Predigt im Frühgottesdienst am Sonntag Palmarum, 9. April 2006

über Jesaja 50, 4 - 9

 

Lieder:

Er weckt mich alle Morgen...452

Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld...83

 

Psalm: Phil. 2, 5 - 11 (Nr. 773)

 

Lesung: Markus 14, 3 - 9

 

 

Liebe Gemeinde,

 

im heutigen Predigttext sagt ein Mensch merkwürdige Dinge über sich selbst. Wir kennen den Namen dieses Menschen nicht. Aber Einiges hören wir von ihm in Textabschnitten, die im 2. Teil des Buches Jesaja - in den Kapiteln 40-55 - überliefert sind, den sog. Gottesknechtsliedern. Denn so nennt er sich selbst: Knecht Gottes. Knecht Gottes. Er sagt im heutigen Predigttext - Jes 50, 4-9 - dies von sich selbst:

 

(4) Gott der Herr hat mir eine  Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, so dass ich weiss, mit den Müden zu reden zu rechter Zeit. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. 

(5) Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und  weiche nicht zurück. 

(6) Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und  mein Kinn denen, die mich am  Barthaar rauften. Ich habe mich von ihnen beschimpfen lassen und mein Angesicht nicht abgewandt, wenn sie mich anspuckten.

(7) Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden.  Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein und ich weiß, daß ich nicht unterliegen werde.

(8) Gott ist nahe, der mich gerecht spricht. Wer wagt es, mich anzuklagen? Er soll mit mir vor den Richter treten! Wer will etwas gegen mich vorbringen? Er soll kommen!

(9) Der Herr, der mächtige Gott, tritt für mich ein. Wer will mich da verurteilen? Alle, die mich beschuldigen, müssen umkommen; sie zerfallen wie ein Kleid, das von Motten zerfressen ist.

 

Was für ein Mensch! Wir hören von ihm: Er wird geprügelt - und hält seinen Rücken freiwillig den Folterknechten hin. Man ohrfeigt ihn und spuckt ihn an, und er  versucht sein Gesicht nicht davor abzuwenden , sondern  sieht die an, die das tun.

 

Und - wie merkwürdig! - was er hier von sich sagt, das klingt nicht leidend, schon gar nicht wehleidig - es klingt im Gegenteil überraschend selbstbewußt! Er wird ins Gesicht geschlagen  und bespuckt und sagt: Ich habe mein  Angesicht hart gemacht wie einen  Kieselstein; denn ich  weiß, dass ich nicht unterliegen werde. Ja, er fordert die, die ihn  verhöhnen und schlagen, heraus und sagt: Wer will mich anklagen? Lasst uns zusammen vor den Richter treten! Da werden wir sehen, wer Recht bekommt.

 

Das klingt, als sei dieser Mensch seiner selbst ganz gewiß. Er ist ohne Menschenfurcht.

Und wir fragen ihn:  Woher kommt denn deine Ruhe, deine Gelassenheit, dein Selbstbewußtsein trotz Leid und Verspottung, trotz all dem Unrecht, das sie dir antun?

 

Und er antwortet: Gott steht auf meiner Seite! Gott ist mein Helfer! Gott tritt für mich ein! Darum werde ich durchhalten, werde das letzte Wort behalten, während sie, meine Gegner

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und  Peiniger, umkommen, vergehen und zerfallen werden - wie ein  von Motten

zerfressenes Kleid. Und auch dies sagt er von sich: Gott hat mir das Ohr geöffnet, daß ich  in der Lage bin, Ihn zu hören; Gott hat meine Zunge in seinen Dienst genommen, dass ich müde Menschen aufrichten kann , ermattete Menschen zu ermutigen vermag.

 

 

                                                                      

                                                                       I    

 

Und nun  fragen wir : Wer ist dieser Mensch, der so von sich redet?

 

Man hat gesagt:  Es ist der Prophet, der all die Worte gesprochen  hat, die im Jesajabuch in  den Kapiteln 40-55 überliefert sind. Herrliche, wundervoll tröstende Worte; Worte zu ermatteten, müden Menschen gesprochen.

 

Man weiß, wer diese Menschen  waren, und wo sie lebten. Vertriebene waren sie, Heimatvertriebene, Fronarbeiter im  Dienste der Supermacht Babylon. Im  Jahre 587 war es geschehen, da hatten die babylonischen Truppen Jerusalem erobert und den Tempel Salomos zerstört -  an dem Ort Jerusalem waren sie gewesen, wo auch wir mit unserer Israel - Reisegruppe von 22  Rellinghauser Gemeindegliedern am vergangenen  Dienstag noch standen. Natürlich sieht dieser Ort Jerusalem heute völlig anders aus -  und doch auch nicht, denn die Landschaft war und  ist ja die gleiche!

 

Man kann sich vorstellen, wie die babylonischen Soldaten die versklavten Israeliten damals durch die judäische Wüste abwärts zum Toten Meer hin getrieben hatten, den Jordan überquert hatten, und dann war es durch die Berge des heutigen  Jordanien gegangen und  dann weiter, weiter bis ins ferne Babylon.

 

Und  dort hatte der Prophet ihnen, den glaubensmüden und von harter Fronarbeit ermatteten Volksgenossen wunderbar  tröstende, glaubensstärkende  Worte gesagt, etwa dieses, das in  Kap. 40 überliefert ist, wo er dem Sinn nach  sagt: Warum  klagt ihr denn: Gott hat uns vergessen, er kümmert sich nicht um  uns? Seht die Sterne über euch: Gott hat sie alle geschaffen, kennt jeden einzelnen dieser unendlich vielen Gestirne. Und so kennt er auch dich...und dich....und  dich...und hat dich lieb! Starke Männer werden müde und  matt, junge Männer können straucheln und hinfallen, "aber die auf den Herrn  harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und  nicht matt werden, daß sie wandeln  und  nicht müde werden!"

 

Und man vermutet, daß dieser Prophet dann  auch angefeindet und mißhandelt wurde - nicht nur von Angehörigen der Besatzungsmacht Babylon, sondern vor allem  von den eigenen Volks- und Glaubensgenossen. Wir wissen von ihm dann nichts Näheres mehr, sein Schicksal verliert sich im Dunkeln.

 

                                                                       II

 

Und nun gibt es eine zweite Antwort auf die Frage: wer ist dieser merkwürdige Knecht Gottes? Die Antwort lautet: Es ist das Volk Israel als Ganzes! Israel der leidende Knecht Gottes, geprügelt, geschändet, geschlagen - und  bleibend bis heute - während all die anderen  Völker untergegangen sind, ihre Macht, ihr Ruhm, ihr Glanz zerfallen wie ein von Motten  zerfressenes Kleid.

 

In der Tat: Auch diese Deutung hat ihre Tiefe und  Wahrheit. Wie ist dieses Volk durch die

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Jahrhunderte, Jahrtausende hindurch immer wieder gedemütigt worden, geschlagen, angespuckt, lächerlich gemacht und entehrt worden bis in die Gegenwart hinein - und  als wir in Jersalem waren, da sind wir natürlich auch  in der Gedenkstätte des Holocaust Jad wa  schem gewesen - und  wie schon die vier Male vorher, die ich in diesem Museum war - ich konnte auch dieses Mal die Tränen nicht zurückhalten vor Erschütterung und Entsetzen; und  es ist ja auch heute noch so, daß es so viele gibt, die - offen ausgesprochen oder nicht - dieses Volk weghaben wollen aus dem Land,  ihm sein Existenzrecht absprechen.

 

Allerdings: Wenn eines überdeutlich wird 

angesichts der vielen bestens ausgebauten Straßen, auf denen schnellste militärische Bewegungen möglich sind,

angesichts der vielen festungsartig ausgebauten Siedlungen um Jerusalem und in der Westbank,  den eigentlich palästinensischen Gebieten, 

und  angesichts der vielen vielen checkpoints und überall präsenten Soldatinnen und Soldaten,

dann  dieses: Ein eiserner Wille, eine  ungeheure Entschlossenheit:  Keine Macht der Welt soll uns jemals wieder aus diesem Land vertreiben können!

 

Nein, Israel wird nicht mehr willenlos und  widerstandslos den Rücken hinhalten denen, die Gewalt ausüben. Sondern es ist entschlossen, Sieger zu bleiben. Die, die gedemütigt werden, das sind heute dort eher die Palästinenser, z.B. bei den vielen  Straßen- und  Grenzkontrollen.

 

                                                                       III

 

Und nun gehörte  zu dem  Eindrücklichsten auch  dieser Reise: Hier sind die Spuren dessen, an dessen Leiden wir in  diesen Wochen  des Kirchenjahres besonders denken: die Spuren Jesu.

 

In  Nazareth waren wir in den  ersten Tagen;  man kann sich vorstellen, wie Jesus als Junge, als junger Man eben dort auf diesem sehr hügelingen Gelände gewandert ist,  und wie er dann als 30jähriger durchs Taubental zum  See Genezareth gewandert ist, nach   Kapernaum, Bethsaida, Magdala...all die Orte, von denen die Evangelien  erzählen - und  dann  später waren wir in Bethlehem, Hebron, Jericho,  Jerusalem mit dem Ölberg, und dem Ort Bethanien, wo die Geschiche von  der der Frau spielt, die Jesu Füße salbt,  und unten am Ölberg dann: Gethsemane! Und  im Zentrum der Altstadt die Grabeskirche - wo alle Steine überdeutlich sagen: Er ist nicht hier, er ist auferstanden!

 

Wo ist er nun? In den  Worten  der Evangelien, die von  ihm  erzählen - und  auch in den Worten des Alten Testaments,  die nicht Gottes Wort auch für uns Christen  wären, wenn  er nicht auferstanden wäre - er,  der bleiben und  leben  wird, alle Völker und  Menschen überdauernd und der das letzte Wort über alle sprechen  wird:  Er,  der eine und wahre Knecht Gottes, unser Erlöser.

 

Er sagt auch zu uns  heute: Kommt her zu  mir alle,die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Ich bin für die Müden da. In der Gesellschaft, in  der Wirtschaft - da zählen die Vitalen, die Leistungs- und Ichstarken. Im  Reich Gottes: Da stehen die Müden hoch im Kurs, da zählen vor allem die Schwachen, die Verachteten und Erfolglosen. Ihnen allen sagt Jesus: Ich habe tröstende, ermutigende Worte für euch. Er sagt: Mir kannst du dein Herz ausschütten im Gebet. Du bist mir wichtig. Ich höre auf dich. Er ist der Seelsorger Gottes für uns und  jeden Menschen. Es gibt keinen besseren Seelsorger als ihn.  

 

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Und zu Ostern feiern wir:  Gott hat in der Tat ihn, den von  Soldaten geprügelten  und angespuckten, den von ihnen und den Hohenpriestern Verhöhnten und Verspotteten gerecht gesprochen, hat ihm recht gegeben,  hat bestätigt: Dieser ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören.

 

Durch ihn gilt nun, was Paulus schreibt: Wer will nun  noch uns, die Auserwählten  Gottes beschuldigen? Durch Christus sind wir Freigesprochene. Wer will uns nun noch verurteilen oder gar verdammen? Durch Christi Opfertod am Kreuz sind und bleiben  wir nun Geliebte Gottes (Römer 8, 31b -  38). 

 

Und wenn wir uns das zu Herzen nehmen, dann  können auch wir nun Knechte und  Mägde Gottes sein; Menschen,  die aufmerksam hören können, sowohl  auf Gottes Wort hören wie auch Menschen  aufmerksam und  liebevoll zuhören; deren Zunge Gott in seinen Dienst nimmt, so daß sie Hilfreiches, Heilendes, Tröstendes  singen und  sagen können; die Seelsorger füreinander sein können.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre dein Herz und all deine  Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.