Predigt über Jesaja 9, 1-6, Heiligabend 2005


Liebe Gemeinde!


"Wir leben im Glauben, noch nicht im Schauen", schreibt der Apostel Paulus einmal (2. Kor. 5,7). Wir können Gott nicht - noch nicht - sehen, wir können hier im irdischen Leben nur von ihm hören und ihm vertrauen. Aber hin und wieder, ganz selten, läßt Gott Menschen auch etwas sehen von seiner himmlischen Wirklichkeit, läßt sie hineinschauen in seine göttlichen Pläne. So war es bei dem Propheten Jesaja, ungefähr 750 Jahre, bevor Jesus geboren wurde. Was Gott ihn hat sehen lassen, das hat er in diese Worte gekleidet, den für den diesjährigen Heiligen Abend vorgeschlagenen Predigttext:


Das Volk, das im Finstern wandert, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im Lande des Dunkels, leuchtet es hell.

Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut bei der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute verteilt.

Denn du hast ihr bedrückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Prügelstock ihres Treibers zerbrochen.

Denn jeder Stiefel, der dröhnend auftritt und jeder Soldatenmantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und ein Fraß des Feuers.

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.


Wundervolle Worte! Welches ist das wichtigste und schönste von ihnen? Das Wort "uns": Uns ist ein Kind geboren; ein Sohn ist uns gegeben. So wie es ja auch der Engel in der Weihnachtsgeschichte sagt: Euch ist heute der Heiland geboren. Nicht nur der Maria und dem Josef damals, sondern auch uns hier, dir und mir ist der Heiland geboren. Also kannst du jetzt auch bei diesen Worten des Propheten Jesaja denken: Er sagt sie auch mir persönlich. Erst wenn wir so denken: Dies alles wird auch zu mir gesagt, erst dann öffnen diese alten Worte ihre Wahrheit - und dann geschieht, was sie sagen, bei uns.


Jesaja sieht sein Volk im Finstern wandern, aber nicht nur sein Volk, sondern die ganze Menschenwelt. Also auch die Völker, bei denen es jetzt gar nicht dunkel, sondern sommerlich sonnig, hell und warm ist, in Sumatra und Sri Lanka, Afrika, Karibik, Lateinamerika... Aber auch uns hier, die das winterliche Dunkel durch eine Unzahl elektrischer Lichterketten ein bißchen heller machen wollen, oder auch die, die jetzt in weihnachtlich erleuchteten Räumen in Luxusrestaurants mit einem opulenten Mahl beginnen, und eben auch dich, deine Familie, die Menschen, für die du Verantwortung trägst, mit denen du zusammenarbeitest...: Menschen im Finstern wandernd.


Aber genauer muß ich sagen: Jesaja sieht diese Menschen eigentlich garnicht mehr im Finstern herumtappen, sondern sie schauen alle auf ein großes Licht, das wie ein Sonnenaufgang über dieser dunklen Welt aufstrahlt, sie schauen in dieses wunderbare bergende, wärmende wohltuende Licht hinein - und indem sie da hineinschauen, wird ihr Leben ganz verändert.


Große Freude löst dieses Licht aus:


Nicht nur so eine stille innere Freude, sondern eine sehr sinnliche saftige Freude: Eine

Freude wie bei erbeuteten Schätzen, eine Freude wie bei einer Ernte, wo man sich an üppig-süßen Früchten, an überbordendem Erntesegen freut, und also bestätigt auch dieser Text uns, daß die Weihnachtsfreude auch eine durchaus auch sinnliche Freude ist, zu der eben auch kulinarische Köstlichkeiten gehören und Freude über liebevoll ausgedachte und überbrachte Geschenke.

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Und weiter: Ungeahnte Befreiung bewirkt dieses Licht: Der Prophet sieht ja Menschen, die

ein schwerlastendes Joch auf ihren Schultern schleppen müssen: An eine belastende Schuld kann man denken, oder an überschwere Sorgen, Sorgen um geliebte Menschen, oder auch an bleierne Müdigkeit angesichts beständiger Überlastung, zum Beispiel bei einer alleinerziehenden jungen Frau, oder einer Frau unter der Doppelbelastung von Beruf und Erziehung, oder auch einem, der die Last jahrelanger Arbeitslosigkeit trägt - aber die Menschen, die in dieses Licht hinein blicken, werden entlastet, das schwere Joch fällt von ihnen ab, sie atmen auf, dehnen und strecken sich ganz erleichtert und wohlig - denn dem Sklaventreiber, der sie vorher brutal und gnadenlos vorwärtsgetrieben hatte, (letzten Endes ist der Tod gemeint), dem ist sein Prügel, sein Treiberstecken zerbrochen worden, er kann die Menschen nicht mehr antreiben, nach seiner Pfeife tanzen lasen, er hat seine Macht verloren.


Und drittens sieht Jesaja: Dieses Licht schafft auch Frieden. Soldaten werfen ihre blutgetränkten Soldatenmäntel ins Feuer; Skinheads schmeißen ihre Springerstiefel weg. Gewalt gehört einer vergangenen Menschheitsstufe an; die Menschen merken endlich, wieviel schöner es ist, den Frieden, den schalom zum Blühen zu bringen, und zu diesem

Frieden gehört natürlich auch, daß wir die Natur nicht länger so zerstören, wodurch wir uns ja selbst zerstören.


Und dann beschreibt Jesaja die Quelle dieses wunderbaren Lichtes, es nimmt Konturen an: Die Konturen eines Kindes, eines einzelnen Kindes. Jesaja sieht das Jesuskind, 750 Jahre, bevor Gott es zur Welt bringt. Das ist das Wunder der Heiligen Nacht; der Weisheit Gottes letzter Schluß: Er wollte und will, daß ein hilfloses Kind unser und aller Menschen Helfer wird. Hier will Gott sich finden lassen, hier und dann dort, wo es als erwachsener Mensch hängen wird, an einem Kreuz.


Ich weiß nicht, wie es Ihnen bzw. Euch ergeht: Ich jedenfalls habe überlegt und würde schon sagen: Ich freue mich sehr, sehr darüber , daß wir heute und die kommenden Tage als Familie Weihnachten feiern dürfen, daß die Kinder gekommen sind und über Weihnachten bei uns im Heidehang sind (letztmalig in diesem Jahr dort); ich freue mich auf das gemeinsame Essen nachher, die Gespräche, auch die Geschenke, bei denen ich eigentlich jedes Jahr staune, wie phantasievoll Frau und Kinder sie ausgesucht haben; aber ebenso sehr freue ich mich über die Weihnachtslieder heute und die Musik und morgen im Gottesdienst auf die Abendmahlsfeier und das Musizieren mit den Bläsern: Und all das gäbe es ja nicht, wenn nicht das Kind da wäre, Jesus, der allerdings nur darum Bedeutung auch als Kind für uns hat, weil wir von den Worten und Taten des Erwachsenen , von seinem Leiden und Sterben am Kreuz und von seiner Auferweckung durch Gott wissen und hören dürfen.


Mit all dem will ich sagen: Er selber ist und bleibt das Wichtigste und Wesentliche von Weihnachten, alles andere gehört zum Umkreis, auch das Handeln der Geschäftemacher, denen letztlich Jesus die Kassen füllt. Er selber ist das Licht, das Jesaja schaute, alles andere gehört zur Auswirkung dieses Lichtes. Auf alles könnte ich jedenfalls letzten Endes bei der Weihnachtsfeier verzichten, nicht aber auf Ihn.


Also laßt uns auf dieses Licht sehen, das in der Finsternis leuchtet und der Welt einen neuen Schein gibt, laßt uns dieses Licht da suchen, wo es zu finden ist. Das heißt: Laßt uns öfter, vielleicht täglich, die Bibel aufschlagen, etwa einen Text in einem der Evangelien lesen, zum Beispiel Lukas 13, wo Jesus eine Frau, die unterdrückt und gebeugt gehen mußte, befreit und aufrichtet, oder das unvergängliche Gleichnis von dem liebevollen Vater, der sich so nach seinem schließlich heimkehrenden Sohn sehnt und ihn so innig

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umarmt. Oder lies in der Leidensgeschichte Jesu und bedenke: Ja, so bin ich eigentlich auch wie die damals,die ihm so Böses antaten...und er hat auch für mich am Kreuz gebetet: Vater vergib ihnen...und nun gilt auch mir in Zeit und Ewigkeit Gottes Vergebung! Oder bete, schütte ihm dein Herz aus, sprich auch - vielleicht täglich - ein Dankgebet und bedenke, was du alles an Gutem hast.


Große Freude, ungeahnte Befreiuung, wohltuender Frieden - das sind Gaben,die er heute und alle Tage für uns bereit hat - und für alle Menschen auf der noch dunklen Erde, die ihm ihr Herz öffnen. Denn, wie er einmal sagt - und das ist für mich eins seiner schönsten und wichtigsten Worte: Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben (Joh. 10,10). Wer ihn hat, der ist wer! Der braucht garnicht mehr so viel, sondern er findet durch Jesus und in Jesus Lebensfülle.

Amen.


Fürbitten:


Wir

danken dir, Jesus, unser Herr und Heiland, daß du gekommen bist, um uns zu dienen und unser Leben hell zu machen, die Armen in dein Reich zu rufen, den Gefangenen die Freiheit zu verkündigen. Wir bitten dich für Menschen, die keine Freude mehr empfinden können, weil sie übersättigt sind - gib ihnen Hunger nach deinem Wort und Freude am Mitteilen und Geben. Wir bitten dich für die Menschen, die - gerade heute - in Trauer versinken. Gib ihnen Kraft und Halt in deinem Wort und laß sie einen Menschen finden, der sie braucht. Wir bitten dich für die, die das Lebensnotwendigste entbehren müssen, die Obdachlosen, die Frierenden, die Hungrigen, gib, daß wir unsere Möglichkeiten wahrnehmen, um wenigstens Einigen das Leben zu erhalten und zu erleichtern.


Wir bitten dich für die Überbelasteten: Zeige ihnen Wege zur Befreiuung, sende ihnen einen

Engel. Wir bitten dich für die Gefangenen, die schwer an einer Schuld tragen, laß sie die frohe Botschaft von deiner Vergebung hören und wir bitten dich für die unschuldig Gefangenen, daß sie freigelassen werden. Laß doch auch die Politiker und die Wissenschaftler so weise werden wie die Weisen damals: Daß sie vor dem Kind in der Krippe anbeten, den Du zum Herrn über alle gemacht hast. Wir bitten dich für uns: Gib uns das, wonach wir uns sehnen und was wir dir jetzt in der Stille sagen: