Gottesdienst am Sonntag Trinitatis, 19. Juni 2011, Rhodos

 

Lieder:

 

Himmel, Erde, Luft und Meer...504

Du hast uns, Herr, gerufen...168, 1 – 3 (als Kollektengebet)

Gott rufet noch...392 (1-5 gesungen, 6-8 gesprochen)

Gelobet sei mein Gott...139

Brunn alles Heils...140

 

Psalm 145 (Nr. 756)

 

Kyrie-Gebet: Bonhoeffer, Morgengebet

Gnadenzusage: Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

(2. Kor. 3, 17)

 

Schriftlesung: 2. Kor. 13, 11 - 13

 

Predigt zu Johannes 3, 1 – 8:

 

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden.

Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein  Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich,  wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von  neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann der denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?

Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.

Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.

Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden.

Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weisst nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist

 

 

 

Liebe Gemeinde!

 

„Der Mensch ist unheilbar religiös“. So hat es einmal der russische Religionsphilosoph Nikolaj Berdjajew formuliert.

 

Der Mensch ist unheilbar religiös. Zwar: Es gibt Phasen im Leben, wenn Menschen in Wohlstand und Sicherheit leben und es einem auch persönlich gut geht, da denkt man weniger an Gott. Aber spätestens in Krisenzeiten und  bei Katastrophen – da taucht sie wieder auf, die Frage nach Gott. Der Mensch ist unheilbar religiös, die Frage nach Gott ist und bleibt und war immer schon die Urfrage der Menschheit.

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                                                I

 

Auch der Mensch, von dem wir im  heutigen  Predigttext hören, wird  von dieser Frage umgetrieben. Sein Name ist Nikodemus. Das heisst übersetzt: Sieger im Volk, Sieger in der Volksversammlung. Vielleicht hat sein Vater ihm ja diesen Namen gegeben, weil er wollte, dass sein Sohn mal etwas Besonderes würde, erfolgreich, ein Siegertyp eben, ein guter Redner auch.

 

Und Nikodemus ist dann ja auch „wer“ geworden.Er gehört zur Jerusalemer Elite. Ist Angehöriger des „Synhedriums“, des „Hohen Rates“, einer von den 70 Männern, die die politische wie religiöse Führung in Israel ausübten. Zugleich nennt Jesus ihn unmittelbar nach unserm Predigttext  einen „Lehrer in Israel“. Er war also sozusagen Doktor oder Professor der Theologie. Und er gehört der Gruppierung der Pharisäer an. Das Wort Pharisäer bedeutet ja: Die „Abgesonderten“. Und dies bedeutete wiederum: Sie unterschieden sich in ihrer Lebensführung aufs deutlichste von der „Welt“, sie waren voller Glaubensfreude und – strenge, vorbildlich fromm, vor allem auch in ihrer Hilfsbereitschaft: Sie gaben immerhin regelmässig 10 Prozent ihre Bruttoeinkommens ab. Und das ist schon vobildlich. Ich denke nicht, dass das jeder von Euch tut. Das einzige Manko bei ihnen, das Jesus dann ja auch heftig kritisierte: Sie waren in der Gefahr, sich über andere zu überheben.

 

Und nun erzählt Johannes, dessen Evangeliunm das tiefsinnigste und  hintergründigste von allen ist, er sei „des Nachts“ zu Jesus gekommen. Weil er vielleicht nicht gesehen werden wollte? Nicht als Sympathisant Jesu gelten wollte? Man kann es auch so deuten:  Johannes, in dessen Evangelium die Worte „Licht“ und „Finsternis“solch eine Rolle spielen, will sagen: Nikodemus kommt aus dem Dunkel, aus der Finsternis seines Lebens und ist auf der Suche nach dem Licht.

 

                                                II

 

Und mit seinem Suchen und Fragen kommt er zu Jesus.

 

Er will ein religiöses Gespräch mit einem führen, den er für kompetent hält.

 

„Meister“ - hebräisch: Rabbi -  sagt er voll Respekt, „wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen,denn niemand kann die Zeichen tun,die du tust, es sei denn Gott mit ihm“.

Er spielt auf das Wunder bei der Hochzeit von Kana und die  Vertreibung der Händler aus dem Tempel an, von denen Johannes unmittelbar vorher im Evangelium erzählt.

 

Und jetzt erwartet Nikodemus vielleicht ein gelehrtes Glaubensgespräch, aber sofort lenkt Jesus alles in eine ganz andere Richtung und Tiefe, in für Nikodemus ganz neue Bereiche der Gotteserkenntnis, ihm bislang unbekannte Landschaften des Lebens hinein.

 

Jesus kommt sofort zum entscheidenden Punkt: „Wahrlich, wahrlich“ _ und dieses zweifache Amen betont die Autorität seiner Worte – „ich sage dir, es sei denn, dass jemand von neuem“ – man kann das Wort „anothen“ auch übersetzen: von oben – „geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen“.

 

Jesus sagt ihm: Mir jedenfalls geht es überhaupt nicht um ein  religiöses oder theologisches Wissen, wie es Nikodemus vielleicht vertiefen will, sondern es geht um ein

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„Sehen“. Ein Sehen in der tiefen Bedeutung, die dieses Wort bei Johannes hat: Nikodemus soll ein „Sehender“ werden. Er soll das Licht erblicken, das Licht der Welt, das wahre Licht des Lebens. Dazu aber, so sagt Jesus ihm, musst du neu geboren werden, musst von Gott selbst geboren werden.

 

Nicht wahr, die meisten auch von uns Christen denken ja anders vom christlichen Glauben.  Ich habe als Schuljunge schon ein Gedicht von  Friedrich Rosegger gelesen, in einem Lesebuch – es gab dieses Gedicht, habe ich später mal gesehen, auch in frommen Bürgerhäusern als gestickten  Wandschmuck. Und eine Schlagersängerin namens Nicole  hat später den ersten Vers zu einem Schlagerhit gemacht:

 

Ein bisschen mehr Frieden und  weniger Streit,

ein bisschen mehr Güte und weniger Neid,

ein bisschen mehr Wahrheit  - immerdar

und viel mehr Hilfe bei jeder Gefahr...

Statt immer nur Unrast ein bisschen mehr Ruh.

Statt immer nur Ich ein bisschen mehr Du...

und viel, viel mehr Blumen während des Lebens,

denn auf dem Grabe blühn sie vergebens.

 

Nicht wahr, das gefällt uns, da stimmt jeder zu. Und viele unserer Zeitgenossen denken:      Genau das ist christlicher Glaube: Sich für ein bisschen mehr Frieden einsetzen, gütig sein, Nächstenliebe üben.

 

Nix da, sagt Jesus. Ihm jedenfalls geht es nicht um Schönheitsreparaturen am alten Adam, bzw. der alten Eva, nicht um ein  paar Verbesserungen an unserm Wesen. Sondern um etwas grundstürzend Neues. Um unsere Neuschöpfung.

 

Um es bildhaft zu sagen: Nicht mehr  dein Ich soll im Mittelpunkt stehen und alle und alles andere – die Menschen, die Schöpfung, und auch Gott – soll sozusagen um dich kreisen, auf dich bezogen sein, für dich dasein. Sondern es geht darum, dass Gott, die Sonne des Lebens, im Mittelpunkt steht und ich kreise – ebenso wie alle Menschen und alle Geschöpfe  - um ihn. Und wir alle empfangen in gleicher Weise Licht und Leben, Wärme und Glanz von ihm.

 

„Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen“, sagt Jesus noch einmal erläuternd. Und Wasser ist in der Bibel ja auch ein Bildwort für den Geist Gottes, für die schöpferische Kraft Gottes, der bewirkt, dass wir neu geboren werden: Menschen werden, die aufatmen, ganz befreit, alles mit neuen Augen sehen, sich ganz herrlich fühlen, so dass sie aus vollem Herzen sagen können: Ich fühle mich wie neu geboren!  

 

                                                III

 

Wie werden wir das? Können wir nicht doch etwas dazu tun?  Ja! Eine ganz neue Lebenshaltung beginnen und einüben.

 

Bei uns ist ja viel von Aktivität und action die Rede. Diese pausen- und rastlose Aktivität – immer „gut drauf“ sein, immer tätig, auch im sog. Konsumieren höchst aktiv – möglichst viel machen, schaffen, erleben, immer höher, schneller, weiter,  – diese Lebenshaltung ist

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ja in alle Lebenbereiche eingedrungen, auch in die Kirchen, auch in die Altersheime, die inzwischen ja Seniorenresidenzen genannt werden: Aktivität im Alter! Seniorenfitness! Die Kraft der zwei Herzen!

 

Jesus aber sagt: Lebe passiv! Passiv im Sinne von empfänglich. Erwartungsvoll für Gott, in der Bitte um seinen Geist und im Empfangen und Erfülltwerden von seinem Geist, dem Leben, der Lebenskraft Gottes. Genau diese Lebenshaltung schenkt uns das Evangelium. Denn es sagt und zeigt uns: Ihr  seid Beschenkte, ganz und gar unverdient und doch  so reich, so überströmend und überflüssig reich  Beschenkte, von Gottes ewiger Liebe, Treue, Geduld, Zärtlichkeit Beschenkte.

 

Und das, .liebe Gemeinde, bewirkt immer dann natürlich auch eine neue Aktivität, und wie! Aber nun nicht mehr ichbezogen, vom eigenen Ich ausgehend, sondern Gottes Kraft ist in uns und durch uns  aktiv.

 

                                                IV

 

Durch Gottes Kraft, aus Gottes Geist  neu geboren: Das  kann ganz überwältigend geschehen, in einem pfingstlichen Brausen.

 

Es gibt ein berühmtes Beispiel dafür. Der große Philosoph und wiedergeborene Christ Blaise Pascal hat es in seinem „memorial“ aufgeschrieben. Nach seinem Tode fand ein  Diener zufällig den Text auf einem Pergament, in das Futter eines Rockes Pascals eingenäht. Pascal hat es – geradezu stammelnd vor überschwänglicher Freude – geschrieben. Ich zitiere in Auszügen:

 

Jahr der Gnade 1654, Montag, den 23. November...seit ungefähr abends zehneinhalb bis ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht

 

Feuer

 

Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs – nicht der Gott der Philosophen  und Gelehrten.

 

Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede.

 

Gott Jesu Christi...

 

Nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, ist er zu finden.

 

Freude,  Freude, Freude und Tränen der Freude...

 

Jesus Christus! Jesus Christus!

 

Man  spürt die ganz überwältigende Glaubens- und  Gewissheitserfahrung Pascals, seine Neugeburt.

 

Aber genauso – mitten im Alltag, im alltäglichen Leben erfahren wir es, wie wir beschenkt werden, wie Gott für uns sorgt, wie er überraschende Dinge tut, wie er uns neue Wege zeigt, neue, bisher unbekannte Landschaften des Lebens, und, wenn wir täglich erwartungsvoll für Gott, empfänglich für seinen Geist, leben, dann lässt er uns auch

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Mahnungen, Warnzeichen, deutliche Richtungshinweise sehen. Wir sehen und erfahren: Ganz unverfügbar von uns,und manchmal völlig überraschend und unvermutet, kommt der Geist Gottes und beschenkt uns: Das kann über einem persönlichen oder gemeinsamen Gebet geschehen, einem Lied, einem Bibelwort, einem Erlebnis in der Natur, einer Begegnung, einem Gespräch mit einem Menschen...Auf alle möglichen Weisen kann Gott , kann Jesus kommen und uns beschenken...Man lernt dann, wie das alte, fast vergessene Wort lautet, den lieben Gott „walten“ zu lassen.

 

 

 

Jesus sagt: So ist das mit dem Leben aus Gottes Geist: Wir hören und spüren sein Sausen wohl, aber wir wissen nicht, woher und wann er kommt und was er bewirken wird, und wohin das führt, was er bewirkt.

 

Das ist das neue, das geistliche Leben im alten...Bis dann einmal Gott  „alles in allem“ (1. Kor. 15, 28) sein wird. Amen