Predigt über Johannes 3, 31 – 36, 1. Weihnachtstag  2003

 

Lieder:

Nun singet und  seid froh...35

Vom Himmel kam der Engel Schar...25

Jauchzet ihr Himmel...41

Gelobet seist du, Jesu Christ...23

Fröhlich soll mein Herze springen...36

Vom Himmel hoch...24, 9 und 12

 

Psalm: Philipper 2, 5- 11 (Nr.773)

 

Lesung: Micha 5, 1-4a

 

Liebe Gemeinde,

 

als Predigttext für den diesjährigen 1. Weihnachtstag hören wir Verse aus dem Johannesevangelium. Und ich will gleich im voraus sagen: Auch diese Verse enthalten die Weihnachtsbotschaft; allerdings – wie beim Evangelisten Johannes ja nicht ungewöhnlich – in tiefsinnige Worte gekleidet. Ich lese aus Johannes 3 die Verse 31 – 36. Johannes der Täufer sagt dort:

 

Der von oben  her kommt, ist über allen. Wer von  der Erde ist, der ist von der Erde und  redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen

und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an.

Wer es aber annimmt, der besiegelt, daß Gott wahrhaftig ist.

Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß.

Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben.

Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.

 

In diesen Worten also, liebe Gemeinde, hören wir nichts von Bethlehem und dem Stall, Hirten und Herden, Engeln und anbetenden Weisen – sondern gedankenschwere, tiefgründige Worte. Johannes scheint mit seinen Gedanken fern vom praktischen  Alltag, tief versunken in das Geheimnis Jesu. Und doch, wenn man in seine Worte hineinhört, merkt man: Auch Johannes erzählt eine Geschichte – eine, in der unser ganzes Alltagsleben enthalten ist; all das, womit wir uns abmühen und was uns zu schaffen macht.

 

                                                                        I

 

„Wer von der Erde ist“, sagt er,  der ist von der Erde und redet von der Erde“.  Der Theologe Helmut Gollwitzer hat dazu geschrieben: Das ist der modernste Satz der ganzen Bibel. Jedenfalls ein ganz materialistischer Satz.  Hier wird im Grunde gesagt: Der Mensch, das ist ein  Spätprodukt von Jahrmillionen der Erdentwicklung, ganz zur Erde gehörend, ganz dem Irdischen verhaftet – ein hochentwickeltes, aber zugleich auch bösartiges Tier, intelligent zwar, aber auch äußerst unvernünftig – mit „edel, hilfreich und gut“ ist da nicht viel. Sondern alles, was wir Menschen von Natur

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aus denken, reden und tun, das bleibt im Irdischen befangen; wir kreisen um uns selbst, sind vom Kampf ums Dasein beherrscht.

 

Das finde ich gut, dass Johannes so drastisch und realistisch von uns redet – jeder Blick in die Zeitungsnachrichten bestätigt ja, was er sagt. Und denken wir an unser Leben im persönlichen Bereich: Auch da Egoismen, Eifersüchteleien, versteckte oder auch grobe Bosheiten in Gedanken und Worten...: Wir sind „von der Erde“. Basta. Wir sind „von unten“.

 

                                                                        II

 

Nun ist allerdings in diesen Versen auch von einem „oben“ die Rede: „Der von oben her kommt, der ist über allen“. Man könnte denken: Ja – das gehört noch mit zu dem biblischen Realismus: Wer oben ist, der ist allen über. Wer oben ist, der kann auf die heruntergucken und -spucken, die unten sind. Wer „ nach oben“ in die Atmosphäre fliegen kann, der kann Bomben werfen und Raketen lenken auf „die da unten“. Wer die erste Mondstation errichtet, der kann den ganzen Globus von oben beherrschen. Wer oben ist, ist über allen und allen über.

 

Nur: Hier heißt es ja nicht: Wer oben ist..., sondern: Wer von oben kommt. Von einem, der kommt, hören wir. Wer ist das? Völlig klar: Johannes meint Jesus. Und wie sah sein Kommen aus? So, wie wir’s eingangs im Gottesdienst ausgesprochen  haben (Philipper 2): „Er entäußerte sich selbst...“: Er ist nicht oben in seiner himmlischen Heimat geblieben, sondern ist heruntergekommen, in unser  Sklavendasein hinein, also ganz ins Irdische hinein, tief nach unten, wie es tiefer nicht geht: Gefangennahme, Folterung, Entwürdigt- und Angespucktwerden,Tod am Kreuz, Grab, Erde, Totenreich.

 

Johannes sagt uns: Dort unten, dort ganz tief unten, dort ist er nun „über allen“. Dort ist nun sein ganzer göttlicher Reichtum, seine göttliche Allmacht.

 

Und da haben wir sie in all ihrer Unfaßlichkeit, die Weihnachtsbotschaft. Von unten her regiert er. Als Tiefster ist er der Höchste, als Unterster der Oberste, als Letzter der Erste. „Gott ist im Fleische“: Lasst uns davon singen: Lied 41, Strophe 1-3.

 

                                                                        III

 

Jetzt haben wir also schön und  anbetend vom Weihnachtswunder gesungen. Aber – wie die ganze Bibel – so bleibt auch unser Text im  Blick auf uns Menschen weiter realistisch: Was ist die menschliche Reaktion auf diese Niederkunft Gottes? Johannes sagt es klipp und klar: „das Zeugnis von Jesus nimmt niemand an“. Niemand.

 

Das war schon damals so. Sicher: Einige wurden seine Jünger; einige Frauen und  Männer, denen er sehr geholfen hatte, die er geheilt, befreit, getröstet hatte – die waren ihm dankbar. Aber am Kreuz war er von allen verlassen. Wirklich erkannt hat ihn niemand. Bis heute ist es so, wie die Menge damals johlte: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche“.

 

 

3

 

Was wir – auch zu Weihnachten – wollen, ist doch: Schöne Stimmung, volle Kirchen...Und auch wir Christen wollen ganz gern „nach oben“, wollen wer sein, möchten auch gern schon mal hoch hinaus, auch wir haben diesen babylonischen  Drang, Türme zu bauen, und uns imponiert, wer „oben ist“. Aber zu Ihm hin, also „nach unten“, in  die Nähe der Erfolglosen, Gescheiterten, Fremden, Häßlichen, Kranken  - das möchten wir von Natur aus eher nicht.

 

                                                                        IV

 

Also ist der christliche Glaube zu schwer? Zu sehr gegen die Natur? Gegen alle scheinbar trüben Aussichten steht hier nun ein sehr hoffnungsvoller Satz: Er gibt den Geist nicht nach Maß, das heißt: Gott schüttet seinen Geist aus, nicht tröpfchenweise, sondern eimerweise, reichlich, im Übermaß, überströmend,

in Fülle!

 

Der Geist: Das ist Gott selbst in seinem Wirken, das ist Jesus, das ist die Kraft des Evangeliums. Johannes sagt von ihr: Sie wirkt trotz unseres Unverständnisses, trotz unserer Gleichgültigkeit und unserer Widerstände, sie wirkt trotz allem unwiderstehlich, sie wirkt so, dass sie Menschen überwindet, überwältigt, sie hoch erfreut, sie mitreißt und beglückt.  Das ist das Wunder des Geistes Gottes, das Wunder, das über der Verkündigung geschehen kann, ein Wunder, das der lebendige Gott, der auferstandene Jesus selber bewirkt. Wenn es dieses Wunder nicht gäbe, gäbe es längst keine Kirche mehr, keine Weihnachtsgottesdienste, keine Weihnachtsfreude, keine christlichen Glauben.   

 

Aber weil es dieses Wunder gibt, kriegen die Geschäftemacher und Medienleute eben Weihnachten nicht in  den Griff, werden die Menschen nicht aufhören, hinter der Fassade nach dem eigentlichen Sinn von Weihnachten und nach dem wahren Grund und Gehalt der Weihnachtsfreude zu fragen und immer wieder werden neue Menschen oder Menschen wieder ganz neu erkennen: Die Weihnachtsbotschaft und mit ihr das gesamte Evangelium: Das ist das Beste, Schönste, Tröstlichste, Heilsamste und Herausfordernste, was es für uns Menschen auf der Erde überhaupt gibt – denn sie sagt mir und jedem Menschen ja: Dort unten, in meinem Alltag, in meinen kleinen und doch so grossen Sorgen, in meinem Mißerfolg, in meinen Schmerzen, in meiner Verzagtheit – da ist nun der lebendige Gott selbst, da will er bei  mir sein – nicht meine Probleme lösen, aber mir helfen, mir beistehen, mich trösten, mir Hoffnung machen – ja selbst noch im Sterben will und kann er das tun. Und bei den Schwachen, Übersehenen, Übergangenen, nicht Beachteten – da ist Gott selbst – sie  sind ihm wichtig. 

 

Und wenn ich ihm vertraue – dann wende ich mich – wenigstens ein wenig – von jener Lebenshaltung ab, über der, wie Johannes hier deutlich sagt, „der Zorn Gottes“ liegt – jener Lebenshaltung, die immer noch – obwohl Gott den anderen Weg gegangen und ihn uns gebahnt hat – egoistisch nach oben will, alles für sich will, immer mehr will...Diesen Weg nach oben, der doch in Wahrheit in die Leere, in die Sackgasse, ins eigene Verderben führt.

 

 

4

 

Ich stelle mir vor, wie die islamische Welt in Erstaunen geraten würde, wenn  der gläubige Christ Bush nicht in  erster Linie  mehr „nach oben“ wollte, um allen über zu sein, sondern verkünden würde: Wir setzen ein Fünftel unseres jährlichen  Rüstungsetats, nämlich 100 Milliarden Dollar, im  Kampf gegen den Hunger ein, wir setzen sie ein  für die Menschen, die „unten“ sind.

 

Wir scheinen von solchem Denken, solchem Streben nach einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung, entfernter denn je zu sein. Aber: Vergessen wir nicht: Gott gibt den Geist über die Maßen. Vielleicht schüttet er ihn doch über einen  Machthaber aus, wenn wir Gott darum bitten?

 

Herr, erwecke deine Kirche und  fange bei mir an“, heisst es in einem Gebet. Fangen wir bei uns an, Jesus um das Kommen seines Geistes zu uns und zu den Mächtigen zu bitten. Fangen wir bei uns an, Schritte zu tun auf dem Weg in der Nachfolge Jesu, einen Weg, auf dem wir auf jeden Fall  merken: Durch ihn und  mit ihm  gewinne ich das Leben, ewiges Leben, erfülltes, sinnvolles, befreites, glückliches, zufriedenes Leben.

 

Darum. Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserm Herrn. Amen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 




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