Taufgottesdienst am 2. Weihnachtstag 2002

                                

Predigt über Joh 1, 1- 5.9 – 14:

 

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

Dasselbe war im Anfang bei Gott.

Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.

In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.

Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen...

Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.

Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht.

Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben,

die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

 

Liebe Gemeinde!

 

Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort...“: Niemand meine, diesen Satz je auch nur annähernd verstehen zu können.

 

Dr. Faust in Goethes Schauspiel grübelt über diesen Satz nach, merkt, wie er an eine undurchdringliche Mauer stößt und möchte verzweifeln...

 

Woher kommt alles? Luft, Wasser, Planeten, Spiralnebel, Fische, Bäume, Steine, und wir Menschen in unserer unendlichen Vielfalt, Empfindlichkeit und  Kompliziertheit?

 

Gott hat alles ins Dasein gerufen.

 

Im Anfang war das Wort – das Wort, das Gott selbst ist.

 

 Woher Gott kommt, ja wer er in Wahrheit ist, wie er aussieht...Das sind Fragen, über die man nicht zu lange nachgrübeln sollte, wenn man nicht verrückt werden will.

 

Gott der Ewige ruft durch sein schöpferisches göttliches Wort alles ins Dasein. Von diesem Wort Gottes sagt Johannes zwei ebenso absolut unbegreifliche Dinge: In ihm war und ist das Leben und dieses Leben ist das Licht der Menschen.

 

Was für ein Leben? Nicht einfach unser biologisches Leben – so wie das Leben Ihres Kindes: Das ist, wie Johannes sagt, „aus dem Willen des Fleisches geboren“ - , sondern ein Leben, wie Gott selbst es lebt, ein unvergängliches, unzerstörbares Leben – ein Leben ohne jede Spur von Tod oder Bösem darin.

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Und was für ein Licht? Ein unbeschreibliches Licht. Ein Licht, das wir meinen, wenn wir von einem strahlenden Lächeln sprechen oder von Glanz in Kinderaugen, oder wenn wir sagen: Dieses tröstende Wort hat mein Leben hell werden lassen oder wenn wir sagen: Dieser Mensch strahlt Güte aus oder: Er strahlt vor Freude...

Das Gegenteil wäre: Die finstere Miene eines Menschen, oder der düstere Eindruck, den er macht oder auch, daß jemand schwarz sieht für die Zukunft.

 

Und nun sagt der Prophet Jesaja in der Bibel, und wir müssen dem zustimmen:  „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker“. 

 

Finsternis und Dunkelheit: Zwei Wirklichkeiten, die voneinander zu unterscheiden, aber nicht voneinander zu scheiden sind: Das Wort „Finsternis“, das beschreibt in der Bibel die Situation der Gottesferne: Wir Menschen leben samt und sonders fern von Gott, getrennt von ihm, dem ewigen Wort, dem wahren Licht, dem ewigen Leben – wir leben eben nicht von  ihm erleuchtet, nicht im Hören auf ihn und im Gehorsam gegen sein Wort, sondern stattdessen beeinflußt,  beherrscht oder gar besessen von finsteren Einflüssen.

 

„Finsternis bedeckt das Erdreich...“: Dazu gehört , daß Menschen sich verlassen fühlen von Gott oder an einen  Gott überhaupt nicht glauben, daß das Leben voller

Rätsel und Unbegreiflichkeiten ist und wir nichts durchschauen...Auch all das unbegreifliche Leid gehört dazu, das Gott zuläßt oder sogar selbst schickt -  so daß

Menschen dann vielleicht mit Gott hadern, zu ihm klagen oder gar ihn anklagen wie der Schneider in jener Geschichte, die der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber überliefert:

 

Dem Rabbi der jüdischen Gemeinde kommt zu Ohren, der Schneider betrage sich gotteslästerlich. Der Rabbi läßt ihn zu sich rufen, der Schneider erklärt: Ich habe zu dem Ewigen gesagt: Du, ich habe nur kleine Sünden begangen, zum Beispiel meine Kundschaft hier und da mal ein wenig betrogen...aber du, Herr, hast schwerste Sünden auf dich geladen: Du hast Müttern ihre Kinder und Kindern ihre Mütter weggenommen! Laß uns quitt sein: Vergib du mir, so will ich dir auch vergeben.

 

 

Ich denke, wenn der Rabbi sich in der Heiligen Schrift auskannte, dann wird er den Schneider nicht getadelt haben. Denn auch da muten Menschen Gott einiges an Anklagen zu.  

