...du hörst sein Sausen...“


Gottesdienst im Weiglehaus Essen am Sonntag Trinitatis, 7. Juni 2009


Lieder:

Schmückt das Fest mit Maien...EG 135/ EKG 107, 1.3.4

Gelobet sei mein Gott...EG 139/ EKG 111, 1 - 5

Brunn alles Heils, dich ehren wir...EG 140/ EKG 112, 1 – 5


Schriftlesung: Jesaja 6, 1 - 8


Gebet vor der Predigt (EG 572):


Brich herein, süsser Schein selger Ewigkeit! Leucht in unser armes Leben, unsern Füßen Kraft zu geben, unsrer Seele Freud. Amen.


Wir hören auf den Predigttext zum heutigen Sonntag Trinitatis, dem Fest

der Dreieinigkeit Gottes. Ich lese aus Johannes 3 die Verse 1 – 8.


Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden.

Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?

Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.

Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist.

Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren

werden.

Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weisst nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist.


Liebe Gemeinde!


Der Mensch ist unheilbar religiös“. So hat es der russische Religionsphilosoph Nicolai Berdjajew einmal ausgedrückt.


Zwar, klar, es gibt Phasen, Zeiten des Wohlstands, da vergisst man Gott eher - aber spätestens in Krisenzeiten und bei Katastrophen taucht die Frage nach ihm wieder auf -

manchmal aber auch in Erfahrungen der Bewahrung oder des Glücks, in denen dann tiefe

Dankbarkeit uns erfüllt.


Der Mensch ist unheilbar religiös“. Und zwar jeder Mensch, auch die, die sich Atheisten

2

nennen. Von ihnen schreibt Heinrich Böll einmal den schönen Satz: „Die Atheisten langweilen mich, sie reden dauernd von Gott“.


Die Frage nach Gott ist und bleibt die Urfrage der Menschheit.


Mein 1. Punkt also: Auf der Suche nach Gott...


Auch in unserem Text hören wir ja von einem, der von der Frage und Suche nach Gott

umgetrieben wird. Sein Name - Nikodemus - bedeutet übersetzt: Sieger im Volk, Sieger in der Volksversammlung. Vielleicht hat sein Vater ihm ja diesen Namen gegeben, weil er wollte, dass sein Sohn mal etwas Besonderes sein sollte, erfolgreich, ein Siegertyp eben. Und Nikodemus ist dann auch „wer“ geworden. Er gehört zur Jerusalemer Führungsschicht. Ist Angehöriger des Synhedriums, einer von den 7o Persönlichkeiten, die die politische und religiöse Führung im Volk Israel ausübten. Zugleich nennt Jesus ihn kurz nach unserem Predigttext einen „Lehrer in Israel“. Er ist also sozusagen Professor und Doktor der Theologie. Und er gehört der Gruppierung der Pharisäer an, Pharisäer bedeutet ja: Die Abgesonderten: Sie unterschieden sich in ihrer Lebensführung, ihrer Glaubensfreude und ihrem Glaubensernst radikal von den Durchschnittsgläubigen, und - worin sie auch vorbildlich sind - sie gaben regelmässig 10% ihres Einkommens für Hilfsprojekte für Bedürftige oder für die Erhaltung und Pflege des Tempels.


Und nun sagt Johannes, dieser tiefsinnigste der vier Evangelisten, Nikodemus kommt „des Nachts“ zu Jesus. Wollte er heimlich, im Schutz der Dunkelheit kommen, weil er lieber nicht bekannt werden wollte als möglicher Sympathisant Jesu? Oder ist hier die Nacht gemeint als die Zeit, in der man Gott in besonderer Weise in der Stille lobt, wovon etwa Psalm 134 spricht - oder auch die Nacht als eine Zeit auch für besonders tiefgehende und konzentrierte Gespräche? Auch das gibt’s ja, wie mancher von Euch vielleicht schon erlebt hat.


Aber ich denke eher, Johannes, für den die Worte „Licht“ und „Finsternis“ so wichtig sind, meint hier: Nikodemus kommt aus der Nacht seines Lebens – und ist auf der Suche nach dem wahren Licht des Lebens.


Und mit seinem Suchen und Fragen geht er zu Jesus.


So heisst auch mein 2. Punkt:


2. ...zu Jesus gehen


Nikodemus will ein religiöses Gespräch mit einem führen, von dem er auf jeden Fall weiss: Der ist kompetent in Glaubensfragen. Meister - Rabbi - sagt er voll Respekt, wir wissen: du bist ein Lehrer, von Gott gekommen, denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Er und die Angehörigen seiner Kreise – sie hatten von Jesu aufsehenerregendem Verhalten gehört, etwa bei der Hochzeit zu Kana, und es hatte sie der radikal-prophetische Eifer beeindruckt, mit dem Jesus die Geschäftemacherei im

Tempel gegeisselt hatte. Von Beidem erzählt Johannes im Kapitel vorher.


Und jetzt erwartet Nikodemus vielleicht ein gelehrtes Glaubensgespräch ... und dann – dann geht alles in eine ganze andere, für Nikodemus völlig unvermutete Richtung – in ganz neue Bereiche der Gotteserkenntnis , neue ihm bisher unbekannte Landschaften des Lebens hinein.

3

Jesus bringt das Gespräch sofort auf den entscheidenden Punkt. Wahrlich, wahrlich - und dieses doppelte Amen betont die Autorität seiner Worte – ich sage dir, es sei denn, das

jemand von neuem – man kann auch übersetzen: von oben, von Gott her – geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.


Es geht also nicht um ein religiöses „Wissen“, wie es Nikodemus hat und vielleicht etwas vertiefen will, sondern es geht um ein „Sehen“: ein Sehen in der tiefen Bedeutung, die das Wort bei Johannes hat. Nikodemus soll ein Sehender werden. Er soll das Licht der Welt erblicken, er soll das wahre Licht des Lebens erkennen. Dazu aber muss er, sagt Jesus, neu geboren werden, von Gott selbst neu geboren werden.

Viele denken ja anders vom christlichen Glauben. Ich habe als Junge schon ein Gedicht von Friedrich Rosegger gelesen, in einem Schulbuch – es gab es aber auch als gestickten Wandschmuck. Und eine Schlagersängerin – ich glaube mit Namen Nicole – hat später den ersten Vers zu einem Schlagerhit gemacht :


Ein bisschen mehr Friede und weniger Streit,

ein bisschen mehr Güte und weniger Neid,

ein bisschen mehr Wahrheit – immerdar,

und viel mehr Hilfe bei jeder Gefahr...

Statt immer nur Unrast ein bisschen mehr Ruh.

Statt immer nur Ich ein bisschen mehr Du...

und viel, viel mehr Blumen während des Lebens,

denn auf dem Grabe blühn sie vergebens.


Nicht wahr, das gefällt, da stimmt jeder zu. Und viele unserer Zeitgenossen denken: Genau das ist der christliche Glaube: Sich für ein bisschen mehr Frieden einsetzen, gütig sein, Nächstenliebe üben, nett sein zueinander.


Ganz anders Jesus. Er sagt: Es geht nicht um Schönheitsreparaturen am alten Adam, an der alten Eva, um ein paar Verbesserungen an unserem Wesen. Sondern um etwas grundstürzend Neues. Um eine Neuschöpfung . Um es bildhaft zu sagen: Nicht mehr dein Ich soll im Mittelpunkt stehen und alle und alles andere - Menschen, die Schöpfung, auch Gott - soll sozusagen um dich kreisen, auf dich bezogen, für dich dasein. Sondern es geht darum, dass Gott, die Sonne des Lebens, im Mittelpunkt steht und ich kreise - ebenso wie alle Menschen und Geschöpfe - um ihn, wir alle empfangen von ihm in gleicher Weise Leben, Licht und Wärme.


Es sei denn, dass jemand aus Wasser und Geist heraus neu geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen, sagt Jesus - wobei Wasser ja auch ein Bildwort ist für die schöpferische Kraft des Heiligen Geistes, der bewirkt, dass wir eine neue Kreatur sind, wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung.


Nun ist dieses Wort „Neugeburt“ oder Wiedergeburt ja derzeit „in“. Man weiss von dem früheren Präsidenten Bush, dass er sich einen „wiedergeborenen Christen“ nennt. „In“ ist

die – eigentlich buddhistische - Lehre von der Wiedergeburt, der Reinkarnation derzeit

auch bei manchen übersättigten, auch religiös konsumbesessenen Europäern und Nordamerikanern. Und mittlerweile gibt es etwas in der Art ja auch im Internet: Ein Computerspiel namens „Second Life“, da kann man sich selbst neu entwerfen, neu gestalten, sich selbst ein neues Leben schaffen, der sein, der man so gern sein möchte:

Schön und reich, Besitzer einer Trauminsel und vieler Frauen, oder auch mächtig, ein

4

global agierender Finanzboss...oder ein General, ein allmächtiger Herrscher, und und...


Jesus meint etwas absolut Anderes.


Mein 3. Punkt: ...und neu geboren werden aus Seinem Geist


Ich weiss noch genau: Als ich für ein Jahr in New York Theologie studierte – es ist einige Jährchen her, 1967/68 - da wurde ich von zwei Redewendungen richtig abgestossen. Die eine (die häufig auch in Werbesendungen vorkam): I want it! And I want it now! Ich will das und das - und zwar jetzt! Das ist prägend für unsere Lebenseinstellung geworden. Habenwollen – und zwar bitte gleich, möglichst schnell. Fast food, auch in geistlichen Dingen. Lebensqualitäten wie Warten, Verzichten, Langsamkeit, Tugenden wie Geduld, Beharrlichkeit, Beständigkeit bleiben darüber auf der Strecke.


Das andere: Es war dauernd von „action“ und „activities“ die Rede. Diese pausen- und rastlose Aktivität - immer „gut drauf“ und aktiv sein, zur Not mit Mittelchen nachhelfend - auch diese Lebenshaltung ist bei uns herrschend geworden, auch in die Kirchen eingedrungen, ja bis hinein in die Altenwohnheime, die inzwischen Seniorenresidenzen genannt werden: Aktivität im Alter! Seniorenfitness! Die Kraft der zwei Herzen!


Umso schlimmer dann für den alten Menschen, wenn er - vielleicht etwas später, aber schliesslich doch - den Weg allen Fleisches geht: Schlaff und faltig, kraftlos, gebrechlich, ganz auf Hilfe angewiesen.


Wie wichtig ist darum die Einübung in diese Lebenshaltung der Passivität im Sinne von empfänglich sein, geduldig, erwartungsvoll - so wie es das Lied: Befiehl du deine Wege...herrlich ausdrückt: ...Erwarte nur die Zeit, so wirst du schon erblicken die Sonn

der schönsten Freud.....Ihn, ihn lass tun und walten, er ist ein weiser Fürst und wird sich so verhalten, dass du dich wundern wirst... Und, 2. Strophe: Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen, es muss erbeten sein...Erwartungsvoll sein für das Kommen des Geistes Gottes, für Gottes Wirken an mir. Von den Propheten Jeremia oder Ezechiel ist ja sogar überliefert: Sie warteten manchmal Wochen oder Monate auf ein Wort Gottes!!


Solch eine aufmerksam-erwartende Lebenshaltung lernen wir vor allem bei Jesus, weil er uns durch das Evangelium erfahren lässt: Wir sind Beschenkte, unverdient und doch so reich Beschenkte, mit Gottes ewiger Liebe und Treue Beschenkte!


Dann leben wir passiv im Sinne von empfänglich, erwartungsvoll, offen für Gott, in der Bitte um seinen Geist und dann auch – immer aufs neue - erfüllt von ihm – und in seiner Kraft dann natürlich auch aktiv, sogar aktiver als andere, nämlich nicht ichbezogen, sondern aus Gottes Kraft heraus aktiv. Dann tun wir im richtigen Sinne etwas für unsere Gesundheit – wofür ja auch einige ältere Herren und Damen hier vorbildliche Beispiele sind.


Erwartungsvoll für den Geist Gottes, die Geisteskraft Jesu Christi: Sie kann überwältigend kommen, mit pfingstlichem Brausen, wie es offenbar dem großen Philosophen und wiedergeborenen Christen Blaise Pascal widerfuhr, der es in seinem berühmten Memorial beschrieb. Nach seinem Tode fand ein Diener zufällig den Text auf einem Pergamentstreifen, in das Futter eines Rocks eingenäht. Pascal schreibt da, geradezu stammelnd vor überschwänglicher Freude - ich zitiere in Auszügen:

5


Jahr der Gnade 1654, Montag, den 23. November...seit ungefähr abends zehn einhalb bis

ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht


Feuer


Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs – nicht der Philosophen und Gelehrten.


Gewissheit, Gewissheit, Empfinden: Freude, Friede.


Gott Jesu Christi...


Nur auf den Wegen, die das Evangelium lehrt, ist Er zu finden.


Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude...


Jesus Christus! Jesus Christus!


Eine überwältigende Glaubens- und Gewissheits-Erfahrung Pascals, eine Neugeburt.


Aber – vielleicht noch wichtiger: Auch im Alltag, im alltäglichen Leben erfahren wir es, wie wir beschenkt werden, weil Gott für uns sorgt, wie er überraschende Dinge tut, wie er uns Wege zeigt...wir erfahren, was Gott tut, als Geschenke, manchmal sehen wir auch Warnungen und Wegzeichen Gottes. Völlig unverfügbar, manchmal ganz unvermutet kommt der Geist Gottes und beschenkt uns – über einem Gebet, das einer für uns oder mit uns spricht, einem Lied, das ich mit anderen singe, einem Bibelwort, einem Predigtgedanken, über einer gesegneten Begegnung , einem guten fröhlichen, ruhig auch ganz lockeren Gespräch - - auf alle nur mögliche Weisen kann Gott kommen und uns beschenken...Man lernt dann, wie das alte Wort lautet, Gott „walten“ zu lassen.


Das ist die Erfahrung , das Erlebnis des Geistes Gottes: Wir hören und spüren sein Sausen wohl – aber wir wissen nicht, wann und von wo er kommt und was er bewirken wird, was er bei uns ausrichten wird, und wohin das führt, was er bewirkt Es kann auch ein „..und führen, wohin du nicht willst“ sein (Joh. 21, 18) .


Das ist das neue, das geistliche Leben im alten...bis dann, nach dem Tod, Gott alles in allem sein wird.

Amen.