Lieder:
Herr, stärke mich,
dein Leiden zu bedenken...91, 1-7
Herzliebster
Jesu...81, 1-7
Ich grüße dich am
Kreuzesstamm...90, 1
Wenn ich einmal soll
scheiden...84, 9+10
Lesung: Johannes 19, 1-16a
Ich lese den
Predigttext, Johannes 19 Vers 16b - 30, die Fortsetzung der eben gehörten Lesung:
Sie nahmen ihn
aber,
und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte,
die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha.
Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu
beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.
Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie
auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden.
Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.
Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus:
Schreib nicht: Der König der Juden, sondern daß er gesagt hat: Ich bin der König
der Juden.
Pilatus antwortete: was ich geschrieben habe, das
habe ich geschrieben.
Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen
sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu
auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.
Da sprachen sie untereinander: Laßt uns das nicht
zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift
erfüllt werden, die sagt (Psalm 22, 19):“Sie haben meine Kleider unter sich
geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.“ Das taten die Soldaten.
Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und
seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.
Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den
Jünger, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau,
siehe, das ist dein Sohn!
Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm
sie der Jünger zu sich.
2
Danach, als Jesus wußte, daß schon alles vollbracht
war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich
dürstet.
Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen
Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein
Ysoprohr und hielten es ihm an
den Mund.
Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und neigte das Haupt und verschied.
„Es ist
vollbracht“: Das Ziel ist erreicht, der Sieg ist errungen, die „Welt ist überwunden“
(Joh.16,33).
Geradezu sieghaft,
souverän und hoheitsvoll klingen die Kreuzesworte Jesu, wie sie der Evangelist
Johannes überliefert. Von alledem, was
uns in den Passionsüberlieferungen der
anderen drei Evangelien so erschüttern kann -
wo wir unser menschliches Wesen in all seiner Häßlichkeit sehen, wo wir
die geifernden Hohnrufe der Priester und Theologen hören: Steig doch herunter
vom Kreuz,du bist doch Gottes Sohn, du
kannst doch alles - immer hast du anderen geholfen, jetzt hilf dir doch mal
selber...und wo wir – so bei Markus und
Matthäus - hören, daß Jesus offenbar in tiefster Verlassenheit von Gott
und Menschen gestorben ist – von alledem hören wir bei Johannes ja nur wenig.
Stattdessen liegt über seinem Bericht vom
Sterben Jesu am Kreuz etwas eher Stilles, Friedliches – und auch
Hoheitsvolles.
„Und er trug sein Kreuz“
Er trägt es nach dem Johannesevangelium selber – und in der hintergründigen Sprache des Johannes
bedeutet das: Er nimmt sie frei und willig auf sich, die ganze Last des
Kreuzes, eine doppelte Last: Die Last aller menschlichen Bosheit, aller
menschlichen Verzweiflung an Gott – und die Last des Leidens Gottes an den
sündigen Menschen.
Und diese Botschaft
muß hinaus in die ganze Welt! Pilatus läßt ein Schild über dem Kreuz anbringen,
auf dem zu lesen ist: Jesus von Nazareth, der König der Juden – Pilatus läßt
dies nicht nur auf hebräisch, sondern
auch in den Weltsprachen
lateinisch und griechisch schreiben und er sagt damit, ohne es selbst zu
wissen: Dies ist eine Nachricht, die alle Welt angeht, ja die in allen Sprachen
der Welt laut werden muß: Seht – da ist euer König, der König, dessen
Thron das Kreuz ist, dessen Krone eine
Dornenkrone ist: Hier ist der einzige König, der herrscht, indem er uns
Menschen dient.
Wie er
uns dient, davon können wir in unserem Text in dreierlei Weise hören:
Er hilft dir, Unrecht zu ertragen – Er stiftet eine einzigartige Gemeinschaft - Er stillt deinen Lebensdurst in Zeit und Ewigkeit.
Zuerst fällt unser
Blick auf die vier Soldaten des Hinrichtungskommandos. Die letzte Habe eines zum Tode Verurteilten
stand ihnen zu und so teilen sie seine
Kleider unter sich auf und losen darum,
wer das kostbare Obergewand, aus einemStück gewebt, bekommen solle. Sie nehmen
ihm seine Kleidung, er ist für sie schon gestorben.
Es gibt eine Erzählung, die im sog. Sudetenland, unmittelbar nach Ende des
2. Weltkriegs, spielt. Ein Sudentendeutscher, in einem tschechischen Lager
interniert, bekommt die Erlaubnis, an einem
Sonntagsgottesdienst teilzunehmen. Der tschechische Priester legt die
Geschichte von Jesu Tempelreinigung aus und sagt, man müsse die Deutschen aus
dem Lande jagen wie einst Jesus die Geldwechsler und Händler aus dem Tempel vertrieben habe. Der deutsche Lagerinsasse
läßt seine Blicke umherwandern und sieht mit einemmal: Einer der Gottesdienstteilnehmer
trägt seinen einzigen Sonntagsanzug, den man ihm mit seiner übrigen Habe
weggenommen hatte. Was ist das für eine Kirche, in der so gepredigt wird? denkt
er . Und: Wie kann einer, der so schamlos das, was man mir geraubt hat, zur
Schau trägt - wie kann der ein Christ
sein? Und dann schweift sein Blick zu den Seitenwänden der Kirche, wo die
vierzehn Kreuzwegstationen Jesu dargestellt sind und seine Augen bleiben hängen
an einer dieser Stationen mit der Überschrift: Christus
wird seiner Kleider beraubt. Er
sieht: Geradeso wie ihm ist es dem
Herrn ergangen. Er spürt, wie das Leid und das Unrecht, das man Jesus zugefügt hat, seinem Leid und dem ihm
zugefügten Unrecht eine merkwürdige Würde gibt, er fühlt mit einemmal
Dankbarkeit und einen tiefen Frieden.
Vermutlich ist
niemand unter uns, dem nicht auch schon einmal jemand Unrecht zugefügt und ein
Leid angetan hat. Vielleicht hat das sogar Bitterkeit bewirkt und Du kannst es
nicht vergessen. Kürzlich sagte mir ein
Gemeindeglied: Ich finde, die schwerste Bitte im Vaterunser ist: Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und zum Bewegendsten in meinem Beruf gehört,
wenn ich miterleben darf, wie ein Mensch, der im Sterben liegt, dies leise
mitbetet: „...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Wer das von Herzen beten kann, der hat den
Frieden gefunden. Und umgekehrt: Wer dies nicht von Herzen mitbeten kann, der
hat noch keinen Frieden.
Gleich zu Beginn des
Johannesevangeliums sagt Johannes der Täufer prophetisch, wozu Jesus gekommen
ist: „Seht, dies ist das Lamm Gottes, das die Sünde der
Welt trägt“ (Joh.1, 29). Er ist
das Lamm, das die Schuld und Bosheit aller Menschen aller Zeiten auf sich
nimmt. Wenn wir Schuld oder Bitterkeit
im Gebet ihm sagen und alles, was uns belastet, bei ihm abladen, tun wir etwas
Gutes für uns selbst: Wir finden Frieden und
werden Jesus sehr dankbar werden. Denn es ist schon so: Wer bitter ist
auf einen anderen Menschen, in Unfrieden mit ihm, schadet am meisten sich
selbst.
Nach den vier
Soldaten sehen wir nun auf die vier Frauen: Maria, Marias Schwester, Maria, die
Frau des Klopas und Maria Magdalena -
und dazu auf den Jünger, von dem es geheimnisvoll heißt, daß Jesus ihn
liebhatte – was sicher nicht meint, daß Jesus ihn bevorzugte, sondern er war
der Jünger, der in besonders tiefer Weise die Liebe Jesu erkannte und erfuhr
und der das Werk der Liebe in der Urgemeinde in besonderer Weise weiterführte –
und der wohl auch das Johannesevangelium
schrieb. Und vielleicht sind ja auch durch ihn die Mutter Jesu und seine
Brüder zum Glauben an Jesus als den verheißenen Messias Israels gekommen.
Vier Frauen und ein
Mann – sie repräsentieren die Gemeinde Jesu unter dem Kreuz (das
Zahlenverhältnis Frauen/Männer ist seither so geblieben). Jesus weist sie
zueinander: Frau, sieh: Johannes ist jetzt dein Sohn. Und: Johannes – dies ist nun deine Mutter. Wir sehen
hier eine Gruppe völlig hilfebedürftiger Menschen. Ohnmächtig und
fassungslos müssen sie mit ansehen, wie der von ihnen geliebte Mensch
stirbt. In dieser Szene geht es also um
die Macht des Todes – und ihre Überwindung!
Jesus weist sie
zueinander – und stiftet dadurch eine Gemeinschaft, die stärker ist als Leid,
Not und Tod, eine Gemeinschaft, tiefer und umfassender als die Bindungen von
Familie oder Verwandtschaft. Frau, das ist jetzt dein Sohn. Johannes, das ist
jetzt deine Mutter - teilt die Liebe,
die ihr mir nicht mehr geben könnt, einander mit, nehmt den neuen Lebens- und
Glaubensauftrag wahr, den ich euch gebe.
Es geschieht ja auch
- Gott sei Dank - vielfältig, daß Menschen, die einen Angehörigen verloren
haben, mit der Zeit neue Aufgaben in unserer Gemeinde wahrnehmen.
Am schönsten,
tiefsten, umfassendsten und grenzenlosesten ist diese Gemeinschaft, die er
stiftet, im Heiligen Mahl zu finden. „Kommt her zu mir
alle, die ihr mühselig und beladen seid“, sagt er - und das ist jeder Mensch – „ich will euch erquicken“. Niemanden, der Menschenantlitz trägt, schließt er
aus der Gemeinschaft mit ihm und mit anderen Menschen aus – gleich, welcher Hautfarbe, welchem Volk, welcher Konfession
oder Religion er angehört. Und wenn wir gleich das Heilige Mahl miteinander
feiern, dann ist sie zeichenhaft da, die Gemeinschaft aller Menschen in ihrer
Vielfalt und Unterschiedlichkeit: Eine Familie sind wir - verbunden miteinander
im Frieden Gottes.
III Er
stillt den Lebensdurst in Zeit und Ewigkeit
Schließlich nun wird unser Blick auf ihn allein gerichtet,
wie er sagt: „Mich dürstet“.
In Kapitel 7 hat
Johannes überliefert, wie Jesus auf dem Laubhüttenfest gerufen hatte: Wen da dürstet,
der komme zu mir und trinke! Und hier erfüllt er nun die Weissagungen des 22.
und des 69. Psalms, wird selbst ein Dürstender. Er trinkt den Königstrunk,
trinkt den Kelch des Leidens und des Todes, den Kelch des Zorns
Gottes über uns bis
zur Neige aus und wird dadurch der, der allen Lebensdurst stillen und ein
unvergleichlich freies Leben schenken kann.
5
Kennzeichen dieses
Lebens ist, wie wir gehört haben, die
Kraft, Unrecht zu ertragen und Böses mit Gutem zu überwinden. Weiter: Die
Kraft, in der Trauer den neuen Lebensauftrag
zu finden und anzunehmen, den Jesus uns gibt – den Auftrag, anderen
Menschen zu dienen.
Kennzeichen dieses
Lebens ist, wie ich finde, vor allem eine Freiheit, wie niemand sonst sie
schenken kann, nämlich die Gabe, zu erkennen, was wichtig ist für’s Leben und
was unwichtig ist, also auch Verführungen, die uns Leben versprechen, aber um’s
Leben betrügen, zu durchschauen – und dementsprechend zu leben. Kennzeichen
dieses Lebens sind Dankbarkeit, Zufriedenheit, Verläßlichkeit, Treue, Geduld,
Belastbarkeit und unbesiegbare Hoffnung darauf, daß er das letzte Wort haben
und alles gut machen wird, denn, so sagt er - den Johannes in Offenbarung Kap.
21 als das Lamm auf dem Thron (also nicht mehr auf dem „Kreuzesthron“)
sieht - : Ich mache alles neu. Und: Ich will dem
Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Es geht mit einem Wort um ein reiches,
erfülltes Leben – denn, so hat er gesagt (Johannes 10, 10): Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle
haben. Das ist der ganze Sinn
seines Lebens und Sterbens für uns: Wir sollen Leben in Fülle haben.
Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in ihm, dem Herrscher des Himmels und der Erde. Amen.