Gottesdienst am Sonntag Palmarum, 8.April 2001

(Pfarrer Martin Quaas)

 

Lieder:

Er weckt mich alle Morgen...452

Nun jauchzet all ihr Frommen...9,1-5

Du hast vereint in allen Zonen...609

Herz und Herz vereint zusammen...251, 1.6.7

 

Psalm: Phil. 2, 5 - 11 (Nr. 773)

Lesung: Johannes 12, 12 - 19

 

Predigt über Johannes 17, 1-6. 17-21:

 

So redete Jesus, und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche;

denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast.

Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.

Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.

Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.

Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt...

Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit.

Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.

Ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.

Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden,

damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast.

 

„...damit sie alle eins seien“. Auf lateinisch: ut omnes unum sint.

 

Dies ist ja eines der berühmtesten, eines der am häufigsten zitierten Worte Jesu in der Ökumene, in allen Veranstaltungen und Bemühungen, bei denen es um die Einheit der Christenheit geht. Herr Kirchhefer gab mir gerade den Text des letzten Schreibens des Papstes an die deutschen Kardinäle, der Ende Februar erschien. Auch der Papst äußert darin den Wunsch, "ut omnes unum sint" - daß alle Christen und Kirchen eins sein möchten. Ich denke, diesen Wunsch haben wohl die allermeisten Christen, und viele ärgern sich über Zerspaltenheit. Zum Beispiel äußert auch Lars Kramm, der in unserer Gemeinde viel in der Kinder- und Jugendarbeit tut, im letzten Gemeindebrief seinen Ärger darüber, daß es immer noch Konflikte zwischen katholischer und evangelischer Kirche gebe.

 

In unserm Text hören wir: Das will vor allem auch Jesus Christus selbst, daß wir Christen nicht zerspalten und zertrennt sind, sondern einig und miteinander verbunden.

 

2

 

Aber wie sieht solches Einssein aus, wie gestaltet es sich?

                                                                      

Ein rheinischer Superintendent erzählte auf einer ökumenischen Veranstaltung von einem Gespräch mit einem holländischen Pfarrer. Sie lernten sich im Urlaub kennen, und sehr schnell kam das Gespräch auf die Kirche und ihre Kraft und Bedeutung in der heutigen Gesellschaft. Der holländische Pfarrer erzählte von einem Erlebnis in Dänemark an einem Sonntag. Über 90 Prozent der Bevölkerung gehören der Volkskirche an. Aber am Sonntag mußte der Gottesdienst ausfallen, weil niemand gekommen war.

 

Er stellte seinen kleinen holländischen Ort dagegen: Bei uns, sagte er, gibt es jeden Sonntag in fünf Kirchen Gottesdienst. Alle Kirchen sind jeden Sonntag voll. Bei uns gibt es nicht eine Volkskirche, sondern wir haben verschiedene christliche Kirchen. Die Konkurrenz stärkt die Kraft der Christen, sagte er.

 

Also auch hier: Konkurrenz belebt das Geschäft? Die verschiedenen christlichen Kirchen – etwas Positives? Was meinst du, Jesus,  in unserm Text dazu?                                                                                                                                                                                                                              I

 

Das Erste, was hier zu sehen ist: Jesus betet für die Einheit der Seinen. Es geht ihm also nicht um einen Appell oder gar Befehl: Ihr sollt und müßt einig sein! Sondern er betet für die Jünger, daß sie eins seien, er übt Fürbitte für sie. Und zwar darum, weil er weiß, wie wir Menschen sind. Er weiß, daß das Zusammenleben von uns Menschen eben nicht (nur) von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, von Wohlwollen und Hochachtung, von Liebe und Respekt vor dem Andern geprägt ist – sondern daß sich da oft ganz andere Verhaltensweisen zeigen, und zwar in der Kirche genauso wie woanders:  Macht, Durchsetzungswille, Rechthaberei, Überheblichkeit, Eitelkeit, der Drang, stärker, besser, wichtiger, attraktiver als der andere sein zu wollen...

 

Jesus hat all das ja auch unter seinen Jüngern damals erlebt. Wenn Ihr mal lest, was im Neuen Testament von ihnen gesagt wird: Man kann denken, sie sind in ihrem Verhalten ein Abbild auch unserer heutigen Kirchen.

 

Zum Beispiel Petrus. Er konnte nach allem, was wir von ihm hören, vollmundig, rechthaberisch, überheblich sein – aber als es ernst wurde, kniff er, verleugnete seinen Herrn. Wie oft war und ist das bis heute der Fall. Denken wir nur zum Beispiel an Rolf Hochhuth's Drama: "Der Stellvertreter", in dem er dem Papst schlimmes Versagen im Dritten Reich vorwirft. Aber waren und sind wir in der evangelischen Kirche denn besser? 

 

 

 

Einem anderen, dem Judas, war möglicherweise das Geld wichtiger als die Treue zu Jesus. Wie ist das bei uns, in unseren Beratungen in Presbyterien und Synoden: Könnte auch uns schonmal Geld wichtiger sein als die Treue zu Jesus?

3

 

Oder: Einmal bricht ein offener Rangstreit unter den Jüngern aus, zwei von ihnen – Jakobus und Johannes -   halten sich selbst für mutiger und besser als die anderen und wollen dafür auch eine entsprechend hochrangige Stellung, eine Art "Hierarchie" schwebt ihnen vor. Jesus hat ihnen allen dann ins Stammbuch geschrieben: Wer groß sein will unter euch, der soll der Diener aller sein. Aber das hörten sie wohl nicht so gern.

 

Und schließlich mußte Jesus ja auch erleben, wie sie ihn allesamt verließen.

Und das ist so bei allen Christen, allen Kirchen. Wir verlassen ihn. Und Er: Er bleibt uns treu.

 

Jesus betete für seine Jünger damals. Er betet für uns, seine Jünger heute, er betet für alle Christen, daß sie eins seien. Seine Fürbitte hält die Kirche, hält unsere Gemeinde am Leben. Seine Fürbitte kann uns trösten, stärken, aufrichten und dazu ermutigen, deutlicher seinem Wort und Willen entsprechend zu leben.

 

 

                                                                       II

 

Denn - zweitens -:  Jesus sagt hier nicht, wie das aussehen soll, was wir nach diesem Gebet Einheit der Christen nennen. Seine Bitte um Einheit setzt tiefer an, als wir fragen: So wie er mit dem Vater eins ist, so sollen wir mit ihm eins sein. Darum bittet er, das will er.  

 

Das heißt doch: Wir können unsere Maßstäbe für die Einheit der Christen nur bei ihm und in der Hinwendung zu ihm finden. Anders ausgedrückt: Nicht menschliches Harmoniebedürfnis oder irgendwelche Strategieüberlegungen, wie wir uns am attraktivsten in der Welt präsentieren können, sind gefragt, sondern das, was die 1. Barmer These sagt: daß wir strikt auf Jesus, das eine Wort Gottes, hören und ihm im Leben und im Sterben  vertrauen und gehorchen.

 

Und übrigens: Wenn eins der Worte Jesu lautet: "Kommt her zu mir alle,die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken", dann bedeutet der Gehorsam gegenüber dieser Einladung Jesu natürlich auch,daß wir uns nicht hoffärtig anmaßen dürfen, andere Christen, die zu Christus kommen wollen, von der Teilnahme an seinem Mahl auszuschließen. Wir können uns doch nicht zum Herrn über den Herrn der Kirche machen wollen!

 

 

                                                                       III

 

Aber nun noch das Dritte: Die Einheit und Gemeinschaft von uns Christen miteinander ist im Grunde gar nicht das Wichtigste. Vielleicht war Jesus an einer Kirche überhaupt nicht interessiert. Und ich denke manchmal: Wenn er heute von Gottes Thron aus auf unsere kirchlichen Veranstaltungen sieht: Päpstlicher Segen

 

"urbi et orbi", kirchliche Zeremonien mit großem Pomp in Kathedralen, oder auch unsere Landessynoden, unsere Kreissynoden: Was soll er davon denken?! Wie nachsichtig muß er sein, besser: Wieviel Humor hat er hoffentlich!

4

 

Es ging und geht ihm nicht um eine Kirche, sondern um die Ausbreitung des Reiches Gottes, um die mal'kut Jahwe, wie er, der Jude, es nannte. Es geht ihm darum - wie er hier sagt -  daß die Menschen das ewige Leben finden, und dieses ewige Leben besteht darin, daß wir Gott und seinen Gesandten Jesus erkennen -  und erkennen bedeutet in der Bibel immer: lieben. Das ist das A und O christlichen Glaubens: Jesus liebgewinnen.

 

Darum geht es Jesus, daß, wie er es ausdrückt, "die Welt glaube“, daß sie zum Glauben an ihn, zum Vertrauen auf ihn findet. Anders gesagt: Wir, die Kirche, sind überhaupt nicht für uns und um unsertwillen da, sondern um der Menschen willen. Wir sind dazu da, Glauben zu wecken, Leben zu fördern, Salz für die Erde, Licht für die Welt zu sein.

 

Und von diesem Auftrag, von dieser unserer Sendung her kann noch einmal neu klar werden, wie positiv und schön gerade eine bunte Vielfalt von Kirchen und christlichen Gemeinschaften ist: Weil ja auch die Menschen und Völker  so unterschiedlich sind in ihren verschiedenen Kulturen. Denken wir nur, wie entsetzlich es wäre, wenn alle in jeans herumliefen und Cola tränken! Darum müssen wir die verschiedenen Kulturen fördern, wie etwa der Dritte Welt Handel es tut.

 

Der Weiglehaus-Pfarrer Wilhelm Busch hat einmal die Vielfalt christlicher Gruppen,  Gemeinschaften und Kirchen mit der Vielfalt von blühenden Blumen auf einer Sommerwiese verglichen (nämlich einer der - leider selten gewordenen - Wiesen, die von Dünger verschont geblieben sind). Eine unglaubliche Vielfalt von Blumen, Gräsern und Blüten gibt’s da, und ein wunderbares Gesumme und Gebrumme.   Und so wie diese Blumen in ihrer Vielfalt Freude und Staunen in uns auslösen: So sollen auch wir Christen in unserer Vielfalt Freude und Staunen bei anderen Menschen auslösen.

 

Worin besteht denn das Einssein dieser Blumenvielfalt? In ihrem gemeinsamen Nährboden, ihrem gemeinsamen Wurzelgrund. In der Sonne,die ihnen allen lacht (bei Jesus ein Bild für Gottes Liebe, die unterschiedslos allen gilt), und vor allem: In dem Regen, auf den sie alle angewiesen sind -  und Regen, Wasser ist in der Bibel das Sinnbild für den Heiligen Geist.

 

Jesus sagt in seinem hymnischen Gebet zu Beginn etwas ganz Merkwürdiges: Er spricht von seiner Verherrlichung am Kreuz. Da, wo Häßlichkeit und Bosheit zu triumphieren scheinen, da, gerade da, leuchtet die Herrlichkeit Gottes und seines Sohnes am strahlendsten auf, da sind sie am innigsten eins! Da vollendet sich die Liebe Gottes zu uns bösen Menschen.

 

Und darum stimmt der alte ökumenische Satz: Je näher wir Christen und Kirchen bei dem gekreuzigten Christus sind, desto näher sind wir  beieinander. 

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

 

 




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