 

Finsternis bedeckt das Erdreich - und Dunkel die Völker – und dieses Wort „Dunkelheit“ meint nun all das, wofür wir Menschen selbst verantwortlich sind: die Schuld, die wir auf uns laden, wenn wir Menschen  verletzen, kränken, verachten, mit Krieg überfallen oder verhungern lassen...Finsternis und Dunkelheit: voneinander zu unterscheiden, und doch hängt Beides miteinander zusammen, so wie die Sünde und die Sünden.

 

Finsternis und Dunkelheit: Gottesferne und Leid, Bosheit und Schuld...

 

Aber...!

 

 

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Aber nun haben einige Propheten auch gesehen und angekündigt: Es wird nicht immer Finsternis bleiben: Das Licht Gottes, das verschwunden war aus dem Leben, das wird mitten in Finsternis und Dunkelheit ganz neu aufleuchten, und die Finsternis wird ihm nichts anhaben können...Das Volk, das im  Finstern wandert, sieht ein

großes Licht, jubelt der Prophet Jesaja,  über denen, die im Lande des Dunkels wohnen, scheint es hell...Denn uns ist ein Kind geboren und die Herrschaft ruht auf

seiner Schulter und er heißt: Wunder an Rat, Held in der Kraft Gottes, Vater auf ewig, Fürst des Friedens...

 

Und heute, zu Weihnachten, feiern wir die Ankunft dieses Lichtes Gottes auf der Erde: „Und das Wort ward Fleisch und  zeltete unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit...“, so ruft der Evangelist Johannes aus. Das Wort, das Gott selbst ist, das Wort, in dem das Leben ist, das ewige Leben – dieses Wort wird ein Mensch, ein Kind aus dem Volk Israel.

 

Er selbst sagt von sich: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht wandern in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben (Joh.8,12). Er sagt nicht: Ich bin ein Licht in der Welt – so als ob es neben ihm noch andere Lichter gäbe: Buddha oder Mohammed oder Gandhi... Sondern nur in ihm, in ihm allein erscheint das Licht, das Gott selbst ist, auf unserer Erde. Außer ihm und ohne ihn ist nach wie vor nur Finsternis und Dunkelheit.

 

In ihm kommt Gott selbst in sein Eigentum – in das, was allein ihm gehört: Das Universum, die Erde, auch unser Leben. Die Frage ist: Nehmen wir ihn auf – oder sagen wir weiter: Wir wollen ihn nicht, wir wollen nicht, daß er unser Leben regiert?

 

Die Taufe ist ein Bekenntnis. Sie sagen heute: Er, das Licht der Welt, soll das Licht im Leben  meines Kindes sein.  Und: Er soll das Licht des Lebens auch für mich sein.

Er wird es, wenn wir auf sein Wort hören, auf das Wort, das uns wahres Leben schafft. Das Wort, das Ihnen und mir zusagt: Du bist ein Kind Gottes, du bist aus Gott geboren.

 

Klar, daß wir Christen immer wieder auch noch der Finsternis verfallen,  einen düsteren Eindruck machen, manchmal schwarz sehen für die Zukunft – aber die

Finsternis kann uns nicht mehr überwältigen und wir können in der felsenfesten Zuversicht leben: Es geht nicht der ewigen Nacht entgegen, sondern dem schattenlosen Licht der Ewigkeit, einer Vollendung des Lebens, in dem „der Tod nicht mehr sein wird noch Leid noch Geschrei noch Schmerz“ mehr sein wird (Offb.

21, 5). „Die Nacht ist schon im Schwinden, der Tag ist nahe herbeigekommen“, so formuliert es der Apostel Paulus (Röm. 13), und in einer anderen rabbinischen Geschichte, die Martin Buber überliefert, heißt es: Ein  Rabbi fragte einen gläubigen Juden: Wann weicht die Nacht dem Tag? Woran erkennt man das? Der versuchte eine Antwort: Vielleicht wenn man den ersten Lichtschimmer am Himmel sieht? Oder...wenn man einen Busch schon von einem Menschen unterscheiden kann? Nein, sagte der Rabbi, die Nacht weicht dem Tag, wenn jeder im Andern den Bruder und die Schwester erkennt.

 

 

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Auch dies bedeutet die Taufe: Wir werden hineingenommen in eine Familie, eine Familie der Kinder Gottes, eine Familie, von denen es Angehörige in jedem Volk und

Land der Erde gibt, eine Familie von Menschen, in der jeder im  Antlitz des Andern den Bruder und die Schwester sieht – und dies geschieht, wann immer Jesus, das Licht der Welt, uns erleuchtet.

 

Darum: Der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen.

 

Weitere Predigten von Pfarrer Martin Quaas, Essen-Rellinghausen, finden Sie unter www.martin-quaas.de/predigten.