Liebe
Gemeinde!
„Als er siebzig war und war gebrechlich,
Drängte es den Lehrer doch nach Ruh‘,
Denn die Weisheit war im Lande wieder einmal schwächlich
Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete den Schuh.
Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das,
So die Pfeife, die er abends immer rauchte,
Und das Büchlein, das er immer las.
Weißbrot nach dem Augenmaß.
Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es,
als er ins Gebirg den Weg einschlug.
Und sein Ochse freute sich des frischen Grases,
Kauend, während er den Alten trug.
Denn dem ging es schnell genug.
Doch am vierten Tag im Felsgesteine
Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:
„Kostbarkeiten zu verzollen?“ „Keine.“
Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach :
„Er hat gelehrt“.
Und so war auch das erklärt.
Doch der Mann in einer heitren Regung
Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?“
Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung
Mit der Zeit den mächtgen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt“.
2
So beginnt ein
schönes Gedicht von Bertold
Brecht mit dem
Titel „Legende von der Entstehung des Buches Tao te King auf dem Weg des
Laotse in die Emigration.“
Der Zöllner
fragt den Jungen: „Hat er was
rausgekriegt? Sprach der Knabe: Dass das weiche Wasser in Bewegung mit der Zeit
den mächtigen Stein besiegt.- Du verstehst, das Harte unterliegt.“
So ähnlich ist
es, denke ich, mit dem Wachstum des Reiches Gottes, des Reiches , in dem die
Liebe Jesu regiert. Beharrlich, langsam wächst es, es braucht seine Zeit, aber
es wird „mit der Zeit“ die Gegenkräfte, das Versteinerte, Harte, Statische,
scheinbar felsenfest bestehende Böse überwinden.
Oder so
ähnlich ist es, wenn Jesus sagt: Selig
sind die Sanftmütigen, sie werden das Erdreich besitzen. Nicht die
Kriegstreiber und Kriegsgewinnler, die
Gewalttätigen und die Aggressiven, sondern die Sanftmütigen – und das biblische
Wort bedeutet: Die, die mit sich im Frieden, mit sich selbst im Einklang sind,
die nicht mehr nötig haben, aggressiv zu sein, weder gegen sich selbst noch
gegen die Natur noch gegen andere Menschen: Sie, die „Sanftmütigen“ , sind wie
Wasser, wie die sanfte, beharrliche Kraft des Wassers.
Aber: Wasser
bedeutet ja noch viel mehr!
Hat jemand von
Ihnen schon mal wirklich brennenden Durst gehabt? Dann weiß er, wie köstlich
und geradezu himmlisch erfrischend Wasser sein kann.
Und: Wie sehr
kann nach langer Trockenheit ein Regenguß innerhalb von Tagen, ja Stunden, das
Aussehen eines Gartens, einer Landschaft oder gar einer ganzen Wüste verändern.
Vorher war alles braun, grau, knochentrocken – und jetzt glitzert es, Tropfen perlen an frischen Blättern herunter,
das Auge erfreut sich an satten Farben, man staunt über die unterschiedlichsten
Schattierungen von grün.
Wasser ist
darum im Grunde d a s Symbol für Leben
und Lebenskraft. Und im biblischen Israel ist Wasser zugleich auch Symbol für
die Urkraft des Geistes Gottes in seiner durststillenden und lebensspendenden
Macht.
Wasser – das
ist auch das Grundthema bei einem der größten Feste des biblischen Israel: Dem
Laubhüttenfest. Der heutige Predigttext handelt von einem dramatischen Auftritt
Jesu bei diesem Fest in Jerusalem. Stellen wir uns die Situation vor Augen.
Großes
Gedränge und Geschiebe in der Stadt. Von überall her sind Menschen gekommen,
um möglichst nahe beim Tempel zu sein.
Aus belaubten Ästen und Zweigen und
Palmwedeln haben sie in den
Gärten und an den Straßenrändern
zeltähnliche
Hütten gebaut. Sieben Tage und Nächte wohnt und schläft man in diesen
provisorischen Hütten, denn sieben Tage
dauert das Fest. Es ist ein
fröhliches,
aber auch ein sehnsuchtsvolles Fest, mit viel Gesang und Musik. Man erinnert
sich in den von Priestern vorgetragenen Lesungen aus den Heiligen
Schriften
daran, wie Gott sein Volk auf seiner langen Wanderschaft durch die Wüste
wunderbar geführt hate. Am letzten Tag – dem höchsten Feiertag – erinnert man
sich daran, wie das Volk Israel einmal schrecklichen Durst in der Wüste
gelitten hatte. Sie
3
hatten – wie
so manchesmal schon vorher – ihren Zorn und Hader an Mose ausgelassen: Du hast
uns aus Ägypten herausgeführt! In diese Wüste hinein! In Ägypten, da waren wir
zwar Sklaven, aber - wir hatten zu
essen und zu trinken. Und jetzt?! Wir
kommen um vor Durst!
