Nun jauchzet,
all ihr Frommen, zu dieser Gnadenzeit...9
Wunderbarer
Gnadenthron...38
Ach mache du
mich Armen...10,4
Psalm:
Lobgesang der Maria Lukas 1, 46-56 (Nr. 769)
Lesung:
Philipper 4, 4-7
Wie lieblich sind auf den
Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen,
Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!
Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen
miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der Herr nach Zion
zurückkehrt.
Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems;
denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.
Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen
aller Völker, daß aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes.
Liebe
Gemeinde,
bei Martin
Luther kann man immer wieder höchst einprägsame und dichte Formulierungen über
den christlichen Glauben finden. Eine
dieser Formulierungen, die sich mir seit den Tagen meines
Theologiestudiums eingprägt hat, lautet: Gottes Handeln unter uns Menschen ist
meist verborgen unter dem Anschein des Gegenteils („sub contrario“).
Am tiefsten
und wunderbarsten sehen wir das in den Ereignissen von Weihnachten und
Karfreitag: In der Niedrigkeit zeigt Gott seine Hoheit. Indem er arm wird,
macht er uns reich.Im Dienen äußert sich seine Herrschaft. In der scheinbaren
Ohnmacht Jesu in der Krippe und am Kreuz sollen wir die Allmacht der Liebe
Gottes erkennen.
Und das alles
könnte dann doch auch für unser Leben gelten: Gerade da, wo wir uns ganz
schwach und arm fühlen, gerade da kann und will die Fülle der Kraft Gottes
durch uns wirken. Und umgekehrt: Wo wir in uns selbst reich und wohlhabend
sind, da verläßt uns Gott und wir werden innerlich leer. Oder vielleicht auch:
Gerade da, wo wir Gottes Härte und Unbarmherzigkeit zu spüren meinen – gerade
da könnte Gottes Barmherzigkeit in besonderem Maße am Werk sein und Gutes,
Heilsames für uns im Sinn haben. Und das alles heißt dann auch: Wo wir von
Gottes Macht und Herrlichkeit nichts zu sehen meinen, gerade da läßt er sie uns
sehen und ankündigen. So wie es hier der Prophet tut.
2
I
Was sind das
für herrliche Worte voller Jubel und Freude, die er hier singt, was für
herrliche Zusagen Gottes an sein Volk, die der Prophet ankündigen darf. Und
unüberbietbar groß und umfassend die Aussage am Schluß: Aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes!
Ja - aber das
stimmt doch gar nicht! sind wir sofort versucht zu sagen: Damals nicht, als der
Prophet verkündigte – und heute doch auch nicht. Aller Welt Enden sehen das
Heil unseres Gottes?? Im Gegenteil: Wie sehr häufen sich die Unheilsmeldungen,
so sehr, daß man es manchmal gar nicht mehr aushält.
Dieser Tage
schrieb Wilhelm Goller, Direktor der Schule Talita Kumi in Beit Jala bei
Bethlehem dies:
„Im deutschen Fernsehen erleben wir Vorweihnachtszeit. Dort
sind die Straßen und Geschäfte festlich geschmückt und die Menschen, vor allem
die Kinder und Jugendlichen, dürfen sich auf Weihnachten freuen. Hier in Beit
Jala, ja selbst in Bethlehem – dem Geburtsort Jesu – deutet bisher nichts,
überhaupt nichts darauf hin, daß bald Weihnachten ist.
Die diesjährige Weihnachtsgeschichte schrieb allerdings auch
eine Muslimin aus unserem westlichen Nachbarort Husam, und es ist eine traurige
Geschichte: Auch Rihab Nofal (30) wollte nämlich in Bethlehem ein Kind zur Welt
bringen. Im Gegensatz zu Maria und Josef erreichte sie aber diesen Ort und das
dort gelegene Caritas Baby Hospital nicht. Sie wurde auf dem Weg zum
Krankenhaus in Bethlehem am Al-Khader Kontrollpunkt – rund 5oo m von unserer
Schule entfernt – von israelischen Soldaten festgehalten und nicht
durchgelassen, bis sie und das ungeborene Kind starben. Dies geschah am
Freitag, dem 19. Oktober 2001.
Die Parallele zur Weihnachtsgeschichte läßt sich sogar
fortsetzen. Zwar würden viele, viele Gäste dieses Jahr einen Platz zum Schlafen
in den leer stehenden Hotels finden, aber viele Einheimische haben keine
Herberge mehr; ihr Haus wurde zerbombt! Viele Familien leben notdürftig bei
Verwandten. Über die Hälfte der Familien stehen ohne eigenes Einkommen da!“
Und dann nennt
er die Namen von 13 im Oktober meist von israelischen Scharfschützen getöteten
Menschen aus der Zivilbevölkerung, darunter etwa eine 39jährige Mutter von acht
Kindern, ein taubstummer Vater von 5 Kindernn, ein siebzehnjähriger
Abiturient...
Aber nun sagt
auch der Prophet seine Worte in einer Situation, die in krassestem Gegensatz zu
seinen Aussagen von der Herrlichkeit Gottes stand.
Das Volk
Gottes in babylonischer Gefangenschaft. Versklavt, vertrieben, ganz am Ende.
3
Im 137. Psalm
klagen sie so davon:
An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten,
wenn wir an Zion, unsere Heimat gedachten.
Unsere Harfen hängten wir an die Weiden dort im Lande.
Denn die uns gefangen hielten, befahlen uns zu singen und in unserem Weinen fröhlich zu tun: Singt uns ein Lied von Zion!
Wie könnten wir des Herrn Lied singen in fremdem Land!
Vergesse ich dein, Jerusalem, so verdorre meine Rechte,
meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht mehr gedenke,
wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein...!
Welche Trauer
und welche Sehnsucht nach Jerusalem spricht in diesen Worten! Und mitten in
diese Trauer hinein sagt der Prophet, der dort unter ihnen lebt, Worte von
solch überschwänglichem Jubel!
II
Er hat etwas
gesehen. Gott hat ihn etwas sehen lassen. Und was er sah, teilt er seinen
Zuhörern, auch uns, mit.
Seht nur!
sagt er. Seht den Zug der Heimkehrer nach Jerusalem! Durch die riesige
arabische Wüste ziehen sie hindurch – und Jahwe, unser Gott, zieht ihnen voran.
Und: Seht die Freudenboten! Sie eilen dem Zug der Heimkehrer voraus! Sie rufen
Jerusalem zu: Unser Gott kommt! Er kommt mit Frieden! Und die Wächter dort auf
den zerborstenen, rauchgeschwärzten Mauern Jerusalems, die Wächter gegen die
Plünderer: sie nehmen die Freuden- und Friedensbotschaft auf und dann –weil ja
kaum Menschen da sind, die die Heimkehrenden begrüßen könnten – dann werden die
Trümmer Jerusalems zum Jubeln aufgerufen: Seid fröhlich und jubelt, ihr Trümmer
Jerusalems! ruft der Prophet.
Was für ein
grandioses Bild: Die Trümmer sollen jubeln, weil es mit ihrem Trümmerdasein
zuendegeht, denn Jerusalem wird gebaut werden, wird wieder eine hochgebaute
Stadt werden, alles wird heil und froh werden...Ob der Prophet schon das
himmlische Jerusalem (Offb. 21)
sah?
Und dies, was
Jahwe, der Gott Israels, an Jerusalem und seinem Volk tun wird – dies ist nicht
etwas auf dieses Volk und auf diesen Erdenwinkel Beschränktes, sondern aller
Welt Enden werden es sehen, es wird Heil bedeuten für die ganze Welt bis in die
entlegendsten Enden, bis hin nach Feuerland, das Horn von Afrika, den
Hindukusch, die Schluchten und Höhlen Afghanistans.
III
Ja – wie
sollen wir das alles begreifen! Macht der Prophet sich und seinem Volk etwas
vor, weil er es in dieser trost- und hoffnungslosen Lage einfach nicht mehr
aushält? Teilt er sich und dem Volk Opium mit?
4
Nein, das ist
ganz auszuschließen. Denn er sagt nicht etwas, was er sich ausgedacht hat,
sondern etwas, das für ihn selber
völlig unerwartet, völlig überraschend
gekommen ist:
Gott selbst hat ihm Augen und Ohren weit geöffnet, Gott selbst hat ihn sehen
lassen, was er vorhatte. Also verkündigt er etwas noch Ausstehendes, noch
Zukünftiges?
Teils ja. Und
er spricht doch zugleich von etwas, das schon Wirklichkeit ist.
Denn er sagt
ja: Gott hat sein Volk getröstet. Er hat Jerusalem schon erlöst. Die Boten verkünden schon den Frieden. Aller Welt
Enden sehen schon das Heil Gottes.
Der Prophet
sieht offenbar anders als wir. Er sieht mit von Gottes Geist erleuchteten
Augen. Um es wiederum mit einer Formulierung Luthers zu sagen: Ein Christ sieht da schon Wirklichkeit, wo
noch keiner sie sieht, und da keine Wirklichkeit mehr, wo jeder sie noch sieht.
IV
So wie es auch
Maria sah, als sie sang: Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt
die Niedrigen.
Die Hungrigen füllt er mit Gutem und läßt die Reichen
leer....
Wir sehen das
anders, wir sehen immer noch die Gewaltigen oben. Wir sehen, daß die
„Gewaltigen“ – als seien wir in der Steinzeit stehengeblieben – nach wie vor
kaum anderes kennen als Gewaltpolitik. Wir sehen sie oben und die Niedrigen
unten, die Hungrigen hungrig und die Reichen angefüllt mit Überfluß bis zum
Überdruß.
Oder könnten
wir doch schon anders sehen? Die Gewaltigen in ihrer Ohnmacht, ihrer
Erbärmlichkeit und Hilfsbedürftigkeit? Die Hungrigen schon fröhlich an Tischen
mit uns, den konsummäßig reichen
Völkern, gemeinsam tafelnd? Und dann uns dementsprechend verhaltend?
Ich finde,
solches Sehen zu üben, ist eine gute Übung gerade für die Zeit vor Weihnachten.
Also meine Augen damit zu verschonen, daß sie sich überfressen an zuviel
Geflimmere und dadurch völlig blind werden für Gott.
Stattdessen
über dem Hören auf ihn mir wenigstens ein bißchen neues Sehen schenken zu
lassen. So bereiten wir uns gut auf die Weihnachtsbotschaft vor.
Denn da hört
alle Welt: Im Kind in der Krippe leuchtet die Herrlichkeit Gottes auf.
Der ewigreiche
Gott wird arm, um uns durch seine Armut reich zu machen.
Er wird ein
Knecht und ich ein Herr.
In Stall und
Krippe liegt es, das Heil Gottes für aller Welt Enden.
5
Der Friede ist
ein Mensch. In diesem Kind, diesem Verkündiger des Reiches Gottes in Wort und
Tat, diesem Menschen am Kreuz ist er zu finden. Von ihm, der die Dornenkrone
trägt, sagt es der Prophet: Dein Gott ist
König!
Was bedeutet
er für die Menschen in Beit Jala? Als Antwort schließe ich mit den Gebeten
zweier Schülerinnen der Schule Talita Kumi:
„Lieber Gott, du bist uns näher als unser schneller Atem und klopfendes Herz. Du siehst unsere traurigen Seelen und zerbrochenen Herzen. Du siehst unsere tränenden Augen und zitternden Beine.
Du kennst unsere Ängste, unser Leid und Dulden, unsere
Unterdrückung und Mißhandlung.
Gott, du bist stärker als jede Gefahr, als jede Depression
und hast uns immer lieb. So tröste die Familien aller Verstorbenen und es
leuchte dein Licht in ihren Augen...“
So betete
Klara J. Schihadeh, und Patricia Al Teet, Klasse 10 b, schrieb:
Lieber Gott, ich danke dir für mein Leben, für Eltern und
Freunde, für Essen, Kleidung und alles, was du, Herr, uns gegeben hast.
Aber ich wünsche mir sehr, daß das, was du uns gegeben hast, auch all die anderen Kinder bekommen werden, weil nicht jedes palästinensische Kind dies hat.
Gott, gib uns Frieden, ein Leben ohne Krieg und Schießerei.
Gib auch allen Kindern die Kraft, daß sie diese Schwierigkeiten aushalten
können...Ich bin sicher, daß du immer nah bei mir bist, und auch bei meiner
Familie, meinen Freunden und allen (!) Menschen auf dieser Welt. Ich danke dir für alles. Im Namen unseres
Herrn Jesus Christrus, Amen.
Der Friede
Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre auch unsere Herzen und Sinne
in ihm. Amen.
Fürbitten:
Wir beten mit
Worten eines Schülers der Klasse 10:
Herr, schenke uns Geduld und Frieden.
Laß die Feinde nicht über uns herfallen. Weide uns auf einer
grünen friedlichen Aue, denn du bist unser guter Hirte!
Erbarme dich um deines Namens willen, denn wir sind in großer Not. Unser Leben ist von Trauer und Seufzern umhüllt. Laß dieses unerträgliche Leben für uns ein wenig
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erträglicher werden, vielleicht noch ein bißchen lebenswerter, denn du bist der Allmächtige, Schöpfer von Himmel und Erde, Herr über Leben und Tod, unser Retter und Erlöser!
Gib uns die Kraft, o Herr, unter Lob deines Namens die
Schwierigkeiten zu überwinden, die unser Leben erschweren. Laß die Vernunft
durch die Kraft deines Wortes über die ganze Welt walten, damit die Kanonen
verstummen, die „Apatschis“ (Hubschrauber) nicht mehr in den Himmel steigen,
daß Liebe den Haß besiegt,
Toleranz die Gewaltanwendung, der gerechte und dauerhafte
Friede den Krieg und Terror.
Laß die Menschen nachdenklicher und humaner werden, daß
keiner seinen Mitmenschen brutal unterdrückt oder demütigt. Sorge für eine
gerechtere Verteilung deiner Gaben auf dieser Welt, o Herr, daß keiner mehr
friert, hungert oder dürstet, außer nach
deinem Wort und deiner Gerechtigkeit.
Wir bitten dich, denen beizustehen, die in dieser schweren
Zeit Familienangehörige, Hab und Gut verloren haben. Führe die Regierungen aus
der Ausweglosigkeit, aus diesem Teufelskreis der Schläge und
Vergeltungsschläge! Zeig ihnen, o Herr, deinen Weg der Gerechtigkeit und des Friedens.
Dies alles bitten wir im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
Amen.