid zuzufügen und ohne daß ihm ein  Leid widerfuhr; und er wurde liebevoll von allen gefüttert. Und wenn er durch den Ort von Haus zu Haus ging, bellte niemals ein Hund hinter ihm her. Schließlich nach Jahren starb Bruder Wolf an Altersschwäche. Darüber waren die Bürger sehr traurig.“

 

Wieviel Gutes kann man aus dieser Geschichte lernen. Zum Beispiel: Respektvoll auch mit unseren Mitgeschöpfen, den Tieren, umzugehen – und wenn das in unserer perversen Gesellschaft mit Massentierhaltung und Tierproduktion nicht geschieht, eben ganz oder weitgehend auf Fleisch zu verzichten.

 

Lernen können wir auch, daß Agressivität oft in irgendeinem Mangel, einer Not ihre Ursache hat – und vielleicht können wir diese Not – wie das die Bürger tun – beheben oder zumindest lindern. Fast immer geht es in unserer Gesllschaft um einen Mangel an Zuwendung, an Geliebtwerden. 

 

Heute wirst Du getauft, Marvin. Dein Leben und das Leben Jesu werden miteinander verbunden. Und ebenso ist es bei Ihrem Kind, der Laura.

 

Jesus ist für uns – und nun eben auch besonders für Sie, die Eltern und Paten, die Quelle der Liebe und des Friedens. Er hilft uns zur Zufriedenheit, zu dankbarem, vertrauendem Leben.

 

Vollkommenen Frieden werden wir nicht schaffen. Aber Friedensstifter können wir sein, Menschen, die die Worte Jesu beherzigen und ihm nachfolgen. Darum: der Friede Gottes...

 

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.