Und Mose hatte
zu Gott geschrieen. Er hatte nicht das Volk angeschrien, hatte nicht gesagt ,
dann führt euch doch selbst...sondern er hatte zu Gott geschrieen, hatte all
seine Last und Not mit diesem Volk Gottes vor Gott gebracht. Und Gott hatte
geantwortet. Er fügte es so, daß aus einem Felsen wie durch ein Wunder Wasser
strömte. Wasser aus einem Felsen! (Num. 20). Aus dem Urbild für Härte und
Unfruchtbarkeit lebensspendendes Wasser! An dieses Ereignis denkt man
alljährlich am letzten, am siebten Tag des Laubhüttenfestes im
Tempelgottesdienst. Priester – das gehörte zum Ritual - schütteten Wasser am
Altar aus, das sie in feierlicher Prozession aus der Quelle am Teich Siloah
geholt haben und man singt sehnsüchtig die Verheißung aus Jesaja 12: „Ihr
werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus
den Brunnen
des Heils...“ Ja und dann
geschieht das Unerhörte, das der heutige Predigttext überliefert; ich
lese Johannes 7 Vers 37 und 38:
Aber am letzten Tage des Festes, der der höchste war, trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!
Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib
werden Ströme lebendigen Wassers fließen!
Ströme
lebendigen Wassers! Das heißt doch: Der
Glaube an Jesus, der bewirkt das, dass Ströme von lebensstiftenden,
lebensfördernden, segensreichen Kräften von
Menschen ausgehen. Lebendiger Glaube an Jesus schafft überströmende
Lebensfülle für Andere!
Ich stelle mir
vor, die Priester sind bei ihren Ritualen, sie tun das alljährlich
Wiederkehrende, immer Gleiche, das Gewohnte und Übliche, sie halten die
Liturgie, wie sie den Festordnungen entspricht, eine gewohnte Liturgie, die
abläuft wie eh und je, festgelegt,
irgendwie auch versteinert, leblos -
und Jesus tritt näher, hört und sieht sich das an...
Und dann ruft er in den gewohnten Ablauf
hinein: Wer Durst hat - Durst nach Gott, Durst nach Leben, nach
erfülltem, überströmendem Leben - der komme zu mir!
Hier, bei mir, da findet und bekommt ihr all das, was ihr im Grunde doch – mal mehr, mal weniger – erhofft und ersehnt: Ihr, die Tempel- und Gottesdienstbesucher, die sich aufgemacht haben, weil sich das irgendwo so gehört, an den Festen und Gottesdiensten teilzunehmen – und auch Ihr Priester, die Ihr – vielleicht ein bißchen routiniert geworden, kaum noch erwartungsvoll für einen „Gottessturm“(!) – die gottesdienstliche Liturgie haltet.
Hier – bei mir - bekommt und erlebt ihr all das, was Gott verheißen hat in manchen Psalmversen und Worten der Propheten, die von Gott als der lebendigen Quelle des Lebens sprechen und von seinen „Heilsbrunnen“ und von uns Menschen als - wunderbares Bild – einem „bewässerten Garten und einer Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt“ (Jes.58).
4
Hier bei mir und durch mich erfüllt sich all das, was die Propheten verhießen, wenn sie weissagten, daß der Geist Gottes einmal auf alle Menschen, alte und junge, Männer und Frauen, Knechte und Herren, herabströmen würde, so daß ihr verdorrtes und verödetes Leben in blühendes, sattgrünes, von Fruchtbarkeit strotzendes Land verwandelt werden würde (Joel 3, 1f.; Jes.44, 3).
Liebe Gemeinde, wie – wortwörtlich - erfrischend ist dieses Jesuswort! Und wie aktuell und verheißungsvoll für die gegenwärtige Situation von uns, den einzelnen Christen, den Gemeinden, den Kirchen hierzulande! Papst Benedikt XVI. hat in seiner ersten Predigt von den Oasen gesprochen, die die Kirche auf ihrer Wüstenwanderung aufsuchen solle, und kluge Leute haben in den letzten Jahren Bücher geschrieben, in denen sie zeigen: Mitten in äußerlichem Wohlstand, Spaßangeboten und Aktivismus verödet und verblödet das Leben – sowohl geistig wie geistlich – wird zur Öde, zur Wüstenei, man merkt es nur kaum, weil es schleichend, fast unmerklich geschieht.
