Frühgottesdienst am Sonntag Reminiscere, 19. März 2000 (Pfarrer Martin Quaas)

 

Lieder: 389/ 366/ 414

Psalm 10 i.A.

Lesung: Markus 12, 1 – 12

 

Predigttext: Jesaja 5, 1 - 7

 

Liebe Gemeinde!

 

W o  wird Gottes Wort verkündigt? Die Antwort scheint klar: Hier in der Kirche! Aber in der Bibel geschieht die Verkündigung des Wortes Gottes auch an ganz andern Stellen, zum Beispiel auf Marktplätzen, an Flüssen, v o r  dem Tempel, an Brunnen, auf Straßen – also an allen möglichen Orten im Alltag, in der Öffentlichkeit.

 

Und  w e r  verkündigt Gottes Wort ? Die Antwort scheint wieder klar: Natürlich der Pastor! Aber in der Bibel sind’s Menschen mit allen möglichen Berufen, die Gott beruft: Amos, von dem wir die Predigt vor 14 Tagen hörten ,war Bauer, Maulbeerfeigenzüchter, die Erzväter waren Hirten, die Jünger waren größtenteils Fischer, Paulus war Zeltmacher, hat Leder bearbeitet... Daß  beamtete Priester auch Verkündiger des Wortes Gottes waren, kommt kaum je vor, allenfalls war einer ein Priestersohn – wie Jesaja, von dem wir heute Gottes Wort hören werden.

 

Aber bevor wir den Text hören, noch eine dritte Frage:  W i e geschieht die Verkündigung des Wortes Gottes? Wir würden antworten: durch die Predigt natürlich. Aber auch das ist in der Bibel viel verschiedenartiger: Gottes Wort ergeht in Form von Erzählungen, Briefen, durch Zeichenhandlungen, die für sich sprechen, oder es geschieht vermittelt durch Träume, Visionen, es geschieht in Form von Gleichnissen, Sprichwörtern, Liedern, in Form von Gerichtsverhandlungen zwischen Gott und seinem Volk, also in allen nur möglichen Ausdrucksweisen. Unser heutiger Predigttext  ist eine Predigt, die höchstwahrscheinlich mitten in einem ausgelassenen weinseligen Fest erging, und sie geschieht, zumindest am Anfang, in Form eines deftigen Liebesliedes -  heute würden wir sagen:  in Form eines songs von Herbert Grönemeyer oder anderen. 

 

Malen wir uns zunächst die Situation vor Augen, in der diese Liedpredigt des Jesaja geschah.

 

Hart und mühsam unter der sengenden Sonne ist die Arbeit in den Weinbergen Israels, zur Zeit Jesajas, rund 740 Jahre vor Christus. Aber endlich sind die reifen Trauben geerntet, frischer Most ist gepreßt und in Schläuche gefüllt, man kommt zusammen, um das Weinlesefest zu feiern. Schüsseln beladen mit herrlichsten Leckereien stehen auf den Tischen, man bringt Kannen herbei, gefüllt mit köstlichem Wein. Musikanten sind da, um  zur fröhlichen Stimmung beizutragen. Auch Jesaja, der Priesterssohn aus Jerusalem, vermutlich noch ein junger Mann, kommt dazu, eine Laute oder Leier vielleicht in der Hand. Man kennt ihn, den gebildeten Mann aus angesehener Familie. Wird er singen, zur Fröhlichkeit des Festes beitragen? 

 

Tatsächlich, er beginnt:

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Singen will ich für euch, meine Lieben,

ein Lied meines Freundes von seinem Weinberg.

 

Die Hörer spitzen die Ohren, das verspricht lustig zu werden. Der Weinberg, das wissen sie aus ihren Volksliedern, ihren Liebesliedern – der Weinberg ist ja ein Bildwort für das Liebchen, das Bild vom Weinberg eignet sich für die hübschesten Anspielungen auf die Frauen, diese fruchtbaren widerspenstigen Weibsbilder, mit denen man so seine Mühe hat. Und Jesaja enttäuscht seine Zuhörer nicht.

 

Mein Freund – so singt er weiter –

mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.

Er grub ihn um, entsteinte ihn,

und pflanzte in ihn edle Reben.

Er bebaute ihn auch mit einem festen Turm,

grub eine Kelter

und wartete, daß er edle Trauben brächte  -

aber er brachte – Stinklinge.

 

Zunächst werden die Hörer zustimmend gelächelt haben. Dieser Winzer hat’s wirklich nicht an Liebesmüh fehlen lassen –

aber dann diese Enttäuschung, dieses magere Ergebnis: der Weinberg bringt nur –so wörtlich im Hebräischen: „Stinklinge“, kümmerliche Stinkbeerchen, fauliges Zeug.

