Gottesdienst am 2. Advent, 10. Dezember 2006

                   in der Kirche Am Heierbusch, Essen-Bredeney

 

Lieder:

Seht auf und erhebt eure Häupter...21

Tochter Zion...13, 1+2

Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt...154

Reich des Herrn...602

Im Frieden dein...222

 

Psalm 126 (Nr. 754)

 

Lesung: Lukas 21, 25 - 28

 

 

Wir hören den Predigttext aus dem Prophetenbuch Jesaja, Kapitel 35, die Verse 3 - 10:

 

Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: "Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen."

Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und  die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen  wie Hirsche springen und die Zunge der Stummen wird jubeln. In der Wüste brechen Wasser hervor und  Ströme im dürren Land.

Und wo es zuvor trocken  gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es öde gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, sollen Gras und Rohr und Schilf stehen.

Und es wird dort eine Straße sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten;  nur das Volk des Herrn wird auf ihm gehen; auch die Toren gehen dort  nicht mehr in  die Irre.

Es wird da kein Löwe sein und kein  reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.

Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und  Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

 

Liebe Gemeinde!

Advent: Zeit voller Erwartung, voller Sehnsucht nach Gott! Advent: Zeit einer starken, lebendigen Hoffnung! Aber - haben wir Anlass dazu?

 

Der Schweizer Dichter Kurt Marti hat einem seiner Texte die Überschrift "Herabgesetzte Hoffnungen" gegeben. Er nennt solche gängigen "herabgesetzten Hoffnungen":

 

"...daß die Tage wieder länger werden

daß die Kopfschmerzen verschwinden

daß nie etwas an den Tag kommt

daß die Gäste aufbrechen

undsoweiter...

 

Herabgesetzte Hoffnungen. Hoffnungen, Klein und schwach, wie ein gerade noch

glimmender Docht.

                                                                        I

 

Wie anders ist unser Bibeltext! Von welch tänzerischer Hoffnung  ist er erfüllt. Es

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ist, als seien Menschen  von einem geradezu pfingstlich beschwingten Geist bewegt; einem Geist, der die ganze Natur mit Frische und  Lebendigkeit  erfüllt!

 

Wir sehen Menschen, die kaum noch weiterkönnen. Gott sagt zu Menschen oder Engeln: Stärkt ihre müden Hände, kräftigt ihre wankenden Knie! Und es geschieht!   Müde  Hände können sich munter wieder regen. Menschen  gehen zuversichtlich der Zukunft entgegen. Wir sehen Menschen, die in Schmerz  oder  Bitterkeit verstummt waren:  Sie beginnen dankbar zu singen und verstehen sich gut mit Anderen. Menschen, die blind waren  - vielleicht durch allzuviel Geflimmere vor ihren Augen -  werden klarsichtig, und taub Grewordene - vielleicht durch allzuviel Gedröhne in ihren Ohren - können neu hören, was Gott sagt.

 

Menschen sind  auf einem guten Wege. Sie haben Durststrecken hinter sich gelassen. Vorbei die Zeit der Dürre.

 

Bei dem einen oder anderen von uns  hier könnte das so aussehen: Die Zeit der Krise, die Zeit der Krankheit ist überwunden. Nach der Zeit der Krankheit geht es wieder weiter, geht es aufwärts. Schritt für Schritt kehrt Normalität ein. Die gewohnten Wege werden wieder gegangen, die üblichen Tätigkeiten  wieder aufgenommen.

 

Was früher selbstverständlich war, wird jetzt anders wahrgenommen. Kleinigkeiten gewinnen an Wert, werden zur großen Wohltat. Endlich nicht mehr ans Bett gefesselt sein. Selbst in die Küche gehen können, um ein  Glas Wasser  zu holen. Sich ohne Mühe die Schuhe zubinden können. Morgens ohne Schmerzen aufwachen. Das alles gewinnt  an Wert. Die Zeit der Wüste schärft den Blick für die Wasserquellen am Wegrand und macht uns bewußt, welch ein Segen es ist, aus diesen Quellen schöpfen zu können.

 

                                                                        II

 

Und nun sieht der Prophet ja im Grunde die ganze Schöpfung in solcher Leichtigkeit des Seins, in  solch überströmender Lebendigkeit. Und wir fragen ihn:  Was hast du denn eigentlich da gesehen? Ist es vielleicht doch eine Illusion, eine Fata morgana - zu schön, um wahr zu sein?

 

Nein. Jesaja hat, was er hier sagt, von Gott selbst gehört; Gott hatte ihm diese Bilder - nicht als Traum, sondern in höchster Klarheit des Erkennens - gezeigt. Der Prophet hatte seinen Landsleuten nur das, was Gott versprochen hatte, weitergesagt: Ihr werdet frei sein; ihr  werdet erhobenen Hauptes heimkehren können. Er hatte seinem verzagten Volk, das seit dem Jahr 587 in  Babylon geknechtet war,  zugesagt: Ihr werdet erlöst heimkehren.  "Die Erlösten des Herrn werden nach Zion kommen mit Jauchzen..., Freude und Wonne werden sie ergreifen und Schmerz und  Seufzen wird entfliehen".

 

Und  dann war das auch eingetroffen. Kyros, der persische Großkönig, erließ ein  Edikt: Die Juden in Babylon sollen frei nach Hause wandern können. Und  so zogen sie um das Jahr 520 hoffnungsfroh durch die arabische Wüste in die Heimat, begannen dort, den Tempel wieder aufzubauen - und wußten zugleich: In  den Worten, die uns der Prophet zugesagt hatte, steckt noch mehr, sie sind noch nicht dadurch erfüllt, dass wir wieder in Zion, auf dem

Tempelberg in in Jerusalem sind. Gott wird noch mehr, wird noch Neues tun auf dem Wege der Erlösung der Schöpfung. So wie er es in der Jahreslosung für das neue Kirchenjahr durch den gleichen Propheten, den wir hier in unserm Preidigtext hören, verspricht: Siehe, ich  will ein  Neues schaffen, es wächst ja schon auf, erkennt ihr's denn nicht? (Jesaja 43, 19a).

 

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Es wächst schon  auf, erkennt ihr's denn nicht?

 

                                                                        III

 

Nein, müssen wir sagen, wir sehen's nicht. Jedenfalls nicht  im Großen, der Politik, der Weltwirtschaft. Wasserquellen  brechen auf in den Wüsten? Wir sehen und hören stattdessen: Die Wüsten wachsen, Jahr für Jahr, etwa in der Sahelzone. Und : Wasser fließt zwar, aber da, wo es nicht soll: Von  den Gletschern der Alpen, den Kappen der Pole. Die Antarktis soll um dass Jahr 2008 - wie man formuliert (und weiß wohl nicht, was man sagt) - "eisfrei"  sein. Und ich hörte vorgestern im Radio: Grundstücksspekulanten kaufen schon  in  den noch von Eis bedeckten Gebieten dort riesige Grundstücke auf, weil man dann ja da Städte bauen kann...

 

Grund zur Hoffnung?? Der Mensch ist und  bleibt böse und habgierig. Weisst du das denn

nicht, Jesaja? Und ob Jesaja das weiss! Und darum sagt er den Satz, der wie ein schwarzer Fleck mitten in seinen hellen und frohen Bildworten vom erlösten Leben steht: Seht, da ist euer Gott. Er kommt zur Rache. Gott, der da vergilt, kommt! Er wird euch helfen.

 

Hier wird klar: Der Prophet träumt keinen Traum von Harmonie und Eintracht netter Menschen und er gibt uns  nicht süßliche Limonade zu trinken. Er weiß und sagt: Gott sieht den gequälten, vergewaltigten, gefolterten Menschen. Er zählt jede Träne, die geweint wird. Gott hört die höhnischen oder überheblichen Worte, die Angst oder  Hass auslösen. Gott wird zornig über Grausamkeit, er ekelt vor Heuchelei und  dummköpfiger Sturheit. Und er läßt die Überheblichen und  auf Gewalt Setzenden nicht ewig gewähren. Er wird Rache üben. Vergeltung. In der Bibel wird uns aufs deutlichste gesagt: Es gibt ein Gericht über unser aller Tun und Lassen. Alles kommt  ans Licht und jeder Mensch, jeder von uns wird nach seinen Werken gerichtet werden.

 

Gott wird Rache üben - das heisst nicht, dass Gott willkürlich und hemmungslos dreinschlägt, sondern dass es ihm um Gerechtigkeit geht und er sie auch durchsetzen wird. Seinj Ja zu seiner neuen erlösten Welt bedeutet zugleich sein Nein zu einer Welt, an deren Unerlöstheit, an deren Ungerechtigkeit und Unfrieden wir täglich passiv und aktiv Anteil haben. Keiner von uns  kann dieses Nein Gottes verharmlosen und bagatellisieren.

 

Und nun gehen wir ja wieder auf das Weihnachtsfest zu: In seinem Sinn oft bis zur Unkenntlichkeit entstellt, von  Kommerz total überwuchert - und doch wird seine Botschaft auch in diesem Jahr Menschen ergreifen wie die Hirten damals: Denn Weihnachten sagt uns ja: Die Erlösung konnte nicht anders zur Welt kommen, als dass ein  Erlöser zu ihr kam, der selbst "niedrig und gering" wurde. In einfachen Verhältnissen wird er geboren, in der Umgebung von Hirten kommt der gute Hirte zur Welt. Und  dann hören wir: Von  Anfang an wollen die Mächtigen ihn nicht, wollen ihn  weghaben. Der Erlöser der Welt muß auf die Flucht und Asyl suchen. Und wie endet sein Erlösungsweg? Er wird von den Frommen  - die Amtsinhaber allen voran - verurteilt und verstoßen wegen  Gotteslästerung, wird mißhandelt, gefoltert und stirbt - zwischen zwei Terroristen hängend -  den Erstickungstod.

 

Biliger, einfacher war unsere  Erlösung, die Erlösung der Welt  nicht zu haben. 

 

                                                                        IV

 

Und nun  lebt und regiert er, der Erlöser,  unter uns - Er, den Gott zum Herrn aller Herren und König aller Könige gemacht hat, er, das Lamm auf dem Thron, der der letzte Wort hat und  der dich und mich und auch alle Finanzbosse,  Präsidenten und Kanzler nach ihren 

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Werken richten wird. Er, der Richter, den wir doch zugleich als den  Retter, auch unseren persönlichen  Lebensretter, bekennen. Weil wir hören und im Glauben gelten lassen dürfen: Er hat das, was wir von Gott mit Recht verdient hätten, für uns ertragen und getragen und hat uns in Zeit und Ewigkeit die Gnade und das Erbarmen Gottes erworben hat. Er sagt dem von uns, der müde ist, wankend unter schwerer Last: Ich stärke dich, ich helfe dir auch. Er sagt dem von uns, der kräftig ist:  Stärke müde Hände, richte  Menschen  auf. Er sagt uns allen: Geht mit  mir gemeinsam auf dem "heiligen Weg". Und seid sicher: Dieser Weg führt an ein herrliches Ziel, er führt ins himmlische Jerusalem, das nicht einfach eine Stadt ist, schon gar nicht eine Betonwüste - sondern  das genaue Gegenteil: Ein Leben ohne Mauern und  Grenzen, voller Schätze und Früchte, mit heilenden  Blättern von  den Bäumen des Lebens; keine Unterdrückung dort mehr, kein Leid, kein Geschrei und  Schmerz. Voll beseligter Freude schauen wir Gott, und  alles ist gut.

 

Der heilige Weg, der Weg in der Nachfolge Jesu  ist kein  breiter, sondern ein schmaler Weg, mit scheinbar nur wenigen Weggenossen. Die ihn gehen, vertrauen sich dem Schutz Gottes an, sagen zu Gott: "Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde", feiern unterwegs immer wieder in einer der Gaststätten am Weg miteinander das heilige Mahl. Ihr Lebenshunger und  Durst wird dort gestillt, so dass sie gern verzichten auf die Angebote der Elektronik-, Konsum- und  Vergnügungsindustrie, von  denen wir ja neunzig Prozent überhaupt nicht brauchen. Stattdessen merken sie, während sie den Lebensmaßstäben, die uns Jesus nennt, recht und schlecht zu folgen suchen: Es stimmt ja, was er gesagt hat: Ich bin gekommen, damit die Menschen  das Leben haben und  es in Fülle haben (Joh.10,10).

 

                                                                        V

 

Menschen miteinander auf dem "heiligen Weg", der ins himmlische Jerusalem führt. Was gehört zum Leben auf diesem Weg? Ich will das abschliessend sagen mit Worten eines Gedichtes von Kurt Marti:  Die Hoffnung  

 

die hoffnung geht zu fuss

die hoffnung strampelt auf dem rad

die hoffnung fährt mit der bahn

 

die hoffnung guckt wolken nach

die hoffnung grüsst den mond

die hoffnung findet zeit

 

die hoffnung verteidigt igel und bäume

die hoffnung versteckt asylanten

die hoffnung  kauft im  drittweltladen ein

 

die hoffnung fällt und erhebt sich wieder

die hoffnung steigt über berge

die hoffnung durchschwimmt das meer

 

die hoffnung bleibt neugierig

die hoffnung entdeckt zusammenhänge

die hoffnung sucht verbündete

 

 

 

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die hoffnung kann entbehren

die hoffnung weiss zu geniessen

die hoffnung schürt das feuer der liebe

 

die hoffnung kann wütend werden

die hoffnung kann traurig sein

die hoffnung lacht (subversiv)

 

die hoffnung kämpft für das recht des andern

die hoffnung feiert und tanzt

die hoffnung macht zärtlich

 

die hoffnung hat nichts

die hoffnung will alles

die hoffnung betet um das reich gottes.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen