GOTTESDIENST am Sonntag Lätare , Rhodos, 3.April 2011
Lieder:
Gottlob der Sonntag kommt herbei...162
O Lebensbrünnlein tief und gross...399,1-4
5-7
In dir ist Freude...288,1
Psalm 63 (Nr. 729)
Lesung: Johannes 12, 20-26
Wir hören auf den alttestamentlichen Predigttext zum heutigen Sonntag Lätare, aus dem Prophetenbuch Jesaja Kapitel 54 Vers 6-10. Der Prophet vergleicht das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk mit einem Ehepaar sagt:
Denn der dich gemacht hat, ist dein Mann – Herr Zebaoth heisst sein Name -, und dein Erlöser ist der Heilige Israels, der aller Welt Gott genannt wird.
Denn der Herr hat dich zu sich gerufen wie ein verlassenes und von Herzen betrübtes Weib; und das Weib der Jugendzeit, wie könnte es verstossen bleiben! spricht dein Gott.
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit grosser Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser...
Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht mehr von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht mehr hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Worte voller Liebe sind das. Treueschwüre eines Ehemannes, eines - muss man leider sagen – gehörnten Ehemannes. Denn seine Frau hat sich nicht nur einmal, sondern mehrfach einen Seitensprung geleistet, ist fremdgegangen – ja, sie hat sogar ein paarmal ernsthaft an Scheidung gedacht, bis sie dann reumütig zu ihrem Mann zurückgekehrt ist. Völlig klar, dass der so missachtete und übel behandelte Ehemann mal von Wut und Zorn gepackt, mal von Schmerz und Trauer gequält wird. Er müsste eigentlich seine Frau verstossen – und kann es doch nicht. Er kann einfach nicht anders als zu ihr zu sagen: Ja, ich war zornig auf dich, ich habe dir meinen Zorn ja auch zu spüren gegeben, ich bin, wie Du weisst, auch mal für eine Zeitlang ausgezogen aus unserer gemeinsamen Wohnung, ich wollte dich eigentlich verlassen – aber,ach, ich kann es einfach nicht! Und, muss ich dir sagen: Auch in Zukunft werde ich das nicht können. Und wenn du wieder mal anderen Liebhabern nachlaufen solltest, dann...dann werde ich trotzdem weiter zu dir halten. Ich kann nun mal nicht anders...DENN ICH LIEBE DICH!
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Und gerade so ist das Verhältnis zwischen Gott, dem Schöpfer des Weltalls – und uns? So das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk? Gott und seiner Gemeinde? Auch unserer Gemeinde hier auf Rhodos? Und so auch das persönliche Verhältnis zwischen Gott und dir? Nicht wahr, das ist schon stark! Aber so, geradeso spricht die ganze Bibel von Gott und uns.
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Wir haben vielleicht allzu philosophische Begriffe von Gott: Gott – das höchste Wesen. Der
Grund des Seins. Der Allmächtige. Der Herrgott. Aber einer meiner theologischen Lehrer, der Professor für Altes Testament Gerhard von Rad, hat einmal geschrieben: „Wer kluge
und tiefsinnige Gedanken über Gott lesen will, der sollte sich nicht an das Alte Testament wenden. Dazu war Israel viel zu sehr in der Defensive gegenüber Gott!“
In der Defensive! Weil dieser Gott Israels eifersüchtig ist, Ansprüche stellt, zornig, beleidigt, verletzt reagieren kann - alles aus lauter Liebe! Und so ähnlich erlebe ich auch Gott: Er erfreut und überrascht, lässt manchmal lange warten, gibt ständig Fragen und Rätsel auf, man hat ihn ganz und gar nicht im Griff, er weckt tiefe Ehrfurcht angesichts seiner unfasslichen und wundervollen Schöpfungswerke, er erfüllt mich oft mit überströmender Dankbarkeit und heller Freude, mein Mißtrauen gegen seine Fürsorge beschämt er immer wieder durch Beweise seiner Fürsorge, und die undankbare und oft lieblose Art, in der ich ihn behandle, beantwortet er mit einer geradezu unendlichen Nachsicht und Geduld.
Das schlimmste für Gott ist nicht, wenn Menschen ihn beschimpfen oder mit ihm hadern – das Schlimmste für ihn ist Gleichgültigkeit, Funkstille zwischen ihm und uns. Alles liegt ihm daran, dass etwas passiert zwischen ihm und uns, dass eine lebendige Beziehung da ist, ein Gedankenaustausch, ein Gespräch. Darum redet er zu uns, durch Menschen, durch Ereignisse, und am tiefsten und in einzigartiger Weise durch Jesus – und er möchte unsere Antwort.
Und,übrigens: Wie lebendig wird dadurch unser Leben! Wenn die Gottesbeziehung verkümmert, dann wird das Leben flach und fade und steril, es verliert sowohl sein Leiden an Gottes Verborgenheit und seinem oft nicht nur rätselhaften, sondern anscheinend manchmal auch völlig herzlosem, grausamem Tun, wie auch seine überströmende Freude, ausgelassene Heiterkeit, helle Begeisterung für ihn und sein Wort.
Denn es ist ja so: Die tiefste Freude, die es gibt, die schenkt uns Gott. Mit zum Schönsten im Leben gehört das Gefühl der Dankbarkeit. Und die höchstmögliche Freiheit erleben wir im Gotteslob. Wie viel Schönes versäumen und verscherzen sich Menschen, die ohne Gott leben. Und ich habe schon den Eindruck, dass eine Generation, für die „fun“, Spass der höchste Lebenswert ist und die fixiert ist auf elektronische Unterhaltung und Kommunikation per handy und mouseclick, gar nicht mehr richtig lebendig ist, sondern „funktioniert“ und auf Reize reagiert wie Pawlow's Hund. Alle werden sich ähnlich in Aussehen, Verhalten, Denken. Und auch das muss man sagen: Wenn wir den lebendigen Gott vergessen und ohne ihn leben, werden wir ja nicht gott-los, sondern verfallen anderen Göttern: vor allem den Götzen Geld und Gier.
III
Und nun nennt der Prophet zwei grundlegende Lebensbereiche, in die der so schlecht behandelte Liebhaber Gott hier hineinspricht: Den Bereich menschlicher Schuld und Gottlosigkeit, der Gottes Zorn hervorruft, und den Bereich katastrophaler Ereignisse und Zusammenbrüche, die es ja gibt: In der Natur, in der Politik, auch im persönlichen Leben – und manchmal, längst nicht immer - sind beide Bereiche ja auch miteinander verknüpft. Denken wir an die furchtbare Katastrophe in Japan, die am 11. März begann, und die uns ja alle aufwühlt: Auf der einen Seite ein Seebeben, ein Tsunami, eine Naturkatastrophe, an der Menschen ja ganz unbeteiligt sind - aber sie hatte zur Folge dann ja auch eine
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Atomkatastrophe, und hier ist ja auch in vielfältiger Weise menschliche Schuld, Überheblichkeit, Versagen zu erkennen.
Auch über das Volk, zu dem der Prophet hier spricht, war eine Katastrophe hereingebrochen: Die Babylonier hatten das Land Israel verheert, hatten Jerusalem mitsamt dem Tempel in Schutt und Asche gelegt, und dann die Menschen in Israel, die ihnen nützlich sein konnten, verschleppt nach Babylon. Und da vegetieren sie nun kläglich dahin, fühlen sich von Gott verlassen, ja sie deuten ihr Schicksal als Folge des Zornes Gottes über sie, als sein Gericht – und sie geben zu: Wir haben das verdient, wir haben gesündigt; sie erkennen und bekennen ihre Schuld, sie tun Buße und bitten Gott um Vergebung.
Und dann darf der Prophet ihnen im Namen Gottes und als Gottes eigenes Wort zusagen: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen - aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich wieder sammeln.Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen“.
Der Prophet tröstet sie wunderbar, indem er ihnen als Gottes eigenes Wort zusagt: Ich kann ja nicht anders, ich liebe euch nun mal, darum wende ich mich euch wieder freundlich zu, ich will euch wieder helfen, ihr sollt wieder Freude am Leben haben.
Die Atomkatastrophe, die uns erschüttert: Könnte es sein, dass sie uns zur Umkehr, zur Buße führt? Dass wir darin menschliche Schuld erkennen - Schuld, die wir nicht auf andere abschieben, sondern eine Schuld, an der auch wir - wir alle, nicht direkt, aber indirekt - durch unsere Lebensweise, beteiligt sind? Wir alle haben von der Atomenergie profitiert, sie war ja ein wesentlicher Motor unserer Wirtschaft...und jetzt erkennen wir (was wir vielleicht schon immer wussten, aber wir haben die Dinge laufen lassen): Sie ist nicht beherrschbar, sie war immer schon absolut unverantwortlich, denn -zigtausend Jahre lang lebensgefährdende Strahlung von Atommüll ohne sichere Endlagerung: welche unverantwortlichen Gefahren nahmen und nehmen wir damit in Kauf, was haben wir damit den Generationen, vielen vielen Generationen, nach uns aufgebürdet...?! Wenn dieses furchtbare Geschehen,an dem Menschen in Japan jetzt schon und vielleicht noch durch Generationen schrecklich zu leiden haben – wenn es irgendeinen Sinn haben kann, dann doch den: Dass wir unsere Überheblichkeit und Großmannssucht erkennen, dass wir erkennen, wir haben uns übernommen - und nun machen wir entschlossen ein Ende mit dieser nicht beherrschbaren Weise von Energiegewinnung, und nehmen dazu auch Einschränkungen unseres Wohlstandes in Kauf...
In solch einer Lebenshaltung dürfen wir dann Gottes Zusage als auch an uns gerichtet hören: Ja, ich war zornig über dich, über deine so verschwenderische, lebenszerstörerische Lebensweise, auf Kosten der Natur, auf Kosten der nächsten Generationen, und auf Kosten vieler Menschen der sog. Dritten Welt, denn deren Armut war und ist unser Reichtum — ja, ich war und bin zornig über all das...aber wenn du umkehrst, zu einem besseren Leben findest, einem Leben in Ehrfurcht vor mir und meiner Schöpfung, dann will mich dir wieder zuwenden. Gottes letztes Wort an uns heisst immer Gnade, Erbarmen, Vergebung, Liebe – und wir dürfen die Zusage seiner Vergebung, die er uns durch Jesus schenkt, im Gottesdienst hören, und dürfen sie schmecken in der Feier des Heiligen Mahls.
Und der andere Lebensbereich? Der der Katastrophen, von denen der Prophet hier
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spricht: Berge weichen,Hügel fallen hin: Katastrophale Erdbeben und Seebeben, aber auch Katastrophen im persönlichen Leben: Unglücke, Unfälle, Krankheiten mit tödlichem Ausgang, Zusammenbrüche von Ehen, von beruflichen Existenzen...Es geschieht das
alles, Menschen erleben und erleiden es mit Schrecken und Entsetzen, Menschen werden unschuldige Opfer von Katastrophen...und wir haben keine Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“.
Gefragt ist dann einerseits unsere Hilfe, soweit wir sie leisten können und wollen, auch unsere Fürbitte, die Auswirkungen haben kann, die wir nicht übersehen können, ...und letzten Endes aber kann nur der Mensch, der selbst betroffen ist von einer Katastrophe, darauf für sich, jeder nur für sich persönlich, eine Antwort finden, kann, wenn er vermag, im Glauben an Jesus Kraft und Trost finden – im Glauben an Jesus, der am Kreuz seine Gottverlassenheit herausschrie und dessen Gebet Gott auf wunderbare Weise erhörte, indem er ihn zu Ostern aus dem Tode auferweckte.
Meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. Das sagt er jetzt jedem von uns zu: Ich halte zu dir, sagt er, ich bleibe dein Verbündeter, du kannst mir vertrauen, dich auf mich verlassen – und einmal - diese Hoffnung gibt uns das ganze Neue Testament -: Einmal wirst du alles erkennen, den Sinn von allem, auch von all dem Rätselhaften und Schweren in deinem Leben und in der Welt – einmal wird alles verklärt sein, der Sinn von allem Geschehen klar werden. Dort wo nur noch Licht und Freude sind und die Liebe alles erfüllt.
Zu der so vielfältigen und reichen Bedeutung des Abendmahls gehört auch dies, dass es auch ein Vorgeschmack des himmlischen Freudenmahls ist – und so wollen wir es nun feiern: als ein Mahl, in dem uns die Vergebung Gottes mitgeteilt wird, ein Mahl, in dem wir eine einzigartige und schöne Gemeinschaft erleben, und in dem unsere Hoffnung gestärkt wird, dass einmal alles gut sein wird. Von dieser Hoffnung und dieser Freude singen wir nun. Amen.