 

Und Jesaja fährt fort in seinem Lied, und ruft die Hörer zu eigenem Urteil auf:

 

Nun richtet, ihr Bürger Jerusalems, ihr Männer Judas,

zwischen meinem Weinberg und mir.

Was hätte man noch tun sollen an meinem Weinberg,

das ich nicht tat?

Warum hat er denn saure Trauben gebracht,

wo ich doch hoffte, er brächte gute?

 

Die Gäste des Festes müssen zugeben: Mehr kann man garnicht tun. Alles Menschenmögliche hat der gefoppte Liebhaber getan – das Ergebnis ist enttäuschend, ja abstoßend. Im Grunde kann man nur urteilen: Jag‘ das Weibstück fort, dieses Miststück, das dir nur mißratene Früchte bringt, schick‘ sie in die Wüste...

 

Und darum findet der Freund in Jesajas Lied vollstes Verständnis bei seinen Zuhörern, wenn er nun singt:

 

Gebt acht! Ich will euch zeigen,

was ich tun will mit meinem Weinberg!

Abreißen will ich seinen Zaun,

so daß er verwüstet wird,

einreißen will ich seine Mauer,

so daß er zertreten wird.

Verwildert soll er liegen,

nicht beschnitten und nicht gehackt.

Dornen und Disteln sollen wuchern auf ihm,

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und den Wolken will ich gebieten,

vorüberzuziehen an ihm,

ihn nicht mit Regen zu feuchten

vertrocknen zu lassen das Land.

 

Der Weinberg wird verkommen, er war die Liebesmühe nicht wert. Er wird verwüstet werden, wird zertrampelt werden, wird veröden. Ob die Zuhörer schon zu ahnen beginnen, von wem Jesaja spricht? Und wem sie das Urteil gesprochen haben?

 

Hart und plötzlich läßt Jesaja den Schleier fallen und redet Klartext:

 

Gottes, des Herrn, Weinberg ist das Haus Israel,

die Männer Judas: sie sind seine Pflanzung,

an der sein Herz hing.

Er wartete auf Rechtsspruch – und sieh: da war Rechtsbruch,

er wartete auf Gerechtigkeit – und sieh: da war Schlechtigkeit.

 

So endet die Predigt des Jesaja, sein Lied, das so lieblich begann. Ein schreckliches Urteil Gottes kündigt er seinen Hörern an, eine furchtbare Zukunft: Ödes,  verwildertes, verkommenes, vertrocknetes Leben.

 

Ich frage mich: Ob nach dieser Predigt damals auch das Fest beendet war? Ob die Menschen nach Hause gingen, in sich gingen und fragten: Was kann ich tun, um Gott nicht zu enttäuschen? Oder ob man nach der ärgerlichen Unterbrechung einfach weitermachte -  weitermachte wie vorher?

 

Jesaja hatte ja Grund genug für seine harte Predigt. Er nennt in den Versen um unseren Predigttext zahlreiche Beispiele für Rechtsbruch und gottloses Verhalten seiner Landsleute.

 

Der Herr geht ins Gericht mit euch Reichen und Vornehmen – so sagt er in Kapitel 3  – denn ihr habt das Land ausgeplündert, und was ihr den Armen geraubt habt, ist in eurem Hause (3, 14).

 

Und er kündigt an: Euren Frauen, stolz dahertrippelnd, mit lüsternen Augen, schmuckbehängt und parfumduftend: Gott wird ihnen das alles bald wegnehmen, wenn ihr abgeführt werdet in die Sklaverei. Wörtlich: „Dann wird Gestank statt Wohlgeruch sein und ein Strick statt eines Gürtels, eine Glatze statt lockiger Haare, und statt eines Prachtgewandes ein Sack, Brandmal statt Schönheit.“ (3, 24)

 

Unmittelbar nach unserem Predigttext ruft er aus: Weh denen, die ein Haus zum andern bringen und einen Acker an den andern rücken, bis sie allein das Land besitzen. Und: Weh denen, die den Schuldigen gerecht sprechen für Geschenke und das Recht wegnehmen denen, die im Recht sind! (4, 8 und 23)

 

Und da sind wir ja mitten in unserer Gegenwart, mitten in all dem, was wir von Grundstücksspekulanten und Bestechungen und Rechtsbruch und maßloser Bereicherung durch Aktienspekulationen hören und von der sich immer weiter

 

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vergrößernden Kluft zwischen reich und arm, sowohl hierzulande wie auch im Weltmaßstab, und wohinein wir selber verstrickt sind.

 

Aber sind denn diese Worte Jesajas nicht in eine konkrete Situation damals hinein ergangen? Gelten sie denn uns überhaupt?

 

Sehen wir zu.

 

„Was sollte man noch mehr für euch tun können, als ich getan habe?“ fragt Gott.

