Gottesdienst am Sonntag Quasimodogeniti, 7. April 2002

 

 

Lieder:

 

Gottlob, der Sonntag kommt herbei...162

Freuet euch der schönen Erde...510

während der Predigt: Weißt du, wieviel Sternlein stehen...511, 1 und 3

nach der Predigt: O herrlicher Tag...560

 

Psalm 116 

 

Lesung: Johannes 20, 19 - 29

 

Predigt über Jesaja 40, 26-31

 

 

Liebe Gemeinde!

 

„An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.

Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande.

Denn die uns gefangenhielten, befahlen uns dort zu singen

und in unserem Trauern fröhlich zu sein:

Singt uns ein Lied von Zion!

 

Wie könnten wir des Herrn Lied singen im fremden Lande?

Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte.

Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke,

wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein“.

 

Das sind Verse des 137. Psalms – Verse voller Sehnsucht nach Jerusalem und besonders dem Tempelberg Zion. Wer mag sie gedichtet haben? Irgendein unbekannter Mensch. Tagsüber mußte er vielleicht irgendwelche Sklavendienste in einem der vornehmen Häuser Babylons verrichten – und dann abends am Flußufer traf er sich mit all den anderen, die man brutal mitgeschleppt hatte von Jerusalem in die Gefangenschaft.

 

Im Jahr 587 vor Christus war die Stadt Jerusalem samt Tempel von den babylonischen Truppen in Schutt und Asche gelegt worden. Und jetzt hocken sie da  mit einer unstillbaren Sehnsucht nach der Heimat im Herzen. Und sie deuten ihr Schicksal als Gericht und Strafe Gottes über ihren Unglauben, denn sie wissen nur zu gut: Wie sehr hatte der Prophet Hesekiel sie gewarnt, und auch der Prophet Jeremia – aber sie hatten nicht auf Gottes Warnungen gehört. Statt Frieden zu suchen, hatten sie sich der Gewaltpolitik verschrieben, hatten gemeint, Babvlon militärisch standhalten oder es gar besiegen zu können, sie hatten Gott verlassen und  hatten die Quittung dafür bekommen.

 

 

 

 

 

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Menschen in einer „Nullpunktsituation“ , so hat es einer meiner alttestamentlichen Lehrer formuliert. Sie sind auf dem Nullpunkt, sind am Ende: Nicht nur, daß sie die Heimat verloren haben, auch Gott hat sich offenbar von ihnen abgekehrt, interessiert

sich nicht mehr für sie. Sie erkennen ihre Schuld, sie weinen und finden nirgendwo Trost.

 

In dieser Situation beruft Gott dort in Babylon einen Propheten, dessen Namen wir nicht kennen und dessen Worte im Jesajabuch in den Kapiteln 40 - 55 aufbewahrt worden sind. Von Luther sind diese Kapitel treffend überschrieben worden: Das Trostbuch von der Erlösung Israels. In der Tat: Nirgendwo im Alten Testament – mit

Ausnahme vielleicht des 5. Buches Mose – finden wir Worte von solch tröstender Kraft, Worte reinen Evangeliums. Der heutige Predigttext gibt solch eine Trostpredigt des Propheten wieder.

 

Er tritt in den Kreis der Sklavinnen und  Sklaven, die da im tiefen Dunkel der Nacht verzagt am Flußufer am Rande der Großstadt Babylon hocken und sagt ihnen:

 

Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, daß nicht eins von ihnen fehlt.

Warum sprichst du denn, Jakob, und  du, Israel, sagst: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und  mein Recht geht vor meinem Gott vorüber“?

Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich.

Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.

Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen;

aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.

 

„Hebet eure Augen in die Höhe und seht! Richtet den Blick nicht länger trostlos und bekümmert zu Boden“, sagt der Prophet. „Kreist auch nicht in Gedanken nur um euer Schicksal, denkt nicht immerzu an eure Fronherren, blickt auf, blickt auf zum Himmel! Seht das Leuchten der Sterne! Gott kennt jeden einzelnen von ihnen mit Namen“!

 

Und nun gab es ja damals noch  keine Lichtverschmutzung, wie man das nennt – so wie bei uns in Essen, wo es nachts niemals stockfinster wird. Sondern es war da schon rabenschwarze Nacht – aber umso majestätischer war das Sterngefunkel am Firmament. „Seht! - Wer hat dies alles denn geschaffen“? sagt der Prophet. „Es ist unser Gott – der Gott, von  dem ihr meint, er kenne euch nicht mehr, er kümmere sich nicht um euch, er habe euch verlassen. Er hat diese Unzahl der Gestirne ins Dasein gerufen, jeden einzelnen dieser Milliarden Sterne kennt er, lenkt ihn auf der ihm bestimmten Bahn, läßt ihn werden und vergehen – und jeder einzelne dieser Sterne hat seinen nur für ihn bestimmten Platz, hat seine unersetzliche Bedeutung in Gottes Gedanken, Plänen und Vorhaben...Keiner darf fehlen! So ist unser Gott!

 

Wir müssen dazu wissen, daß die Babylonier ja große Astronomen  waren, die Bestimmung der Sternbilder geht auf sie zurück, auch der Glaube, daß die

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Sternzeichen schicksalhafte Bedeutung für unser menschliches Leben hätten und daß man das Schicksal aus ihrer Beobachtung vorhersagen könne. Die Sterne selbst hatten für die Babylonier göttliche Macht und Einfluß. Der Prophet aber sagt: 

Es ist nur ein Gott, der Gott Israels, der hat sie alle geschaffen und lenkt ihre Bahnen...Wenn das aber so ist – dann – der Prophet braucht das garnicht auszusprechen – dann ist das gerade so auch mit deinem menschlichen Leben: Er hat es geschaffen, er lenkt es nach seinen Plänen, dein Leben hat seinen von Gott bestimmten Platz in  Gottes Regierung, es hat einmalige und ganz unersetzliche

Bedeutung für Gott -  es darf auf  keinen Fall fehlen, es ist, so wie es ist, unersetzlich wichtig, wertvoll und  bedeutungsvoll.

 

Du bist also ein Stern in Gottes Schöpfung. Du leuchtest wie kein anderer Stern, du bist einmalig, du bist – so wie du bist - unersetzlich für Gott!

 

Wir greifen dies auf und singen miteinander das Lied, das diesen Prophetenworten nachgedichtet ist:  Weißt du, wieviel Sternlein stehen...511 Str. 1 und 3.

 

 

„Kennt auch dich und hat dich lieb...“ Manchmal können Menschen das nicht glauben. Vor allem alte Menschen denken manchmal und sprechen es auch schonmal aus: Was soll mein Leben denn? Welchen Nutzen hat es denn überhaupt noch? Oder andere seufzen und klagen: Ein Fehlschlag nach dem anderern, nur Mißerfolg , Versagen, Krankheiten, Schmerzen, Leiden – Gott scheint das alles nicht zu kümmern.

 

Vor wenigen Tagen noch sagte mir eine Frau: Ich glaube, mein Leben hat überhaupt keinen Sinn  mehr. Ich sagte ihr: Das ist der Sinn: Ihr Leben, wie Sie es gerade jetzt führen!

 

Ich weiß: Damit hatte ich die Frau nicht nicht getröstet.  Es muß noch etwas hinzukommen, etwas von Gott selbst, nämlich dies, was der Prophet dann weiter sagt: „ Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden“.

 

Männer werden müde und matt, Jünglinge straucheln und fallen“ ... Das weiß jeder, davon hören und sehen  wir täglich: Mit unserer Vitalität ist es nicht weit her. Männer, überaus erfolgreich – in Politik, Wirtschaft, showbusiness –: Was wir klägliche

Gestalten werden aus ihnen, und welch einen verbitterten und innerlich völlig leeren Eindruck machen  sie oft schließlich... Junge Männer, kraftstrotzend: Sie straucheln, fallen, stürzen...Sportler, bewundert – wie schnell sind sie vergessen, oft genug haben sie an bleibenden gesundheitlichen  Schäden zu laborieren, weil sie so überzüchtet worden sind mit Aufputsch- und  Dopingmitteln...Alle, die auf Körperkult setzen:  Wie bitter ist das Erwachen für sie, wenn sie älter werden, sie merken: Wir sind betrogen worden, sind Geschäftemachern und  Verführern auf den Leim  gegangen...Und jetzt rächt sich die jahrelange seelische Unterernährung ...Denn das ist ein   Hauptkennzeichen unserer Zeit: Der körperlichen Überernährung entspricht

 

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eine seelische Unterernährung , der Überbetonung des Körperlichen entsprechen rapide seelische Defizite und Mängelkrankheiten....

 

 

Aber!

 

Wer klug ist und glücklich leben will, der horcht auf: Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler...

 

 

Welch ein atemberaubendes Bild: Wie sich ein Adler, solch ein  großer Vogel, in die Lüfte erhebt und majestätisch-elegant, scheinbar federleicht durch die Lüfte schwebt – so kann es bei dir sein, wenn Jesu Auferstehungskräfte dich erfüllen, wenn Gottes Kraft, Gottes Heiliger Geist dich erhebt: Leicht wird mit einemmal alles, wir nehmen uns leicht, wir vertrauen der Führung Gottes , wir suchen und finden Kraft und Wegweisung  bei ihm, in seinem Wort. Und immer auf‘s neue werden wir munter, mutig, kraftvoll...Wir laufen und werden nicht matt, wir wandern durchs Leben und werden nicht müde. „Und ob auch unser äußerlicher Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert“, schreibt der Apostel Paulus (2. Kor. 4, 16). Das schafft der Geist Jesu Christi in  uns - ihn  brauchen wir, ihn schenkt Gott uns, wann immer wir um ihn bitten.

 

Denn Gott ist treu. Er kennt auch dich und hat dich lieb. Du bist ihm wichtig, er weiß um  deine Not, er wird nicht deine Probleme lösen, aber er gibt dir genug Kraft, mit ihnen zu leben und er gibt dir das Vertrauen, daß alles Geschehen in  deinem Leben Sinn und Bedeutung  hat für dich und für Gott.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre dein Herz und all deine Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.