Frühgottesdienst am Sonntag Palmarum, 13. April 2003


LIEDER:

Er weckt mich alle Morgen...452, 1 – 3 (Geburtstag Jochen Klepper: 22.3.03)

Du großer Schmerzensmann...87, 1-3

Eines wünsch ich mir...554,1+2

Ich grüße dich am Kreuzesstamm...90, 1


Psalm: Christushymnus Philipper 2, 5-11

Schriftlesung: Jesaja 50, 4-9


Predigt über Johannes 12, 12 – 24:


Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, daß Jesus nach Jerusalem käme,

nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!

Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9):

Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“

Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, daß dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.

Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat.

Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan.

Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.


Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest.

Die traten zu Philippus, der von Bethsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen.

Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen’s Jesus weiter.

Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, daß der Menschensohn verherrlicht werde.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.



Liebe Gemeinde!


In der Tat: Unendlich viel Frucht hat Jesus bewirkt, durch sein Sterben, durch die Hingabe seines Lebens. Auch für uns hier. Würde nicht jeder von Euch sagen: Ich verdanke Jesus viel Gutes für mein Leben!?

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Von diesem Sterben Jesu uns zugute ist auch in einem der Gedichte Dietrich Bonhoeffers (Todestag 9. 4. 45) die Rede, dem Gedicht „Christen und Heiden“, an dessen drei Strophen meine Predigt entlang gehen wird.


I


Die erste Strophe lautet:


Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,

flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,

um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod,

so tun sie alle, alle, Christen und Heiden.


So tun sie alle. Wenn es uns gut geht, dann vergessen wir Menschen Gott, aber wenn wir in Not geraten, dann bitten wir ihn um Hilfe. „Wenn es den Menschen gut geht, geht’s der Kirche schlecht, wenn es den Menschen schlecht geht, geht’s der Kirche gut“ – so hat es einmal der verstorbene Essener Kardinal Hengsbach formuliert.


So ist das bei Christen wie Heiden, so ist das bei allen Menschen: „Menschen gehen zu Gott in ihrer Not“, sie hoffen und bitten, daß Gott ihnen in irgendeiner Notlage hilft...


Und so denken auch die Juden und die Griechen in unserem Predigttext.


Jesus kommt! Jesus zieht in Jerusalem ein! Voller Erwartung jubeln sie ihm zu! Großes erzählt man sich von ihm, Großes erwartet man von ihm: Kranke hat er geheilt, Hungernde gespeist, ja – kürzlich hat er sogar einen Toten – den Lazarus – wieder zum Leben erweckt! (Joh.11). Rufe werden laut, mit denen man nach alter Tradition einmal den Messias begrüßen würde: Halleluja! Preist Gott den Herrn! Und: Hosianna! Hilf uns! Befreie uns vom Joch der Römer! Gründe das messianische Friedensreich! Mach uns groß und mächtig, wie zu Zeiten König Davids! Sie „flehen um Glück und Brot...So tun sie alle...“


Auch Heiden, Griechen, die zum Passafest nach Jerusalem gekommen sind, sog. Proselyten, Nichtjuden, die am jüdischen Glauben interessiert sind – auch sie wollen ihn kennenlernen. Sie drängen sich durch zu Andreas und Philippus, die sich gewiß auch voll Hochgefühl am Glanz und am Erfolg ihres Meisters mitsonnen, der solche Menschenmassen auf die Beine gebracht hat - sie bitten sozusagen um eine Audienz, um einen Gesprächstermin mit ihm...Den Mann muß man kennenlernen, Tote kann der sogar auferwecken, eine gottähnliche Persönlichkeit offenbar!


Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot...so tun sie alle...“


Nein – nicht alle. Einige gibt es, die sind von Wut und Haß gegen Jesus erfüllt. Im Hintergrund stehen sie, stecken finster die Köpfe zusammen, sinnen auf Böses,


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wollen ihn weghaben...Im Augenblick zwar müssen sie kleinlaut zugeben: Alle Welt läuft ihm nach, da ist jetzt nichts zu machen...


Aber sie kennen das Volk, sie wissen, wie wankelmütig es ist, wie leicht Stimmungen umschlagen können. Wer eben noch umjubelt wurde – wenn er versagt, ist er unten durch. Warte nur, denken sie, sobald du das Volk enttäuschen solltest oder eine Schwäche zeigst, dann kommt unsere Stunde, dann handeln wir nach dem Motto: „Wer fällt, den soll man auch noch stoßen...“


II


Und Jesus selber?


Er sagt kein einziges Wort, während er in seine Hauptstadt einzieht - zu seiner Krönung, auf dem Kreuzesthron.


Nur ein Zeichen gibt er ihnen, das allerdings niemand versteht.


Auf einem Esel zieht er ja ein. Martin Luther sagt dazu in einer Predigt: „Siehe da, er reitet nicht auf einem Hengst, das ein kriegerisch Tier ist...sondern sitzet auf einem Esel, das ein unstreitig Tier ist, nur zu Last und Arbeit da und um dem Menschen zu helfen – daß er anzeige, wozu er komme: die Menschen nicht zu schrecken noch zu treiben oder zu bedrücken, sondern ihnen zu helfen, ihre Last zu tragen und ihnen abzunehmen..“.


Das will er ihnen allen bringen und schenken, dieser ganzen Volksmenge, Juden wie Heiden: Befreiung von Lasten, Befreiung von unterdrücktem Leben. Helfen will er ihnen allen, will sie in der Tat „erretten von Krankheit, Schuld und Tod..“ Frieden will er ihnen bringen, Frieden mit Gott, Frieden miteinander...Und er weiß, das geht nur auf einem Wege: Er muß dazu in Leiden, Angst und Tod hinein. Dort, in seinem Leiden und Sterben, sollen die Menschen nun Gott finden – nicht mehr einen Gott unbeteiligt an Unglück, Leid und Tod, nicht mehr einen Gott „oben“, sondern einen Gott tief unten, bei den Menschen in ihren Leiden, ihnen nahe in ihrer Verlassenheit, selber eines der Opfer von Grausamkeit und von Überheblichkeit in religiösem Gewand...


In einem seiner Briefe aus dem Gefängnis in Tegel schreibt Bonhoeffer an seinen Freund Eberhard Bethge: „Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen...dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Jesus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, christlicher Glaube...“



Nicht mehr nötig zu haben, aus sich selbst etwas zu machen...: Das ist Freiheit, vielleicht die höchstmögliche Freiheit...Und: Gott in Jesus finden, dort den leidenden, den mit-leidenden Gott finden: Das ist christlicher Glaube.



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Die Frage verstummt ja nicht, auch mir stellt sie sich immer aufs neue wieder bedrängend: Wie kann Gott das zulassen?! Wie kann es sein, daß es so viel Entsetzliches gibt - daß Menschen offenbar, seit es überhaupt Menschen gibt,

dermaßen grausam, böse, gewalttätig sein können, daß die Gottlosen, die skrupellosen Geschäftemacher obenauf sind und das Sagen haben und die Guten, die Friedfertigen immer den Kürzeren ziehen (vgl. Psalm 73), wie kann es sein, daß Politiker bis heute Kriege führen und auch noch meinen, sie hätten Gott auf ihrer

Seite...Wie kann es sein, daß Menschen so furchtbar leiden...und Gott läßt das alles zu...? Muß man nicht sagen: Es gibt keinen Gott, jedenfalls nicht einen, dessen Wesen Liebe sein soll!? Denn wenn es einen Gott gäbe, der auch nur ein wenig Mitgefühl mit seinen Geschöpfen hätte – dann könnte es auf der Welt nicht so schrecklich zugehen...


Es bleibt das alles ein abgründiges Rätsel. Wir haben keine Antwort darauf. Wir durchschauen nicht, warum das so ist. Aber eine Art von Antwort gibt es doch, die zwar das Rätsel des Bösen und des Leidens nicht löst, aber uns hilft, es auszuhalten und wenn möglich dagegen anzugehen. Es ist die Antwort des Neuen Testaments: Gott selbst geht hinein in Bosheit, Leid und Tod, nimmt daran teil, steht bei uns in unseren Leiden, steht uns in unseren Leiden bei, will es durch Liebe lindern und überwinden. Dort, in der Not, in der Angst, in Armut und Schwachheit sollen wir Ihn finden. Er selber ist eins der Opfer, ein Opfer derer, die Kriege führen.


So sagt es Bonhoeffer in der zweiten Strophe:


Menschen gehen zu Gott in Seiner Not,

finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,

sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod,

Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.


Darum heißt es in unserem Text: Am Kreuz wird Jesus „verherrlicht“ werden.


III


Am Kreuz strahlt die Herrlichkeit Gottes auf.


Da geschieht und beginnt die Verherrlichung in Wahrheit, die unseren ganzen Predigttext durchzieht. Die Menschen jubeln ihm als dem messianischen König zu: Und er ist ja der König, allerdings ein König von ganz unerhörter Art, ein König, der vom Kreuz aus regiert, ein in den Augen von Machtpolitikern absolut lächerlicher,

nicht ernstzunehmender König, ein König, dessen Machtmittel einzig und allein Liebe, Güte, Erbarmen, Vergebung, Versöhnung sind, ein König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist – und das darum das einzige Reich ist , das bleibt, solange die Erde steht, das natürlich auch dann noch da ist, wenn ein Präsident Bush längst vermodert und das Imperium der USA untergegangen ist.


Die Pharisäer in unserem Text sagen: Alle Welt läuft ihm nach. Und es werden ihm Menschen aus aller Welt – nun nicht nachlaufen, wohl aber nachfolgen.- Die heidnischen Griechen wollen ihn kennenlernen: und sie werden ihn kennenlernen, durch die Boten des Auferstandenen, durch Missionare wie Petrus und Paulus und

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Barnabas und später viele andere in Europa, Afrika, Asien, Amerika... Das Volk ruft HH“Josianna“ und „Halleluja“ – und eben diese Bitt- und Lobrufe erklingen seither an unzähig vielen Orten und unzählig viele Male: In jedem Gottesdienst, bei jeder

Abendmahlsfeier, in denen er Menschen speist und ihnen Kraft und Trost und Liebe gibt...


So wie es Bonhoeffer in der dritten Strophe seines Gedichtes sagt:



stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod,

und vergibt ihnen beiden.



Noch einmal: Auf das Rätsel des Leides und des Bösen haben wir keine Antwort, aber Gott hat alles getan, damit wir Leiden tragen, lindern und nach Möglichkeit vermeiden können. Und er hat alles getan, damit wir das Böse nicht durch Vergeltung, sondern durch Vergebung überwinden. Gott will nicht, daß wir Kriege führen. Sondern Gott braucht uns, damit Frieden und Trost und Heilung sich unter uns Menschen ausbreiten und er gibt uns die Kraft dazu – dazu ist Jesus ans Kreuz gegangen, er - das Weizenkorn, das durch sein Sterben Frucht schafft, Frucht, die bleibt – auch dann, wenn wir zitternd vor Gottes Richterthron treten werden. Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, dem Gekreuzigten. Amen.