Darauf können ja doch gerade wir Christen nur antworten: Mehr als du, Gott, für uns getan hast, kann man nicht tun. Er hat ja – wie wir in der Lesung (Markus 12, 1 – 12) hörten – schließlich sogar seinen Sohn gesandt – und der, der ist ausgestoßen und ans Kreuz geschlagen worden. Und wenn wir –  und dazu ist jetzt in der Passionszeit wieder Gelegenheit -  wenn wir die Bibeltexte betrachten, in denen vom Leiden und Sterben Jesu berichtet wird: Dann können wir  in ihnen zweierlei in unübertrefflicher Klarheit sehen. Zum einen: Wie wir Menschen sind – gleichgültig ob fromm oder nicht.  Denn in allen Beteiligten spiegelt sich ja etwas von unserem Wesen wider.

 

Und das andere: Wir können in diesem Geschehen hören und sehen, wie Gott zu uns ist. „Vater vergib ihnen...“, so hat Jesus auch für jeden  von uns gebeten. Und Gott hat sein Gebet erhört und will es immer aufs neue erhören: Er schenkt uns mit Jesus, den er auferweckt und zum Herrn über alle und alles eingesetzt hat, immer aufs neue Vergebung und neue Lebensfülle, und er will uns, wenn wir einmal vor ihm stehen werden mit dem gesamten Ergebnis unseres Lebens, dann nicht verurteilen oder verdammen, sondern im Gegenteil höchste Freude und Seligkeit schenken (vgl. z.B. 1.Petrus 1, 8 und 9)!

 

Jesus, die bedingungslose, felsenfeste Liebe Gottes zu uns und jedem Menschen: Das ist nun der Grund, auf den wir bauen können. Auf diesem Grund sollen wir nun aber auch wirklich bauen! Auf Jesus, dem Grund unseres Lebens stehend, werden wir uns auch den harten, warnenden, drohenden, unsere Lebensweise radikal verurteilenden Worten der Heiligen Schrift aussetzen und sie nicht abschwächen. Wir werden uns gesagt sein lassen, was Gott hier zu Israel sagt: Daß er die Landschaft unseres Lebens hier verwüsten, verwildern, verdorren lassen wird. Daß er seinen Geist von unserer Kirche nehmen kann,  so daß wir in unseren Predigten nur noch  trockenes Stroh anbieten. Wir werden es uns gesagt sein lassen: Daß all dieser unfaßlich verschwenderische Lebensstil, dieses Feiern und Spaß haben wollen bis zum geht-nicht-mehr in Sklaverei enden wird: In Gefangen- und Gefesseltsein an Süchte welcher Art auch immer, in einem durch bloßes Konsumieren völlig verödetem und verblödetem Dahinvegetieren, eines von vielen Symptomen dafür sind die immer idiotischeren Schlagertexte, z.B.: “Wadde hadde dudde da...“!

 

Oder - könnten wir vielleicht doch in uns gehen und fragen:

 

Was kann ich tun, um Gott nicht zu enttäuschen?

 

Im Grunde wissen wir ja doch, wie wir unser Leben ändern müßten – jeder weiß es eigentlich. Ich zitiere einfach aus einem Kommentar in der NRZ von Samstag, 11. März:

 

 

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Der unangenehme Fakt ist und bleibt: Der Lebenstandard, den sich die Industriestaaten derzeit leisten und die Art, diesen zu erwirtschaften, ist der wesentliche Grund für die gigantische Lebenszerstörung nach außen (Umwelt) wie nach innen (Seelenwelt).

 

Umweltpolitik ist inzwischen auf Rituale ohne Konsequenzen beschränkt (etwa das alljährliche Betrauern der darbenden Wälder).

 

Und solange die Mehrheit der Bevölkerung nicht bereit ist, daran etwas zu ändern, bleibt es dabei, daß die Auswirkungen der Ressourcenverschwendung zwar allgemein beklagt werden. Wenn es allerdings konkret darum geht, Mißstände

abzustellen, folgt meist unweigerlich die Frage:  warum soll ausgerechnet ich damit beginnen?

 

Jeder von uns wird diesen Sätzen zustimmen, nur hoffentlich nicht dem letzten. Sondern wir werden sagen: Ich will heute wieder bei  mir beginnen, kleine Dinge tun: etwas mehr Radfahren oder zu Fuß gehen, im Dritte Welt Laden kaufen, möglichst nichts verschwenden, Müll vermeiden, das Beten üben, mich von der Liebe Gottes verwöhnen lassen, die er mir durch Jesus mitteilt, im Wissen leben: Ich bin auf Gottes Gnade und Erbarmen angewiesen –aber Gott wendet es mir auch zu, heute, morgen und in Ewigkeit.

 

Der Schlüssel zur Lösung der Weltprobleme liegt im Grunde bei jedem von uns persönlich. Jesus sagt: Du bist mir wichtig. Aus deinem kleinen und sehr unvollkommenen, fehler- und bruchstückhaften Tun kann ich viel machen.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

 




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