Abendmahlsgottesdienst am Karfreitag, 29. März 2002

 

Lieder:

Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken...91, 1-7

Herzliebster Jesu...81, 1-7

Ich grüße dich am Kreuzesstamm...90, 1

Wenn ich einmal soll scheiden...84, 9+10

 

Psalm 51

 

Lesung: Johannes 19, 1-16a

 

 

 

 

Ich lese den Predigttext, Johannes 19 Vers 16b - 30, die Fortsetzung der eben gehörten Lesung:

 

Sie nahmen ihn  aber,

und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf hebräisch Golgatha.

Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte.

Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden.

Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn  die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war  nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache.

Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern daß er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.

Pilatus antwortete: was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.

 

 

Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.

Da sprachen sie untereinander: Laßt uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22, 19):“Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen.“ Das taten die Soldaten.

 

 

Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.

Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn!

Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

 

 

2

 

 

Danach, als Jesus wußte, daß schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet.

Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein  Ysoprohr und hielten es ihm  an den Mund.

Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und neigte das Haupt und verschied.

 

 

 

„Es ist vollbracht“: Das Ziel ist erreicht, der Sieg ist errungen, die „Welt ist überwunden“ (Joh.16,33).

 

Geradezu sieghaft, souverän und hoheitsvoll klingen die Kreuzesworte Jesu, wie sie der Evangelist Johannes überliefert. Von  alledem, was uns in den Passionsüberlieferungen  der anderen drei Evangelien so erschüttern kann -  wo wir unser menschliches Wesen in all seiner Häßlichkeit sehen, wo wir die geifernden Hohnrufe der Priester und Theologen hören: Steig doch herunter vom  Kreuz,du bist doch Gottes Sohn, du kannst doch alles - immer hast du anderen geholfen, jetzt hilf dir doch mal selber...und wo wir – so bei Markus und  Matthäus - hören, daß Jesus offenbar in tiefster Verlassenheit von Gott und Menschen gestorben ist – von alledem hören wir bei Johannes ja nur wenig. Stattdessen liegt über seinem Bericht vom  Sterben Jesu am Kreuz etwas eher Stilles, Friedliches – und auch Hoheitsvolles.

 

Und er trug sein Kreuz“ Er trägt es nach dem Johannesevangelium selber – und in  der hintergründigen Sprache des Johannes bedeutet das: Er nimmt sie frei und willig auf sich, die ganze Last des Kreuzes, eine doppelte Last: Die Last aller menschlichen Bosheit, aller menschlichen Verzweiflung an Gott – und die Last des Leidens Gottes an den sündigen Menschen.

 

Und diese Botschaft muß hinaus in die ganze Welt! Pilatus läßt ein Schild über dem Kreuz anbringen, auf dem zu lesen ist: Jesus von Nazareth, der König der Juden – Pilatus läßt dies nicht nur auf hebräisch, sondern  auch in den Weltsprachen  lateinisch und griechisch schreiben und er sagt damit, ohne es selbst zu wissen: Dies ist eine Nachricht, die alle Welt angeht, ja die in allen Sprachen der Welt laut werden muß: Seht – da ist euer König, der König, dessen Thron  das Kreuz ist, dessen Krone eine Dornenkrone ist: Hier ist der einzige König, der herrscht, indem er uns Menschen dient.

 

Wie er uns dient, davon können wir in unserem Text in dreierlei Weise hören:

 

Er hilft dir, Unrecht zu ertragen – Er stiftet eine einzigartige Gemeinschaft  -  Er stillt deinen Lebensdurst in Zeit und Ewigkeit.

 

 

 

 

 

3

 

I Er hilft dir, Unrecht zu ertragen

 

Zuerst fällt unser Blick auf die vier Soldaten des Hinrichtungskommandos.  Die letzte Habe eines zum Tode Verurteilten stand ihnen zu und  so teilen sie seine Kleider unter sich auf und  losen darum, wer das kostbare Obergewand, aus einemStück gewebt, bekommen solle. Sie nehmen ihm seine Kleidung, er ist für sie schon gestorben. 

 

Es  gibt eine Erzählung, die im  sog. Sudetenland, unmittelbar nach Ende des 2. Weltkriegs, spielt. Ein Sudentendeutscher, in einem tschechischen Lager interniert, bekommt die Erlaubnis, an einem  Sonntagsgottesdienst teilzunehmen. Der tschechische Priester legt die Geschichte von Jesu Tempelreinigung aus und sagt, man müsse die Deutschen aus dem Lande jagen wie einst Jesus die Geldwechsler und  Händler aus dem Tempel vertrieben habe. Der deutsche Lagerinsasse läßt seine Blicke umherwandern und sieht mit einemmal: Einer der Gottesdienstteilnehmer trägt seinen einzigen Sonntagsanzug, den man ihm mit seiner übrigen Habe weggenommen hatte. Was ist das für eine Kirche, in der so gepredigt wird? denkt er . Und: Wie kann einer, der so schamlos das, was man mir geraubt hat, zur Schau trägt -  wie kann der ein Christ sein? Und dann schweift sein Blick zu den Seitenwänden der Kirche, wo die vierzehn Kreuzwegstationen Jesu dargestellt sind und seine Augen bleiben hängen an einer dieser Stationen mit der Überschrift: Christus wird seiner Kleider beraubt. Er sieht:  Geradeso wie ihm ist es dem Herrn ergangen. Er spürt, wie das Leid und das Unrecht, das man Jesus  zugefügt hat, seinem Leid und dem ihm zugefügten Unrecht eine merkwürdige Würde gibt, er fühlt mit einemmal Dankbarkeit und einen tiefen Frieden.

 

Vermutlich ist niemand unter uns, dem nicht auch schon einmal jemand Unrecht zugefügt und ein Leid angetan hat. Vielleicht hat das sogar Bitterkeit bewirkt und Du kannst es nicht vergessen. Kürzlich sagte  mir ein Gemeindeglied: Ich finde, die schwerste Bitte im Vaterunser ist: Vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und zum Bewegendsten in meinem Beruf gehört, wenn ich miterleben darf, wie ein Mensch, der im Sterben liegt, dies leise mitbetet: „...wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Wer das von Herzen beten kann, der hat den Frieden gefunden. Und umgekehrt: Wer dies nicht von Herzen mitbeten kann, der hat noch keinen Frieden.

 

Gleich zu Beginn des Johannesevangeliums sagt Johannes der Täufer prophetisch, wozu Jesus gekommen ist: „Seht, dies ist das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt“ (Joh.1, 29). Er ist das Lamm, das die Schuld und Bosheit aller Menschen aller Zeiten auf sich nimmt. Wenn wir  Schuld oder Bitterkeit im Gebet ihm sagen und alles, was uns belastet, bei ihm abladen, tun wir etwas Gutes für uns selbst: Wir finden Frieden und  werden Jesus sehr dankbar werden. Denn es ist schon so: Wer bitter ist auf einen anderen Menschen, in Unfrieden mit ihm, schadet am meisten sich selbst.

4

 

II Er schafft eine grenzenlose Gemeinschaft

 

Nach den vier Soldaten sehen wir nun auf die vier Frauen: Maria, Marias Schwester, Maria, die Frau des Klopas und Maria Magdalena -  und  dazu auf den Jünger, von  dem es geheimnisvoll heißt, daß Jesus ihn liebhatte – was sicher nicht meint, daß Jesus ihn bevorzugte, sondern er war der Jünger, der in besonders tiefer Weise die Liebe Jesu erkannte und erfuhr und der das Werk der Liebe in der Urgemeinde in besonderer Weise weiterführte – und der wohl auch das Johannesevangelium  schrieb. Und vielleicht sind ja auch durch ihn die Mutter Jesu und seine Brüder zum Glauben an Jesus als den verheißenen Messias Israels gekommen.

 

Vier Frauen und ein Mann – sie repräsentieren die Gemeinde Jesu unter dem Kreuz (das Zahlenverhältnis Frauen/Männer ist seither so geblieben). Jesus weist sie zueinander: Frau, sieh: Johannes ist jetzt dein  Sohn. Und: Johannes – dies ist nun  deine Mutter. Wir sehen  hier eine Gruppe völlig hilfebedürftiger Menschen. Ohnmächtig und fassungslos müssen sie mit ansehen, wie der von ihnen geliebte Mensch stirbt.  In dieser Szene geht es also um die Macht des Todes – und ihre Überwindung!

 

Jesus weist sie zueinander – und stiftet dadurch eine Gemeinschaft, die stärker ist als Leid, Not und Tod, eine Gemeinschaft, tiefer und umfassender als die Bindungen von Familie oder Verwandtschaft. Frau, das ist jetzt dein Sohn. Johannes, das ist jetzt deine Mutter -  teilt die Liebe, die ihr mir nicht mehr geben könnt, einander mit, nehmt den neuen Lebens- und Glaubensauftrag wahr, den ich euch gebe.

 

Es geschieht ja auch - Gott sei Dank - vielfältig, daß Menschen, die einen Angehörigen verloren haben, mit der Zeit neue Aufgaben in unserer Gemeinde  wahrnehmen.

 

Am schönsten, tiefsten, umfassendsten und grenzenlosesten ist diese Gemeinschaft, die er stiftet, im Heiligen Mahl zu finden. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und  beladen seid“, sagt er - und das ist jeder Mensch – „ich  will euch erquicken“. Niemanden, der Menschenantlitz trägt, schließt er aus der Gemeinschaft mit ihm und mit anderen Menschen  aus – gleich, welcher Hautfarbe, welchem Volk, welcher Konfession oder Religion er angehört. Und wenn wir gleich das Heilige Mahl miteinander feiern, dann ist sie zeichenhaft da, die Gemeinschaft aller Menschen in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit: Eine Familie sind wir - verbunden miteinander im Frieden Gottes. 

 

III          Er stillt den Lebensdurst in Zeit und Ewigkeit

 

Schließlich nun  wird unser Blick auf ihn allein gerichtet, wie er sagt: „Mich dürstet“.

 

In Kapitel 7 hat Johannes überliefert, wie Jesus auf dem Laubhüttenfest gerufen  hatte: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Und  hier erfüllt er nun die Weissagungen des 22. und des 69. Psalms, wird selbst ein Dürstender. Er trinkt den Königstrunk, trinkt den Kelch des Leidens und des Todes, den Kelch des Zorns

Gottes über uns bis zur Neige aus und wird dadurch der, der allen Lebensdurst stillen und ein unvergleichlich freies Leben schenken kann.

 

 

5

 

Kennzeichen dieses Lebens ist, wie wir gehört haben,  die Kraft, Unrecht zu ertragen und Böses mit Gutem zu überwinden. Weiter: Die Kraft, in der Trauer den neuen Lebensauftrag  zu finden und anzunehmen, den Jesus uns gibt – den Auftrag, anderen Menschen zu dienen.

 

Kennzeichen dieses Lebens ist, wie ich finde, vor allem eine Freiheit, wie niemand sonst sie schenken kann, nämlich die Gabe, zu erkennen, was wichtig ist für’s Leben und was unwichtig ist, also auch Verführungen, die uns Leben versprechen, aber um’s Leben betrügen, zu durchschauen – und dementsprechend zu leben. Kennzeichen dieses Lebens sind Dankbarkeit, Zufriedenheit, Verläßlichkeit, Treue, Geduld, Belastbarkeit und unbesiegbare Hoffnung darauf, daß er das letzte Wort haben und alles gut machen wird, denn, so sagt er - den Johannes in Offenbarung Kap. 21 als das Lamm auf dem Thron (also nicht mehr auf dem „Kreuzesthron“)

sieht - :  Ich mache alles neu. Und: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Es geht mit einem Wort um ein reiches, erfülltes Leben – denn, so hat er gesagt (Johannes 10, 10): Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben. Das ist der ganze Sinn seines Lebens und Sterbens für uns: Wir sollen Leben in Fülle haben.

 

Darum: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in ihm, dem Herrscher des Himmels und der Erde. Amen.

 

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.