Oder - spüren wir es doch ? Dann kann das doch nur bedeuten, daß wir uns hinwenden zu den Oasen und sprudelnden Quellen, die Jesus uns zeigen kann – und die sind: Das Gebet! Wobei ich nicht vergesse und öfter erzähle, was mir ein
Gemeindeglied mal sagte: Er übe sich darin, bei jedem Gebet zuerst mit dem
Danken zu beginnen, und dann fiele ihm so viel ein, daß er zum Bitten manchmal garnicht mehr käme. Zum Gebet gehört auch die Anbetung Gottes – auch in der Schöpfung, der Natur, gerade in der jetzigen Jahreszeit. Zu den Kraftquellen des Leben gehört weiter: Das Aufsuchen von Orten der Stille. Das Hören guter Musik. Und das Lesen, das Betrachten vielleicht nur eines Bibelverses. Über all dem werden wir wunderbar herausgeholt aus Mißmut, bekommen neue Kraft.
Und je mehr Freude und Staunen in mein Leben kommt angesichts der herrlichen, oft schweren, manchmal bestürzenden, fast immer aber auch frohmachenden, tröstenden, neuen Mut, neue Beharrlichkeit mitteilenden Worte und Erzählungen
der Heiligen Schrift – je mehr ich mich über sie freue und über sie staune - desto verächtlicher muss mir das erscheinen, womit wir abgespeist werden: All das, was uns Leben, Spaß und Freude vorgaukelt und uns dabei betrügt; all das an Elektronik und Videos, die Menschen in sich “‚reinziehen“, womit sie sich anfüllen, und was sie innerlich immer leerer werden läßt, all die süßlich-klebrige Limonade, gegenüber dem Champagner und dem Wein eines Bibelwortes, eines Oratoriums, eine Chorals.
Letztlich ist Er, Jesus selbst, die unerschöpfliche Quelle ewigen Lebens; der, der allen Lebensdurst zu stillen vermag; der, der uns zu Menschen macht, von denen Kraft und Herzlichkeit und Segen überströmen auf Andere.
Wenn er unseren Lebensdurst stillt – wie gestaltet sich dann unser Leben? Ich habe es, als ich am Donnerstag die Predigt schrieb, spontan für mich persönlich so formuliert: Er sieht mich an, so daß ich spüre: Ich bin bei ihm hoch angesehen, ich bin ihm viel wert, ihm liegt sehr viel daran, wie ich mein Leben gestalte. Ich weiß, der Andere, die Andere, auf die ich vielleicht herabsehe, die sind ihm keinen Deut weniger wertvoll.
5
Ich werde dankbar für das Heilige Mahl, weil wir da sehen und erleben: Er schließt niemanden, der zu ihm kommt, von seiner Liebe aus, sie gilt dem oder der neben mir ebenso unverdient und uneingeschränkt wie mir.
Ich sehe auf sein Kreuz, sinne nach darüber, was das bedeutet, daß er auch durch mich und für mich dort hängt , und ich spüre, wie vom Kreuz her durch Erschrecken und Trauer hindurch eine wohltuend befreiende Kraft in mein Leben strömt, eine Hoffnung und Zuversicht, die aus der Gewißheit kommt: Gott wird auch mich nun trotz meiner erkannten und unerkannten Sünden nicht verurteilen, im Gegenteil, er wird mich am Ziel mit einem wunderbarem Erbarmen umhüllen.
Ich kann nun in Gottvertrauen leben, kann versuchen, alles, was ich erlebe, als Führung Gottes zu deuten.
Ich werde dankbar für den reichen Segen, den er auf mich und meine Familie gelegt hat und für alle Bewahrung.
Ich werde dankbar, daß er, Jesus, meinem Leben so viel Sinn und Durchhaltekraft gibt, wenn ich seine Worte lebe: Selig sind die Friedensstifter, die Sanftmütigen, die nach Gerechtigkeit Hungernden. Oder: Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst...Tu deinen Mund auf für die Stummen... Tu Gutes denen, die dich beleidigt haben...Was du den Geringsten meiner Geschwister antust, tust du an mir.
So habe ich’s einmal spontan in eigene Worte zu fassen versucht.
Was würden Sie antworten auf die Frage: Inwiefern finde ich bei Jesus das Wasser des Lebens? Inwiefern stillt er meinen Lebensdurst?
Vielleicht führen Sie mit einem vertrauten Menschen einmal ein Gespräch darüber? Oder formulieren es zu Hause einfach einmal schriftlich für sich?
Und
der Friede Gottes, der höher ist als alle Verunft , bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen